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Kapitel 5
ОглавлениеWohnen und arbeiten im Paradies
Als sie nach dem ausgedehnten Spaziergang im Englischen Garten wieder zurück in die Wohnung kam, läutete das Telefon und auf dem Anrufbeantworter war dieselbe Stimme wie die der Ansage zu hören "Grüß Gott, Gernleitner ...." Jacky raste nervös durch die Wohnung. Der Wohnungsinhaber stand dann höchstpersönlich eine Stunde später in seinem Domizil, das Judith zuvor noch hektisch aufgeräumt hatte.
“Ach, aus Freiburg kommen Sie, eine waschechte Schwäbin sozusagen “.
Gut gelaunt durch seinen fulminanten Romaufenthalt musterte Gernleitner die Homesitterin, ihre Frisur und ihre Kleidung verletzten sein ästhetisches Empfinden. In diesem Aufzug würde die in Rom nicht mal eine Putzstelle bekommen. Diese Ökolatschen in Verbindung mit der vogelbunten Schlabberkleidung – in Italien wäre dies glatt ein Grund, ein Rendevous abzusagen. Aber als geübter Ästhet erkannte er auch, dass mit ein bisschen Styling aus diesem drahtig-kühlen Typ durchaus etwas zu machen wäre. Judith war eher klein, aber ihre Körpersprache drückte eine energische Spannung aus und ihre hellbraunen, leicht schrägen Augen bildeten einen interessanten Kontrast zu ihrer hellen Haut und den dunkelblonden Kringellocken.
Judiths Miene hatte sich beim Wort “Schwäbin” schlagartig verfinstert.
Ist das etwa typisch bayerisch, ein ignorantes Selbstbewusstsein, dem kaum zu widersprechen lohnte? Dazu war sie auch gar nicht fähig, denn Gernleitners intensiver Armaniduft hatte ihren Kehlkopf regelrecht eingenebelt. Misstrauisch nahm sie ihn ins Visier. Gernleitner war nur unwesentlich größer als sie, ungefähr 1.70. In seinem meist jovial-offen dreinblickenden Gesicht blitzten dunkelgraue Augen, die öfter als er sich dessen selbst bewusst war, melancholisch wirkten. Zu seinem eigenen Bedauern neigte er inzwischen zu leichtem Fettansatz, der sich vor allem am Bauch und an seinem Stiernacken breitmachte. Sein ergrautes, welliges, leicht schütteres Haar trug er inzwischen mit Fassung, bei seiner Figur war er allerdings konsequent darauf bedacht, sie durch hervorragend geschnittene Anzüge zu kaschieren.
“Wie gefällt Ihnen denn München?”
“Bis auf die Wohnungssituation eigentlich gut.”
“Ja wissen´s, das ist eine Katastrophe, überhall wird schamlos erhöht. Da kann selbst ich ein Lied davon singen. Der Vermieter meines renommierten Modegeschäfts, Herr Dr. Stahl, schickte mir vor ein paar Monaten eine 35 prozentige Mieterhöhung. Nicht mal mein Anwalt konnte einige Prozente rausschlagen. Schließlich haben wir uns auf 3 Maßanzüge jährlich geeinigt – der Kerl kann seine grobschlächtige Figur jetzt auch noch mit meinen edlen Anzügen verhüllen. Ich sag Ihnen, Zustände sind das ...!”
Luxusheini mit Luxusproblemen!, dachte Judith, soll ich jetzt Mitleid mit diesem Edelschneider bekommen? Und was soll ich zum Ausgleich anbieten? Etwa – wie neulich im Wohnungsteil der AZ – die Besänftigung des männlichen Hormonhaushalts?
“Biete attraktiver schlanker junger Frau,maximal 25 Jahre alt, 90-60-90 günstige zentral gelegene Mitwohngelegenheit bei gelegentlicher Besänftigung meines Testosteronhaushalts. Chiffre..”
“Tja, Frau Schätzle, ich will Sie nicht länger aufhalten. Auf Wiederschaun.
Viel Spaß und viel Glück bei Ihrer Wohnungssuche!”
Der war ihr bereits vergangen und von Glück konnte keine Rede sein.
Der Bayerische Wahlkampf tobte und das smart-steife Lächeln Stoibers versprach den CSU Anhängern: Stoiber kommt.
Und Judith Schätzle geht vielleicht.
Seit sechs Wochen wohnte Judith im Westend in der Kazmaierstraße bei Marianne, einer Mutter-Kind-Projekt-Frau aus Stuttgart, die ebenfalls am Ephraim Lessing Kolleg arbeitete. Das Alternativviertel mit hohem Ausländeranteil gefiel ihr gut. Marianne verstand sich als jederzeit begehbare Brücke zwischen dem kapitalistischen Westeuropa und dem vom Kapitalismus ausgebeuteten Afrika. Ihre Politik der Wiedergutmachung bestand darin, untergetauchten Afrikanern Kontakte zu deutschen Frauen zu vermitteln. Die Heirat als rettende Möglichkeit, diesen benachteiligten Menschen ein Überleben im rassistischen Deutschland zu ermöglichen. In letzter Zeit jedoch war Mariannes missionarischer Eifer etwas abgeklungen.
Unmittelbar nach der Heirat hatte sich ihr Senegalese Pape Diallo vom feurig afrikanischen Liebhaber zum patriarchalen Anpruchschauvi gemausert. Er und sein stets quengelnder Sohn Moritz vergifteten die Atmosphäre der Wohnung, aus der Judith am liebsten sofort ausgezogen wäre.
Marianne ist eigentlich okay, nur Pape und ihr Brüllterrorist Moritz sind das Problem – oder doch etwa Marianne?
Astrologisch gesehen war Judith in eine weitere Reifephase eingetreten. Nach gut 28 Jahren kehrte der laufende Saturn, Symbol für die Zeit, zu seinem Geburtsort im Horoskop zurück. Sie merkte seit Wochen, dass sie die Welt ziemlich skeptisch betrachtete, vor allem ihre WG, in der sie zunehmend als Babysitterin und Kummerkasten ausgebeutet wurde.
Während Pape mehr als breitbeinig auf dem Sofa lümmelte und seinen spielenden Sohn gelangweilt zur Kenntnis nahm, stand Marianne überfordert im täglichen Chaos der Küche und überreichte Judith den Hörer.
“Pöppel-Nirmalathasan, Lessing Kolleg. Frau Schätzle, ich hätte da für Sie einen tollen Auftrag, ein richtiger VIP. Ein Italiener aus der Führungsschicht bei Fiat, ja Fiat, Sie wissen ja, Agnelli. Ich habe Agnelli erst kürzlich beim Empfang im italienischen Konsulat getroffen, ein unglaublich kultivierter, gebildeter und charmanter Mann, ich habe mit ihm persönlich einige Worte gewechselt......
Ach, wo war ich wieder ?! Äh.., ja , also dieser Italiener hat einen zweiwöchigen Individualkurs gebucht, täglich sechs Stunden. Ich bin sicher, das wird eine tolle Sache!”
“Welches Sprachniveau hat er denn?”, unterbrach Judith.
“Oh, da muss ich erst nachsehen. Ich glaube, er ist Ende Grundstufe, na, Sie werden das schon hinkriegen. Kann ich auf Sie zählen? Phantastisch, also bis Montag dann, 8.30 Uhr und ach, bedenken Sie noch, die Italiener – also was mir äußerst wichtig wäre: Als Repräsentantin des Ephraim Lessing Kollegs sollten Sie auch optisch unseren High Potential zufriedenstellen."
Das war bei Judith zweifellos angekommen.
Leicht genervt aber auch beruhigt durch den neuen Auftrag, legte Judith den Hörer auf. Inzwischen konnte sie das theatralische Wortgeklingel der Leiterin recht gut in realistische Tatbestände übersetzen. Auf die Einstufung von Frau Pöppel-Nirmalathasan war grundsätzlich kaum Verlass. Seitdem ein als Mittelstufe deklarierter Kursteilnehmer sich als Anfänger entpuppte, war Judith gezwungen, jeweils Vorbereitungen für verschiedene Sprachniveaus zur Hand zu haben. Die Kleiderfrage stellte sich jetzt als zusätzliches Problem. Da derzeit kein Schlussverkauf war, würde sie einfach in den zahlreichen luxuriösen Second-Hand- Boutiquen Schwabings vorbeischauen.