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6. Ein Schultag im Boukarou

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Ich schrecke in meinem Bett hoch. Was war das? Da, wieder so ein Knall! Ich sinke auf mein Kissen zurück. Ach, das müssen die Samen der Bäume sein, die neben unserer Wohnung wachsen. Kerstin hatte uns gestern Abend erzählt, dass sie manchmal auf das Wellblechdach fallen. Wir sollten uns dann nicht erschrecken. Nun ja, diese Warnung hat wohl nicht geholfen. Ich habe mich ganz ordentlich erschreckt!

Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass es schon halb sieben ist. Da werden Jakob und Ina gleich frühstücken. Sie müssen heute nämlich in die Schule. Bei ihnen haben die Ferien noch nicht begonnen. Wenn ich jetzt wach bin, kann ich eigentlich auch mit ihnen zusammen essen. Hunger habe ich auf jeden Fall!

Leise, damit ich Leonie nicht wecke, schlüpfe ich unter meinem Moskitonetz hervor, ziehe mein T-Shirt und eine kurze Hose an und renne zum Haus der Bäumlers. Die Haustür steht bereits offen und durch die Fliegengittertür komme ich direkt in den Flur. Ich bleibe für einen Moment stehen. In der Küche höre ich Jakob und Kerstin diskutieren. „Nein, ich gehe heute nicht in die Schule!“, ruft Jakob.

„Ich bestehe aber darauf, dass du gehst“, erwidert Kerstin.

„Es ist total unfair, dass Ole schon Weihnachtsferien hat und ich noch zur Schule muss. Ich will auch zu Hause bleiben. Ich will an unserem Lehmhaus weiterbauen!“

„Ihr könnt noch den ganzen Nachmittag an eurer Hütte bauen“, sagt Kerstin bestimmt.

Vorsichtig strecke ich den Kopf durch die Küchentür: „Guten Morgen!“

Kerstin und Jakob gucken mich überrascht an. „Guten Morgen, Ole!“

„Ich habe mir gedacht, dass ich vielleicht mit Jakob zusammen in die Schule gehen könnte“, sage ich auf einmal. Hatte ich mir das wirklich überlegt? Dort reden doch alle Französisch. Ich werde überhaupt nichts verstehen. Kerstin sieht mich skeptisch an. Aber Jakob ruft schon: „Jaaa! Das ist eine supergeniale Idee! Du bist echt ein richtiger Freund, Ole!“

Ich merke, dass ich ein bisschen rot werde und wundere mich selber über meine Idee. Kerstin zögert noch einen Moment, aber dann scheint sie einverstanden zu sein: „Na, dann geht mal frühstücken und seht zu, dass ihr fertig werdet. Ich rufe die Direktorin an und warne sie schon einmal vor, dass heute ein Schüler mehr da sein wird!“

Kurze Zeit später sitzen Jakob, Ina und ich im Auto. Ein Mitarbeiter der Missionsstation bringt uns zur Schule. Dort angekommen, muss ich mich zuerst einmal über das sonderbare Schulgebäude wundern. Es ist nämlich nicht nur ein Gebäude, sondern es sind ganz viele. Die meisten davon sind rund und erinnern mit ihrem spitzen Dach an die afrikanischen Lehmhütten. Jakob und Ina nennen sie „Boukarou“.

„Schau, da vorne ist unser Boukarou“, zeigt Jakob mir. „Jeder Boukarou ist ein eigenes Klassenzimmer.“

Als wir Jakobs Klassenzimmer betreten, wundere ich mich schon wieder. Auf der einen Seite stehen fünf Tische und Stühle, die nach links zu einer Tafel zeigen und auf der anderen Seite stehen drei Tische und Stühle die nach rechts zu einer Tafel zeigen. Jakob erklärt: „Guck, das hier ist meine Klasse und da drüben ist die von Ina.“

„Ihr seid beide im selben Klassenzimmer?“, frage ich.

„Ja, wir werden auch von derselben Lehrerin unterrichtet. Unsere Klassen sind so klein, dass sie uns in manchen Fächern alle gemeinsam unterrichtet. Das ist super. Sonst wäre es in meiner Klasse mit nur zwei Schulkameraden ziemlich langweilig.“

Da betritt eine Afrikanerin den Raum. Sie trägt eine Bluse und enge Jeans. Ihre glatten schwarzen Haare hat sie zu einem Zopf geflochten. Das muss die Lehrerin sein. Sie kommt auf mich zu, gibt mir freundlich die Hand und redet mit Jakob auf Französisch. Ich glaube, er stellt mich vor und erzählt, warum ich da bin. Für einen Moment frage ich mich, ob sie mich vielleicht wieder nach Hause schicken wird. Aber dafür sieht sie dann doch zu nett aus.

„Sie sagt, dass du bleiben kannst. Sie wird noch einen Tisch für dich holen und dann kannst du neben mir sitzen“, strahlt Jakob. Genial! Das wäre also geschafft.

Wir rennen mit Ina zusammen nach draußen. Etwas weiter weg spielen ein paar Kinder Fußball. Als wir sie fast erreicht haben, ruft Jakob einem Jungen etwas zu. Dieser unterbricht sein Spiel und kommt zu uns her gelaufen. Leise sagt Jakob zu ihm auf Deutsch: „He Hamid, das hier ist Ole. Er darf heute bei uns in der Schule dabei sein!“ Hamid gibt mir die Hand. „Cool! Jakob hat mir schon viel von dir erzählt.“

Ich starre Hamid an. Seine Haut ist fast so dunkel wie die eines Afrikaners und er hat krause schwarze Haare. Aber er redet so gut Deutsch wie Jakob und ich. „Woher kannst du denn Deutsch?“, frage ich erstaunt.

Hamid lacht und seine weißen Zähne blitzen. „Meine Mama ist Deutsche und mein Papa Kameruner. Wir haben bis vor kurzem noch in München gewohnt.“

Auf einmal legt Jakob den Finger auf den Mund. Wir sehen uns um und hinter uns läuft ein streng aussehender Lehrer vorbei. Jakob flüstert: „Wir dürfen eigentlich kein Deutsch in der Schule reden!“

Noch bevor ich fragen kann warum, rennen Jakob und Hamid in Richtung Fußballplatz.

Leider ertönt schon kurz darauf die Schulglocke. Die Lehrerin wartet vor dem Boukarou auf uns. Wir stellen uns der Größe nach in eine Reihe und gehen nacheinander ins Klassenzimmer. In der ersten Stunde steht Mathe auf dem Stundenplan. Die Lehrerin verteilt Zettel, auf denen Rechenaufgaben stehen und erklärt dann etwas an der Tafel. Als Jakob, Hamid und ihre Klassenkameradin sich über die Blätter beugen und versuchen, die Aufgaben zu lösen, geht sie hinüber zu Inas Klasse und macht dort mit dem Unterricht weiter. Über mir brummt die Klimaanlage. Sie pustet schöne kühle Luft in den Raum. Ich sehe mir ebenfalls die Aufgaben auf dem Zettel an und versuche auch ein bisschen zu rechnen.

In der zweiten Stunde ist Französisch dran. Ein kleines bisschen langweile ich mich schon, aber die Lehrerin hat mir ein paar Geduldspiele gegeben, mit denen ich mich beschäftigen kann. Dann ist endlich Pause. Natürlich laufen wir wieder sofort in Richtung Fußballplatz. Ina kommt auch mit. Sie fragt mich leise: „Na Ole, wie isses?“

„Gar nicht schlecht! Mir gefällt’s.“ Die Türen der anderen Boukarous öffnen sich und es kommen noch mehr Kinder angerannt. Jakob teilt uns in Windeseile in zwei Mannschaften auf und schon beginnen wir zu kicken. Das macht Spaß! Der Ball geht hin und her. Manche von den Jungs sind richtig gut.

Plötzlich gibt es in einer Ecke des Schulhofs ein riesiges Geschrei. Ein paar kleine Mädchen stehen da und zeigen auf den Boden. Immer wieder schreien sie angewidert auf und gehen einen Schritt zurück. Eines ruft auf einmal laut: „Ina, Iiiiiiina!“ Ich sehe, wie Ina zu ihr hinüberläuft. Das Fußballspiel haben wir erst einmal vergessen und wollen natürlich auch wissen, was es dort zu sehen gibt. Als wir zu ihnen stoßen, entdecken wir auf dem Boden eine riesige Kröte. Sie ist wirklich riesig. Jedes Mal, wenn sie mit einem „Platsch“ ein Stück nach vorne springt, weichen die Kinder schreiend einen Schritt zurück. Ina beugt sich nach unten. Sie scheint überhaupt keine Angst vor diesem Vieh zu haben. Sie hebt es mit beiden Händen auf und wieder quieken die Kinder um unser herum.

„Was hast du denn damit vor?“, will Jakob wissen.

„Mal sehn … Vielleicht ein kleines Mitbringsel für Mia? Die liebt Kröten heiß und innig.“ „Mach keinen Quatsch, Ina“, ermahnt sie Jakob. „Gib sie dem Wächter am Tor. Der wird sie frei lassen.“ Aber Ina dreht sich um und läuft mit der fetten Kröte davon.

Die nächste Stunde beginnt. Wir sitzen wieder im Klassenzimmer. Ich habe keine Ahnung, was Ina mit der Kröte gemacht hat. Ja, wo ist Ina überhaupt? Vorsichtig öffnet sich die Tür und da schlüpft sie von draußen herein. In der Hand hat sie einen Eimer, den sie leise neben ihrem Stuhl abstellt. Die Lehrerin hat nichts gemerkt. Oder wollte sie vielleicht nichts merken? Sie erklärt Inas Klasse gerade die Aufgaben für die nächste Stunde. Ich verstehe leider nicht, um was es geht. Als die Lehrerin zu Jakobs Klasse herüberkommt, bleibt sie neben dem Eimer stehen und schaut hinein. Dann sagt sie etwas zu Ina. Die schaut auch hinein und bekommt große Augen. Suchend blickt sie sich um. Irgendetwas scheint nicht in Ordnung zu sein. Da, ein klatschendes Geräusch. Und noch einmal. Wir schauen unter die Tische. Dann haben wir sie entdeckt: Zwischen den Füßen von Inas Klassenkameraden hoppst wieder die fette Kröte. Die Kinder springen schreiend von ihren Stühlen auf. Ina kriecht verzweifelt unter die Tische, um das arme Tier einzufangen. Aber diesmal ist es schneller als sie. Trotz seines dicken Körpers hüpft es eilig zum Schrank und verschwindet darunter. Ina versucht sie hervorzuholen. Aber ihr Arm ist zu kurz. Was nun?

Die Lehrerin sieht ganz schön ernst aus. Sie fordert die Kinder auf, sich wieder auf ihre Stühle zu setzen. Ina lässt den Kopf hängen. Dann nimmt die Lehrerin ihr Buch und setzt den Unterricht fort, als sei nichts gewesen. Langsam beruhigen sich alle. Der Kröte scheint es im Dunkeln unter dem Schrank gut zu gehen. Ab und zu guckt aber doch wieder ein Kind ängstlich in seine Richtung, um sicherzugehen, dass sie nicht hervorkommt.

In der nächsten Pause holt die Lehrerin den Wächter. Er hilft ihr, den Schrank zur Seite zu schieben und Ina muss das Tier einfangen. Sie steckt es zurück in den Eimer und läuft damit nach draußen. Ich mache mir nicht weiter Gedanken darüber, denn in der letzten Stunde haben wir Sport. Obwohl es mittlerweile ganz schön heiß geworden ist, rennen wir über den Sportplatz, machen Dehnübungen und spielen etwas Basketball. Als der Lehrer den Schulschluss bekannt gibt, sind wir ziemlich verschwitzt. Ich habe gehörigen Durst und freue mich auf das Mittagessen bei Kerstin.

Jakob holt noch seinen Schulranzen aus dem Boukarou und dann laufen wir gemeinsam mit Hamid zum Schultor. Aber was ist das? Neben dem Tor im Gebüsch steht ganz unscheinbar der Eimer aus dem Klassenzimmer. Er ist mit einem Brett abgedeckt. Ina schiebt es gerade zur Seite und holt ihre Kröte hervor.

„Was willst du denn jetzt schon wieder damit?“, fragt Jakob genervt.

Ina streckt den Kopf in die Luft: „Ich habe dir doch gesagt, dass ich sie für Mia mit nach Hause nehmen werde!“ und läuft zum Auto.

Hitze, Matsch und Hirsekloß

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