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Die Universität

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Jolie hatte sich an diesem Abend ein kleines Lagerfeuer in der Nähe des Sees gemacht. Ihre Schwester hatte ihr einst gezeigt, wie dies funktionierte. Sie saß da, starrte in die Flammen und dachte über diesen Wolf nach. Es mag für einen normalen Menschen erstaunlich klingen, dass sie sich aufgrund solch einer Gräueltat in ihn verliebt hatte – denn das hatte sie, wie ihr schlagartig bewusst wurde – aber Jolie war eben kein Mensch und er war es auch nicht. Sie waren beide Wölfe und in ihrer Welt zählte noch das Recht des Stärkeren. Und wenn ein einziger Wolf es fertigbrachte, fast ein ganzes Rudel alleine auszulöschen, dann war das keineswegs eine negative Eigenschaft. Denn so ein Wolf konnte Nachwuchs, also das eigene Rudel, sehr gut vor Feinden schützen. Wäre er ein Mensch gewesen, wäre er vermutlich ein Psychopath, aber er war kein Mensch, er war ein Wolf. Und sie war auch einer.

Betrübt dachte sie daran, dass sie ihn vielleicht niemals wiedersehen würde, es schien ihr mehr und mehr als falsch, dass sie den König der Werwölfe heiraten sollte. Überhaupt – wenn dieser eine einzelne Wolf es bereits mit einem ganzen Rudel aufnehmen konnte, wer wusste dann, ob der König überhaupt eine Chance gegen ihn hätte?

Verträumt malte Jolie sich aus, wie die beiden Wölfe um ihre Gunst kämpften und ihr unbekannter Retter schließlich Sieger wurde, sich verwandelte, sie mit beiden Armen hochnahm und dann küsste. Heiß und innig. Ihr wurde regelrecht heiß bei dem bloßen Gedanken daran, doch dann wurde ihr klar, dass dies wohl nie geschehen würde. Denn, sollte es tatsächlich zu solch einem Kampf kommen, dann würde gewiss der König gewinnen, da er der stärkste und mächtigste Wolf von allen war. Vor allem, wenn er bereits zum König gekrönt worden war und seine Untertanen ihm ihre Treue geschworen hatten.

Also würde er gewiss gewinnen, dachte sie betrübt. Sie spürte, wie sie eine jähe Abscheu überkam und wünschte sich, dass der Tag ihrer Hochzeit nie kommen würde. Nie!

Jolie bemerkte, wie sie auf einmal ein wenig zu schwindeln begann. Es war gewiss die Aufregung, doch ihr kamen die Worte der alten Hexe wieder in den Sinn. Also nahm sie eines der kleinen Fläschchen und füllte ein wenig davon in ihren Trinkbecher, den sie sich von zuhause mitgenommen hatte. Dann gab sie noch ein wenig Wasser aus dem See hinzu, welches sie zuvor in einen Trinkbeutel gefüllt hatte.

Nachdem sie den Trank eingenommen hatte, schaute sie sich das Bündel Kleidung an, welches die Alte ihr mitgegeben hatte. Sie würde es hier brauchen, hatte sie gemeint. Neugierig öffnete sie es. Zum Vorschein kamen ein paar seltsame Kleidungsstücke, von deren Art sie noch nie eines gesehen hatte.

Es dauerte eine Weile, bis sie herausgefunden hatte, welche Körperteile die Kleidungsstücke bedecken sollten. Sie trug nun eine blaue Latzhose, ein rotes Oberteil, weiße Socken und ein paar blaue Turnschuhe. Die Unterwäsche hatte sie nicht angezogen, da es ihr seltsam vorkam, solch kurze, enge Kleidung zu tragen, das war ihre Haut nicht gewohnt.

Müde legte sie sich schließlich hin, summte sich in den Schlaf und träumte von ihrem Retter.

„Hey! Hey, du!“, wurde sie am nächsten Morgen unsanft aus dem Schlaf gerüttelt.

„Hm?“, machte sie und öffnete die Augen. Es war noch alles ganz verschwommen.

Vor ihr wurde langsam das Gesicht einer jungen Frau erkennbar. Sie hatte rotbraune Augen, rotbraune Haare, eine schmale Nase und einen ernsten Ausdruck in ihrem schmalen Gesicht.

„Du weißt, dass es gefährlich ist, nachts im Wald zu schlafen? Noch dazu noch allein? Wer bist du denn überhaupt und was machst du hier? Ist das wieder so eine dumme Wette unter euch Studenten?“, wollte die Fremde von ihr wissen.

„Was? Studenten? Nein. Hm. Meinst du Studenten von einer Universität?“, fragte Jolie neugierig.

„Natürlich von einer Universität, wovon denn sonst, du Dummkopf!“, meinte die Fremde lachend und gab ihr einen kleinen Stupser auf die Nase.

Jolie lächelte. „Ich wollte zur Universität“, erklärte sie, „aber es war schon so spät gestern und ich kenne mich hier auch gar nicht aus, da habe ich lieber noch etwas geschlafen.“

„Ah, ja. Du weißt aber schon, dass sich hier in letzter Zeit äußerst gefährliche Wölfe rumtreiben? Die schrecken vor nichts zurück! Beißen alles tot, was ihnen in die Quere kommt! Nimm dich also in Acht vor denen“, meinte sie ernst. „Wie heißt du überhaupt?“, fragte sie dann.

„Ich bin Jo – Luise“, log Jolie.

„Luise? Und weiter?“, fragte die Fremde.

„Miller“, antwortete Jolie.

Die Fremde runzelte die Stirn. „So wie in Kabale und Liebe?“, hakte sie nach.

„Ja, meine Eltern hatten einen seltsamen Humor“, meinte Jolie bedrückt lächelnd.

„Ah, ok“, machte die Fremde.

„Wie heißt du?“, wollte Jolie wissen.

„Ich bin Margarethe. Aber nenn mich ruhig Greta, das tun hier alle“, meinte sie.

„Schön dich kennenzulernen, Greta! Sag, weißt du, wie ich zur Universität komme?“, fragte Jolie neugierig.

„Klar, ich kann dich hinbringen. Da muss ich eh selbst auch hin“, meinte Greta. „Sag mal – sind das all deine Sachen?“, fragte sie, als Jolie ihre Sachen bündelte.

„Ja, wieso?“, sagte Jolie.

„Hast du keine Wechselklamotten dabei? Ein Bad solltest du auch mal wieder nehmen. Aber gut, das kann warten. Komm mit, ich zeige dir den Weg!“, meinte sie stirnrunzelnd.

Es war tatsächlich nicht mehr sehr weit bis zur Universität oder zumindest kam es Jolie nicht weit vor. Sie staunte nicht schlecht, als sie die vielen Gebäude sah und dann den großen Springbrunnen mit den vier Gestalten. Leider konnte sie sich den nicht genauer anschauen, da Greta sie weiter nach rechts, zu einem der Gebäudeeingänge, lotste.

Sie mussten noch ein paar Treppen steigen, dann klopfte Greta an eine Tür. Jolie sah sich neugierig um. Eine Frau saß in dem Raum, den sie ohne weiteres betreten hatten, da die Tür offen gestanden hatte, und sah sie mit einem leicht vorwurfsvollen Blick an.

„Herein!“, rief jemand von drinnen.

Greta öffnete die Tür. „Hallo, Herr Präsident!“, begrüßte sie ihn fröhlich, „Ich habe dir hier eine neue Studentin mitgebracht. Ich habe so das Gefühl, sie ist ein wenig planlos. Kannst du mir vielleicht sagen, wo ihr Zimmer ist? Dann könnte ich sie direkt dorthin begleiten. Sie müsste sich mal waschen. Ihr Name ist Luise Miller.“

„Ja, sicher“, murmelte der Präsident und bediente eine merkwürdig aussehende Apparatur.

Jolie reckte ein wenig den Hals, um besser sehen zu können, was er da tat.

„Hm“, machte er dann, „ich kann hier keine Luise Miller finden.“

„Nicht? Hast du dich etwa nicht eingeschrieben?“, fragte Greta Jolie.

Jolie sah sie erstaunt an. „Was meinst du mit „eingeschrieben“? Ich wusste nicht, dass man so etwas tun muss, um zu studieren!“, sagte sie mit großen Augen.

Greta seufzte. „Ich glaube fast, sie hat ihr Leben hinterm Mond verbracht!“, meinte sie, die Augen ein wenig verdrehend.

„Na, na. Sei mal nicht so abwertend, meine Liebe. Es gibt viele Geschöpfe, die in Dimensionen leben, die in etwa dem Mittelalter entsprechen. Wenn ich das richtig sehe, könnte sie aus einer solchen kommen“, meinte der Präsident lächelnd.

Er sah Jolie eine Weile prüfend mit seinen türkisfarbenen Augen an. Er hatte dunkelbraune Haare, obwohl er bestimmt schon etwas älter war.

Sie überlegte und betrachtete ihn mindestens genauso neugierig wie er sie betrachtete. Er war ein Werwolf, das hatte sie gleich gemerkt. Ein sehr mächtiger. Ob er wohl ihr Retter war?

„Was bist du denn für ein Geschöpf?“, fragte er schließlich.

„Ich – bin – eine – Hexe?“, sagte sie vorsichtig.

„Ah, ja, dachte ich es mir doch. So, dann trage ich dich jetzt einmal ein. Warte noch einen kurzen Moment, ich drucke dir mal eben deinen Stundenplan aus“, sagte er und stand sogleich auf, um zu einem weiteren, seltsamen Gerät zu gehen und dort etwas abzuholen, dass einem Blatt Pergament glich.

Staunend nahm Jolie das Blatt entgegen. Es war eine Tabelle darauf eingezeichnet. „Was ist das?“, fragte sie.

„Na – dein Stundenplan. Allgemeine Geschichte hast du Montags von zwölf bis vierzehn Uhr, Hexenkunde anschließend bis sechzehn Uhr und“, weiter kam er nicht.

„Nein, ich meine doch das hier! Wie heißt das?“, fragte sie.

„Ach das – das ist ein Blatt Papier“, antwortete er, ein wenig verwirrt.

„Papier“, wiederholte sie staunend und betrachtete es. „Und was ist das?“, fragte sie und deutete auf seinen Computer.

„Das ist ein PC, ein Personal Computer oder einfach nur Computer. Und bevor du fragst, dass da hinten ist ein Drucker. Und das ist eine Tastatur und das ist eine Maus – natürlich keine echte, die heißt nur so, weil sie einer Maus ein klein wenig ähnelt. Damit kann man den PC bedienen. Das ist der Bildschirm, da kann man drauf sehen, was man gerade am PC macht. Das sind alles elektronische Geräte, davon gibt es hier sehr viele, in dieser Welt. Ein Wunderwerk der Technik – die Menschen haben das alles erfunden. Es sind sehr praktische Dinge, die den Alltag sehr viel einfacher machen. Greta wird dir jetzt dein Zimmer zeigen“, meinte er noch und gab Greta einen Zettel mit der Zimmernummer.

Greta begleitete Jolie zu dem Gebäude auf der anderen Seite des Hofs. Da gab es außen einige Treppen. Sie stiegen in den zweiten Stock hoch.

„Hier müsste es sein“, meinte Greta und klopfte an.

Die Tür wurde geöffnet.

„Is was?“, fragte ein Mädchen. Ein sehr hübsches Mädchen. Sie hatte sehr lange, blonde Haare, wenn auch ihr Ansatz merkwürdig dunkel war. Ihre Augen waren von einem sanften Braun und ihre Lippen waren voll.

„Deine neue Zimmergenossin“, stellte Greta sie vor, „Luise Miller. Luise, das ist Safira. Ich hoffe, ihr werdet euch gut verstehen.“

„Ich muss mir mein Zimmer mit jemandem teilen?“, fragte Jolie erstaunt.

„Ja? Ist nur halb so schlimm, du wirst schon sehen“, meinte Greta. Sie schien ein wenig verwirrt zu sein.

„Puh, du stinkst! Bevor du hier irgendetwas anfasst, nimm erstmal ein Bad! Aber wehe, du nimmst mein Badezeug! Nimm das, was von der Uni ist!“, meinte Safira und hielt sich die Nase zu, als Jolie eintrat.

Jolie sah sich ein wenig verlegen um. Im Raum standen zwei Betten und zwei Schränke. Es gab noch eine Tür, auf die Safira wies.

Seufzend betrat Jolie das Bad. Es gab eine ziemlich große Wanne und noch weitere, seltsame Vorrichtungen hier. Sie entledigte sich ihrer Kleidung und dann – ratlos blickte sie sich um. Doch dann kam ihr die Idee, einmal an diesen seltsamen Dingern zu drehen, die da an der Wand waren. Schon floss Wasser in die Wanne. Fasziniert beobachtete Jolie, wie sich die Wanne füllte – den Stöpsel hatte sie vorsorglich schon einmal eingestöpselt, so viel hatte sie verstanden.

Dann stieg sie in die Wanne. Das Wasser war angenehm warm. Neugierig betrachtete sie die Fläschchen, die am Wannenrand standen. „Duschschaum“, las sie und „Shampoo“, was das wohl bedeutete? Sie hatte solche Wörter noch nie zuvor gehört oder gesehen. Neugierig las sie, was noch auf diesen seltsamen Flaschen stand, die sich zusammendrücken ließen. Sie fand heraus, dass es sich wohl um so etwas Ähnliches wie Seife handeln musste, einmal für den Körper und einmal für die Haare.

Sie war sehr neugierig und fand auch schnell heraus, wie sich die Flaschen öffnen ließen. Ihr gefiel der Geruch, den sie erschnuppern konnte und sie trug das Shampoo wie auf der Flasche empfohlen auf. Sie tauchte unter und wusch sich den Schaum aus den Haaren. Sie dufteten nun angenehm. Jolie verstand jetzt langsam, warum alle anderen gedacht hatten, sie würde entsetzlich stinken. So etwas Tolles gab es bei ihr daheim nicht!

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