Читать книгу In den Tiefen des magischen Reiches - Hannelore Nissen - Страница 10

4. Kapitel

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Der Flug im leuchtenden Schiff unter der wärmenden Sonne hatte den Prinzen seine schweren Sorgen fast vergessen lassen. Nun aber legte er sich still auf den Boden des fliegenden Gefährts und schloss seine Augen. In der Erinnerung über das, was zu Hause geschehen war, kamen ihm Tränen.

Was aber hatte sein Leben so völlig verändert?

Ehe sein Vater, der Herrscher von Tandonay in die Krankheit tiefer Traurigkeit gefallen war, nicht mehr sprach, kaum aß und regungslos mit trüben Augen vor sich hin starrte, hatte er seinen Sohn Tahomo zu sich kommen lassen.

„Mein geliebter Sohn“, hatte er mühsam und leise gesprochen. „Ich habe es nie verstanden und ahne auch heute nicht, warum deine Mutter plötzlich nicht mehr bei uns war. Ist ihr ein Unglück zugestoßen? Oder geschah hier ein Verbrechen? Ich bin inzwischen zu alt und zu schwach, um weiter in die Welt zu gehen und die Ursache zu suchen. Ich bin nicht mehr in der Lage, für das, was an meinem Hofe geschehen ist, eine Erklärung zu finden oder gar ein böses Vergehen rächen zu können!“ Langsam hatte sich der alte König zum Sohn gebeugt und ihn lange umarmt. „All die Jahre habe ich dich mit viel Wissen ausgestattet und zu aufrechtem Denken erzogen. Mein Vertrauen zu dir ist unendlich groß, also auch meine Überzeugung, dass du diese schwere Aufgabe für mich lösen kannst! Geh in die Fremde und such nach Salmidon, dem Weisen im Magischen Reich. Er wird dir Rat geben!“

Der Sohn spürte die innige Umarmung seines Vaters noch immer. Von nun an war der König von Tandonay völlig apathisch und kraftlos geworden. Später verfiel er der Krankheit der tiefen Traurigkeit.

Was war denn nur damals mit der Königin geschehen? Tahomo überließ sich ganz den leisen Bewegungen seines Luftschiffs und dachte nochmals über das rätselhafte Verschwinden seiner Mutter nach.

Tandonay war ein liebliches Land inmitten des Märchenreichs. Sein Herrscher lebte mit dem Prinzen und seiner Frau Naomi in Frieden und Fröhlichkeit. Er liebte die Königin und seinen Sohn Tahomo von ganzem Herzen. Sie waren, neben dem Glück seines Volkes, das Wichtigste in seinem Leben. Und so blühte Tandonay, umschlossen von schützenden Bergen, in Frieden und Geborgenheit.

Eines Tages jedoch, als Tahomo noch ein Knabe war, geschah etwas Schreckliches: Bei der festlich gedeckten Abendtafel wartete man länger als gewöhnlich auf Königin Naomi. Plötzlich flog die Tür zum Saal auf. Herein sprudelten Hofdamen in weiten, bunten Kleidern. In ihrer Aufregung sahen sie aus wie liebliche Blüten, die der Wind über eine Wiese bläst. Der König musste oft über die ausgelassenen und stets fröhlichen jungen Frauen lachen, doch heute lachte er nicht. Sein Herz spürte Gefahr und er richtete seine Augen ernst und prüfend auf die Hofdamen.

„Wir können die Königin nicht finden!“, rief die erste der Damen. Eigentlich war sie für ihre stete Zurückhaltung bekannt, doch jetzt schien sie außer sich zu sein. „Vor einer Stunde bereits haben wir sie gesucht. Wir haben gerufen, doch keine Antwort kam – sie blieb verschwunden! Bis jetzt haben wir gesucht.“

„Wer sollte heute ihre Gefährtin sein?“ Der König erhob sich bedrohlich.

„Ich!“ Die jüngste der Damen schritt unsicher auf ihn zu. Dann begann sie leise zu erzählen: „Wir spazierten im Park …“

„Sprich lauter, erzähle uns alle Einzelheiten!“, befahl ihr Gebieter erregt.

„… da sahen wir, dass ein wunderschöner, aber ungewöhnlich großer Vogel über uns langsam in weiten Kreisen flog. Sein Gefieder schimmerte in allen Blautönen. Er hatte an den Spitzen seiner gewaltigen Flügel einen kleinen Saum silberner Federn. Der Schweif aber – mein König, stellt Euch zarteste, tanzende und noch dazu vielfarbige Schleier vor, die von ihm durch die Luft gezogen wurden!“

Der König winkte ungeduldig mit seiner Hand, dass sie rascher erzählen solle. Aber die Hofdame war nicht zu unterbrechen, so aufgeregt war sie.

„Hin und wieder ließ der Vogel über der Königin eine silberne Feder fallen und dann war es, als ob wir leises, metallenes Klingen hörten. Es tönte wie ein Glockenspiel. Königin Naomi haschte nach den klingenden Silberfedern und lachte. Sie lief immer weiter und wollte den großen Vogel näher beobachten. Wir haben ihn hier noch nie gesehen!“ Und weiter schwärmte die Hofdame: „Der Schwung seiner Flügel war so … Wie soll ich Euch erklären, mein König, was jetzt geschah? Die ganze Erscheinung war so harmonisch … auch so majestätisch … Ich erinnere mich nur noch daran, dass wir beide, die Königin und ich, ihm zuschauten und uns dann eine große Müdigkeit überfiel.“ Hier unterbrach die junge Frau, wurde für einen Moment still und senkte ihren Kopf. „Als ich aufwachte, war Königin Naomi verschwunden. Ich habe gesucht, glaubt mir … Dann habe ich gedacht, sie sei allein zum Schloss zurückgegangen, doch dort war sie nicht angekommen!“

Die Gesichtszüge des Herrschers von Tandonay verfinsterten sich. „Schickt meine Späher sofort in alle Himmelsrichtungen aus!“, befahl er daraufhin donnernd. Er selbst sattelte seinen Schimmel, um die geliebte Frau zu suchen. Alle, der gesamte Hofstaat, das ganze Volk von Tandonay, suchten. Vergebens!

Königin Naomi war nie wieder zurückgekehrt. Nie wieder hatte Tahomo die sanft streichelnde Hand der Mutter auf seiner Haut gespürt. Diese Erinnerungen taten weh.

Ganz in Gedanken versunken lag Tahomo noch immer reglos auf dem Boden des Luftschiffes. Jetzt wischte er mit seinem Handrücken die Tränen ab und verharrte noch eine kurze Weile in diesen Bildern. Dann erhob er sich, denn eine innere Unruhe trieb ihn. Der junge Prinz nahm sich vor, die Suche nach der Mutter niemals, niemals aufzugeben.

Das leuchtende Schiff war indessen über das Meer weiter und immer weiter geflogen. Als Tahomo diesmal über die Reling schaute, erblickte er in der Ferne einen schmalen Uferstreifen. Langsam senkte sich das Boot und setzte zur Landung an. Doch woher kam dieses gewaltige Donnern? Der Prinz schaute sich um und erschrak zutiefst. Eine haushohe Welle rollte brodelnd vom Meer aus auf ihn zu. Gleich würde sie das gesamte Schiff mit seiner ungeheuren Kraft umherwirbeln und verschlingen.

„Nun ist auch dieses Kapitel zu Ende, meine Kleinen!“

„Oooooch!“, maulen beide.

„Nächstes Mal, wenn ich zu euch komme, ist ganz sicher das nächste Kapitel fertig!“ Meine Hände streicheln das blonde und das braune Haar der Enkelsöhne. „Nichts wird verraten … Geheimnis!“, foppe ich und wir lachen.

Eine lustige Woche lang waren die beiden bei ihrem Gerard-Opi und mir zu Besuch. Morgen fahren sie wieder nach Hause.

„Kommt ihr uns dann bald besuchen, Omama?“

„Logo und klaro, mein Philipp!“

Da ist er zufrieden.

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