Читать книгу Freiheit und Sein als Lebenskunst - Hannes Kerfack - Страница 11
Оглавление1.3. Das Trienter Bilderdekret von 1563 als Summe der Quellenkontexte und gegenreformatorische Antwort
1.3.1. Die Entstehung des Bilderdekretes
Im Vorfeld fasst der Artikel 29 des Reformlibells die Bitten Frankreichs hinsichtlich der Bilderverehrung an das Konzil zusammen:100 Sie erinnert an die Bilderstürme und Unruhen, sodass das Volk über die rechte Bilderverehrung belehrt werden soll und Missbräuche hinsichtlich der Wallfahrten und Heiligenreliquien abzustellen sind, um diese Unruhen und Meinungsverschiedenheiten zu beenden. Der Ablauf der Debatte um das Bilderdekret ist folgender: Je zwei Theologen aus der französischen, spanischen und portugiesischen Nation kommen mit zwei Ordensgenerälen und den beiden päpstlichen Theologen Laynez und Salmeron zusammen.101 Fünf der Konzilstheologen stammen von der Universität Sorbonne. Die ausgearbeitete Sentenz der Universität zur Bilderfrage dient als eine Quellengrundlage.102 Die Geschäftsordnung und Quellengrundlage des Trienter Konzils ist daher eher eine Improvisationslösung angesichts des Bilderstreites in Frankreich, der schnell gelöst werden soll.103
Mithilfe von Quellenmaterial diskutieren sie das Thema innerhalb einer Prälatendisputation, einem Einzelausschuss, um eine Vorlage des Bilderdekretes an die Generalversammlung weiterzuleiten.104 Anders als bei den vorherigen Disputationen findet keine Theologenkongregation statt, die eine längere Zeit über das Thema diskutiert. Das verdeutlicht, dass das Dekret möglichst schnell zu verabschieden ist, indem man auf Vorlagen zurückgreift, wie die Sentenz der Universität Sorbonne.105 Entscheidend ist auch, dass der Vertreter der französischen Bischöfe, Kardinal Guise, keine einfache Disputation wünscht, sondern ein offizielles Reformdekret anstrebt, sodass die Missstände und Bilderstürme schnell abgewendet werden können und diejenigen, die in der Frage der Verehrung der Bilder keine abschließende Meinung haben und unsicher sind, vor Irrtümern bewahrt werden sollen.106 Der Angriff auf die Bilder im lokalen Frankreich betrifft universell die gesamte Katholische Kirche.107 Wahrscheinlich soll den Calvinisten die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Volk unterbunden werden und damit ihr Seins-System.
Dass das Dekret auf einer Vorlage der Sorbonne-Universität basiert, beweist auch die Teilnahme des Kardinal Guise an der Disputation und am Entwurf in Trient und St. Germain.108
Falls das Dekret über die Bilderverehrung nicht abgeschlossen wird, droht Kardinal Guise am 28. November 1563 mit einem eigenen Konzil in Frankreich, das über die Bilderfrage entscheiden soll. Gerade diese Drohung unterstreicht die Angst Kardinal Morones vor dem Gallikanismus, dass sich ein Nationalkonzil über die päpstliche Kurie oder ein allgemein katholisches Konzils stellt und er danach strebt, das Konzil schnell abzuschließen.109 Das entworfene Dekret hat daher einen lokalen Anlass, der aus den Bilderunruhen- und zerstörungen in Frankreich resultiert und aus Vorgesprächen von Mitgliedern an der Universität Sorbonne, fasst Jedin zusammen.110
Die Entstehungsfrage mündet daher in die Interpretation und das eine kann nicht vom anderen getrennt betrachtet werden. Zweitens reflektiert das Bilderdekret die vorhergehenden Quellen und setzt sie voraus. Nachdem nun in einem ersten Schritt die Quellen analysiert und kontextuell ausgewertet worden sind, geht es nun in einem zweiten Schritt darum, die Spuren innerhalb des Bilderdekretes als Summe der Quellenkontexte zu identifizieren, das als Seins-System durch die vielen Kontexte neu entsteht und als Objekt ein individuelles Für-Sich-Sein entwickelt, um zu einem An-Sich-Sein für andere Gläubige zu werden (ein Für-Andere-Sein).
1.3.2. Die Interpretation des Bilderdekretes
Das Bilderdekret hat mehr einen praktisch-theologischen als einen dogmatischen Anlass angesichts der Bilderzerstörungen in Frankreich. Deutlich wird das zu Beginn des Dekretes, dass die Bischöfe und diejenigen, die mit Seelsorge und Lehramt beauftragt sind, das Volk über den rechten Gebrauch der Bilder durch das Volk unterrichten sollen.111 Diese Stelle greift die Entscheidung des Religionsgespräches von Poissy auf.
Bilder haben eine mimetische Funktion zum Verinnerlichen der Glaubensartikel und sie erinnern an die biblischen Wunder und Zeugnisse Gottes, die zur Nachahmung, Kontemplation und Anregung des Glaubens anleiten.112
Das verdeutlicht auch, dass die Obrigkeit für die Erziehung und Bildung verantwortlich ist, gemäß ihres göttlich beauftragten Amtes. Es ist gut und nützlich, die Heiligen anzurufen, zur Erlangung der Wohltaten bei Gott und durch den Prototyp des Bildes Jesu Christi.113 Die Bilderverehrung bezieht sich dagegen allein auf den Prototyp des Bildes, den entsprechenden Heiligen, und nicht das Bild selbst. Die Bilder enthalten keine göttliche Kraft, wodurch sich das Bilderdekret vom zweiten Konzil von Nizäa abgrenzt. Die Bilder sind nicht wesensgleich und nicht wesensähnlich mit dem Abgebildeten.114
Zweitens erinnern die Bilder zwar, wie das Sakrament des Abendmahls an die Taten und Passion Christi. Andererseits enthalten sie im Unterschied zur Eucharistie keine Gnade.115 Die Bilder sind gegenüber der Eucharistie zweitrangig.116 Damit schließt das Konzil die Gleichrangigkeit von Bildern und Sakrament im zweiten Konzil von Nizäa aus und weiterhin bestätigt es das exklusive Sakramentsverständnis der Libri Carolini. Andererseits bestätigt das Konzil den Beschluss und die Ansichten von Johannes von Damaskus, dass sich die Bilderverehrung allein auf den Prototyp beziehen soll.117 Die Bilder können Verehrungsriten wie Küssen, Beten und Proskynese empfangen.118
Das Anathem gilt denjenigen, die die Fürsprache der Heiligen und die Mittlerschaft der Heiligen zwischen Gott und den Menschen leugnen.119 Die Bilder sind im Unterschied zu Calvin keine Zeichen, sondern vergegenwärtigen das Göttliche und schließen eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie erinnern an die Taten der Heiligen und vergegenwärtigen die vergangene Heilszeit.120
Das Bilderdekret muss in letzter Instanz verabschiedet werden, da der vorsitzende Papst im Sterben liegt, sodass das Konzil auf den 4. Dezember 1563 vorverlegt wird, um einer möglichen Papstwahl durch das Konzil zuvorzukommen.121 Auffällig ist daher auch eine offene Haltung in der Bilderfrage. Beispiele, die sich auf die Nachahmung der Heiligen oder die Missbräuche beziehen, fehlen. Der Text enthält keine festen canones oder doctrina, im Unterschied zum Konzil von Nicäa122, wo die Horen dogmatische Festsetzungen sind und die canones die Inhalte der Dekrete zusammenfassen.
Wahrscheinlich legitimiert sich das Trienter Bilderdekret dadurch, indem es gerade auf Nizäa zurück verweist und die Bilderverehrung als gut und nützlich einstuft. Das Trienter Konzil legt sich nicht fest und überlässt die zukünftige Entwicklung und die Entscheidung über den rechten Gebrauch der Bilder dem Papst.123 Die Missbräuche betreffen die falsi dogmatis aus der Entscheidung der französischen Religionsgespräche. Falsche Bilder, die falschen Glaubensinhalts sind, sind zu vermeiden124, was z.B. trinitarische Darstellungen oder Darstellungen des unsichtbaren Heiligen Geistes sind. Das Göttliche kann nicht ins Bild gesetzt werden und auch nicht mit leiblichen Augen und durch Farben und Figuren ausgedrückt werden, sodass der kreativen Freiheit und der Entstehung von „festem Sein“ durch transzendente Strukturen Grenzen gesetzt werden, um auch dogmatische Entscheidungen und Fundamente zu bewahren.125 Die Bilder dienen der christlichen Verkündigung, sodass sie frei von Irrtümern sein müssen.126 Laszive, obszöne Darstellungen sind verboten und sollen vermieden werden, sowie das Profitstreben durch die Bilder, womit wahrscheinlich die Ablassbilder gemeint sind. Bilder mit reicher Ornamentik mit Gold und Edelsteinen, sowie „verführerischer Schönheit“ sind zu vermeiden. Dazu gehören auch Missbräuche und Exzesse und „Saufgelage“ bei Wallfahrten.127 Diese sind der Würdigkeit der Verehrung der Reliquien und Heiligen nicht angemessen.128 Sie sind profane Elemente und können die Heiligkeit, den abgegrenzten Raum, die Aura der Reliquien und der Wallfahrt stören. Biblisch wird das durch Psalm 92 begründet, dass dem Haus Gottes Heiligkeit und damit Achtung entgegenzubringen ist.129 Verantwortlich für die Umsetzung des Dekretes und die Vermeidung von Tumulten und Anstößigem sind die Bischöfe in den Provinzen selbst, sodass die „Freiheit“ durch verantwortliche Strukturen und Autoritäten begrenzt wird. Zugleich soll kein ungewohntes Bild ohne die Genehmigung des Bischofs aufgestellt werden. Falls es zu Streitfällen und Diskussionspunkten kommt, sollen Bildexperten in eine Kongregation eingeladen werden, um den spezifischen Streitfall innerhalb eines Provinzkonzils mit den anderen Bischöfen der Metropoliten zu klären.130 Im Zweifel soll der Papst, der römische Bischof, im Streitfall entscheiden. Diese Lesart korrespondiert mit dem Beschluss von St. Germain und zweitens indirekt auch mit der der Ordnung der Bilderverehrung durch die Obrigkeit bei Luther. Aber sie ist stärker auf das päpstliche Amt fokussiert, das die letztgültige Entscheidungsgewalt darstellt.131
Dazu eine erste Zusammenfassung, bevor in einem zweiten Teil der praktisch-theologische Hintergrund des Dekretes innerhalb der Volksfrömmigkeit und der jeweiligen Sozialisation der damaligen Individuen gesprochen wird. Das Trienter Bilderdekret ist ein Text, der auf Grundlage mehrerer, legitimierender Schriften und Traditionen entsteht, als Seins-Systeme und Objekte, die in einem Gesamt-Sein kulminieren. Das Dekret entsteht in letzter Instanz, kurz vor dem Schluss des Trienter Konzils, im Dezember 1563. Da befürchtet wird, dass der Papst bald sterben wird, muss das Konzil eine schnelle Antwort auf die Bilderstürme und den brüchigen Religionsfrieden zwischen den Konfessionen während des ersten Hugenottenkrieges in Frankreich finden. Die Verehrung von Bildern ist aufgrund des Beschlusses des zweiten Konzils von Nizäas soweit möglich, dass das Urbild im Bild (der Prototyp des Heiligen) verehrt und nicht das materielle Abbild. Die Verehrung kommt allein Gott zu und nicht dem Abbild und nicht der Materie, um letztlich auch ein konkretes, individuelles Bild innerhalb der eigenen Lebenskunst als Frömmigkeit zu erreichen und im eigenen Glauben zu erbauen, da der abgebildete Heilige zu einem Vorbild werden kann.
Andererseits greift das Trienter Konzil mit dem Bilderdekret grundsätzliche Vorstellungen und Gebräuche in der spätmittelalterlichen Gesellschaft an, die im Widerspruch zum Dekret stehen und wahrscheinlich die Durchführung der Maßnahmen behindern, sodass in der Forschung behauptet wird, dass das Trienter Bilderdekret keine oder nur sehr geringe Auswirkungen auf die Bilderfrömmigkeit hat und damit der Freiheit und der Leidenschaft weiter freien Lauf gelassen wird und es zu keiner Einschränkung kommt.132 Die Volksfrömmigkeit bei der Bilderverehrung ist weitaus größer und einflussreicher als die Beschlüsse des Trienter Konzils, sodass die praktische Umsetzung der Theorie erheblich länger dauert. Wahrscheinlich führen die Beschlüsse sogar zu einer Verstärkung der Volksfrömmigkeit, da die Bilder- und Heiligenverehrung nachdrücklich auf der Grundlage von Nizäa II empfohlen wird und erlaubt ist.133
Gleichzeitig mündet die Leugnung der Gnade wirkenden Bilder und die Unterdrückung von Missbräuchen in eine neue Definition zwischen orthodoxem und nichtorthodoxem Glauben, was jeweilige Freiheiten einschränkt. Das Trienter Konzil bestärkt die Bilderverehrung und grenzt sich von der Bilderkritik der Reformation ab. Gleichzeitig nähert sie sich hinsichtlich der religionspädagogischen Funktion von Bildern und der Leugnung der wirkenden Gnade durch Bilder auch an, sodass die Unterscheidung und die Grenzen zwischen orthodoxem und nicht-orthodoxem Glauben relativ und eher fließend sind, ähnlich wie bei der Ethik authentischer Freiheit, die zwischen zwei Polen einen Mittelweg findet.134
Im praktischen Teil geht es um die Darstellung der spätmittelalterlichen Frömmigkeit und Sozialisation und der individuellen Seins-Systeme, wie sie in die Kontexte eingebunden sind, anhand einzelner Bildbeispiele, um die Differenzen zwischen Ideal und Wirklichkeit und orthodoxem und nicht-orthodoxem Glauben anzuzeigen und zu verdeutlichen, dass das Trienter Konzil sowohl Auswirkungen auf die Bilderfrömmigkeit hat als auch im Widerspruch zu ihr steht.
100 RF 29.
101 Zur Zusammensetzung der Disputationsgruppe für das Bilderdekret. Vgl. Jedin, Bilderdekret, 489.
102 Jedin, Bilderdekret, 488.
103 Beumer, Geschäftsordnung, 113 u. 120.
104 Beumer, Geschäftsordnung, 113.
105 Jedin, Bilderdekret, 488.
106 Jedin, Bilderdekret, 488.
107 Jedin, Bilderdekret, 489.
108 Jedin, Bilderdekret, 492.
109 Jedin, Bilderdekret, 491.
110 Jedin, Bilderdekret, 493.
111 Jedin, Bilderdekret, 494 und DB 24-29, 774.
112 DHB 27-31.
113 DHB 774, 29-32.
114 Zitzelsberger, Gandenbilder, 338.
115 Wohlmuth, Bild, 95.
116 Wohlmuth, Bild, 101.
117 DHB 775, 19-20.
118 DHB 775, 14-16.
119 DHB 775, 1-5. Dasselbe gilt für die Reliquien und Leiber der Märtyrer, die lebendige Glieder Christi sind. Diese sind zu verehrungswürdig. DHB 775, 5-10 und DHB 775, 32.
120 Lentes, Suche, 22.
121 Schatz, Konzilien, 209f.
122 Wohlmuth, Bild, 90.
123 Mit Schilling, Konfessionalisierung, 767.
124 DHB 775, 34f.
125 DHB 775, 37-39.
126 Herrsche, Allmacht, 391.
127 DHB 776, 1-3.
128 DHB 775, 41f.
129 Psalm 93, 5: „Wahrhaft verlässlich sind deine Zeugnisse, Heiligkeit gebührt deinem Haus, HERR, für alle Zeit.“
130 DHB 776, 11-16.
131 DHB 776, 17.
132 Schnitzler, Ikonoklasmus, 105.
133 Venard, Volksfrömmigkeit, 263f.
134 Gegen Venard, Volksfrömmigkeit, 270.