Читать книгу Freiheit und Sein als Lebenskunst - Hannes Kerfack - Страница 8

Оглавление

Einleitung

Eine Frage zur Annäherung an diese Arbeit war, ob man einen „toten“ Gegenstand lieben und vergöttlichen kann? Diese Arbeit entstand aus einem Forschungsprojekt von 2016 und 2017, das nach diesen Formen der Liebe und Gefühle fragt und grundsätzlich erkannte, dass der Mensch in der Lage ist, alles lieben zu können, sodass man von einer Skala der Zuneigung sprechen kann und das sich diese zwischen Freiheit und Gesetz beziehungsweise Theologie und Anti-Theologie bewegt. Denn nicht jede Form der Liebe zu Gegenständen ist auch gott- und christusgemäß, indem Menschen innerhalb der Volksfrömmigkeit auch ihre eigenen Heiligen erstellen und anbeten konnten, und das jenseits der offiziellen Heiligenkriterien liegen konnte.2

Private, heilige Objekte (Autos, Talismane usw.) vergegenwärtigen nicht unbedingt den christlichen Gott und Jesus Christus oder bilden sie ab. Darin liegt ein Spannungsfeld. Was ist menschliches Werk und was ist göttliches Werk und wie viel Freiheit hat der Mensch, Göttliches für sich selbst zu erschaffen? Wird wirklich der christliche Gott oder ein privater, profaner Gott abgebildet? Bezieht sich das Bild auf ein Urbild, das durch das Bild als Abbild verehrt wird? Oder ist einzig allein das Bild selbst, die Materie, Ort und Gegenstand der Verehrung? Diese Fragen beschäftigen auch die Theologen in der Frage um die Bilder in der Kirchengeschichte. Was sichert eigentlich das Gedächtnis an Gott und wie können symbolische Formen an Gott erinnern?3 Das sind mehr einführende Fragen, die das eigentliche Spannungsfeld zwischen Theologie und Anti-Theologie oder Ethik und Anti-Ethik aufbauen, hinsichtlich Bildern und Objekten, wobei es in diesem Buch mehrere Fragestellungen und Thesen aufgrund der Verbindung gibt und sie durch „einfache“ Wissenschaft aufeinander bezogen werden.

Dieser Teil der Arbeit befasst sich, mithilfe eines praktisch-theologischen „Über-Systems“, mit der Bilderund Heiligenverehrung in der spätmittelalterlichen Volksfrömmigkeit, die von einem Streben nach Heil und göttlicher Ordnung im Chaos geprägt ist. Bilder und Heilige dienen der Vermittlung des göttlichen Heils und darüber hinaus sind es Trostspender angesichts von Endzeitängsten oder Fürsprecher für die verstorbenen Verwandten im Fegefeuer.4 In der Ostkirche werden die Ikonen auch als „Fenster zum Jenseits“5 bezeichnet, sodass es Analogien zwischen den Bildkonzepten in Ost und West gibt.

Kaum erforscht sind die Gefühlswelt und die innere Anziehung, die beim Betrachten von heiligen Bildern aktiviert werden, wie z.B. bei der Erfahrung des Schönen und Ästhetischen.6 Goldene Bildränder und mit Edelsteinen besetzte Bildtafeln sind Zeichen der präsenten Heiligkeit Gottes und stellvertretend des abgebildeten Heiligen. Gleichzeitig sind es Werbeelemente, um beispielsweise Pilger und Wallfahrer anzulocken. Bilderdarstellungen können gleichzeitig auch Reliquien sein und die Unterscheidung ist nicht immer klar, höchstens in der konkreten Form beziehungsweise Fläche der Darstellungen. Denn sie beinhalten beide die göttliche Kraft (virtus) des Heiligen, an den sie erinnern und ihn vergegenwärtigen. Dabei stellt sich zudem die Frage, wie man ein Heiliger und Prototyp auf einem abgebildeten Bild wird. Ist das Kriterium des Ausnahmemenschen entscheidend, sodass jeder aufgrund einer besonderen Leistung zum Heiligen wird, oder der Bezug zur Nachfolge und Nachahmung des Lebens und der Passion Christi?

Mit der Reformation endet in dieser Konfession die Vorstellung, dass die Bilder- und Heiligendarstellungen eine Gnade erwirkende Funktion haben. Sie sind ein Element der Werkgerechtigkeit, da die Verehrung von Bildern, Fürbitte für die Verstorbenen ermöglicht und durch die Verehrung Gnade für sich selbst erlangt werden kann, obwohl der Mensch die Gnade passiv empfängt.

Im Mittelpunkt stehen das Hören des Wortes durch die Predigt und der Empfang der Sakramente, die zum Glauben an Gott und zur Glaubensgerechtigkeit führen und gegen eine bloße Werkgerechtigkeit gerichtet ist, die eine aktive Verehrung zur Erlangung von Gnade und Heil voraussetzt (z.B. fußfällige Verehrung), wobei auch schon im Rahmen der Bilderverehrung Betonungen der Gnade aus dem Abendmahl auftauchen und es Parallelen der Kritik an der Bilderverehrung gibt.

Karlstadt und Calvin beziehen sich auf das alttestamentliche Bilderverbot, sodass eine Kultbild-Verehrung von Bildern Götzendienst ist, obwohl es auch andere Bilder im Alten Testament gibt, wie die Cherubim über dem Thron Gottes im Tempel Jerusalems und die Bilderkritik relativiert wird, da die Bilder auch für kultische Zusammenhänge verwendet werden, sie z.B. eine pädagogische Funktion haben und zum Glauben führen können. Andererseits betont Luther, dass die Bilder weder nützlich noch nicht nützlich sind und sie eine religionspädagogische Funktion haben. Sie vergegenwärtigen und erinnern an die Heilsgeschichte (auch schon während der Zeit des Alten Testaments) und unterstützen die Predigt anschaulich während des Gottesdienstes, durch die allgegenwärtigen Bilder im Gottesdienstraum.7 Trotzdem sollen die Obrigkeit und der Bischof über den angemessenen Gebrauch der Bilder unterrichten. Sie sind es auch, die in der Frage entscheiden, ob Bilder auf- oder abgehängt werden.

Auf die durch die Reformation Calvins ausgelösten Bilderstürme, besonders in Frankreich während des ersten Hugenottenkrieges und den Hilferuf des französischen Königtums, reagiert das Trienter Konzil 1563 in letzter Instanz. In einem Dekret über die Heiligen- und Bilderverehrung wird den Bildern ihre Gnade stiftende Funktion abgesprochen, was aber unter anderem im Widerspruch zur spätmittelalterlichen Vorstellung und Volksfrömmigkeit steht und ein Spannungsfeld zwischen Ideal und Wirklichkeit aufzeigt. Obwohl das Gesetz festgelegt wird, bedeutet das nicht unbedingt, dass es auch in der Praxis und im Alltag komplett umgesetzt wird. Das Trienter Konzil grenzt sich nicht allein von der Reformation ab. Sie nähert sich dieser auch an und nimmt auch eine kritische Instanz ein. Gleichzeitig intendiert es einen Religionsfrieden zwischen Katholiken und Calvinisten in Frankreich. Diese historischen Vorgänge und Kontexte haben sich in diesem Dekret von Trient 1563 niedergeschlagen und zeigen, dass Quellen immer auch „im Wachstum“ sind und sich individuelle Freiheit immer zu historischen Kontexten und Gesetzen verhält, die die eigene Leidenschaft (oder auch nicht) einschränken können. Denn es wird auch vermutet, dass das Trienter Bilderdekret zu einer Verstärkung der Volks- und Bilderfrömmigkeit geführt haben soll. Letztlich unterliegt dieses aber auch der eigenen Verantwortung gegenüber dem Seins-System Kirche und der Gesellschaft, sodass sich das Individuum in seiner Authentizität auch hier zwischen zwei und mehreren Polen bewegt, wie es sein Leben lebt oder überhaupt leben kann. Denn die Bilderverehrung hat eine Heilsbedeutung, eine Lebensermöglichung, sein Nichts, die Angst vor dem Fegefeuer, sein mögliches Chaos zu überwinden, hin zur Ordnung, zur Freiheit selbst, zur Leidenschaft, was im Spätmittelalter ein entscheidendes, ontologisches Über-System ist. Gleichzeitig soll Rücksicht und Empathie auf die jeweiligen, historischen Kontexte, wie z.B. die Bilderstürme genommen werden und sich mit der Realität, die zu diesen Tumulten geführt hat, auch kritisch auseinandergesetzt werden, um das Leben, die Freiheit, die individuelle Bedeutung der Bilder für den Einzelnen zu schützen beziehungsweise die Grundstandpunkte der Katholischen Kirche, die Wirkung von Gnade durch die Werkgerechtigkeit und nicht allein die Glaubensgerechtigkeit. Aber es gibt dennoch eine Art Kompromissbereitschaft und Annäherung an die Reformation, in Form des Trienter Konzils, um eine Eskalation zu vermeiden. In einem ersten Schritt geht es darum, die Geschichte und Entstehung des Trienter Bilderdekretes anhand der historisch-kritischen Methode, der Quellenanalyse und kritischen Reflexion der Sekundärliteratur, nachzuvollziehen. Das Dekret nimmt unter anderem Quellen aus dem zweiten nizänischen Konzil von 787 und den darauf folgenden Libri Carolini, die Antwort auf die Bilderfrage im Osten, auf. Die Bilderfrage ist nach dem Tridentinum nicht abgeschlossen und die letztgültige Entscheidung liegt in den Händen der Bischöfe und des Papstes. Das Dekret gibt eher offene Anweisungen über den rechten Gebrauch der Bilder, die auf den spezifischen Fall anzuwenden sind, z.B. im Falle der verbotenen leidenschaftlichen, lasziven Bilderdarstellungen, deren naturalistische Darstellungen ein Erkennungszeichen der beginnenden Renaissance-Malerei sind. Eine eigene Frage innerhalb dieser Arbeit ist daher: Wie wirken Bilder ästhetisch und emotional auf den Betrachter und warum? Hat das Tridentinum Auswirkungen auf die bildende Kunst gehabt? Als Hilfsmittel dienen kunstwissenschaftliche Methoden, die exemplarische Bilder nach ihrer Form, Farbe und Komposition untersuchen.

7 Ganzer, Volksfrömmigkeit, 24.

2 S. auch den ersten Abschnitt im Buch: Kerfack, Hannes (2020): Auf Entdeckungslaufreise. Ausgewählte Themen, Teezimmer und Texte (Auf Entdeckungsreise, 1), tredition: Hamburg und das Buch als Ganzes für die Einführung in das „Laufen mit Mehrwert“, um auch diese Ethik hier für sich weiterzuschreiben.

3 Lentes, Adiaphora, 213.

4 Lentes, Auge, 76.

5 Makrides, Ikonen, 156.

6 Lentes, Auge, 80.

Freiheit und Sein als Lebenskunst

Подняться наверх