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Gantenbein will eine Kontovollmacht – 1999

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Dass man Franz und Agnes mit den Todesanzeigen betraut hat, entpuppt sich als Fehlgriff. Mitten in die Sitzung des Inlandjournals platzt Bernhards Sekretärin ins Zimmer. Es wäre dringend. Ein Herr Gantenbein verlange Herrn Weber am Telefon und lasse sich nicht abwimmeln. Ärgerlich geht Bernhard ins Vorzimmer. Am andern Ende der Leitung lacht Franz.

„‘Mein Name sei Gantenbein‘ – du kennst doch deinen Max Frisch oder? Identitätswechsel!“ Manchmal verblüfft ihn Franz mit Bruchstücken aus seiner vorzeitig beendeten Gymnasialzeit.

„Was willst du?“ „Hätte ich mich als Franz Moser gemeldet, hättest du dich verleugnen lassen, stimmt’s? Also Gantenbein.“

Er lacht wieder. Bernhard bleibt sachlich.

„Ich bin beschäftigt, ich leg jetzt auf, Franz.“ „Moment – es geht um die Konten. Wenn ich die Beerdigung deichseln soll, brauche ich den Zugriff auf die Konten.“ „Gret-Lisbeth hat die Vollmacht. Schick ihr die Rechnungen.“ „Wieso Gret-Lisbeth und nicht Agnes?“ „Weil der Vater es so bestimmt hat, als er mit Anna ins Pflegeheim kam. Und weil Gret-Lisbeth kompetent ist.“ „Moment! Willst du damit sagen, dass Agnes und ich inkompetent sind!“ „Ich will damit sagen, dass es so geregelt ist. Nach Johnnys Tod war Anna die einzige, die es hätte ändern können, und Anna ist jetzt tot. Also bleibt es so, bis das Erbe vollstreckt ist.“ „Scho falsch! Das Amtsnotariat kann jederzeit Agnes zum Erbvollstrecker bestimmen.“ „Du meinst dich? Du kannst es ja mal versuchen…“ „Und ob! Ihr werdet uns noch kennenlernen!“

Natürlich haben einige die Abwesenheit ihres Ressortleiters genutzt, um der Sitzung einen andern Drall zu geben. Als Bernhard zurückkehrt, wird gerade diskutiert, ob man für den Magazinbeitrag „Maulkorb und Leinenpflicht für alle Hunde?“ auch ein Statement von der rechtspopulistischen SVP des Herrn Blocher „abholen“ sollte. Schon aus Gründen der `Ausgewogenheit`. Schließlich sei das kantonale Veterinäramt, das hauptsächlich zu Wort komme, in der Hand der `Freisinnigen`…

Bernhard, schon ziemlich angefressen vom Gespräch mit seinem Schwager, beendet den Diskurs mit der Bemerkung, da es sich um Hunde und nicht um ausländische Zuwanderer handle, werde man in diesem Fall auf ein Statement des unvermeidlichen Herrn Blocher verzichten. Dann schließt er die Sitzung. Es gibt so Tage…

***

Am späteren Nachmittag trifft sich Bernhard mit Gret-Lisbeth vor dem alten Pfarrhaus. Seit ihrer Jugend sind sie nicht mehr hier gewesen. Sie haben es ziemlich heruntergekommen in Erinnerung, aber inzwischen ist das Haus aus dem 16. Jahrhundert prachtvoll renoviert. Bernhard betätigt den historischen Türklopfer. Pfarrer Sturzenegger, etwa vierzig, modische Kahlfrisur, Hornbrille, Jeans und Holzfällerhemd öffnet persönlich. Auf der ebenfalls renovierten Holztreppe, die nicht mehr knarzt, läuft er sportlichen Schrittes nach oben. Alles noch da, wie in seiner Ministranten Zeit, aber jetzt picobello renoviert, denkt Bernhard. Die fleckigen Wände sind weiß gekalkt, auch die Heiligenfiguren in den Nischen scheinen ein Lifting hinter sich zu haben. Grinsend macht er seine Schwester auf den heiligen Sebastian aufmerksam, aus dessen Bauch ein nagelneuer Pfeil ragt. Sturzenegger, der die Geste missversteht, nickt bestätigend: „Ja, ja, die Kirche pflegt ihr kulturelles Erbe!“ Sie setzen sich an den alten Tisch. Sturzeneggers Katechet oder Sekretär, ein bleicher Knabe im Kaschmirpullover, macht Ingwer-Tee. Was mit Pfarrer Kägi sei, fragt Bernhard. Der war lange krank und sei letztes Jahr „hoch betagt“ verstorben. Schade, meint Bernhard, den hätte er gern nochmals gesehen. Ein Pfarrer wie aus dem Bilderbuch, der seinen Schäfchen von der Kanzel herunter auch mal die Leviten las. Tja, lächelt Sturzenegger nachsichtig, zum Glück habe sich seither einiges getan. Gret-Lisbeth entschuldigt sich, dass sie die Entwicklungen der Kirche nicht mehr so mitgekriegt habe. Sie sei schon lange ausgetreten. Ob es denn die Sterbemessen und Sterberosenkränze überhaupt noch gebe? Die Mutter sei nämlich ziemlich altmodisch gewesen in ihrem Glauben. Bernhard ergänzt, das Fresko vom jüngsten Gericht über dem Chor der Pfarrkirche habe Anna schon als Kind geprägt. Sturzenegger wirkt leicht eingeschnappt. Natürlich gibt es Totenmessen und Sterberosenkränze noch! Was es allerdings nicht mehr gebe, sei das nazarenische Wandgemälde über dem Chor. Man habe „Das Jüngste Gericht“ schon vor Jahren entfernt, weil es „ablenkend“ und für den modernen Glauben nicht „zielführend“ gewesen sei. „Schade“, entfährt es Gret-Lisbeth, „es war so schaurig schön.“ Sturzenegger überhört es und schlägt vor, nicht nur eine Totenmesse („mit oder ohne heilige Kommunion?“ „Mit. Franz, Agnes und Urs sind ja gläubig“), sondern auch Jahresmessen und entsprechende Abendrosenkränze zu buchen. Zu den Tarifen und andern Fragen rund um die Bestattung gibt es das Faltblatt „Für die trauernden Angehörigen“. Um zum Gedenken an die Tote ein paar Worte sagen zu können, benötige er biografische Angaben. Bernhard fragt, ob er denn die Verstorbene nicht gekannt habe? Sie sei doch eine fleißige Kirchgängerin gewesen.

„Nicht direkt“, gibt Sturzenegger zu, „so, wie Sie die heimgegangene Frau Weber schildern, wird sie ihren geistigen Zuspruch eher im Klösterli gesucht haben…“

Der Besuch in der alten Stadtpfarrkirche ist enttäuschend. Alles frisch geweißelt. Nichts mehr erinnert an die prächtigen Hochämter mit der rauschenden Orgel, dem mächtigen Bass des lateinisch psalmodierenden Stadtpfarrers Kägi, der meist einen halben Ton danebenlag, den flackernden Kerzen und dampfenden Weihrauchkesseln unter dem dräuenden Jüngsten Gericht. Stattdessen weiße Wände, wohin das Auge reicht. „Da kann man ja gleich protestantisch werden“, sagt Gret-Lisbeth und irgendwie hat sie recht.

Sie gehen durch die ebenfalls renovierten mittelalterlichen Gassen der Altstadt zum Parkhaus, das ein fortschrittlich denkender Stadtrat in eine Altstadtschneise gesetzt hat. Sie versuchen sich zu erinnern, warum sie mit 14 plötzlich nicht mehr in die Kirche gehen wollten. Der barocke Pomp war es nicht. Eher die Verlogenheit, die Heuchelei. Beten, beichten und hinterher genauso fies weitermachen.

„Ich bin immer noch empört über diese kleingeistigen Pharisäer“, ereifert sich Gret-Lisbeth, „auch wenn es Jahrzehnte her ist.“ Bernhard pfeift die ersten Takte einer Melodie, dann zitiert er: „It aint necessarily so, it ai’nt necessarily so, the things that you li’bl, to read in the bible, it ai’nt necessarily so!” „Sammy Davis Junior in ´Porgy and Bess´!”

Kägi war auf die Kanzel gestiegen, als der Film im Kino Lenzlinger anlief, um die Gläubigen vor dem Teufelswerk in Technicolor zu warnen. Als Bernhard sich trotzdem ins Kino geschlichen hatte, gab es zuhause einen Riesenkrach.

„Lust an der Provokation war auch dabei…“, gibt er grinsend zu.

Sie fahren am Huwyler Weiher vorbei, den man unter dem Motto „Kunst am Weiher“ mit modernen Metallplastiken und anderem Schnickschnack aufgemotzt hat. Gret-Lisbeths Handy klingelt. Irgendein Ärger. Lisbeth klappt das Handy zu. „Franz, das Arschloch, hat bei allen Banken und Sparkassen meine Vollmachten sperren lassen!“

„Das kann er doch gar nicht!“

„Doch – im Auftrag von Agnes. Der Widerspruch eines einzigen Erben genügt. Damit ist alles gesperrt.“

Johnny hatte sein Geld, zu dem er in den siebziger Jahren endlich gekommen war, auf fünfzehn Banken verteilt. Weil das sicherer sei. Oder, wie Gret-Lisbeth mutmaßt, weil er gern vor möglichst vielen Filialleitern den großen Zampano spielte. Wie auch immer – als er und Anna 1998 ins Pflegheim kamen, hatte er Gret-Lisbeth zu seiner unbezahlten Steuer- und Vermögensverwalterin ernannt. Das war den andern damals nur recht gewesen. Die Kosten für eine Treuhandfirma wären ja vom bald zu erwartenden Erbe abgegangen. Doch jetzt fehlt den Miterbinnen Agnes und Bigi plötzlich das Vertrauen. Ab sofort sind Zahlungen nur noch über das Amtsnotariat möglich. Das heißt: Jede Rechnung einreichen und begründen. Zum Beispiel für die Beerdigung. Das ist Franz und Agnes dann doch zu viel. Also „können die anderen ja auch einmal etwas tun.“ Bigi lässt schnippisch wissen, „dass sie als angebliche Kleptomanin und Erbschleicherin dafür wohl nicht in Frage käme.“ Genauso wenig wie Frater Urs. Der muss kochen und beten. Die Beerdigung bleibt also an Bernhard und Gret-Lisbeth hängen.

***

Am nächsten Tag ist Redaktionsschluss für das Inlandjournal. Nach einem Interview mit der Vorsitzenden der Frauenkommission im Gewerkschaftshaus über den geplanten Frauenstreik („Wenn Frau es will, steht alles still“) hat Bernhard so richtig Lust zum Kochen. Auf dem Markt am Helvetiaplatz findet er sensationelle Steinpilze und beschließt, Sofia mit seinem berühmten Risotto zu überraschen. Mit der jüngeren Kollegin vom Sport verbindet ihn eine offene Beziehung. Man geht gemeinsam ins Kino, ins Theater, zum Essen, an Vernissagen, zum Tauchen, zum Radfahren und natürlich ins Bett. Nach drei gescheiterten Ehen hat Bernhard keinen weiteren Bedarf an weiblicher Umklammerung, Freiheitsberaubung und emotionaler Erpressung. Sofia sieht das umgekehrt genauso. Sie macht, was ihr spontan einfällt, ohne erst jemanden fragen zu müssen und sie lacht gern (womit Bernhard bei ihr gepunktet hat). Natürlich steht er auf ihre sportliche Figur, auf ihre kleinen Brüste und den süßen, strammen Hintern, aber genauso auf ihr freche, direkte Art. Völlig unschweizerisch nennt sie die Dinge beim Namen und eckt damit schon mal an. Vor ein paar Jahren hatte es sie aus dem fränkischen Bamberg (Bernhard liebt auch ihr rollendes R) in die Schweiz, genauer gesagt nach Magglingen verschlagen, wo sie Sport studierte. Noch bevor die Woge der deutschen Akademiker über die Eidgenossenschaft hereinbrach, heuerte sie beim Fernsehen an und ist nun Reporterin beim Sport.

Wie immer bricht Sofia als mittlerer Taifun in die Wohnung, platzend vor Dingen, die sie ihm unbedingt und sofort erzählen muss. Er kocht, lächelt und hört zu. Dazwischen nascht sie aus seinem Risotto Topf (dafür gibt’s eins auf die Finger) und bringt die Küche in Unordnung. Als das Risotto auf dem Tisch steht und sie mit einem Pinot Noir aus dem Waadtland anstoßen, klingelt das Telefon. Statt es klingeln zu lassen, geht Bernhard ins Arbeitszimmer. Gret-Lisbeth ist dran. Wegen der Beerdigung. Bigi sei inzwischen gegen den Vorschlag, anstelle von Kränzen für die SOS-Kinderdörfer zu spenden. Bernhard kann nur lachen. So war es aber besprochen. Und die Todesanzeige mit dem Aufruf zur Spende stand heute im „Huwyler Stadtanzeiger“. Also was soll‘s! Ob sie zum Sterberosenkranz morgen nach Huwyler fahre, fragt Bernhard. Nein, sie will sich die Heuchelei ersparen. Schließlich sei sie nicht aus der Kirche ausgetreten, um dann aus purer Höflichkeit wieder auf den Knien herumzurutschen.

„Und was ist mit Annas Andenken?“, wirft Bernhard ein.

„Du meinst, was die Leute sagen werden?“

Auch darüber sei sie schon lange hinweg. Und nach diesem Brief vom Rechtsanwalt Walter hat Gret-Lisbeth noch weniger Bock auf Agnes und Franz.

„Welcher Brief?“

Die Post auf dem Land war offenbar schneller. Franz hat einen Rechtsanwalt mit der Wahrung von Agnes‘ Interessen in der Erbengemeinschaft beauftragt. Der hat „vorsorglich“ auch noch Gret-Lisbeths übrige Handlungsvollmachten bei der Vermögensverwaltung außer Kraft setzen lassen. Alles noch, bevor Anna unterm Boden ist. Schon einmal, als Johnny im Sterben lag, hatten es Franz und Agnes sehr eilig gehabt. Mit eben demselben Dr. Walter waren sie im Pflegeheim aufgekreuzt und hatten versucht, den Vater zu einer Testamentsänderung zugunsten von Agnes zu nötigen.

„Aasgeier bleibt Aasgeier“, entfährt es Bernhard, „du siehst sie jahrelang nicht, aber wenn einer abnippelt, hocken sie auf dem nächsten Ast.“ „Wir werden uns auch einen Anwalt nehmen müssen“, meint Gret-Lisbeth.

Unbemerkt ist Sofia von hinten herangetreten und gibt Bernhard einen Kuss. Das Risotto sei super gewesen. Seins habe sie warm gestellt. Man sehe sich! „Wo willst du hin?“ fragt Bernhard. Sie lächelt, „Gruß an deine Schwester und lasst euch nicht stören. Morgen bei mir. Nach dem Tennis, wenn du Lust hast!“ „Jetzt bleib halt, ich bin gleich fertig!“ Sie winkt und geht.

Tatsächlich hängt er seit über einer Stunde am Telefon.

„Pech in der Liebe?“ fragt Gret-Lisbeth ins Telefon. „Scheint in der Familie zu liegen: Einer ist Mönch geworden, mir laufen die Frauen davon und dein Gefühlsleben beschränkt sich aufs Gassi-Gehen mit zwei Neufundländern.“

„Du vergisst Agnes und Bigi! Beide glücklich verheiratet!“

„Wie Anna und Johnny: Kirchlich, lebenslänglich und ohne jede Aussicht auf vorzeitige Begnadigung.“ Gret-Lisbeth lacht: „Dann doch lieber die Hunde…“

***

Es herrscht eine kühle Stimmung auf dem gekiesten Vorplatz der Stadtpfarrkirche, obwohl eine warme Herbstsonne vom Himmel strahlt. Die Trauergemeinde ist übersichtlich, ein paar ehemalige Schulkolleginnen und Nachbarinnen sind erschienen, Frau Füglister, die Pflegeleiterin des Seniorenheims und drei stadtbekannte Klatschmäuler, vom Volksmund respektlos als „Friedhofskrähen“ bezeichnet, weil sie bei Bestattung immer dabei sind. Gret-Lisbeth und Bernhard unterhalten sich, ein paar Meter daneben Agnes und Franz, die nach einer förmlichen Begrüßung angestrengt in die Luft schauen. Ein Taxi fährt vor. Frater Ursus steigt aus, hilft der alten Tante Magdalena aus dem Fond. Der Taxifahrer holt einen Rollstuhl aus dem Kofferraum und hievt zusammen mit Urs den greisen Pater Frido in den Rolli. Agnes und Franz eilen dazu, haken die Tante von beiden Seiten unter und ziehen sie Richtung Kirche, obwohl sie eigentlich auf die zwei geistlichen Herren warten möchte. Bernhard und Gret-Lisbeth sehen sich vielsagend an.

„Unser nächste Erbfall“, sagt Bernhard.

„Das glaube ich weniger. Tante Magdalena wird alles dem Kloster hinterlassen.“

Sie begrüßen die Tante, die sich ehrlich freut, auch wenn der Anlass traurig genug sei. Nur Bigi fehlt noch. Die komme immer erst im letzten Moment, weil sie sooo viel zu tun habe, erklärt Agnes mit einem Unterton von Missbilligung. Die Sterbeglocke fängt an zu bimmeln, Pater Frido fragt nach der Toilette. Urs beeilt sich und schiebt ihn mit wehendem Ornat Richtung Friedhofsgärtnerei. Die Trauergemeinde drängt sich durchs Kirchenportal, gerät ins Stocken, als ein Jaguar vorfährt. Die Tratschweiber stecken die Köpfe zusammen. Arthur steigt hinten rechts aus, links reißt der Chauffeur den Schlag auf, stilvollendet steigt Bigi aus dem Fahrzeug. Mutters Beerdigung verlangt natürlich nach dem richtigen Dresscode. Einerseits war Annas Tod eine Erlösung. Andererseits ist es trotzdem traurig, wenn eine Mutter stirbt. „Stille Trauer gepaart mit melancholischer Eleganz“ hat es Bigis Modedesigner auf den Punkt gebracht: Ein raffiniertes schwarzes Fähnchen, das knapp unter dem Knie endet und ein breitkrempiger Hut mit weißer Lilie und schwarzem Tüll vor dem Gesicht. Ohne Sonnenbrille. Arthur, ein hochgewachsener Fünfziger im eleganten schwarzen Samtanzug, sportlich braungebrannt, rasierter Kopf und blasierter Blick, bietet Bigi den Arm und führt sie zur wartenden Verwandtschaft. Man begrüßt sich, knapp und leise. Neben Arthur kommt sich Bernhard in seinem Anzug von der Stange fast schäbig vor und beschließt, in Anbetracht der noch zu erwartenden Trauerfälle, sich bei einem guten Herrenausstatter umzusehen.

Nach der Trauermesse schreiten Bigi und Arthur an der Spitze des Trauerzugs, direkt hinter dem Sargwagen, dazwischen nur noch Arthurs Chauffeur mit einem überdimensionierten Kranz: tropisches Grün mit weißen Gardenien. Wie angekündigt hatte Bigi es vorgezogen, anstelle einer Spende für das SOS-Kinderdorf ihrer Betroffenheit mit einem Kranz Ausdruck zu verleihen. Ebenso Agnes und Franz, die den Totengräbern vor der Messe ein Trinkgeld zugesteckt hatten, damit ihr Kranz bei Annas letztem Gang auf dem Sarg liegt. Aber jetzt fällt das Gebinde stark ab gegen Bigis Gardenien: kleines, simples Grün mit drei, vier weißen Rosen und einer schmalen Schleife, die wegen der Textlänge vom Sarg bis zum Boden hängt und bei jedem Windstoß lustig flattert: „In ewigem Gedenken – Deine dich liebende Tochter Agnes und dein tief betroffener Schwiegersohn Franz“. Am offenen Grab dann die nächste Niederlage. Der Chauffeur legt Bigis Kranz an der Stirnseite des Sarges nieder, während der Kranz von Agnes achtlos auf der Seite landet. Arthur ordnet die Schleife, auf der in goldenen Lettern auf purpurroter Seide zu lesen steht: „In unendlicher Trauer – Deine Tochter Brigit und Arthur“. Dann nimmt er militärische Haltung an und salutiert. Pfarrer Sturzenegger räuspert sich, Arthur tritt ins Glied zurück. Der Pfarrer hält eine kurze Ansprache, in der er Anna als aufopfernde Gattin und Mutter, voller Bescheidenheit und Gottesfurcht, würdigt.

„Entscheidend ist nicht, wie man glaubt – ob man in die Geisteshöhen der modernen Theologie vordringt oder dem einfachen Volksglauben seiner Kindheit treu bleibt – entscheidend ist, dass man glaubt. Wer glaubt wird selig, spricht der Herr. In diesem Sinne hat sich unsere liebe Verstorbene Anna Weber ihren Platz im Himmel ganz gewiss verdient. Amen“.

Beim anschließenden Leichenmahl in der „Krone“ fehlen einige. Franz hat Bernhards Einladung mit dem Hinweis quittiert, dass er schon bald wieder von seinem Anwalt hören werde. Und Arthur hat noch eine Sitzung.

Annas Chronik und...

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