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Die Stunde der Anwälte – 2000

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Monate sind seit Annas Begräbnis vergangen, doch die Erbteilung ist keinen Millimeter weitergekommen. Warum? Alles wäre doch ganz einfach: Erbmasse geteilt durch fünf Kinder. Doch so einfach ist für Agnes und Bigi gar nichts. Nur ein Fünftel zu bekommen, hieße ja, zu kurz zu kommen. Die Einzigen, die genervt einen Schlussstrich ziehen möchten, sind Bernhard und Gret-Lisbeth. Was Bigi im Schilde führt ist unklar. Sie weicht auf Kleinkram aus, möchte erst die silbernen Löffel und Briefmarkenalben richtig geteilt haben, bevor man über „das Große“ spricht. Frater Ursus hüllt sich in Schweigen. Wohlweislich, denn ihm wird ja wegen der Finanzierung seines gescheiterten „Landgasthofs Jura Höhe“ durch Johnny ein „Erbvorbezug“ unterstellt. Aber auch das müsste erst mal bewiesen werden. Wohl deshalb blockieren Agnes und Franz jeden Vorschlag mit dem Hinweis auf fehlende Informationen. Ohne handfeste Beweise, hat ihnen der Anwalt gesagt, wird es schwierig werden, eine Benachteiligung von Agnes geltend zu machen. Rechtsanwalt Walter hat bereits Briefe mit massiven Forderungen an Gret-Lisbeth verschickt: Umgehende Offenlegung aller Steuer- und Vermögensunterlagen und aller Kontoauszüge der verstorbenen Eltern. Und zwar für die letzten 25 Jahre. Gret-Lisbeth, die ihnen im Pflegeheim die Vermögensverwaltung gemacht hatte, droht, den Aktenberg, den Johnny im Laufe der Jahrzehnte angehäuft hat und der jetzt ungeordnet auf ihrem Dachboden liegt, dem Anwalt per LKW vor seine Kanzlei zu kippen.

Die Replik kommt postwendend. Auf die Anlieferung werde „vorläufig verzichtet“, dafür solle ein Mensch namens Peter Hubacher (wahrscheinlich ein Kegelbruder von Franz) zum Testamentsvollstrecker ernannt werden. „Mit uneingeschränktem Zugang zu Frau Webers Dachboden.“ Ohne juristische Hilfe geht jetzt gar nichts mehr.

Man hat Gret-Lisbeth einen Anwalt in Huwyler empfohlen. Der Vorteil: Der kenne sich aus mit den örtlichen Gegebenheiten, den Ämtern, den Banken. Der empfohlene Anwalt Pfleiderer, ein bäuerlich wirkender Typ mit exaktem Linksscheitel und buschigen Augenbrauen ist etwa in Bernhards Alter. Er wiegt nachdenklich das Haupt. Mit fünf, sechs Jahren müsse man rechnen. Minimum. Sagt er und versucht dabei, ein bekümmertes Gesicht zu machen. Gret-Lisbeth schnappt in ihrer impulsiven Art nach Luft und hofft, sich verhört zu haben. Herr Pfleiderer lächelt milde. Sein ältestes Erbstreit-Mandat gehe jetzt ins sechzehnte Jahr. Und bei denen seien es nur drei Parteien – hier hingegen fünf! Im Übrigen koste er nur 250 Franken pro Stunde, wo andere gut und gern das Doppelte nähmen. Gret-Lisbeth will wissen, wie er vorzugehen gedenke. Natürlich werde er alle Ansinnen von Kollege Walter als unbegründet zurückweisen und den vorgeschlagenen Testamentsvollstrecker ablehnen – damit sei schon mal Zeit gewonnen. Dann müsse Dr. Walter nämlich alles haarklein begründen, und er wiederum könne die Begründungen zerpflücken. Allerdings müsse man dann damit rechnen, dass Dr. Walter auch ihre Vorschläge ablehne. Entscheidend sei letztlich, wer den längeren Atem habe.

„Verstehen Sie jetzt, was ich meine, wenn ich sage: Zeit ist das, was man bei einem Erbstreit vor allem braucht?“

„Und Geld“, sagt Bernhard.

„Auch das“, pflichtet Herr Pfleiderer bei. „Aber dafür erben Sie ja in ein paar Jahren etwas.“

„Fragt sich nur, ob nach Abzug aller Anwaltskosten noch viel übrig bleibt“, wirft Gret-Lisbeth ungerührt ein.

Pfleiderer nickt bedauernd: „Auch das ist schon vorgekommen.“

Zum Abschied überreicht die Sekretärin eine Vorschuss-Rechnung über 3000 Franken, zahlbar innerhalb von zehn Tagen.

***

Um Luft aus dem Streit zu lassen, hat Gret-Lisbeth den Vorschlag gemacht, alles zu teilen, was durch fünf teilbar ist, also das Geld und die Wertpapiere. Darauf gehen Bigi und Agnes gar nicht ein. Stattdessen schickt Franz eine Liste, was Agnes alles zukommt von dem, was sich im unbewohnten Jura Hof stapelt oder im Pflegeheim geräumt werden musste. Zum Beispiel drei alte Kupferkessel, eine Motorsäge, ein Heuwender, ein Teil der Briefmarkensammlung, Silberlöffel, der neue Fernseher inklusive dem drahtlosen Kopfhörer, zu dem die Pflegeleitung den schwerhörigen Johnny verdonnert hatte. Weiter listet Franz, respektive Dr. Walter, auf, was alles fehlt, und er will wissen, wo es geblieben sei: der Schmuck von Anna und Großmutter Dobler, eine alte Standuhr (in der sie sich, als sie noch klein waren, sogar verstecken konnten wie die sieben Geißlein), die Gewehre und Pistolen, der antike Sekretär, das Ölgemälde „Abendstimmung über dem Aletschgletscher“ das im Heim über dem Bett hing, die „Goldvreneli“, die einmal in Johnnys Schreibtischschublade lagen usw.

Dafür, dass sie Jahre lang nichts mehr mit der Sippe zu tun haben wollten, wissen sie aber erstaunlich gut Bescheid, denkt Bernhard.

„Bitte Stellung nehmen!“, hat Pfleiderer mit rotem Filzschreiber auf die Liste von Franz geschrieben und dafür wahrscheinlich zwei Stunden Arbeitszeit verrechnet.

„An meine Schwester, Frau Brigit La Roche, weiterleiten. Die weiß am besten, wo was abgeblieben ist!“ schreibt Bernhard ebenfalls in Rot auf die Liste und schickt sie an Pfleiderer zurück. Trotz der zu erwartenden neuen Abrechnungsstunden. Obwohl auch das die Erbteilung keinen Millimeter voranbringen wird.

Annas Chronik und...

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