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25. Mai

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Gestern Abend Soho: dass sich das Nachtleben hier mit dem berlinschen vor 33 nicht vergleichen lässt, war den Augenschein nur am Rande wert. Mein Gott, wie ungehemmt haben wir uns damals amüsiert (jetzt verstehe ich übrigens die Großmütter: ›damals‹, mir reichen schon gut vier Jahre für ein ›damals‹). Schulterklopfen, – ich habe kaum Geld ausgegeben, habe die schlanke, große Rothaarige mit blasser Haut und sanften Sommersprossen (kaum mein Typ) stehenlassen. Trotzdem viel zu spät im Bett und heute Morgen leicht gerädert. Ob ich mich an den englischen Einheitstee gewöhnen soll? Man hat mir einen Tauchsieder und etwas Geschirr samt einer Blechdose mit Tee sehr freundlich überlassen. Grund genug, es wenigstens damit zu versuchen.

Ich widerstehe der Versuchung, das angenehme Wetter zum Vorwand zu nehmen, gleich auszugehen und mich durch die Straßen treiben zu lassen oder nach Windsor zu fahren, was neben Hampton Court und Richmond auf meiner Ausflugsliste steht.

Ich glaube, ich muss mir hier endlich einmal ohne Hemmung hinschreiben, was mich umtreibt. In innerer Kinoleuchtschrift ist es mir auch ohne Selbsterinnerung jeden Moment im Kopf: soll ich gehen?, – soll ich gehen und ein Meer, einen Kanal, eine Sprache zwischen mich und ein Land legen, in dem nun selbst die Bilder zu gehorchen lernen? Meine spontane Antwort (ich weiß, wie hochspekulativ sie ist): Käme plötzlich einer, jetzt, böte verbindlich an, in einem Akt praktischer Zauberei meine Existenz hierher zu verlegen, glatt und durch alle staatlichen Barrieren hindurch, würde er sagen ›mach weiter, vergiss und mach weiter‹, – ich schlüge darauf ein.

Aber das Aber brauche ich nicht hochzuformulieren. Natürlich müsste ich heute die Strecke ganz mit mir alleine gehen. Die, die es sofort verstünden, sind nicht mehr da. Denn mein verdammtes Übel ist der verpasste Zeitpunkt. K., dem nächsten der Freunde, konnte gleich von Anfang an klar sein, dass seine subjektiven Perspektiven schlagartig verdunkelt waren. Alle rationalen Argumente brachten sich vollkommen mit seinem fatalen Gefühl und hellsichtigen Ahnungen zur Deckung. Sein ganz persönlicher Notstand war ausgerufen, so dass es absolut konsequent war, von seiner spanischen Studienreise einfach nicht mehr in unsere Ateliergemeinschaft zurückzukehren. Und ich?, ich wusste dasselbe, ich empfand sehr ähnlich, nur war ich selbst noch kaum betroffen.

Die Erinnerung an das, was folgte, ist mir nah wie nichts Zweites: meine zahllosen Bittgänge zu erstaunten Auftraggebern, das Werben um Verständnis für die Situation und die Suche nach Zwischenlösungen und Schadensbegrenzung. Am Ende gab es nur die eine, totale Variante, – die Auflösung unseres Büros. Denn ohne ihn, K., weiterzumachen wäre aus mehreren Gründen unvorstellbar gewesen. Ich sehe mich noch in kleinen taktischen Schüben seine persönliche Dinge, Papiere vor allem, Skizzen und Pläne zu handlichen, unauffälligen Päckchen raffen, um sie zeitlich versetzt an unterschiedliche Adressen in Spanien zu schicken. Und bis auf die (zu dicke) Büchersendung, die nach Barcelona ging, ist ja tatsächlich alles angekommen, ohne Beschädigung. K.’s zwei große Reisekoffer mit Sachen des Gebrauchs überbrachte ich persönlich seiner Mutter in der Nähe von Cottbus, – und erntete zu meinem ziemlichen Entsetzen von dieser aus alter preußisch-jüdischer Familie stammenden Dame deutliches Unverständnis: so schlimm sei es doch nun auch wieder nicht, man solle es aussitzen, endgültig sei das alles keineswegs. Das hoffte ich auch, äußerte mich jedoch nicht, gab niemandem Recht oder Unrecht und kam mir damals schon vor wie ein Vogel, der immer wieder neu herauszufinden versucht, ob seine angeeckten Flügel im Notfall noch taugen.

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