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26. Mai

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Ja, es ist ein irritierendes, mattsetzendes Gefühl, von einem Gegenüber, das in meiner eigenen Wahrnehmung alle Merkmale des Gegners besitzt, seinerseits nicht feindlich behandelt zu werden. Buchstäblich: der Löwe greift nicht an.

Wer war ich für sie, die neuen Herren, als die Lawine losging? Ein Mann in einem durchschnittlichen dunkelgrauen Anzug, eine Person ohne sichtbare Trophäen (das goldene Sportabzeichen reichte als gelegentlicher Blickfang nicht aus), eine Figur ohne benenn- und deutbare Eigenschaften. Keine Verdienste, keine Forderungen. Also ein Stück Masse, ein Etwas von dem, wovon sie jede Menge brauchten. Ein Zellhaufen, den sie noch prägen würden, eine politische Jungfrau. Meine Frage müsste also lauten: Was war ich für sie, damals? Wohl nur ein Steinchen im Korpus des gigantischen landesweiten Niemand.

Viel schleierhafter scheint mir heute, warum mich eine solche Geringschätzung, diese völlig selbstverständliche Eingemeindung nicht herausgefordert, nicht provoziert hat. Oder doch, sie hat es, – aber ich empfand diese Ansammlung von hochtrabenden Laiendarstellern nicht als gleichrangige Kombattanten. Da wollte ich – ganz im Anfang – noch etwas lachen und heimlichen Hochmut auskosten dürfen, und dann, ja dann brauchte ich Zeit, zum Nachdenken und Analysieren, zum ersten Mal Zeit, schon dieselbe Art von Zeit, von der ich immer mehr und länger brauchte, bis jetzt, in diesen Augenblick hinein.

Und wenn ich ehrlich bin, war da sehr bald auch Angst, eine undefinierbare Angst, die sich noch auf keine Erlebnisse aus persönlicher Anschauung stützen konnte. Denn die Turbulenzen der Straße (die ich als Berliner von lange her kannte) wollten mich nicht betreffen, all die politischen Insekten mit dauer-aufgerichteten Stacheln. Was hatte ich damit zu tun, Politik dieser Art? Nein, es war eine osmotische Angst, ich fühlte sie bald im Nacken wie das schöne Mädchen bewundernde Blicke im Rücken spürt. Die sichere Annahme, die nächste Ratte säße in nicht mehr als zehn Metern Entfernung, – und man folgt dem Gedanken ganz bewusst nicht weiter. Ich wollte vor mir selbst nicht recht damit haben, mit einer solchen Angst richtig zu liegen. Ein bisschen schrecklich gesagt: etwas näher an einem Polizeikeller vorbei hätte ich einen festen Standort vermutlich rascher gefunden, schön weit außerhalb der Zentrifuge. Meine heutigen Probleme hätte ich nicht. Aber da war doch K.? Richtig, der besaß die Fähigkeit, auf der alleinigen Basis scharfsinniger Gedanken zu handeln. Er hatte mir ja nichts leibhaftig Warnendes vorgeführt. Ich aber hatte nie gelernt, aufgrund von intelligenten Schlüssen zu noch intelligenteren Entschlüssen zu gelangen. Ich brauche wohl immer etwas vorauseilendes Mondlicht, Peitschenknallen und Seelenabsturz für folgenschwere Taten, und wenn schon kein Posthorn im stillen Land, dann wenigstens ein Hauch eigenes Blut auf der Zunge.

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