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Aber ich staunte, wie stark sich das Bild des Mannes nun in mir veränderte. Obgleich er doch äußerst sparsam mit mir umgegangen war, konnte ich – im sicheren Besitz einer inneren Nahaufnahme – ganz anders mit ihm umgehen. Vielleicht ähnlich wie im Falle eines exotischen Tiers, das man in einem Zoo erstmals wirklich lebend gesehen hat. Meine Scheu, an seinem Haus entlangzugehen, wich beinahe ganz, und tatsächlich bekam ich ihn einige Male zu Gesicht. Der Jäger in mir genoss die Spur.

Dann mischte sich ein lächerlicher Zufall ein. Ich wurde Zeuge, wie der kompakte Narr einen gut babygroßen Findling im Arm hielt und – vorsichtig, als ob er ihn nicht schädigen dürfe – versuchte, ihn an eine andere Stelle zu tragen. Aus seinem nach vorn gekrümmten Oberkörper drang ein andauerndes Stöhnen, das sich plötzlich in einem Schrei entlud, als vor meinen Augen das Steinkind dumpf aufschlagend zu Boden ging und mit einigen Drehungen nach rechts zur Seite rollte. Den Mann warf es rückwärts hin. Sein Kopf sackte auf das Pflaster, und die ganze Gestalt lag reglos.

»Nichts, nichts, es ist nichts«, quetschte es sich mit etwas Spucke aus seinem Mund. Anstatt sie geschehen zu lassen, wehrte er sich gegen meine Hilfe. Immerhin brachte ich ihn ins Stehen. Und so stand er für mehr als eine halbe Minute wie ein Denkmal da, bis wieder Bewegung in ihm zu spielen begann.

Das war der Moment, in dem er mich zum ersten Mal ansah.

»Ich kenne Sie«, sagte er schließlich, »Sie gehören auch zu denen« – und atmete laut vor sich hin, während er mich unverwandt musterte.

Ich hielt meinen Blick hart dagegen. Und ihm wurde klar, dass ich tatsächlich nicht verstand, wovon er sprach. »Zu denen«, stieß er hervor und hielt die Worte flach zwischen den Lippen, »die mir die Steine zerstören wollen.«

»Wer könnte Steine denn einfach zerstören«, erwiderte ich, »zerstören – und wirklich zerstören wollen? Würden Sie mir (ich wies ungewollt ein wenig theatralisch auf mich selbst) die Kraft zutrauen, Ihren Findling zu zerstückeln oder die Absicht (ich lächelte verlegen) Ihnen zu schaden?«

»Hier hört man uns«, antwortete er, »kommen Sie ein paar Schritt weiter zum Haus. Er wandte sich mit dem ganzen Körper nach links und ging voraus, ohne sich davon zu überzeugen, dass ich ihm folgte.

»Es sind Steine von ganz besonderen Orten«, sagte er, mehr in die Luft als zu mir, und auf einmal strömte aus seiner Stimme ein Unterton von Aufregung und spontaner Wärme. Mir, in direkter Front zu seiner Gestalt, kam es so vor, als sei im Falle des Hais dies der Augenblick, in dem das Tier über Fressen oder Lassen entschiede.

Es entschied sich zu sprechen.

Der Steinsammler

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