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5. Kapitel

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Die Obduktion des Toten fand am Dienstag statt.

Professor Theodor Schneider stand am Eingang zur Leichenhalle des Brüderkrankenhauses, wohin die Leichenbestatter den Toten gebracht hatten und rauchte eine Zigarette.

Es war noch früh am Morgen und im Schatten der riesigen Kastanienbäume, die den angrenzenden Park säumten, eröffnete sich ein hoffnungsvoller Tag. Es würde sehr warm werden, hatten die Wetterfrösche vorausgesagt und die Strahlen der aufsteigenden Sonne, die wie in Streifen geschnittenes Papier durch die Bäume auf Schneider herunterfielen, schienen die Vorhersage zu bestätigen.

Gerade, als Schneider seine Zigarette am Boden zertrat, bogen Leni und ich um die Ecke.

„Hab` ich` s mir doch gleich gedacht. Sie scheinen doch tatsächlich die einzigen Ermittler beim Trierer Polizeipräsidium zu sein“, lachte Schneider und kam uns entgegen. Dann begrüßte er Leni mit einem vollendeten Handkuss, was diese mit einem leichten verlegenen Erröten quittierte und mich mit einem kräftigen Händedruck, den man ihm nicht zugetraut hätte. Denn Kraft sprühte Schneider nach außen absolut nicht aus. Seine schlanke und hochgewachsene Gestalt wurde auch mehr mit den leichten Dingen des Lebens, oder besser gesagt, des Todes, konfrontiert.

Schneider strich sich mit dem Daumen der rechten Hand über den akkurat gestutzten Menjou-Schnurrbart, der ebenso weiß war wie seine kurz geschnittenen Haare.

Für mich war Schneider einer derjenigen Personen, die man vom Alter her nicht so einfach einordnen konnte. Doch ich wähnte ihn in der Nähe der Beendigung seines Arbeitslebens.

Den offenen grünen Kittel nach hinten wehend, ging Schneider voran zu seinem Arbeitsplatz, dem Sektionsraum, in dem bereits alles vorbereitet war.

Wo Schneider war, da war auch Wladimir Kornsack, das war eben so. Jeder Obduzent hatte seinen Helfer und Kornsack war der von Schneider und das schon seit vielen Jahren. Sie waren ein eingespieltes Team, das ohne viele Worte auskam.

Es war ein einfaches Prinzip: Kornsack machte die Drecksarbeit und Schneider entfernte, gleich einem Operateur Organe und Körpersäfte, um sie mit einem in sein Diktafon gesprochenen Kommentar an Kornsack weiterzureichen, der sie endlich in kleinen Gefäßen einschloss und etikettierte.

Kornsack selbst hatte immer noch das Leiden, das sich seit unserem ersten Treffen nicht gebessert hatte. Sein rechtes Auge öffnete sich nicht so, wie es Kornsack eigentlich wollte. Ein geschädigter Nerv verhinderte eine Synchronisation mit dem linken, was aber nicht bedeutete, dass es sich überhaupt nicht öffnete. Es öffnete sich wohl, aber mit einer erheblichen Verzögerung und wer lediglich die rechte Gesichtshälfte von Kornsack sah, hatte den Eindruck, dieser sei in einen leichten Schlaf verfallen und das langsame Öffnen des Auges verstärkte diesen Verdacht nur noch.

Der Gehilfe hatte die unbekleidete Leiche bereits in Rückenlage auf dem Seziertisch platziert, ungewaschen, so, wie man sie auf dem Felsen vorgefunden hatte. Nun war er gerade dabei, ein Holzstück, das den Zweck eines Kissens erfüllen sollte unter den Kopf des Toten zu legen.

Als er Schneider, Leni und mich ankommen sah, hob er kurz den Kopf und nickte uns kurz zu, während er weiterarbeitete. Das rechte Auge blieb dabei geschlossen.

„Dann wollen wir mal.“ Schneider zog sich ein paar Gummihandschuhe über und fasste den linken Unterarm der Leiche, als benötige er Kontakt zu ihr wie eine Krankenschwester zu einem Kranken und sah Leni und mich an. „Dass der Mann ohne Herz hier eingeliefert wurde, das ist Ihnen ja bekannt. Ich würde darauf wetten, dass er keinerlei weitere Verletzungen am Körper hat. Aber wer weiß? Wir werden nachsehen.“

Die anschließende körperliche Untersuchung dauerte nicht lange. Mit Unterstützung von Kornsack drehte er die Leiche auf den Bauch, untersuchte die Rückenpartie und drehte sie wieder zurück auf den Rücken.

„Wie gesagt, nichts. Oder doch. Der Tote hat Leichenflecken auf beiden Körperseiten. Das wird interessant sein für Sie. Das bedeutet nämlich …“

„Dass der Tote nach seinem Todeseintritt von einer Körperseite auf die andere bewegt wurde.“

„Aha, der Herr weiß Bescheid. Gut, gut. Dann wollen wir mal sehen, was uns diese Öffnung verrät.“

Nachdem Schneider einige einleitende Sätze in sein Diktaphon gesprochen hatte, wobei er den aktuellen Befund kommentierte, erweiterte er die Wunde, um ein freies Blickfeld auf den gesamten Innenbereich der Brust zu erhalten.

Während er mit einer Art Geflügelschere die Rippen großflächig um die bereits bestehende Öffnung abtrennte, begann Kornsack wortlos, die Kopfhaut des Toten abzutrennen, legte sie mit den Haaren über das Gesicht und testete schon mal den Lauf der elektrischen Kreissäge, die einen kreischenden Laut von sich gab, als er den Schalter betätigte, ein Vorgeschmack auf das eigentliche Geräusch, das in einigen Augenblicken beim Abtrennen des Schädeldaches verursacht werden würde.

Schneider legte die herausgetrennten Rippenstücke auf dem metallenen Seziertisch ab und betrachtete sich wortlos die neu geschaffene Öffnung.

Leni begann schon von einem Fuß auf den anderen zu treten, als Schneider schließlich doch noch einen Kommentar von sich gab.

„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, war sein erster zögerlicher Kommentar. „Aber ich muss die Angelegenheit ja schließlich erst einmal vom medizinischen Standpunkt her betrachten.“

Er nahm ein metallenes Lineal, das stets bereitlag, um die Ausmaße der entnommenen Organe, bevor sie in Einzelteile zerlegt wurden, abzumessen und zeigte damit ins Innere der Wunde.

„Sagen Sie mir, Herr Spürmann, Frau Schiffmann, aus welchem Motiv heraus entnimmt man einem Menschen ein Herz?“

„Wenn wir im Mittelalter lebten, würde ich sagen, dass es sich um ein Ritual handeln könnte“, gab ich zu bedenken.

„Schneider schüttelte den Kopf. „Pah, Mittelalter! Sie wissen genauso gut wie ich, dass Rituale dieser Art auch heute noch auf der ganzen Welt Anwendung finden. Aber gut, das wäre dann eine Möglichkeit. Und weiter?“

„In unserer multikulturellen Zeit könnte es doch auch möglich sein, dass man, aus welchen Gründen auch immer, dem Toten den Zugang ins Nirwana verschließen wollte.“ Leni sah Schneider und mich fragend an.

„Na, Sie haben aber eine blühende Phantasie“, lachte Schneider und ein fürchterliches Kreischen mischte sich in seine letzten Worte. Kornsack hatte begonnen, mit der kleinen Kreissäge den Schädel des Toten aufzutrennen. Produktive Arbeitsteilung, danach sah es zumindest aus.

Leni verzog das Gesicht und schielte zu mir herüber. Doch Kornsack ließ sich nicht beirren und arbeitete geflissentlich weiter. Es hatte den Eindruck, als knipse er dabei Leni ein Auge zu.

Schneider schien das Geräusch in keiner Weise zu beeinflussen. „Sie meinen sicher Mitglieder alter Kulturen, bei denen es durchaus Usus war, Organe wie Zunge, Herz oder sogar Haare abzuschneiden, in dem Glauben, seinem Feind auch nach dem Tod Schaden zuzufügen, ihm den Weg in das Himmelreich zu v versperren. Das ist zu weit hergeholt, glaube ich. Aber in einem gebe ich Ihnen Recht. Ein Ritualmord ist nicht auszuschließen. Teufelsanbeter, schwarze Messen und was so damit zusammenhängt, da sind solche Dinge schon mal vorgekommen. Aber glauben Sie, dass hier…im schönen Hunsrück? Na ja.“

„Und wenn man das Herz nicht aus Rache oder aus einem Ritual heraus entnommen hat?“ Langsam gefiel mir dieses Ratespiel.

„Was meinen Sie?“ Schneider befestigte eine Klemme an einer Arterie oder Vene und zog diese vorsichtig so weit aus ihrer natürlichen Lage, dass wir sie gut einsehen konnten.

„Ich meine, wozu kann man ein Herz denn gebrauchen, verwenden oder verarbeiten? Nennen Sie es, wie Sie wollen.“

„Sehen Sie her!“ Schneider warf einen kurzen Blick zu Kornsack, der den Schnitt um die Schädeldecke nun fertiggestellt hatte und das losgelöste Teil abhob und zeigte auf das Ende der unter normalen Umständen Blut fördernden Leitung. Ein glatter Schnitt.“

„Und das bedeutet?“

„Das kann alles oder nichts bedeuten.“ Schneider legte die Stirn in Falten. „Es kann bedeuten, dass das Messer des Täters scharf war, oder…“

„Oder?“

„Dass hier ein Skalpell am Werk war.“

„Ich sah Leni an, der das Gesicht eingeschlafen zu sein schien. Wir dachten beide unwillkürlich das Gleiche und wussten sofort, dass es unnütze Gedanken waren. Wir dachten an die „Bestie vom Saar-Hunsrück-Steig“. So nämlich hatte Redakteur Albert Steiner vom Trierischen Merkur den Mann genannt, der mit einem Skalpell einer Reihe von männlichen Opfern die Geschlechtsteile abgeschnitten hatte und sie verbluten ließ. Aber unser Mann saß im Gefängnis. Er kam hierfür nicht in Frage. Doch die Erinnerung schien Leni immer noch etwas nahe zu gehen, war sie doch ahnungslos über einen kurzen Zeitraum mit der „Bestie“ liiert gewesen.

„Skalpelle kann man überall herbekommen. Man kann doch nicht auf eine bestimmte Personengruppe schließen, nur, weil die Tat mit einem Skalpell verübt wurde.“

„Es ist ja auch nur eine Annahme von mir. Eines irritiert mich allerdings.

„Und das wäre?“

Auch Kornsack hielt nun einen Moment in seiner Arbeit inne und hielt das Gehirn des Toten in der linken Hand, als wolle er es, gleich einem Ober, servieren.

„Wenn das Herz fachmännisch herausgetrennt wurde, also operativ, dann müssten Spuren von Gefäßklemmen vorhanden sein. Wenn jemand das Herz heraustrennt, will er doch vermeiden, dass ihm ein Springbrunnen aus Blut entgegenkommt.“

„Das bedeutet, dass dieser so genannte Operateur in Kauf genommen hat, dass er mit Blut besudelt wurde?“, warf Leni ein. „Und wenn man die Enden mit den Spuren der Klemmen weggeschnitten hat?“

„Warum sollte jemand das tun? Aber das herauszufinden, ist ja in erster Linie Ihre Sache. Sie entschuldigen mich. Es wartet noch eine Menge Arbeit auf uns beide“. Er zeigte auf Kornsack, der immer noch regungslos, mit dem Gehirn in der Hand, am Kopfende des Seziertisches stand. Der nickte und während der Auf- und Abwärtsbewegung seines Kopfes öffnete sich langsam das geschlossene Auge, was für einen kurzen Augenblick ein flüchtiges Lächeln der Erleichterung um die Mundwinkel Kornsacks erscheinen ließ.

ORGANE

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