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3. Kapitel

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Ich empfand es wie einen Fluch. Es war wieder einmal Samstag, und ich hatte mir so viel vorgenommen an diesem Wochenende. Lisa lag mir schon seit Wochen in den Ohren und machte ihr Recht auf Freizeit, Abwechslung und Urlaub geltend.

Als ich nach der Tatortaufnahme mit Leni zu Hause auftauchte, hatte Lisa keinen Vorwurf auf den Lippen. Wir hatten zusammen zu Abend gegessen, denn Lisa hatte das Essen warmgehalten, so wie sie es versprochen hatte. Dass Leni mitgekommen war, darüber hatte sich Lisa gefreut. Die beiden verband seit einiger Zeit so etwas wie Freundschaft und Lisa tat es wohl, mit Leni zu reden.

Aber das war gestern. Heute war Samstag, der Beginn des Wochenendes und draußen das herrlichste Mai-Wetter. Man hätte so viel unternehmen können. Aber nein, der Dienst hatte wieder einmal Vorrang. Und so war es nicht verwunderlich, dass bei Lisa der vielzitierte Kragen platzte.

„Warum immer du? Gibt es sonst keine Kriminalbeamten beim Präsidium? Geht es nicht ohne dich? Oder ist der Herr froh, wenn er von zu Hause weg sein kann? Was soll ich denken? Das Wochenende gehört doch uns beiden, mindestens einmal im Monat. Ist das zu viel verlangt? Ja, ich weiß, letzte Woche warst du zu Hause. Und? Was war? Regen! Das ganze Wochenende war verregnet. Wir blieben zu Hause. Was blieb uns anderes übrig? Hat da deine Dienststelle angerufen? Nein, natürlich nicht.“

„Lisa, wir werden…“

„Was werden wir?“ Lisa räumte das schmutzige Geschirr in die Spüle und ich sah mit Unbehagen, dass dieser Vorgang sehr schnell vor sich ging. „Jetzt steigert sie sich in etwas hinein“, dachte ich sofort, denn ich kannte Lisa. Wenn sie begann, während ihrer Arbeit die Geschwindigkeit ihrer Bewegungen zu forcieren und auch sonst ihre Gangart in der Wohnung einen Gang höher schaltete, dann war höchste Vorsicht geboten. In solch einem Moment war es das Beste, sich unsichtbar zu machen. Ich nahm noch einen Schluck Kaffee und gerade, als ich die Tasse auf den Teller zurückstellte, klingelte das Telefon.

„Hallo, Heiner, kommst du heute noch ins Präsidium?“

Die Stimme von Heinz Peters klang auffordernd und erwartungsvoll zugleich.

„Natürlich komme ich. Wenn es etwas Neues gibt.“ Mein Blick fiel auf Lisa. „Gibt es etwas Neues?“

„Ja, das kann man wohl sagen. Ich warte auf dich.“

„Tut mir leid, Lisa, ich muss. Es haben sich neue Anhaltspunkte im Felsenmord ergeben. Ich hoffe, ich werde bald zurück sein.“

„Lass` dir nur Zeit. Aber wundere dich nicht, wenn ich alleine auf Abenteuerurlaub gehe!“

Diese Antwort spürte ich noch in meinem Nacken, als ich bereits die Teppen des Polizeipräsidiums hinauf preschte, fünf Stockwerke, zwei Stufen auf einmal nehmend. An den Aufzug hatte ich erst gar keinen Gedanken verschwendet.

„Was gibt es?“, fragte ich außer Atem, als ich das Büro von Peters betrat und ganz kurz kam mir der Gedanke, dass man in meinem Alter doch wohl einen Gang zurückschalten sollte.

„Ich habe auf dem Felsen gestern etwas gefunden. Nein, bitte keinen Einwand! Ich hatte meine Gründe, es für mich zu behalten, bis jetzt.

Peters kramte in einer kleinen Holzkiste, in der er einige Asservaten untergebracht hatte. „Ich wollte, dass es vorerst unter uns beiden bleibt. Ich weiß, Dr. Grothe unterliegt der Schweigepflicht und Leni ist unsere Kollegin. Trotzdem! Das hier habe ich dort oben neben der Leiche gefunden.“

Peters hielt mir einen kleinen Gegenstand unter die Nase, ein dünnes Silberkettchen mit einem Amulett.

„Silber.“

„Ja, Silber. Aber sieh mal, was darauf abgebildet ist?“

„Reliefartige Striche.“

„Sieh genau hin!“

Ich hob das Amulett, das die Größe einer mittleren Geldmünze hatte, in die Höhe, hielt es gegen das Licht und betrachtete es genau.

„Ein Fünfeck, ein Pentagramm!“

„Richtig, Heiner, ein Pentagramm. Und was sagt uns das?“

„Du meinst, das Teil gehört jemandem, der den Teufel verehrt, einer, der schwarze Messen besucht?

„Wer sonst würde wohl so ein Amulett oder wie auch immer man es nennen will, tragen?“

„Und wenn es tatsächlich so wäre. Was hat solch ein Mensch für eine Veranlassung, jemanden umzubringen und ihn dann auf einem Felsen abzulegen? Und außerdem ist mir überhaupt nicht klar, wie der Täter oder der oder die Personen mit der Leiche auf dieses Plateau gelangt sind.“

„Da gibt es schon einige Möglichkeiten.“

„Ja, vielleicht wurden sie mit einem Hubschrauber abgeseilt. Aber im Ernst, so einfach ist das Ganze doch nicht. Die einzige Möglichkeit, die mir einfällt, ist die, dass mindestens zwei Personen auf den Felsen klettern und die Leiche nach oben ziehen.“

„Wäre eine Möglichkeit.“

„Sie müssten Klettererfahrung gehabt und sie müssten Spuren hinterlassen haben. Heinz, wir müssen noch einmal zum Auffindungsort und den gesamten Felsen untersuchen. Was hast du noch an Spuren?“

„Die Kollegen haben Reifenspuren gesichert, von mehreren Fahrzeugen. Aber mach dir nicht allzu viel Hoffnungen, gerade auf diesem Weg sind ständig Holztransporter unterwegs. Du kannst die Abdrücke am Montag abholen. Ich wünsche dir jetzt schon viel Glück bei den Vergleichsversuchen. Und was die Feststellung der Identität des Toten angeht. Ich habe seine Fingerabdrücke und die Personenbeschreibung noch gestern Abend dem LKA übersandt. Bin gespannt, wo dieser herzlose Mensch seinen letzten Aufenthalt hier auf Erden hatte.“

„Ich habe die Vermissten-Liste gestern noch durchgesehen, aber kein passendes Profil gefunden. Aber vielleicht ist auch die Zeitspanne noch zu kurz, als dass Angehörige eine Vermisstenanzeige erstattet hätten. Ich möchte noch mal zum Felsen.“ Ich sah mich um. „Bist du alleine heute.“

„Ja, alleine. Aber sag mir doch mal, was du am Tatort willst? Den Felsen von unten betrachten? Wir brauchen jemanden, der ihn Zentimeter für Zentimeter absucht. Und das muss ein Fachmann sein.

„Mit der Feuerwehrleiter…“

„Vergiss die Feuerwehrleiter, damit können wir die Seite oben am Weg absuchen. Aber was ist auf der dem Waldhang zugewandten Seite?“

„Überleg doch mal.“ Ich öffnete den Kühlschrank, in dem die Kollegen in der Regel schnell verderbliche Spurenträger aufzubewahren pflegten.

„Nichts zu trinken? Kein Selters?“

Peters schlug die Augen zum Himmel.

„Also, ich glaube wirklich nicht, dass sich jemand die Arbeit macht und von der Rückseite her aufsteigt. Dort sind es durch die Hanglage etliche Meter weiter nach oben. Nein, ich glaube, wenn jemand aufgestiegen ist, dann von der Seite des Waldweges her.“

„Also, was hast du vor?“

„Wir fahren noch einmal hin! Ich rufe Bresser von der Feuerwehr an. Wollen wir hoffen, dass die Drehleiter nicht im Einsatz ist.“

Bresser war einer der Feuerwehrleute, von denen man annehmen musste, dass sie schon als Feuerwehrmann zur Welt gekommen waren. Sein Leben war Feuerwehrmann, immer darauf gefasst, in den Einsatz zu müssen und dieser Einstellung war es zu verdanken, dass er auch immer der Erste war, der im Feuerwehrhaus ankam. Diesem Erfolg ging natürlich ein Ritual voraus, an dem Bressers Ehefrau Carla nicht unbeteiligt war. Die meisten Einsätze kommen nachts, das ist eine alte Feuerwehrweisheit und so standen neben dem Bett von Bresser seine Einsatzstiefel parat. Aber sie standen nicht einfach so rum. In den Stiefeln steckten die Beine des blauen Arbeitsoveralls, der Reißverschluss war geöffnet. So brauchte er nur noch aus dem Bett in die Stiefel zu springen, den Overall hochzuziehen und den Reißverschluss zu schließen: Fertig. Für all diese Vorbereitungen sorgte Carla und während er zu seinem Auto eilte, hatte sie schnell noch einen Snack aus der Schatulle in der Küche geschnappt und ihm in letzter Sekunde in die Hand gedrückt.

„Ich komme“, sagte Bresser kurz und bündig: „Sage nur noch meinem Wehrführer Bescheid, für alle Fälle, wegen der Kosten und…falls das Fahrzeug für einen Einsatz gebraucht wird. Wir treffen uns in einer Stunde am Felsenhügel.“

Kaum hatte ich aufgelegt, da klingelte mein Handy, genauer gesagt, es vibrierte in meiner Hosentasche. Auf mein Gehör alleine wollte ich mich nicht mehr verlassen, denn da hatten sich im Laufe der vergangenen Jahre schon einige Unebenheiten, um es gelinde auszudrücken, eingeschlichen. Innenohrschwerhörigkeit nenne man das, hatte mir der Arzt gesagt, was immer das auch bedeuten mochte. Mehr aber noch störten mich die ständigen Geräusche meines Tinnitus, die mal vom grellen Pfeifen wechselten in ein leichtes Hämmern, was mich an das Klopfen eines Spechtes erinnerte oder aber es war, als ob Tausende von Grillen auf einer Wiese Hochzeit feierten.

„Hallo, Heiner, ich bin` s, Leni. Ich bin unterwegs zur Dienststelle. Ich vermute, wir fahren noch einmal zum Tatort. Wo treffen wir uns?“

Ich nickte, als könne Leni mich sehen und klärte sie über meine Absichten mit Peters auf. Dabei erzählte ich ihr von dem geplanten Vorhaben, den Felsen nochmals abzusuchen.

„Okay, dann fahre ich mit meinem Wagen gleich dorthin. Ich hoffe, die Feuerwehr hat auch Leinen dabei zum Abseilen.“

„Abseilen?“

„Könnte doch erforderlich werden. Wir sehen uns nachher.“

„Leni“, sagte ich, als ich Peters` fragenden Blick sah. „Die Frau ist nicht umzubringen.“

„Sag lieber, sie lässt dich nicht im Stich. Mit ihr hast du als Kollegin einen guten Fang gemacht.“

Ich nickte. Das hatte ich allerdings, das wusste ich. Und ich wusste es zu schätzen, auch wenn es manchmal nicht so rüberkam, wie ich es eigentlich wollte.

„Mir geht das Amulett nicht aus dem Kopf.“ Ich sah Peters an, als könne er mir eine Erklärung anbieten. Okkultismus auf dem Felsenhügel, mit einem Toten, dem sie das Herz aus dem Leib gerissen haben. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“

„Dr. Grothe sagte, das Herz sei herausgeschnitten, nicht herausgerissen worden.“

„Ja, ja, ich weiß, aber damit kann ich mich ebenso wenig anfreunden. Es muss doch eine Ursache haben, dass man den Toten dort hinaufschafft. Neonazis verfolgen ihre verbrecherischen Ziele auf eine andere Art und Weise, was nicht heißt, dass es dabei nicht auch schon Tote gegeben hat. Aber nicht auf eine solche Art und Weise. Da steckt etwas Anderes dahinter, da bin ich mir sicher. Lass das Amulett im Labor untersuchen. Ich verspreche mir zwar kaum etwas davon, aber wir sollten es dennoch nicht versäumen. Ich glaube, es wird Zeit. Wir müssen los. Der Felsen wartet. Wenn ich daran denke, wird mir jetzt schon schlecht.“

„Du musst etwas gegen deine Phobie unternehmen“, grinste Peters. Es gibt da Seminare und…“

„Lass mal gut sein, es ist hoffnungslos. Ich habe schon so manches ausprobiert. Für mich gibt es nur eines: Mit beiden Beinen auf festem Boden bleiben.“

„Dazu wirst du gleich Gelegenheit haben. Auf dem Boden des Rettungskorbes der Feuerwehr-Drehleiter.“

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