Читать книгу ORGANE - Hannes Wildecker - Страница 6

1. Kapitel

Оглавление

„Terry, lass das, ich bin heute nicht in der Verfassung, mit dir Gassi zu gehen! Lisa, kannst du das nicht übernehmen? Bitte! Ich bin irgendwie geschafft heute?“

Ich versuchte, eine bemitleidenswerte Miene aufzusetzen, ließ mich auf den mir am nächsten stehenden Stuhl in der Küche fallen und betrachtete Terry, der sich sofort vor mich setzte und mich mit seinen treuen Augen ansah.

„Überarbeitet ist der Herr Hauptkommissar?“ Lisa Bauer schaute von der Seite zu mir herüber und ich glaubte einen Anflug von Ironie in ihrer Mimik zu erkennen.

„Nein, nicht überarbeitet.“ Es klang trotzig und so fühlte ich mich auch. „Du weißt genau, dass es in der letzten Woche keinen Grund dazu gab. Es darf mir doch wirklich auch einmal vergönnt sein, eine ermittlungsruhige Phase zu erwischen.“

„Und wo ist jetzt das Problem? Warum gehst du dann nicht mit Terry Gassi?“

„Weil ich…weil ich…ich glaube, ich bin krank.“

„Krank?“ Lisa zog den Ausdruck dieser Feststellung auf eine Art und Weise in die Länge, die alle Glaubhaftigkeit ad absurdum führte.

„Zumindest fühle ich mich nicht gesund. Vielleicht ist eine Grippe im Anzug.“

„Ach ja, die Frühlingsgrippe. Fieber?“

„Wie, Fieber?“

„Ich meine…hast du Fieber? Wenn man die Grippe hat, bekommt man Fieber. So ist das zumindest bei mir, wenn ich krank werde.“ Lisa, die ihr brünettes Haar in den vergangenen Monaten auf Schulterlänge hatte wachsen lassen und es heute in Form eines Knotens trug, der das schöne Gesicht mit den grünen Augen, den vollen roten Lippen und den markanten Wangenknochen so richtig zum Ausdruck brachte, stülpte einen Deckel über den größten der drei Kochtöpfe, in denen das Abendessen vor sich hin garte und wischte sich die Hände in einem Abtrockentuch ab.

„Fieber ...? weiß nicht.“ Ich legte eine Hand auf meine Stirn. Sie war kalt. „Vielleicht…ja… ich glaube schon.“

„Lass mich mal!“

Lisa legte ihre rechte Hand auf meine Stirn und sah mir in die Augen.

„Hohes Fieber, Heiner. Ich vermute, so um die 36 Grad. Da sollten wir besser Doktor Grothe anrufen. Du kannst dich schon mal ins Bett legen, ich werde das für dich erledigen.“

„Ist ja schon gut!“ Ich schlug ergeben die Augen gen Himmel, um sie dann mit kapitulierender Miene auf Terry ruhen zu lassen. Terry, das Findelkind. Terry war uns zugelaufen und der ehemalige Eigentümer hatte sich gegen die Zahlung eines Geldbetrages dazu überreden lassen, nicht auf seinem Eigentumsrecht zu bestehen.

So wechselte der Hund, den sein ehemaliger Besitzer seltsamerweise Benno getauft hatte, die Familie, und Lisa nannte ihn schlicht und einfach in Terry um, denn wie sie im Internet erfahren hatte, entstammte unser neues Familienmitglied der Rasse des „Schwarzen Terriers“.

Als ich schließlich mit Terry vor der Haustür stand und die frische Abendluft des schon fast sommerlich wirkenden Maimonats schnupperte, erschien es mir doch einigermaßen angenehmer, als in der Stube zu hocken und auf das Servieren des Abendessens zu warten.

„In einer Stunde ist das Essen fertig“, hörte ich die Stimme Lisas hinter mir. Ich hob den Arm zum Zeichen der Verständigung, ohne mich umzudrehen und ging hinter Terry her, der es keine Sekunde versäumte, die Leine straff zu halten und mir zu zeigen, wo es lang ging.

„Da kommt ja unsere Spürnase! Wohin möchte der Hund Sie denn gerne ausführen?“

Die Stimme gehörte Schaeflein, dem Pastor der Gemeinde Forstenau, der aus einer Nebengasse mit gemächlichen Schritten auf mich zukam und seinen breitkrempigen Hut kurz lüftete.

„Sie sehen ja selbst, Herr Pfarrer. Die Wildheit des Tieres siegt über die Kraft des Menschen. Übrigens, ich habe Sie beim letzten Stammtisch vermisst. Hat Ihr Chef Ihnen Überstunden verordnet?“

„Spürmann, immer für einen Scherz zu haben.“ Schaeflein lachte, wobei sein runder Bauch zu wippen begann. Der Pfarrer war von der Statur her nicht der größte und so drängte sich die Vorwölbung seines mittleren Körperteils bei der kleinsten Bewegung in den Vordergrund.

„Aber im Ernst, ich hatte tatsächlich keine Zeit. War ein paar Tage verreist, dienstlich, auch wenn das offensichtlich hier kaum jemand mitbekommen hat. Na ja, sehr vermisst haben mich meine Schäflein wahrlich nicht. An der Beteiligung der Messe am vergangenen Sonntag war die Freude über meine Rückkehr kaum zu ermessen.“

„Ja die Moral schwindet immer mehr. Während das Haus mit Ihren Schäfchen immer leerer wird, füllen sich unsere Zwangsquartiere umso mehr. Man könnte meinen, es handele sich um Überläufer.“

„Da sagen Sie was, Spürmann.“ Schaeflein erhob die Augen in Richtung Himmel. „Die Gottlosigkeit scheint immer mehr zuzunehmen. Wenn das so weitergeht, was der Herr verhindern möge, kann ich meine Messen mit den wenigen Gläubigen in der Sakristei lesen.“

„Nun malen Sie mal nicht den Teufel an die Wand! In Ihrem Beruf darf man die Hoffnung doch niemals aufgeben.“

„Ich bin Realist, Spürmann. Ich sehe, wie die Werte schwinden. Nicht generell, nein beileibe nicht. Aber in vielen Bereichen der Menschheit. Verfolgen Sie doch nur die Nachrichten! Aber wem erzähle ich das? Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Verrohung, Okkultismus, Mord an den eigenen Kindern. Was ist das nur für eine Zeit? Gerade heute berichtete der Trierer Merkur darüber, wenn auch nur als Randnotiz, was auch wiederum bezeichnend ist, dass eine Mutter irgendwo hier in Deutschland ihre drei Kinder ermordet und in der Tiefkühltruhe aufbewahrt hat. Diese Berichte liest man ständig, jede Woche. Und das hier, in unserem ach so zivilisierten Land, das in der Öffentlichkeit mit seinen Werten hausieren geht! Sagen Sie, Spürmann, was ist aus diesem Land geworden?“

„Na ja, es ist nicht alles schlecht, aber Sie haben Recht, Veränderungen sind schon wahrzunehmen.“

„Nennen Sie es, wie Sie wollen, aber wie es scheint, hat die Gottlosigkeit auch inzwischen unsere Region erreicht.“

„Wie meinen Sie das?“

„Na ja, es muss nicht allzu viel zu bedeuten haben, aber es werden immer mehr Stimmen laut, die behaupten, dass sich satanische Umtriebe ausbreiten. In einem Nachbarort, den ich wohlweißlich nicht beim Namen nennen möchte, wurden einheimische Jugendliche von schwarz gekleideten und im Gesicht bemalten Motorradfahrern belästigt und fast kam es zu Ausschreitungen, als man sie aus dem Ort vertreiben wollte. Aber Spürmann, das wissen Sie doch sicher alles selbst? Spielen Sie nicht den Unwissenden!“

„Ja, ich habe davon gehört“, gab ich nachdenklich zu. „Die Gestalten waren aber nicht aus der hiesigen Gegend. Wahrscheinlich wird man sie nicht wiedersehen.“

„Dessen bin ich mir nicht so sicher.“ Schaeflein nahm seinen Hut ab und wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn. „Eine Hitze ist das, viel zu warm für die erste Hälfte des Maimonats.“

„Wieso sind Sie sich nicht sicher?“ Ich wusste die Antwort bereits, ehe Schaeflein antwortete, aber vielleicht wusste der Pastor ja etwas, was mir selbst bislang verborgen geblieben war. Natürlich wusste ich von dem Vorfall, denn in einem benachbarten Hochwaldort hatten bei einigen Einwohnern die Alarmglocken geschlagen:

„Habt ihr die Springerstiefel gesehen? Das sind doch eindeutig Neonazis. Glatzköpfe, wenn ihr mich fragt!“, rief einer der Einheimischen, als die Gruppe den Ort verlassen hatte, obwohl man die vorurteilend als fehlend beschriebene Haarpracht unter dem Sturzhelm nicht hatte sehen können.

„Teufelsanbeter sind das!“, schrie ein anderer. „Sieht man doch sofort. Oder habt ihr keine Augen im Kopf? Das hat uns gerade noch gefehlt. Unsere Jugend ins Verderben führen!“

Ein dritter schrie seine Erkenntnis nicht lauthals heraus. Er nickte wissend und flüsterte seinem Nebenmann zu: „Hast du den ältesten der Bande nicht erkannt?“ Sein Gegenüber schüttelte verneinend den Kopf und wartete gespannt auf die Information, die sofort folgte.

„Da war einer dabei, der aus unserem Ort stammt.“

„Hier aus dem Ort?“

„Hier aus dem Ort!“

„Wer?“

„Er heißt Dirk Bartok.“

„Dirk Bartok? Kenne ich nicht?“

„War ein Zugezogener, kam um 1995 hierher und wohnte auf der anderen Bachseite zur Miete, gemeinsam mit seiner Mutter“, flüsterte der Wissende.

„Kann mich nicht erinnern.“

„Der Dirk hat ungefähr fünf Jahre hier gewohnt. Hat nie den Anschluss an die Dorfgemeinschaft gefunden und ist dann, wie gesagt, rund fünf Jahre später in einen Ort an die Saar gezogen. War ein komischer Kauz. Ging immer in Schwarz. Hatte die Augen und die Fingernägel angemalt. In der Kirche hat man ihn auch nie gesehen. Hatte kaum Kontakt zu den Leuten im Ort. War schon ein seltsamer Vogel.“

Ja, ich erinnerte mich an den Vorfall, denn besorgte Bürger hatten mir damals fast das Büro auf meiner Dienststelle eingelaufen. Ich sah Schaeflein nachdenklich an.

„Herr Pfarrer, Sie glauben, dass diese, sagen wir mal ungewöhnlich anmutenden Personen die Gegend hier weiter unsicher machen werden? Sehen Sie nicht gleich so schwarz!“

„Schwarz scheint derzeit die Modefarbe zu sein.“ Die Bemerkung des Pfarrers veranlasste mich, etwas intensiver dessen Bekleidung zu betrachten, die schwarze Hose, den schwarzen Blazer, die schwarzen Schuhe und als kleinen Farbtupfer den weißen Steg über dem schwarzen Hemd. Nicht zu vergessen, der schwarze Krempenhut, ohne den man den Pastor kaum irgendwo sah.

Schaeflein sah an sich herunter und zog die Stirn in Falten.

„Ist doch wohl etwas Anderes, oder?“ Dann wechselte er schnell das Thema.

„Sagen Sie, seit wann haben Sie eigentlich diesen Hund. Ist doch kein Diensthund, oder?“

„Nein.“ Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen und versuchte Terry, der ungeduldig an der Leine zog, zu bremsen. „Ist er nicht. Und wie er in meinen Besitz kommt? Das ist eine lange Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie Ihnen beim nächsten Stammtisch. Bis bald Herr Pfarrer, Sie sehen ja, Terry beharrt auf seinem Recht.“

Schaeflein lüftete ein letztes Mal seinen Hut und machte sich auf den Weg, während ich hinter Terry her stolperte und als ich mein Handy, das in meiner linken Hosentasche unaufhörlich klingelte, nach außen zu befördern versuchte, wäre ich um ein Haar lang auf den Boden geschlagen.

„Terry, stopp!“

Seine Reaktion überraschte mich. Terry stand tatsächlich. Wohl kaum, dass er das Kommando verstanden hätte, vielmehr war es mein kompromissloser Schrei, der ihn dermaßen einschüchterte und erst einmal zum Abwarten bewegte.

„Geht doch!“ Ich wischte mir über die Stirn, denn Terry hatte mir mal wieder bewiesen, wie es um meine Kondition stand.

„Was geht?“, tönte es aus der Leitung. „War das etwa für mich gemeint?“

Es war Kriminaldirektor Willibald Wittenstein, mein Chef beim Polizeipräsidium Trier und Leiter der Kriminalpolizeiabteilungen.

Nun war ich doch versucht, laut heraus zu lachen, denn ich hatte es noch nie erlebt, dass wir beide zur gleichen Zeit in einem Gespräch gemeinsam nach Luft ringen würden.

In meinem Fall war der Grund Terry, der mich erbarmungslos immer geradeaus gezogen hatte mit dem Ziel, alle paar Meter das Bein zu heben und sein Revier zu markieren.

Bei Wittenstein lag der Fall etwas anders. Sein Problem lag im gesundheitlichen Bereich. Er hatte Asthma und er war allergisch gegen die verschiedensten Einflüsse, die jedoch keiner der zahlreichen Ärzte, die er im Laufe der Zeit besucht hatte, im Einzelnen hatte bestimmen können. Besonders schlimm war es im Frühjahr, wenn Pollen und Blütenstaub sich ihren Weg suchten und hierbei oftmals in den Atemwegen von Wittenstein landeten.

Diese waren inzwischen so weit in Mitleidenschaft gezogen, dass er diese intensiven Phasen nur durch Inhalieren eines bestimmten Kortisons haltigen Medikamentes durchstehen konnte.

In etwas mehr als einem Jahr würde er pensioniert sein, der dienstliche Stress würde von ihm abfallen und auch die allergischen Reaktionen etwas mindern, das jedenfalls sagten ihm die Ärzte voraus.

„Nein, ich meinte meinen Hund“, antwortete ich und wusste sogleich, dass dies heute kein ruhiger Abend werden würde.

„Sie haben einen Hund? Seit wann denn das?“

„Seit ein paar Wochen. Ist mir zugelaufen“.

„Aber Spürmann, sie sind doch Polizist! Haben Sie nach dem Eigentümer gesucht?“

Der Vorwurf brachte mich zum Grinsen. „Ich bin der rechtmäßige Eigentümer, Chef. Habe dem Mann den Hund abgekauft und ihn Lisa, meiner Lebensgefährtin geschenkt.“

„Das trifft sich gut. Dann liefern Sie das Tier mal wieder bei der Eigentümerin ab und schwingen sich in Ihren Wagen. Es hat einen Toten gegeben. Offensichtlich…ach, was sage ich…mit Sicherheit war es Mord.“

„Mord? Woher wissen Sie das so genau?“

„Fahren Sie zum Tatort. Sie werden schon sehen. Ach, übrigens: Wie steht es mit Ihrer Kletterkunst? Besitzen Sie Bergsteigerausrüstung?“

Ich sah im Geiste das breite Lächeln im Gesicht Wittensteins, verkniff mir jedoch eine Bemerkung, die auf meinen Lippen nach einem Ausweg suchte.

„Der Tote liegt auf einer Felsansammlung im Waldgebiet zwischen Hentern und Schillingen“, meldete sich Wittenstein wieder. „Die Kollegen vom Dauerdienst und von der Polizeiinspektion Saarburg sind bereits vor Ort und sichern den Tatort. Rufen Sie folgende Handynummer an! Der Kollege wird Sie zum Tatort dirigieren.“

Ich notierte die Nummer mit der rechten Hand, mit der ich auch Terry festhielt, auf meinem Notizblock und der Hund gab diesen Notizen durch sein Drängen, zum nächsten Markierungspunkt zu gelangen, eine eigene Note.

„Wie es mit meiner Kletterkunst steht?“, hörte ich mich zu mir selbst reden und sah an meiner Kleidung herab. „So weit kommt es noch, dass ich einen Felsen hinaufkraxele.“

„Wann bist du wieder zu Hause?“ rief mir Lisa nach, als ich das Haus verließ und ich zuckte im Weitergehen ratlos mit den Schultern. Sie würde mir das Essen warmhalten, mein Lieblingsgericht: Rouladen mit Rotkraut und Kartoffelpüree.

ORGANE

Подняться наверх