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Firmungszeit

Jedes Jahr, wenn die Zeit der Firmungen naht, denke ich gern zurück an meine eigene Firmung. Damals war man noch sehr bescheiden. Wenn wirklich eine silberne Uhr drin war, dann war das schon großartig. Das mindeste, was heute von einem Firmpaten verlangt wird, ist, dass er ein Auto hat, einen großen, schweren Wagen, mit dem man nach der heiligen Handlung möglichst an den Königsee fahren kann oder nach Salzburg. Dass der Firmling heute eine Armbanduhr, Automatik mit Datumsangabe, oder ein Fahrrad als Firmgeschenk erwartet, ist beinahe genauso selbstverständlich. Mein letzter Firmling – im Ganzen hatte ich sechs – fragte mich gleich, ob nicht ein Moped als Geschenk herausschaue. Ich kaufte ihm, wie den andern, eine Uhr und schenkte ihm noch eine eingerahmte Karte dazu, wo ein Moped drauf war.

Zu meiner Zeit war man noch bescheidener, und es war gar nicht so selbstverständlich, dass man eine Uhr bekam oder einen guten Tag. Man saß gewissermaßen auf Kohlen während der ganzen Firmung, ob man nach dem Backenstreich des Bischofs eine Uhr bekäme oder nicht.

Mein Firmpate war ein Baugeschäftsinhaber und Maurermeister in Sendling. Zu ihm musste ich also, als es so weit war, nach altem Brauch zum Firmbitten gehn. (Mein letzter Firmling fragte telefonisch an, ob ich Lust hätte, bei ihm den Firmpaten zu machen.)

Klopfenden Herzens stieg ich damals zum zweiten Stockwerk hinauf. Als ich an der Wohnungstür läutete, öffnete mir seine Tochter. So klein ich noch war, das erkannte ich aber doch, dass sie eine Schönheit war, blond und blauäugig, mit netten Rundungen überall. Wie ein Barockengel sah sie aus. Bloß Flügel hatte sie keine. Aber sonst? Mein lieber Schwan.

Ihr Papa sei nicht zu Hause, sagte sie. Er sei vorne in der Eckwirtschaft bei seinem abendlichen Tarock.

Mit klopfendem Herzen ging ich also in die Wirtschaft. Am Ofentisch sah ich drei Männer sitzen, und ich fragte die Kellnerin, welcher von den dreien der Herr Baumeister sei.

»Der Dicke dort«, antwortete sie und deutete mit dem Kinn zum Ofentisch hin. »Magst was trinken?«

Ich schüttelte den Kopf. Freilich hätte ich gerne ein Kracherl gehabt, aber ich hatte kein Geld. Auf dem ganzen Weg hatte ich mir immer vorgesagt, was ich sagen müsste, aber jetzt fand ich lange nicht den Mut, mich dem Ofentisch zu nähern. Endlich ging ich doch hin und bat:

»Herr Baumeister, ich tät' halt recht schön bitten, ob Sie nicht meinen Firmpaten machen möchten.«

Der, den ich angesprochen hatte, nahm gerade seine Karten auf und sagte stirnrunzelnd:

»Ja, was gibst denn du wieder für ein Zeugs z'amm, Angermaier. Da möcht's ja der Sau grausn. Weiter, sag' ich.« Dann erst drehte er den Kopf und schaute mich an.

»Was möch'st, Kleiner?«

»Ein' schönen Gruß vom Vater, und ich tät halt recht schön bitten, ob Sie nicht meinen Firmpaten machen möchten.«

Er betrachtete wieder seine Karten und schüttelte den Kopf. Dann: »Von wem bist denn du?«

Gehorsam nannte ich Name und Vorname.

»So, so, vom Ernst bist du? Von was für ein' Ernst? Von dem Eisenbahner?«

»Ja, von dem. Und der Vater schickt mich, ich soll recht schön –«

Der wuchtige Schädel meines künftigen Firmpaten fuhr plötzlich raubvogelartig nach vorne.

»Ja sag einmal, Schwoaga, warum schmierst denn du dein' Graszehner nicht? Herrgott, spielst du wieder ein Zeug z'amm'! Schmiert er den Graszehner nicht, wenn d' Sau schon lang g'falln is'.« Dann, ohne mich anzuschaun: »Wann ist denn deine Firmung?«

»Am 18. Juni, Herr Baumeister . Und ich tät' halt recht –«

»Ja, ja, ist schon recht. In was für einer Kirch'?«

»In der Paulskirch'. Um acht Uhr, Herr Baumeister.«

»Also, dann kommst bis um siebn Uhr in meine Wohnung. – Also so was, schmiert der den Schellnzehner nicht. Schwoaga, du lernst es nie.«

Zu mir sagte er nichts mehr, und ich schlich mich nach einer Weile hinaus. Arg enttäuscht war ich, und eine Uhr erwartete ich bei so viel Unpersönlichkeit schon gar nicht mehr. Darüber klagte ich auch daheim.

Aber mein Vater lachte nur und sagte: »Täusch dich ned, Bua. De Dickn sind sonst alle gemütlich. Aber beim Kartenspieln darf man auch niemand störn.«

Am besagten Tag war ich natürlich schon um halb sieben Uhr in Sendling. Weil ich mich so früh noch nicht zum Firmpaten hinauftraute, stand ich lange Zeit vor dem Gemälde der Sendlinger Bauernschlacht an der alten Kirche. Mit heller Begeisterung bewunderte ich den Schmied von Kochel, wie er mit seinem Morgenstern unter den Feinden wütete. Und es tat mir in der Seele weh, dass das weißblaue Banner ihm die Sicht gegen den rotbefrackten Feind verdeckte, der seinen krummen Säbel über dem Haupt meines Helden schwang. Endlich schlug es sieben Uhr, und ich läutete wenig später an der Wohnungstür. Ich hoffte, dass der Barockengel mir wieder öffnen würde, und ich wollte etwas recht Nettes sagen. Mein Spezl, der Scherer-Alisi, hatte mir erzählt, dass man zu den Weibsleuten bloß zu sagen brauche, man hätte von ihnen letzte Nacht geträumt. Das ziehe immer. Aber vielleicht hätte ich gar nichts gesagt, denn mir war an diesem Morgen so heiligmäßig zumute. Ich hatte ja erst am Vortag noch gebeichtet und konnte doch nicht schon wieder lügen.

Zum Glück öffnete mir der Herr Firmpate selber. Er war noch in Hausschuhen und nur in Hose und Hemd. Die Hosenträger baumelten hinter ihm her. In diesem Aufzug sah er noch dicker aus. Er wog, leicht geschätzt, seine zweieinhalb Zentner.

»So, Bua, bist schon da?« lachte er. »Das mag ich, wenn die jungen Leute pünktlich sind. Geh nur rein ins Wohnzimmer und setz dich derweil aufs Kanapee. Hast schon ein' Kaffee g'habt?«

»Ja, Herr Pate«, antwortete ich niedergeschlagen, denn wie sollten wir denn noch rechtzeitig zur Firmung kommen, wenn er noch in Pantoffeln herumlief.

»Trink nur nochmal an Kaffee und nimm dir ein Stück Guglhupf, dass dir ned schlecht wird in der Kirch'. Wo bloß der damische Baderwaschl wieder bleibt. Der soll mich doch noch rasiern.«

Im selben Augenblick läutete es wieder. Es war Gott sei Dank der Bader, und ich blieb allein in dem Zimmer mit den vornehmen Biedermeiermöbeln zurück. Zuerst schob ich mir ein Stück Guglhupf in den Mund, dann sah ich mich um. An der Wand, über dem breiten Lederkanapee, sah ich sechs kleine Pantoffelchen aus rotem Samt hängen. Von jedem Pantoffelchen hing eine dünne Silberkette herunter. Meiner Meinung nach musste am Ende so einer Kette eine Uhr hängen. Ich täuschte mich auch nicht. An jeder Kette hing eine Uhr. Gerade kam ich noch vom Kanapee herunter, da öffnete sich die Türe und mein Herr Firmpate trat ein, im langen, schwarzen Flügelrock, den glänzenden Zylinder in der Hand.

»So, jetzt können wir gehn. Wie, lass dich anschaun.« Er nickte anerkennend. »Sauber bist beinander. So ist's recht. Und dass du Punkt sieben Uhr dag'wesen bist, des g'fällt mir. Unpünktliche Menschen mag ich nicht. Wo keich Pünktlichkeit in einem Menschen ist, da ist auch nicht viel Charakter. Merk dir das für dein Lehn. So und jetzt gehn wir.«

Im Hinausgehen griff er noch in eines der Pantoffelchen und steckte etwas in die Tasche. Nun war mir alles egal. Von mir aus konnten wir jetzt auch zu spät kommen, denn ich hatte gesehn, wie der Herr Pate eine Uhr in seine Tasche gesteckt hatte. Wahrscheinlich werden wir jetzt mit der Trambahn fahren, dachte ich. Aber dann begann mein Herz zu hüpfen vor Freude, denn vor der Haustür stand ein Fiaker, eine schwarzlackierte Kutsche, vor die ein rassiger Apfelschimmel gespannt war. Wir stiegen ein, und mein Pate sagte zu dem Kutscher:

»Heut leidet es keinen Zuckltrab, Moser.«


Der Kutscher schnalzte mit der Zunge, dann ging es in flottem Trab dahin. Mein Pate sprach auf dem ganzen Weg kein Wort. Erst als wir bei der Bavaria vorbeikamen, fiel ihm plötzlich ein: »Hast es g'sehn, wie du damals beim Firmbitten da warst, dass der Schwoaga sein Graszehner nicht gschmiert hat. Ja so, du werst noch nicht viel verstehn vom Kartenspieln!«

»Sechsersechzgerln kann ich schon.«

Die Glocken der Paulskirche läuteten mit schönem Hall, als wir vorfuhren. Was für eine Wonne. Der Metzger-Schorschl kam auch gerade daher mit seinem Firmpaten. Zu Fuß natürlich. Ich sprang aus der Kutsche und reichte meinem Paten die Hand, damit er leichter herunterkam. Dem Schorschl trieb es direkt die Augen raus.

Die Kirche war schon gesteckt voll. Und da passierte etwas, das ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen werde. Ein uraltes Weiblein mit schlohweißem Haar und abgearbeiteten Händen rutschte im hinteren Kirchenstuhl zur Seite, damit wir beide noch Platz fänden. Dann fasste sie mich am Ärmel und flüsterte:

»Rutsch nur her zu mir, Büberl. Ich bet' schon fest für dich, dass es dir im Leben einmal recht gut geht.« Eine ganz fremde Frau, eine Mutter voller Güte. Die Perlen des Rosenkranzes glitten durch ihre mageren Finger.

Nach der Firmung langte mein Pate in die Tasche und überreichte mir, ohne ein Wort zu sagen, Uhr und Kette. Anschließend fuhren wir wieder mit dem Fiaker in die Innenstadt in das Gasthaus »Zu den drei Rosen« zum Mittagessen. Dort warteten bereits seine zwei Tarockbrüder auf ihn. Jeder von ihnen hatte ebenfalls einen Firmling, und ich zeigte den fremden Buben sofort meine Uhr. Leider hatten sie aber auch eine.

Es gab eine Grießnockerlsuppe, dann eine Schweinshaxe mit Kartoffelknödel und als Nachspeise ein Eis. Anschließend fuhren wir alle sechs mit der Trambahn nach Hellbrunn zum Tierpark hinaus. Wir Buben bekamen ein Stück Torte und ein Kracherl. Die Paten tranken Bier, und es dauerte nicht lange, da verlangten sie von der Kellnerin Tarockkarten. Sie spielten den ganzen Nachmittag, indessen wir Buben uns die Seelöwen und die Affen anschauten.

Abends bekam ich dann im Gasthaus »Zum grünen Baum« noch einen gefüllten Pfannkuchen. Dann begleitete mich mein Pate zur Trambahn, kaufte mir ein Pfund Kirschen und drückte mir ein Zehnerl in die Hand für das Fahrgeld.

»Ja, ja, ist schon recht«, sagte er, als ich mein Vergelt's Gott anbringen wollte. »Sagst ein' schönen Gruß daheim und lass dich wieder einmal sehn. Jedes Jahr, am 19. März, da hab' ich meinen Namenstag. Da kommst in das Gasthaus, wo wir heut zu Mittag gegessen habn. So – und jetzt b'hüt dich Gott, bleib brav und schau, dass einmal was G'scheites wird aus dir im Leben.«

Daheim erfuhr ich erst von meinem Vater, dass dieser Baumeister aus Sendling jedes Jahr sechs bis sieben Buben zur Firmung führte und dass er dies tat, weil er glaubte, dass man etwas für sein Seelenheil tun müsse. Im nächsten Jahr ging ich also am 19. März in das Gasthaus »Zu den drei Rosen«. 76 Firmlinge aus all den Jahren vorher waren bereits versammelt. Schwer und massig, aber mit einem unergründlich gutmütigem Lächeln saß der Herr Pate unter uns, bewirtete uns mit Kaffee und Kuchen, und jeder musste ihm seine Uhr zeigen, ob sie noch glänze und gehe. Im darauffolgenden Jahr waren es 82 Buben. Im dritten Jahr aber ging ich nicht mehr hin, weil meine Uhr kaputt war. Als sie einmal nicht mehr ging, hatte ich sie auseinandergenommen. Zum Schluss blieben mir drei Rädchen übrig.

Im Jahr darauf aber war dieser vortreffliche Mann und Firmpate von einer halben Kompanie Buben nicht mehr unter den Lebenden. Ein Herzschlag hatte seinem Leben ein Ende gemacht.

Der Bauernknecht und andere Geschichten

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