Читать книгу Der Bauernknecht und andere Geschichten - Hans Ernst - Страница 9

Оглавление

Im Blick zurück

Ich weiß nicht, ob es andern auch so ergeht. Aber je später ich in den Abend hineinkomme, desto klarer steigen die Bilder der Vergangenheit in mir auf, beginnen zu glänzen und bewegen mich mit starker Eindringlichkeit, so dass ich meine, dies oder jenes sei erst gestern gewesen. Zum Beispiel, dass es bei uns daheim recht arm zugegangen ist. Wenn größere Anschaffungen zu machen waren, dann studierte meine Mutter immer die Stellenangebote in der Zeitung nach einem Zugehplatz. Und so ging meine Mutter in die Häuser reicher Leute zum Putzen. Mich nahm sie als Kind immer mit.

Bei so feinen Leuten ging es viel nobler zu als bei uns. Die ließen uns schon spüren – nicht alle zwar, dass wir sozial unter ihnen standen. Aber es waren auch nette Leute darunter, die dem Buberl der Putzfrau auch einmal ein Bonbon schenkten.

Einmal waren wir im Haus eines Bankdirektors. Meine Mutter sagte, dass man zu der Frau auch Frau Direktor sagen müsse. So klein ich auch war, aber ich dachte doch darüber nach, warum man zu der Frau auch Frau Direktor sagen müsse, wenn doch ihr Mann diesen Beruf ausübte. Außerdem war diese Frau Direktor gar nicht schön. Sie hatte ein Doppelkinn und eine Stupsnase, und ich konnte sie vom ersten Moment an nicht leiden, weil sie meine Mutter gleich fragte, ob sie nicht auch meine, dass fünfzig Pfennige in der Stunde für eine Putzfrau zu viel wären.

Die Stupsnase hatte auch ein Töchterlein, das Mausi gerufen wurde. Die Mausi mochte mich und konnte so herzlich lachen, wenn ich sagte, sie solle nur Obacht geben, dass sie von keiner Katze gefressen werde, weil besonders die Kater die Mäuslein gern mögen zum Abendbrot. Aber ich würde sie schon in Schutz nehmen, wenn sie mir die Hälfte ihrer Schokoladentafel schenkte. Das tat sie dann auch.

Ich durfte meist in der Küche in einem Winkel sitzen. Die Mausi war viel bei mir, aber das sah ihre Mutter nicht gerne. Aber die Mausi beharrte eigensinnig darauf und schrie:

»Ich will beim Putzfraububi bleiben.«

Ich mochte sie auch und lehrte sie sagen: »Bis dich der Teifi holt.«

Damit meinte ich aber ihre Mutter, die ein rechter Geizkragen war. Der Bankdirektor war ein großer Mann mit einem dicken Bauch, einem blonden Vollbart, einer vaterländischen Gesinnung und einer tiefen Bassstimme. Manchmal setzte er sich ans Klavier, spielte und sang dazu »Es braust ein Ruf wie Donnerhall« oder »Fern bei Sedan, auf den Höhen«.

Einmal fragte er meine Mutter, welche Parteirichtung ihr Mann vertrete. Ob er vielleicht gar ein Sozialdemokrat wäre.

»Nein«, sagte meine Mutter, »mein Mann ist Eisenbahner.«

Meine Mutter verstand von der Politik nichts. Sie war mit der Lehre Christi zufrieden und mein Vater ein Königstreuer. Ihre Politik hieß Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit. Sie kniete am Boden und schrubbte mit Wurzelbürste und Seifenlauge die Böden. Manchmal hing ihr eine Strähne ihres blonden Haares über das Gesicht. Dann schob sie die Unterlippe vor, blies die Strähne weg und kühlte damit auch ihre schweißtriefende Stirn. Sie tat mir immer in der Seele leid, meine schöne, zierliche Mutter, dass sie am Boden knien und fremder Leute Böden schrubben musste, und ich schwor mir, wenn ich einmal groß bin und Geld verdiene, dann braucht sie nie mehr zum Putzen gehen.

Dann fuhren die Bankdirektors vier Wochen in Urlaub auf die Insel Sylt. Die Mausi weinte, weil sie lieber bei mir geblieben wäre. Aber ihre Mutter sagte, dass sie jetzt dringend der Erholung bedürfe. Ich verstand zwar nicht, warum sie Erholung brauchte, denn alle Dreckarbeit musste doch meine Mutter tun. Meine Mutter sagte nie, dass sie einen Urlaub brauche.

Als ich mich von der Mausi verabschiedete, sagte ich zu ihr, dass sie nur Obacht geben solle, damit sie auf Sylt kein Kater fresse. In ihrer kleinen Herzensnot schenkte sie mir eine ganze Tafel Schokolade und bat, dass ich sie nicht vergessen solle, und sie würde mir aus Sylt schon was mitbringen, eine Muschel vielleicht oder ein Krebstierchen. Kinderliebe nennt man das. Manchmal ist so eine Kinderliebe sogar von Dauer. Manchmal fällt sie schnell wieder auseinander. Es ist auch schon vorgekommen, dass aus einem Kinderpaar ein Ehepaar geworden ist.

Mir wäre himmelangst gewesen, wenn ich die Stupsnase als Schwiegermutter bekommen hätte. Aber auch er, mit seinem ewigen »Es braust ein Ruf wie Donnerhall«, wäre nicht der richtige Schwiegervater gewesen. übrigens war die Stupsnase auch ein verlogenes Luder, denn sie sagte zu meiner Mutter, wenn sie während ihres Urlaubs in der Woche zweimal die Blumen gieße, bringe sie ihr von Sylt etwas mit. Sie hat aber nichts mitgebracht und holte meine Mutter auch nicht mehr zum Putzen. Vielleicht hatte sie eine gefunden, die das für vierzig Pfennig die Stunde machte. Bei Bankdirektors war es also nichts mehr. Aber meine Mutter hatte gleich wieder einen Zugehplatz. Sie fand in der Zeitung ein Inserat, wonach ein Dichter eine kräftige Zugehfrau suchte. Meine Mutter besaß auch Mut, denn sie meldete sich als kräftige Frau, obwohl sie klein und zierlich war.

Ich stellte mir unter einem Dichter einen Mann vor, der etwas dichtet, eine Wasserleitung oder so etwas. Was hat so ein Knirps schon für Berufsvorstellungen? Die Frau des Dichters sagte bei der Vorstellung, dass man als Dichter berufen sein müsse und begnadet zugleich. Zu meiner Mutter sagte sie auch noch: »Aber kräftig sind Sie auch nicht gerade, Frau Ernst. Bei uns muss nämlich eine Zugehfrau auch Holz und Kohlen aus dem Keller in den dritten Stock herauftragen.«

Meine Mutter traute sich das ohne Weiteres zu, obwohl das bei uns daheim immer der Vater machte. Aber ich wollte der Mutter helfen, soweit meine kindlichen Kräfte reichten. Dabei war die Frau des Dichters jung und stark. Aber sie muss immer sehr müd gewesen sein, denn sie lag viel auf einem Sofa und rauchte dauernd Zigaretten in einer langen Spitze. Dabei erzählte sie so nebenbei von ihrem Mann, den sie des Öfteren zu inspirieren habe. Er dichte oft, dass ihm der Kopf rauche, und dann lege sie ihm immer ein nasses Tuch um die Stirne. Dabei trage ihr Waldemar sie aber auch auf Händen. Ich dachte mir, wenn er sie einmal fallen lässt, dann ist sie hin.

Der Dichter selber war ein langer, dürrer Mann, ganz sicher doppelt so alt wie sein »Blümchen«, denn er hatte kaum mehr Haare, nur um die Ohren herum so einen grauen Kranz.

Sie schleckte auch immer viele Pralinen und las immer Bücher von der Courths-Mahler. Anscheinend gefielen ihr die besser als die Produkte ihres Mannes. Manchmal, wenn ich sie recht treuherzig anschaute, wurde sie gnädig und sagte: »Da, Knäblein, hast du auch eine Praline. Iss sie aber mit Verstand!« Knäblein, sagte sie zu mir, nicht Bubi.

Sie war so gottbegnadet faul, dass sie mitten unterm Pralinenknabbern ihren Mann aus seinem Dichtertempel rufen konnte.

»Ach, Waldemar, ich liege so schlecht. Kannst du mir nicht die Kissen richten?« Dazu hätte sie nicht ihren Waldemar gebraucht. Das hätte ich auch tun können.

Der Waldemar kam dann, sagte Blümchen zu ihr und richtete die Kissen. Dann sagte sie: »Ich danke dir, mein Schätzchen. Hoffentlich hast du jetzt den Faden nicht verloren.«

Ich dachte, wie kann man denn einen Faden verlieren, wenn man einer faulen Frau die Kissen unter den blonden Lockenkopf schiebt? Wozu braucht denn ein Dichter überhaupt einen Faden?

Der Blondschopf sagte, dass man das Dichten nicht erlernen kann. Dazu bedürfe es wirklich der Begnadung. Wenn die Begnadung über ihn kam, dann musste es in der Wohnung ganz still sein. Aber am Tag wurde er nur so zwischenhinein einmal für kurze Augenblicke begnadet, meistens in der Nacht, sagte seine Frau, so bis gegen drei Uhr in der Früh'. Und sie liege dann im Bett und warte auf ihn, bis ihn die Begnadung verlassen habe. Dann komme er ganz erschöpft zu ihr, und sie müsse ihm dann mit ganz zarten Fingern über die Dichterstirne streicheln. Und sie sprächen dann von einem neuen Stoff, den er verarbeiten müsse.

Das alles erzählte der Blondschopf meiner Mutter. Die erzählte es wieder meinem Vater. Und der sagte dann:

»Ja, ja, unser Herrgott hat an großen Tiergarten. Und überhaupt, um drei Uhr in der Früh', da möcht' i schlafen.«

Aber sonst war es ganz nett in dem Poetenhaushalt. Bloß schade, dass keine Kinder da waren, mit denen ich hätte spielen können wie mit der Mausi. Aber der Blondschopf meinte, Kinder verderben bei einer Frau bloß die Figur, und sie habe ja ihren Waldemar zu bemuttern. Einmal sagte meine Mutter, dass der tiefere Sinn einer Ehe doch Kinder wären. Was solle denn aus einem Volk werden, wenn es keine Kinder mehr gäbe? Das wisse sie nun allerdings nicht, meinte die Dichtersfrau. Im Übrigen erzeuge ihr Waldemar dauernd Kinder. Geistige Kinder halt. Und es sei eben die Frage, was wertbeständiger sei. Darüber könne ihr wohl die Putzfrau auch keine Auskunft geben.

Der Bauernknecht und andere Geschichten

Подняться наверх