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Der Bauernknecht

Ganz zwangsläufig, weil es die Umstände, das Schicksal oder die Vorsehung so wollten, wurde ich ein Bauernknecht. Wahrscheinlich spielte da auch das Blut meiner Vorfahren mit, dass ich so an der Erde hing. Und wenn man so unverschämt jung ist und so fröhlichen Herzens, dass man über jeden Stein hätte lachen können, dann spürt man die Härte und die Plage eines langen Bauerntages nicht. Was einem zu schaffen macht, wenn man von den Knabenjahren ins Männliche hinaufsteigt, das ist die Liebe. Ich nahm nicht bedenkenlos, was sich bot und hatte damals schon einen Sinn für das Schöne. Es fehlte mir bloß die Erkenntnis, dass auch in einem weniger schönen Gesicht eine schöne Seele wohnen könnte.

Heute sagt man nicht mehr Bauernknecht, sondern landwirtschaftlicher Facharbeiter. Das Wort Knecht hat etwas Erniedrigendes. Man kann sich das gar nicht mehr vorstellen, denn heute kann so ein landwirtschaftlicher Facharbeiter zu seinem Herrn sagen: »Morgen Vormittag hab' ich keine Zeit für d' Arbeit, da muass ich mit meinem Wagn zum TÜV.«

Damals gehörten wir Bauernknechte mehr oder weniger zu den Ausgestoßenen. Im Wirtshaus durften wir nicht am Tisch der Bauern sitzen, wir hatten weit hinten am Ecktisch Platz zu nehmen. Auf dem Tanzboden durfte es kaum ein Knecht wagen, sich eine Bauerntochter zum Tanz zu holen. Mit ganz wenigen Ausnahmen bekam man da einen Korb. Und wenn mir heute einer käme und mir sagte, das stimmt nicht, dann könnte ich ihm tausendfach beweisen, dass es doch so war.

Ich war in die Jahre gekommen und hatte die Wanderung über verschiedene Bauernhöfe im Gebirg angetreten. Damals verdiente ein Bauernknecht in der Woche vier Mark. Wenn man bei einem Bauern den Dienst angetreten hatte, dann verlor man auch seinen Namen. So war ich über die vielen Jahre hinweg nicht mehr der Ernst Hans, sondern der Aumüller-Hans, der Hößentaler-Hans, der Lichtenegger-Hans, der Schwaiger-Hans usw. Man könnte so was auch Pseudonym nennen. Die Hauptsache war, dass man sich unter all den Decknamen seinen eigenen Namen ehrlich bewahrte. In den Zeugnissen stand ja auch jeweils: Er war ehrlich und fleißig. Weiterer Kommentare bedurfte es nicht, obwohl man auch dazuschreiben hätte können: Hat immer fleißig mitgebetet.

Das Gebet gehörte nun einmal jeden Tag vor dem Essen zur christlichen Hausordnung. Es wurde mit wenig Andacht heruntergeleiert. Ich glaube aber, dass der liebe Gott gar nicht so scharf darauf gewesen wäre, unser Gast zu sein, denn bei einem Bauern zum Beispiel, bei dem ich zwei Jahre war, gab es tagtäglich zu Mittag Knödl und Kraut und abends Kraut und Knödl. Das Kraut schmeckte immer so, als ob ein Stück Gselchtes mitgekocht worden wäre. Aber man fand nie ein Stückl Gselchtes darin. Das müssen die Heinzelmännchen rausgefischt haben oder, was noch eher anzunehmen ist, der Bauer hat es selbst gegessen, wenn wir wieder draußen waren.

Da konnte man dann am Sonntag schon wirklich andächtiger beten, weil es da Fleisch gab. So war ich langsam die Leiter der Berufssparte hinaufgestiegen, vom Bua zum Unterknecht, Oberknecht und Fuhrknecht. Die nächste Sparte wäre dann Baumeister auf einem größeren Gut gewesen. Aber das erreichte selten einer. Um Verwalter zu werden, bedurfte es bereits einer höheren Schule.

Bei allen Demütigungen, denen ich als Bauernknecht oft ausgesetzt war, verlor ich mich doch immer tiefer an die Schönheiten dieser Erde, an die Gräser, die da wuchsen, an das herrliche Blühen, wenn der Frühling kam, an das stille Reifen und das große Schweigen des Ackers, wenn der Pflug ihn durchschnitt. Ich fing an, alles mit anderen Augen zu betrachten und sammelte in jenen Jahren Erfahrungen mit Menschen und Tieren und allem, was die Erde trug, in so reichem Maße, dass es bestimmend wurde für mein späteres Leben. Es wuchs mir die Gabe zu, einen Menschen zu erkennen und zu erforschen bis auf seinen tiefsten Grund. Und es gab so prächtige Bauernmenschen darunter, als hätte Defregger den Männern die Seele eingehaucht und Leibl den Frauen. Ich lernte die Güte und die Liebe kennen, den Hass und bitterste Feindschaft. Dieses Sehen, Ahnen und Erkennen hat mich geprägt und nie mehr verlassen. Damals fing ich an, von meiner einstigen Kinderliebe, der Wurzi in München, zu schreiben. Manch Kluges war darunter, aber auch viel Dummes und Törichtes.

Thekla hieß einer der Kühe, ein breitgebautes Monstrum von Kuh mit sanften Augen, die ein Kälbchen erwartete, nachdem sie es tapfer ausgetragen hatte. Veronika war die Magd, die bei ihr wachen musste. Sie war sieben Jahre älter als ich, eine Magd am Hof mit zwei Mark Wochenlohn. Aber auch in einer Magd glutet das Verlangen nach Liebe, und als sie mich fragte, ob ich ihr nicht helfen wolle in der Nacht, da ahnte ich noch nicht, was sie mit mir im Sinn hatte.

Zuerst saßen wir hinter der Kuh auf einem Melkschemel. Die sind nicht breit, und wir saßen ziemlich eng zusammengepresst. Von ihren Hüften ging es so warm auf mich über.

Die Veronika richtete die Stricke her und einen Eimer mit Wasser und sagte dabei: »Hoffentlich geht's guat, dann brauch' ma neamd wecka.«

Dann saß sie wieder nah bei mir. Die Kuh dreddelte bereits unruhig umher, und die Veronika philosophierte:

»So a Kuah hat's eigentlich schee. De entbindet und braucht hernach ned auf ein Vormundschaftsgericht. So schee wia a Kuah möcht' ich's auch habn. Dann brauchet i bloß Milli gebn und fressn.«

»I bin scho' liaba a Mensch«, sagte ich.

»Und was für einer. Du bist allweil so z'ruckhälterisch. Woaßt du überhaupt, dass es zweierlei Leut gibt?«

Dann war es so weit. Die Veronika band die Stricke an die herausragenden Kälberfesseln, und wir zogen. Es war ganz einfach.

»Scho' wieder a Stierkaibl«, sagte die Veronika.

Dann wuschen wir uns die Hände. Daneben war eine leere Boxe, in der viel Stroh gelagert war. In diesem Stroh erwachte ich dann aus einem rauschähnlichen Zustand. Weil aber nicht bloß das Blut allein rauschig geworden war, sondern auch das Herz dabei einen gewissen Anteil hatte, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass jede Nacht eine Kuh kälbern möchte und die Veronika zu wachen hätte. Dabei fiel mir auch ein, dass mir einmal ein alter Korbflechter gesagt hatte:

»Bua, lass dir g'sagt sein, wenn's einmal so weit ist, dann nimm eine Ältere, weil die mehr Erfahrung hat.« Jedenfalls war ich dieser Veronika dankbar und ging mit ihr noch manches Mal ins Stroh, bis der Bauer dahinterkam. Das gab vielleicht einen Krach.

»In einem christlichen Haushalt ko so was ned geduldet werdn«, schrie er. »Hausbrot essn, des gang grad noch ab.«

Eins von uns musste den Hof verlassen. Die Veronika weinte bitterlich, denn sie wusste nicht, wohin unterm Jahr. Und so schnürte halt ich wieder einmal mein Bündl und suchte mir einen andern Platz. Später habe ich dann erfahren, dass der christliche Bauer das »Hausbrot« selber gegessen hat. Aber bei ihm war das anscheinend keine Sünde.

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