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Doch auch das Leben des Strafgegangenen ist schwer und dunkel genug. Gewiss, es gibt eine kleine Gruppe, die sich wohl fühlt, für die Strafe überhaupt keine Strafe ist. Es sind das in der Hauptsache junge Burschen vom Lande mit wenig entwickelter Intelligenz und geringem Trieb zum andern Geschlecht, ihre ganze Sorge konzentriert sich darauf, dass sie auch genug zu essen bekommen.

Zu ihnen treten die Walzenbrüder, die meist wegen Bettelei ihre sechs Wochen »abreißen«. Sie, die teilweise sehr oft vorbestraft sind (ich lernte einen kennen, der seine 43. oder 44. Strafe verbüßte), stehen der Strafhaft mit heiterer oder brummiger Gelassenheit, jedenfalls mit Gelassenheit gegenüber. Für ihre Einstellung scheint mir eine Frage kennzeichnend, die der eben erwähnte Rekord-Vorbestrafte an einen Untersucher, einen halb verzweifelnden älteren Beamten richtete: »Na, du bist wohl auch ein bisschen zur Erholung hier?« Das war kein Witz, ihm war es ernst mit dieser Frage. Für den Stromer ist das Gefängnis eine Erholung.

Aber das ist die Minderzahl, die andern leiden schwer genug. Und auch hier machen, wie bei den [20]Untersuchungsgefangenen, sinnlose, gedankenlose Grausamkeiten des Reglements das Schwere unnötig schwerer.

Warum darf ein Strafgefangener nur alle vier Wochen einen Brief absenden und empfangen? Ausnahmen sind statthaft, müssen aber in jedem einzelnen Fall erbeten werden, ihre Bewilligung ist ungewiss.

Warum darf er nur ein Bibliotheksbuch in der Woche bekommen? Gewiss, er soll arbeiten, aber, wenn er seine Arbeit getan hat, warum soll er da nicht lesen dürfen? Da sitzt er nun mit einem Kriegsecho, einem Roman von der Mahler oder gar einem jener elenden Traktätchen, die ein völlig verlogenes Hirn geschrieben haben muss, und liest es nun zum dritten Mal Wort für Wort, Satz für Satz, Seite für Seite – muss sein Hirn da nicht revoltieren?

Die lyrischen Dichter haben Unrecht: Kein Gefangener in einer preußischen Strafanstalt darf, das Gesicht gegen die Stäbe seines Gitters gepresst, dem Zuge der Wolken nachschauen oder sein Herz an Baumwipfeln erfreuen. Das Reglement verbietet das. Zum ersten ist sein Fenster aus geripptem, milchigem Glase, durch das kein Gegensand zu unterscheiden ist, dann aber darf er gar nicht auf sein Bett klettern und oben durch den freien Raum des Klappfensters spähen. Das wird streng bestraft. Ich habe selbst erlebt, dass ein Gefangener für diese Sünde mit drei Tagen schweren Arrests belegt wurde. Fluchtversuche werden mit schwerem Arrest bestraft. Die Beschädigung von Bibliotheksbüchern wird mit schwerem Arrest bestraft. Unbegründete Beschwerden werden mit schwerem Arrest bestraft.

Was schwerer Arrest ist? Eine Zelle im Keller, 1,80 m lang und breit, der meiste Raum wird von einer [21]Holzpritsche eingenommen. Wasser und Brot. Keine Bewegungsmöglichkeit. Keine Wärme. Am zweiten bis dritten Tag hat sich der Gefangene schon wund gelegen, das Frostgefühl verlässt ihn nicht mehr.

Strafe? Ja, Strafe, er hat ja aus dem Fenster gesehen.

Hier scheint das Missverhältnis so groß, dass ich beim Schreiben zögere. Sätze fallen mir ein, die ich von Beamten gehört habe: »Frieren sollt ihr ja.« – »Es soll ja eine Strafe sein.« – »Es soll ja schwer sein.«

Ich verstehe nichts mehr.

Wie ist das eigentlich? Jemand wirft in der Betrunkenheit ein paar Scheiben ein und prügelt eine Frau: neun Monate Gefängnis. Jemand schlägt aus Eifersucht seine Liebste tot: acht Jahre Zuchthaus. Jemand bittet einen anderen um zehn Pfennige: sechs Wochen Gefängnis.

Ich werde eifrig, ich beginne zu rechnen: Sechs Birnen weniger sechs Äpfel, was macht es? Ah, ich beginne zu begreifen, Strafe, Bestrafung, das ist etwas Überliefertes, etwas, von dem längst der Sinn verloren ging. In der Kirche singen sie ja auch Lieder und sagen Gebete auf, ohne dass sie sich etwas dabei denken: Der Sinn ist verloren gegangen, die Einrichtung besteht noch.

Wer denkt an Sühne, Reue, Buße? Wird es gut, bist du wieder der Alte, wenn du nach neun Monaten frei wirst? Gar nicht.

Heute ist es so, dass es gewisse Spielregeln gibt. Man kann sie außer Acht lassen, dann muss man bezahlen mit acht Jahren oder neun Monaten, je nachdem. Fünf Mark sind auch nicht das Buch, das du dafür kaufen willst, Geld und Buch sind etwas ganz Verschiedenes, aber unter gewissen Umständen sind fünf Mark eben doch das Buch.

[22]Eine der ersten Fragen, die der Strafgefangene an den Ankömmling richtet, lautet: »Hast du auch etwas davon gehabt?« Er will wissen, ob du deine Ware fürs Geld bekommen hast, denn er hat gelernt, dass man auch unwissentlich die Spielregeln verletzen kann. Doch nur von der wissentlichen Verletzung hat man etwas. Er grinst über das Gerede von Strafe, Reue, Besserung. Das ist es ja gar nicht. Und er hat sicher recht. Man gibt Geld für das Buch, man gibt Lebenszeit für die Tat. Alles andere ist unwahres Gerede, diese kalte, klare Tatsache zu umnebeln.

Darüber sei man sich klar. Und ist man so ehrlich, so grenze man auch den Begriff Strafe reinlich ab. Sie ist eine Freiheitsberaubung mit Arbeitszwang. Alles andere lasse man fort. Was soll das, dass der Gefangene keine Briefe schreiben soll? Er soll keine Ablenkung haben, zur Besinnung kommen, Reue verspüren? Glaubt man, dass ausgerechnet der Gefangene dazu da ist, das Rätsel von Gut und Böse zu lösen oder von der Willensfreiheit des Menschen?

Das ist alles Unsinn. Auch hier Reinlichkeit. Dies und dies ist deine Strafe, sonst nichts, damit ist es gut. (Damit ist es noch lange nicht gut.)

Warnung vor Büchern. Erzählungen und Berichte

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