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Eine halbe Stunde lang hatte Frau Hackendahl mit Stemmeisen, Hammer und Zange an dem Vorlegeschloß zur Kellertür gearbeitet, sie hatte die Krampe krumm geschlagen, den Bügel verbogen, sich die Finger verletzt – aber das Schloß hatte sie nicht aufbekommen.

Nun saß sie erschöpft und verzweifelt auf einer Treppenstufe; in der Ferne, durch zwei Türen hindurch, meinte sie, den gefangenen Sohn rufen zu hören. Aber er rief umsonst, sie konnte nicht zu ihm. Wenn sie sich vorstellte, daß sie um ein nutzlos verdorbenes Schloß den schwersten Sturm bei ihrem Manne heraufbeschworen hatte, so erfaßte sie eine immer stärkere Verzweiflung.

So wie hier war es ihr in ihrem ganzen Leben ergangen: keine schlechten Vorsätze, nicht einmal weniger Mut als jeder andere, aber es gelang ihr nichts. Ihre Ehe war ihr nicht gelungen, ihre Kinder waren nicht so geworden, wie sie erhofft hatte, sie hatte das Schloß nicht aufbekommen.

Sie warf einen Blick auf dieses ekelhafte Eisenschloß. Jawohl, man hätte einen Schlosser holen können, aber man zeigte einem Fremden nicht die Schmach im eigenen Hause. Sie hätte auf den Hof gehen und an der Kellerluke horchen können – aber an allen Fenstern konnten Nachbarn sitzen und lachen, es ging wiederum nicht. Das Leben war so zugebaut, man konnte dem eigenen Mann nicht sagen, was einem zum Überdruß an ihm mißfiel. Und wenn man es ihm sagte, so hörte er nicht, und wenn er hörte, so änderte er sich nicht. Das Leben war so ausweglos, immer dasselbe, es war nicht zu ertragen, keinesfalls, und man ertrug es doch!

Man wurde dick und alt dabei, das Essen schmeckte meistens – und dann war da das Blödeste von allem, diese kleine unsinnige Hoffnung im Herzen, es könnte doch noch einmal anders werden. In diesem alten, verbrauchten, überquellenden Körper saß noch genau dieselbe Hoffnung wie in dem jungen Mädchen. Nie, nicht ein einziges, klimperkleines Mal hatte sie sich erfüllt, aber sie war da, hartnäckiger als je, sie flüsterte: Wenn du das Schloß aufbekommst und Erich frei ist, wird vielleicht doch noch alles anders!

Idiotisch – aber es war so. Es war nur dies alberne Schloß zwischen ihr und einem anderen, besseren Leben, wie es immer nur eine ganze Kleinigkeit gewesen war, die sie nicht zum Genuß ihres Daseins hatte kommen lassen. Das war das Allerschlimmste: Es waren stets nur Kleinigkeiten gewesen, niemals eine große Tragödie.

Auch ihrem Erich war kein anderes Los gefallen, über ein paar Mark sollte er zu einem halben Verbrecher und heimatlos werden, um eine Kleinigkeit. Das Leben war so erschreckend eng, es geschah rein gar nichts, wenn ein Mädel in der Nachbarschaft ein Kind kriegte, so sprach man viele Jahre davon. Kleine Leute, kleine Schicksale – sie hatte einen ungeheuer aufgeschwemmten Leib, aber der Kern in ihr, das, was sie selbst war, das war noch genau so groß wie damals, als sie eine ganz junge Auguste gewesen war, der war nicht mit gewachsen.

Sie sitzt da auf ihrer Kellertreppe, sie sieht das Schloß an, und dann schaut sie in ihren Schoß. Sie weiß, sie bekommt das Schloß nicht auf, und sie weiß, der Erich wird vielleicht darum unglücklich, vielleicht hängt er sich sogar darum auf, aber sie wird doch nicht den Otto rufen oder den Schlosser. Sie kann nicht aus sich heraus.

Sie sitzt da und grübelt. Sie hat die primitive Phantasie einer Siebzehnjährigen. Sie versucht, sich den Keller vorzustellen, ob da Haken sind und Stricke, ob er auch hoch genug ist dafür … Aber dann fällt ihr ein, sie hat mal in der „Mottenpost“ gelesen, einer hat sich an der Türklinke aufgehängt. Und nun fällt ihr ein, daß Erhängte eine blaurote, geschwollene Zunge aus dem Munde strecken und daß sie in die Hosen machen sollen …

Da überwältigt sie der Schrecken, sie springt auf und fängt an zu schreien und schlägt mit dem Hammer gegen die Kellertür, sie trommelt und brüllt: „Tu es nicht, Erich! Tu es nicht, deiner Mutter zuliebe!“

Es ist nichts Bewußtes, was sie tut, sie hört nicht einmal, was sie schreit. Aber das gemarterte Herz in ihr quält sich, und sie tanzt herum, tanzt ihren grotesken Schmerzenstanz … Und als Otto und Rabause erschrocken die Kellertreppe hinabstürzen und angstvoll fragen: „Was ist denn los?“, da schreit sie nur und deutet: „Er hängt sich auf! Jetzt hängt er sich auf!“

Oh, dieses Leben ist eine komplizierte Sache: Wäre Frau Auguste Hackendahl ein wenig bewußter, wacher, klüger, so würde man sagen, sie hat dieses ganze Theater bloß darum aufgeführt, damit die Männer für sie die Kellertür aufbrechen, damit sie doch ihr Ziel erreicht, nicht an der Kleinigkeit eines Schlosses scheitert. Denn ihr Geschrei, ihr Weinen, ihre Aufregung, ihre panische Angst verhindern alle Fragen, wortlos arbeiten die Männer an Schloß und Tür, und sie steht stöhnend daneben und bettelt: „Macht bloß schnell! Jetzt tut er es!“

Aber Frau Auguste Hackendahl ist nicht so raffiniert, sich so etwas auszudenken und durchzuführen. Sie fühlt wirklichen Schmerz, sie hat wirkliche Angst – und sie selbst ist die Überraschteste, als sie, nach dem Aufbrechen der zweiten Tür, den Sohn Erich ruhig auf seiner Kiste sitzen und an seinem Brotkanten kauen sieht.

„Ich dachte …“, stammelt sie und verstummt.

Nein, nichts von Erhängen, aber da sie nun, wenn auch ohne es zu wollen, ihr Ziel erreicht hat, überläuft sie ein Glücksgefühl. Sie lehnt in der Tür; mit halb geschlossenen Augen sieht sie den Sohn an und murmelt: „Es ist schon gut, Erich.“

Die drei Befreier sehen auf den Befreiten. Fast schämen sie sich ihrer Aufregung, da sie ihn so ruhig sehen, und sie haben wie vom Tode gehetzt an den Türen gearbeitet!

„Ihr seid ja mächtig mutig, ihr drei!“ sagt Erich, steht auf und streckt sich. „Siehe da, Otto, das Mustersöhnchen – das wird dir Vater gewaltig krummnehmen. Und der olle ehrliche Rabause – na, dich setzt Vater gleich auf die Straße! Und Mutter auch …? Ja, du, Mutter …“

Jetzt schämt sich sogar dieser kalte Mensch ein wenig und schweigt.

Alle schweigen, bis es wieder Erich ist, der zu reden anfängt. (Es ist seltsam, dieser siebzehnjährige Bengel tut so, als sei er ihnen allen an Lebenserfahrung weit überlegen, als sei er der Älteste und nicht der Jüngste, und sie akzeptieren das.) Erich also fragt: „Und was nun? Was für Pläne habt ihr mit dem verlorenen Sohn? Oder holt Vater schon das Mastkalb zum Versöhnungsschmaus?“

Jetzt wird es zuerst dem Rabause zu dumm. „Es fehlt nicht viel an der Zeit, Erich“, sagt er, „und der Chef kommt zurück. Und wem dann sein großes Maul ins Wasser fällt, den kenn ich auch!“

Spricht’s und geht.

Erich lacht spöttisch, aber es klingt gezwungen, denn der nahende Vater jagt auch ihm Furcht ein. „Also, Mutter, was soll werden? Ihr werdet doch nicht so dumm gewesen sein, mich hier nur rauszuholen, und habt nichts für mich bereit? Geld? Sachen?“

Die beiden schweigen. Ja, nun stellt es sich heraus, daß sie wirklich so dumm waren. Dem Kaltsinn des Bruders gegenüber haben sie sich recht unüberlegt benommen.

„Mutter hat geglaubt, du tust dir was an …“, sagt schließlich Otto halblaut.

Erich ist aus allen Wolken gefallen. „Ich mir was antun …? Aber wieso denn? Wegen dem Dreck? Wegen ein bißchen Keller und achtzig Mark?! Ihr seid ja komisch!“

„Nicht wegen achtzig Mark“, sagt Otto wieder.

„Wegen was denn? Du meinst wegen Ehre und Schande und so? Was geht mich denn Vaters Ehre und Schande an? Gar nichts! Ich habe meine eigene Ehre und Schande, das heißt, ich will sagen, Schande kenne ich nicht, wenn man ein fortgeschrittener Mensch ist, existiert so etwas nicht für einen …“

Nun hat er sich doch ein wenig verwirrt trotz seiner jungen, unreifen Selbstsicherheit. Um so zorniger sieht er die beiden an. „Also nichts habt ihr für mich vorbereitet?“ fragt er noch einmal. „Dann muß ich selbst für mich sorgen – wie immer.“

Und er geht an den beiden vorbei, er geht ohne ein weiteres Wort an ihnen vorbei, den Kellergang entlang, steigt die Treppe nach oben hinauf.

Mutter und Sohn sehen einander an.

Dann sehen sie fort voneinander, sie gleichen zwei Verschwörern, die sich ihrer Schuld schämen. Die Mutter setzt sich auf die Kiste, sie nimmt das angebissene Stück Brot in die Hand, wie um sich in ihrer Niederlage zu trösten, sagt sie: „Nun braucht er kein trockenes Brot mehr zu essen!“

Aber da sie dieses sagt, kommt schon ein anderer, böser Gedanke, er löscht das bißchen Trost aus, es wird alles noch dunkler. Unsicher fragt sie zu Otto hinüber: „Und was wird er nun tun?“

Otto zuckt verlegen mit der Schulter, vielleicht hat er denselben Gedanken gehabt wie die Mutter. Er sieht gegen die Decke, als könne er durch sie hindurchsehen, hinauf in die Wohnung.

„Wenn er nun wieder stiehlt?“ flüstert die Mutter.

Otto antwortet nicht.

Sie seufzt schwer; seit der Sohn wieder frei ist, ging eine Veränderung mit ihr vor. Jetzt muß er für sich selber sorgen, nun kann sie wieder an den Vater denken. „Das darf er nicht tun“, sagt sie wiederum. „Vater hat es auch schwer, Otto …“

Otto nickt langsam.

„Bitte, geh rauf, Otto“, sagt sie. „Stell dich vor die Türe, laß ihn nicht rein. Sag, ich will ihm zehn Mark geben, nein, neun Mark, eine Mark hat die Eva bekommen für Matjes … Mit neun Mark kann er drei Tage leben, sag ihm das, Otto, und bis dahin habe ich wieder Geld vom Vater in der Wirtschaftskasse …“

„Ich habe auch sieben Mark.“

„Gut, gib die ihm auch. Sag ihm, er soll Nachricht schicken, wo er abbleibt. Ich sende ihm dann immer wieder was mit Bubi. Sag ihm das, Ottchen.“

„Ja, Mutter“, sagt Otto und wendet sich zum Gehen.

„Und, Otto“, ruft sie ihm nach, „er möchte doch noch mal runterkommen, mir adieu sagen. Ich kann jetzt nicht rauf. Ich habe es von der Aufregung in den Beinen. Vergiß nicht, es ihm zu sagen. Er muß mir adieu sagen. Ich bin seine Mutter, ich habe ihn hier rausgeholt.“

Otto nickt wieder und geht gehorsam. Otto ist der stumme Lastesel der Familie, er wird kommandiert und ausgeschimpft, beladen – aber nach dem, was er denkt und fühlt, fragt niemand. Auch jetzt denkt die Mutter nicht mit einem Gedanken an ihren Ältesten, sie hat das Brot in der Hand, sie sieht es an, sie beriecht es, sie befühlt es. Es ist ein gutes Brot, und es ist Brot, von dem Erich gegessen hat. Langsam, mit Genuß beißt sie davon ab. Das Kauen, der nahrhafte Geschmack, das Schlucken, das Eindringen von Nahrung in sie tun ihr gut. Der letzte Rest von Erregung verflüchtigt sich, sie ißt, also lebt sie. Sie denkt nicht mehr an den Streit, den es oben vielleicht zwischen den Brüdern geben wird, sie denkt auch nicht an die kommende Auseinandersetzung mit dem Mann – sie ißt, sie lebt.

Aber sie hat das Stück Brot noch nicht aufgegessen, da kommt Otto schon wieder. Seinem blassen, ausdruckslosen Gesicht ist nicht anzusehen, welche Botschaft er bringt.

„Nun?“ fragt die Mutter kauend. „Kommt Erich?“

„Erich ist schon weg.“

„Hast du ihm denn nicht gesagt, er soll mir noch adieu sagen? Ich habe dich doch so gebeten, Otto!“

„Erich war schon weg, als ich nach oben kam.“

„Und …?“ Ungeduldig: „Nun rede doch, Ottchen – was ist in Vaters Zimmer?“

„Alles in Ordnung, Mutter.“

„Gottlob!“ sagt sie aufatmend. „Ich sage es immer, Erich kann mal leichtsinnig sein, aber schlecht ist er nicht. Nein, schlecht ist unser Erich nicht.“

Sie wartet auf eine Bestätigung durch Otto, aber das ist zuviel von diesem Sohn erwartet.

Schließlich sagt der: „Aber die Hängelampe im Zimmer von den Schwestern hat er zerbrochen …“

Sie wundert sich. „Warum soll Erich die denn zerbrochen haben?! Sei bloß nicht dumm. Ottchen! Das hat natürlich Doris beim Reinmachen getan, aber warte, das ziehe ich ihr am Ersten vom Lohn ab!“

„Bubi hat uns mal erzählt, die Eva bewahrt ihr Erspartes im Gewicht von der Hängelampe auf.“

„Die Eva? Bubi? Woher weiß Bubi denn das? Und wieso denn im Gewicht? In einem Gewicht kann man doch nichts aufbewahren.“

„Das Gewicht ist hohl, man kann es aufschrauben.“

„Aber …“ Sie versteht es noch immer nicht. „Aber warum zerbricht er dann die Lampe?“

„Ich muß mit den Pferden noch in die Schmiede“, sagt Otto. „Es ist sicher, Erich hat Evas Geld genommen, und dabei ist ihm die Lampe runtergesaust und zerbrochen.“

„Ich gebe es Eva wieder!“ ruft die Mutter. „Was kann Eva viel gehabt haben? Ein paar Schmugroschen vom Haushaltsgeld! Sie soll bloß kein Geschrei machen, sag ihr das gleich, Ottchen.“

„Ich muß jetzt mit den Pferden in die Schmiede, Mutter“, antwortet Otto. „Und Eva hat über zweihundert Mark gehabt, hat Bubi erzählt …“

Damit geht Otto und läßt die Mutter in neuer Sorge zurück.

Der eiserne Gustav

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