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Otto Hackendahl hatte die beiden Pferde dem Schmiedeknecht übergeben, ging nun eilig weiter, trotzdem er wußte, daß er gegen ein Gebot des Vaters verstieß: Hackendahl verlangte, daß man dem Schmied beim Beschlagen auf die Finger sah, sonst war rasch ein Huf zu tief ausgeschnitten oder ein Nagel falsch eingeschlagen.

Aber Otto hatte auch seine Heimlichkeiten, und wenn er duckmäuserig und susig war, so war er doch nicht so susig, wie sein Vater meinte. Er überließ die Pferde dem Schmied, auf zwanzig gut beschlagene kam höchstens ein vernageltes, es brauchte nicht heute zu geschehen.

Er geht eilig die Straße hinunter, und schon wie er geht, wohl eilig, aber dicht an den Hauswänden, dem Blick jedes Vorübergehenden ausweichend, zeigt sich, daß mit ihm nicht alles in Ordnung ist. Eigentlich ist er ein großer, stattlicher Mensch, der kräftigste der Brüder, kräftiger als der Vater, aber er hat keine gute Haltung, er ist ohne Energie und Selbstbewußtsein, ihm fehlt jeder Eigenwille. Es ist vielleicht wirklich, wie er zur Mutter gesagt hat: Sein Vater hat am längsten mit ihm exerziert. Darüber brach sein Eigenwille entzwei. Aber es ist wohl auch so, daß dieser Wille nie stark war: Ein kräftiger Baum wächst gegen die Winde an, einen schwachen knicken sie.

Otto schlenkert ein Paketchen in der Hand, dann merkt er, daß er damit schlenkert, und versteckt es unter dem Arm, als sei es Diebsgut. Er biegt in eine andere Straße, überquert sie und geht, sich scheu umsehend, in einen Torweg. Er überschreitet einen Hof, durchschreitet einen neuen Torweg, kommt über einen zweiten Hof, und fängt eilig an, eine Treppe zu erklettern.

Er steigt ins erste Stockwerk hinauf, ins zweite, er klettert immer weiter. Er muß hier Bescheid wissen, er sieht die Schilder an den vielen Türen nicht an. Immerzu begegnen ihm Menschen, aber die Menschen beachten ihn nicht – Otto Hackendahl hat Schutzfarbe, Mimikry, man merkt ihn kaum, so farblos ist er.

Nun bleibt er vor einer Tür stehen. Er sieht das Schild, auf dem „Gertrud Gudde, Schneiderin“ geschrieben steht, nicht an. Er drückt auf den Klingelknopf, ein-, zweimal. Drinnen rührt es sich, er hört Bewegung, eine Stimme, nun lacht ein Kind, Otto lächelt.

Jawohl, er kann lächeln, nicht nur das Gesicht verziehen, sondern richtig lächeln, weil er sich nämlich glücklich fühlt. Und er lächelt noch stärker, als die Tür aufgeht, ein stolperndes Kind gegen seine Beine läuft, selig schreit: „Papa! Papa!“

Eine Frau sagt: „Du bist heute aber spät dran, Otto. War was los?“

„Und ich muß in einer Viertelstunde wieder fort, Tutti“, sagt er, beugt sich über ihren Mund und küßt ihn. „Ich habe die Pferde in der Schmiede stehenlassen – ich muß gleich wieder hin. Ja, ja, Gustäving, Papa ist ja da! Hast du schön geschlafen?“

Das Kind ist selig, er schwingt es hoch, es lacht und jauchzt. Auch die Frau lächelt, Gertrud Gudde, Schneiderin – der Direktor des Gymnasiums hat recht gehabt: Niemand ist so ohne alle Gaben, daß er nicht Glück geben kann.

Gertrud Gudde, die Arme, Kleine, Verwachsene mit der zu hohen Schulter, mit dem scharfen Gesicht, aber dem sanften Taubenblick vieler Buckliger – Gertrud Gudde, kleine, mühsame Schneiderin, sie kennt ihren Otto genau, in seiner Schwäche, seiner Entschlußlosigkeit, der Angst vor dem Vater, aber auch in seinem Verlangen, Glück zu geben.

„Aber: Was war los bei euch?“ fragt sie. „Erzähl, Otto, es wird schon nicht so schlimm sein.“

„Ich habe dir auch wieder Schnitzarbeiten mitgebracht“, sagt er. „Templin wird dir ungefähr zehn Mark dafür geben.“

„Du sollst aber nicht die halben Nächte sitzen und schnippeln! Ich schaffe es auch schon so – heute habe ich vier Anproben!“

„Ja, du!“ sagt er. „Gustäving – haben wir nicht eine großartige Mutti?“

Das Kind ruft und jauchzt – die Mutter lächelt. Ach, die beiden im Leben zu kurz Gekommenen, er mit dem schwachen Willen, sie mit dem verkrüppelten Körper – hier zu zweien, nein, zu dreien, in Küche und Stube, allein für sich, geben und empfangen sie so viel Glück!

„Komm, einen Augenblick kannst du dich hinsetzen. Ich habe noch Kaffee für dich, hier sind Schrippen. Los, iß! Gustäving zeigt dir unterdes, wie er turnen kann.“

Gehorsam tut er, was sie sagt. Sie hält immer irgend etwas für ihn bereit, er kann kommen, wann er will. Es ist dann so, als seien sie richtig Mann und Frau. Und er versteht das, versteht es ohne ein Wort, er ißt immer, sagt nie nein – auch wenn er noch so satt ist.

Gustäving zeigt seine kleinen Kunststücke, die Mutter ist noch stolzer darauf als der Sohn. Die Mutter, die der gerade Rücken, die festen Beine des Kindes glücklich machen, sie, die fast keinen Tag ihres Lebens schmerzfrei verbracht hat …

„Und nun erzähle, was bei euch los war …“

Er berichtet, langsam und schwerfällig. Aber Gertrud Gudde versteht ihn, sie liest in seinem Gesicht.

Und dann – sie kennt ja alle, von denen er erzählt: die Mutter, den Erich, Eva und den gefürchteten grimmigen Vater, den eisernen Gustav, auch. Sie kommt dann und wann als Hausschneiderin zu den Hackendahls, schon seit vielen Jahren, so haben sich Otto und sie kennengelernt, liebengelernt. Ohne daß je ein anderer etwas merkte, selbst nicht die listige Eva. Gertruds lebhaftes Gesicht spiegelt alles wider, was er erzählt, mit abgerissenen Ausrufen begleitet sie seine Worte: „Sehr gut. Ottchen!“– „Das war richtig, was du da gesagt hast!“– „Und du hast das Schloß gleich aufgebracht? Großartig!“

Er sieht sie an, jetzt ist er frei, er hat nun selbst das Gefühl, als habe er einiges verrichtet, er, der Getriebene, der zwischen den Mühlsteinen Zerriebene.

„Aber was wird Vater sagen, daß Erich weg ist?“ fragt er schließlich. „Und Eva, die so geizig ist, was wird die für ein Geschrei machen?!“

„Eva …?! Eva kann ja gar nichts sagen, wenigstens zum Vater nicht. Es ist ja alles gestohlenes Geld, sie würde sich bloß selbst verraten! Nicht wahr?“

Er nickt langsam, jawohl, das versteht er.

„Aber der Vater – wegen Erich?“ fragt er noch einmal, hoffend, daß sie ihm auch diese Last erleichtern wird.

Sie sieht ihn nachdenklich an mit ihrem sanften Taubenblick.

„Der Vater“, sagt sie – und die Gestalt des eisernen Gustav, die immer über ihrem kleinen Leben steht, richtet sich groß hinter ihnen auf. „Der Vater“, sagt sie und lächelt, ihm Mut machend, „der Vater wird sehr traurig sein – auf Erich ist er doch immer am stolzesten gewesen. Sag kein Wort gegen Erich, auch nicht, daß er Evas Geld genommen hat. Es wird dem Vater schon so schwer genug sein. Und gib ruhig zu, daß du die Schlösser aufgemacht hast, sag, hör zu, Otto, merk dir das, sag ihm: ›Ich hätte dich ja auch aus jedem Keller rausgeholt, Vater!‹ – Behältst du das?“

„Ich hätte dich ja auch aus jedem Keller rausgeholt, Vater“, wiederholt er schwerfällig. Und dann: „Aber das ist ja wahr, Tutti, das stimmt genau: Ich hätte Vater doch nicht eingesperrt gelassen!“

Er blickt sie freudig an.

„Siehst du, Otto! Ich sage ja nur, was du selbst denkst, du kannst es nur nicht so ausdrücken.“

„Aber was wird Vater dann tun, Tutti?“

„Das kann man nicht wissen, Otto, bei Vater kann man es nie genau wissen, weil er jähzornig ist …“

„Vielleicht schmeißt er mich raus. Und was dann? Sollst du mich auch noch satt machen?“

„Aber, Otto, du bekommst doch jede Stunde Arbeit! Du gingst den Tag über in eine Fabrik als ungelernter Arbeiter oder auf einen Bau als Handlanger …“

„Ja. Das könnte ich wohl. Doch, das ginge.“

„Und wir wohnten ganz zusammen, und dein Vater müßte dir deine Papiere geben, und wir könnten …“

„Nein, das nicht. Ohne Vaters Willen heirate ich nicht. Es steht in der Bibel …“

Es ist seltsam, dieser schwache Mensch ist in einem Punkt unnachgiebig: Er will nicht gegen den Willen des Vaters heiraten. Zu Anfang ihrer Liebe hat sie ihm viele Male gesagt, daß er sich die notwendigen Papiere hinter des Vaters Rücken besorgen kann, sie wird das Aufgebot bestellen. Was ändert denn eine standesamtliche Trauung, wie kann sie dem Vater weh tun, der doch nichts von ihr erfährt …?!

Aber nein! Hierin ist er unerschütterlich. Aus dem Religionsunterricht der Volksschule, aus der Konfirmandenlehre bei Pastor Klatt, aus den Urgründen seiner dunklen, trüben Seele kommt ihm das Gefühl: Es bringt Unheil, ohne des Vaters Segen zu heiraten. Er braucht des Vaters Segen. An den die anderen nie denken.

Und sie weiß das, sie hat auch das verstanden. Sie hat begriffen, daß in der Brust dieses einen verachteten Sohnes der Vater nicht nur der Gott der Rache, sondern auch der Liebe ist – daß dieser verachtete Sohn den Vater am stärksten liebt. Daß sie trotzdem immer weiter hofft auf die Trauung, nicht ihret-, sondern Gustävings wegen, der schon den Vornamen vom Großvater trägt, aber auch einmal seinen „ehrlichen“ Namen bekommen soll – das kann ja nicht anders sein.

Darum ersehnt sie die Trauung. Nur darum! „Könntest du es dem Vater nicht wenigstens einmal andeuten, Otto?“ hat sie oft gesagt. „Sprich doch wenigstens einmal mit mir vor seinen Augen, wenn ich bei euch auf Arbeit bin.“

„Ich will es versuchen, Tutti“, hat er geantwortet und hat doch nie auch nur einen Ansatz zum Sprechen gemacht.

Dies ist der einzige Punkt, in dem sie mit ihm nicht einig ist, den sie immer wieder zur Sprache bringt, obwohl sie weiß, daß sie ihn damit quält. Sie will es gar nicht, aber dies kommt ihr stets von neuem auf die Zunge, wie jetzt eben, ganz ohne daß sie es wollte.

Rasch sagt sie darum: „Nein, du hast recht. Grade jetzt wäre es falsch, wo Vater so viel andere Sorgen hat.“

Sie sieht vor sich hin. Schüchtern kommt seine Hand über den Tisch zu ihrer hin. „Du bist doch nicht böse?“ fragt er ängstlich.

„Nein, nein“, versichert sie eilig. „Nur …“

„An was denkst du?“ fragt er, als sie nicht weiter spricht. „Ich denke an den ermordeten Prinzen von Österreich“, sagt sie, „und daß die Leute meinen, es gibt Krieg …“

„Ja …?“ fragt er verständnislos.

„Du müßtest doch mit in den Krieg, nicht wahr?“

Er nickt.

„Otto“, sagt sie eindringlich und drückt seine Hand. „Otto – würdest du denn auch in den Krieg gehen, ohne mich geheiratet zu haben? – Oh, Otto, ich sage es nicht meinetwegen! Aber Gustäving würde ja nie einen Vater gehabt haben, wenn dir etwas geschähe …“

Er sieht nach dem friedlich spielenden Kind hin.

„Wenn es einen Krieg gibt, Tutti, dann heirate ich dich“, sagt er. „Das verspreche ich dir.“ Er sieht das Leuchten ihrer Augen, er sagt schwach: „Aber es gibt ja keinen Krieg …“

„Nein! Nein!“ ruft sie hastig, selber erschrocken von den eigenen Wünschen. Nur das nicht! Nicht um den Preis!

Der eiserne Gustav

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