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Der Heimkehrer
ОглавлениеEs hatte ganz richtig geschienen, in Zorn und Empörung, im Überdruß und im Ekel, die Arbeit hinzuwerfen. Aber als dann Johannes Wiebe abends auf seinem trostlosen Zimmer saß, seine Bohnen löffelte, schien es nicht mehr ganz so richtig. Es war ja doch Feigheit, so heimzukehren. Er war nichts geworden, und er hatte nichts erreicht. Er hatte nicht einmal fertiggebracht, was Tausende, Zehntausende mühelos fertigbrachten, was jeder hirnlose Neger konnte: acht Schraubenmuttern rechtzeitig aufzusetzen, einen Monat lang, zehn Monate lang, hundert Monate lang …
Wenn er es der Mutter zu erklären versuchen würde, würde sie bestenfalls sagen: »Du hast ganz recht, das ist keine Arbeit für einen Wiebe!« Der Bruder aber würde nur stillschweigend, aber überlegen grinsen und bei sich denken: ›Natürlich, das Bürschlein! Kann nichts, versteht nichts, hält nirgends aus – aber den Kopf hat er voll großer Rosinen! Nun, nach diesem werden wir ihn schon kurzhalten!‹
Er hat während des Essens den Brief seiner Mutter vor sich hingelegt. Es ist ein noch uneröffneter Brief. Er ist vor einer ganzen Weile gekommen, vor sechs, acht Wochen … Damals hat er ihn nicht aufgemacht, damals dachte er noch, er würde wenigstens hier durchhalten können (wenn er auch schon wußte, daß es für ihn so, wie er war, in diesem Lande keine Möglichkeit des Hochkommens gab).
Seht, in all der Zeit, die er in diesem Lande verbrachte, haben ihn die Briefe der Mutter überall gesucht und gefunden. Es war ja vielleicht nicht so schwer für die Mutter, seine immer wieder veränderten Adressen zu erfahren, er war ja ein Ausländer. Er mußte seine Aufenthaltsbewilligung verlängern lassen, er mußte mit dem deutschen Konsulat in Verbindung bleiben …
Nein, die Adresse zu erfahren konnte für eine Frau, wie seine Mutter war, nicht schwierig gewesen sein. Aber es mußte ihr sehr schwer geworden sein, immer wieder diese Briefe zu schreiben, auf die nie eine Antwort kam. Dieser unbegreiflich trotzige Sohn! Sie hatte ihn für so weich gehalten, ohne allzu große Sorgen hatte sie ihn fahren lassen, nach der zweiten oder dritten Schlappe würde er schon heimkommen! Es war ihm ja so verführerisch leicht gemacht – immer lag ein Scheck dabei!
Aber der Sohn ist doch nicht so weich gewesen, in veränderter Form steckte wohl etwas von der Energie der Mutter in ihm. Eine Weile lang hatten ihn diese Briefe schrecklich gequält, das war in den Zeiten gewesen, da er sich in allen möglichen Berufen versucht hatte, mit dem Glauben, hochzukommen, etwas zu werden, was denen zu Hause imponieren konnte!
In jener Zeit hatte er diese Briefe wütend zerrissen, sie schienen ihm so sehr den Unglauben an alles, was er werden konnte, auszudrücken. Sie sagten so einfach: Komm heim! Das bedeutete nichts anderes als: Aus dir wird doch nichts!
Aber seit jener Nacht, da er am laufenden Band gestanden hatte, hatte es damit angefangen, daß er die Briefe uneröffnet in seine Brieftasche steckte. Das laufende Band, das hatte bedeutet, daß er den Kampf um das Hochkommen aufgegeben hatte, daß es für ihn nur noch den Kampf um das nackte Leben gab. Und das uneröffnete Einstecken hatte bedeutet, daß er Angst bekommen hatte. Er hatte es sich nie so recht klargemacht, daß er sich damit einen Ausweg, einen Rückweg freihielt – kam es zum Schlimmsten, so war der Brief in der Tasche, mit dem Scheck!
Und heute war es nun zum Schlimmsten gekommen!
Heute erkannte er, daß er nun den Ausweg des Geschlagenen beschritt: er beugte sich unter die Hand des Bruders!
An diesem Abend bleibt der Brief noch uneröffnet auf seinem Tisch liegen. Er lag lange wach in seinem Bett, draußen tobte die fremde Stadt mit ihren Autos, ihren nächtlichen Heimkehrern unter seinem Fenster vorüber. Sie grölten und sie lachten, sie waren so schrecklich gedankenlos lustig! Ihre Fröhlichkeit hatte etwas Ödes, etwas Totes. Das Leben war so verdammt einfach: Erfolg haben, das hieß Dollars hamstern, Dollars hamstern war ein Lebenszweck an sich – o Gott, waren sie langweilig! Und er hatte so lange Zeit unter ihnen leben können!
Aber nun, da er in seinem Bett wach lag, verloren auf den lärmenden, nie abreißenden Strom unter seinem Fenster lauschte, nun, da er sich schon von all diesem gelöst hatte, konnte er sich auch nicht vorstellen, daß er wieder daheim in der Baukasten-Villa hinter der Fabrik leben würde, an Bildern sich vergnügen, an schönen Büchern Gefallen finden würde. Und nebenbei den einen oder anderen belanglosen Auftrag des allmächtigen und allwissenden Bruders ausführen würde …
Es war nicht vorstellbar, daß er genau dort wieder anfing, wo er aufgehört hatte. Dazu hatte er sich zu sehr verändert. Aber was sollte er sonst drüben tun als der Sohn aus gutem Hause?
Er hat etwas davon gehört und gelesen, er hat es auch heute wieder zu spüren bekommen, daß drüben im Vaterland etwas anders geworden ist. Als er zu Anfang hier in diesem Lande lebte, waren die Deutschen für die Amerikaner ein mit halb verächtlichem Mitleid angesehenes Volk: »Ihr seid ja schon halb tot. Gewiß, der Krieg ist auch schuld – aber wir sind jung. Wir fangen erst an zu leben – ihr seid schon beinah tot, ihr armen Deutschen!«
Aber seitdem hatte sich diese Tonart gewaltig verändert, von herablassendem Mitleid konnte nicht mehr die Rede sein. Sein Werkmeister hatte es noch heute gesagt: »Ihr Deutschen wollt ja wohl die ganze Welt beherrschen!«
Es war gefährlich geworden, sich Deutscher zu nennen; er hatte manchen guten Deutschen kennengelernt, der sich als Schweizer ausgab oder als Holländer.
Einmal war er, eigentlich aus reiner Beschäftigungslosigkeit, an einem Sonntag zu einer Versammlung gegangen, die der Deutsche Verein in dieser Stadt einberufen hatte. Es war in einem Park gewesen, in einem dieser schrecklichen amerikanischen Parks, mit garantiert echten Wasserfällen aus Zementrohren, mit Eisenkonstruktionen und Baumruinen. Auf der Tribüne hatte ein Mann in Uniform gestanden und hatte geredet, vor ihm hatten noch ein paar Uniformierte gestanden, aber was der Redner geredet hatte, das war nicht zu verstehen gewesen, so sehr pfiff, brüllte, schrie die in weitem Umkreis stehende Menge.
Dann waren Flieger über die Versammlung dahingebraust und hatten Flugblätter über der Menge abgeworfen, in denen alles Deutsche beschimpft und verlästert wurde, so sehr, daß sich sogar in Johannes Wiebe der Widerspruch regte. Er kannte ja Deutschland, es war seine Heimat, sie konnte regiert werden, von wem es auch sei, nie konnte sich seine Heimat mit ihren deutschen Menschen zu lauter blutgierigen, säbelschwingenden Sadisten ändern!
Aber geändert mußte sie sich haben – der Haß war zu spürbar. Hochgekommen mußte sie sein: es war so viel Neid in dem Haß.
›Vielleicht‹, denkt Johannes Wiebe, ›bringt auch mir diese Änderung Möglichkeiten. Ich kann noch einmal anfangen. Und noch einmal. Und wieder. Ich bin ja dann daheim. Ich werde mich nicht von meinem Bruder aushalten lassen. Natürlich, Mutter will ich wiedersehen … Aber ich glaube nicht, daß ich wieder tatenlos in unserer Villa herumsitzen möchte – Gnadenbrot will ich auch nicht essen.‹
Der Scheck, dieser bankbestätigte Scheck, den er am nächsten Morgen auf der Bank vorlegt, ist auch Gnadenbrot, das weiß er. Er muß die ganze hohe Summe nehmen, aber er will sie nicht ausgeben. Er könnte sich nun wieder einkleiden wie ein junger Herr, er könnte erster Klasse auf Bahnen und Schiffen heimwärts fahren, aber das will er nicht.
Er ist den Luxus nicht mehr gewöhnt, und im Grunde hat er nie Luxus gebraucht, so ist er nicht. Er kauft sich einen anständigen Anzug, ein bißchen Wäsche, mehr nicht. Dann fährt er über den Erie-See nach Buffalo und von dort ostwärts nach New York.
Er ist niedergeschlagen und still, als er so in der Bahn sitzt, äußerlich ein Amerikaner, mit der Fahrkarte hinter dem Hutband wie alle. Aber innerlich stößt ihn ihr Kauen und Schreien, die Füße auf den Sitzen, ihr Spucken, ihr burschikoses Sich-Beklopfen stärker ab als je, nun, da er immer ostwärts fährt, in die Länder der aufgehenden Sonne, der Heimat zu. Vielleicht reizt ihn alles stärker, jetzt, da er sich schon nicht mehr zu ihnen gehörig fühlt, endgültig weiß, daß er sich bei ihnen in God’s own land nie einleben wird. Vielleicht ist ihm aber auch nicht ganz wohl. Oft hat er einen schweren Druck im Schädel, sein Magen, der sich schon fast an den unverdaulichen Fraß gewöhnt hatte, streikt.
Als er in New York auf das Büro der großen Deutschen Schiffahrtsgesellschaft will, halten ihn ein paar Posten mit Plakaten an. »Fahr nicht auf Nazi-Schiffen« liest er.
»Du, Fellow, du wirst doch nicht mit den Leuten fahren?! Ich hoffe, du bist ein guter amerikanischer Staatsbürger, der für die Freiheit eintritt?!«
»Bin ich nicht frei, auf dem Schiff zu fahren, das ich will?«
»Oh! Geh zur Hölle, du bist ja selbst so ein verdammter Deutscher!«
Und er schlägt nach ihm. Aber ein bißchen hat Johannes Wiebe doch in diesem Land der robusten Selbstverteidigung gelernt; er weicht dem Schlag aus und haut dem Sandwichman mit der scharfen Ecke seines Köfferchens gegen das Schienbein: »Geh selber zur Hölle, du!«
Drinnen verlangt er eine Passage dritter nach Hamburg.
Der junge Mann, der ihn bedient, hat wohl etwas von dem Lärm des Streites vor der Tür gehört. »Sie sind angehalten worden?« fragt er.
»Ach, diese Affen …«
»Ja, Affen sind es«, sagt der junge Mann. »Aber Affen ohne Manieren. – Nach Hamburg dritter? Da brauchen Sie aber nicht erst mit dem großen Kasten in zwei Tagen zu fahren, da nehmen Sie doch den Neptun. Der hat nur dritter Klasse – der fährt schon heute abend um sechs, und Sie sparen noch 25 Dollar!«
»Gerne!« antwortet Johannes Wiebe. »Es fahren wohl jetzt nicht viele – wegen dem Trara da draußen?«
»Sie haben eine Ahnung – wir sind immer besetzt. Alles Rückwanderer – es spricht sich allmählich herum, daß daheim ein anderer Wind weht, daß dort jeder Arbeit findet, und nicht die Sorte Arbeit, die es hier gibt …«
»So«, sagt Johannes Wiebe. »Und Sie meinen wirklich, es sieht anders aus – daheim?«
»Ich meine? Ich weiß – ich war erst vor zwei Monaten drüben, auf Urlaub. Seit wann waren Sie nicht daheim?«
»Es ist schon eine ganze Weile her.«
»Dann werden Sie sich aber wundern! Da werden Sie aber die Augen aufmachen! – Oh, da werden Sie die Idioten hier vor der Tür schon besser verstehen. Begreifen Sie doch, Mann, nach fünfzehn Jahren Erniedrigung ist es wieder ein Glück, ein Deutscher zu sein!«
»Ja, wirklich?« antwortet Johannes Wiebe. »Nein, das freut mich aber …«
Doch es rührt ihn nicht sehr an. Noch nicht. Noch ist er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt: was werde ich anfangen? Was kann ich Mutter sagen? Wie werde ich mich mit Thomas stellen?
Das sind die Fragen, die ihn beschäftigen, und wenn er all diese Rückwanderer, die eine neu aufgehende Sonne in die Heimat zieht, von ihren Erwartungen, Hoffnungen, Plänen reden hört, so berührt ihn das kaum. Er hat seine eigenen Sorgen, und zudem geht es ihm nicht gut.
Der Druck in seinem Schädel wird immer stärker. Manchmal, wenn er auf Deck steht, ist ihm beinahe, als sei das Schiff unter ihm fortgefahren, und er schwebe frei und allein in der Luft, zwischen Wind und Wellen …
›Ich bin krank‹, sagt er sich dann. ›Ich muß krank sein. Aber das darf ich nicht sein. Auch noch krank nach Hause kommen – nein, das macht die Niederlage erst ganz schlimm! Im Bett liegen – und Thomas sieht auf mich herunter und sagt: Na, du Unglückshuhn, etwas anderes habe ich nie erwartet …‹
Er geht mit allen Kräften, die ihm geblieben sind, gegen diese Krankheit an, aber sein Gesicht wird hohl dabei, seine Augen bekommen einen seltsamen Glanz.
An einem der letzten Überfahrtstage klopft ihm der Schiffsarzt auf die Schulter: »Nun, was ist das mit Ihnen? Sie sehen mir aus, als ob Sie ein bißchen Fieber hätten!«
»Ich? Aber kein Gedanke daran! Ich fühle mich ganz wohl«, lügt er.
»Und sind in diesem Augenblick schneeweiß geworden. Nein, kommen Sie lieber einmal mit mir.«
Er will sich wehren, er will nicht krank sein, aber der Doktor ist erbarmungslos.
»So, stecken Sie erst einmal das Thermometer in die Achselhöhle. – Und nun erzählen Sie mir, seit wann Sie sich so schlecht fühlen.«
»Aber ich sage Ihnen, Herr Doktor …«
»Reden Sie doch nicht! Natürlich, ich verstehe das: Sie wollen nicht krank daheim ankommen. Eine Mutter oder eine Braut steht am Kai, wie?«
Der Arzt lächelt behaglich, stolz auf seinen Scharfblick.
»Nun, ich werde sehen, was sich tun läßt. – Dacht ich’s doch: neununddreißg Grad Fieber, und damit laufen Sie schon tagelang herum, ich habe Sie doch beobachtet. Eine niedliche Grippe! Also, legen Sie sich, bis wir im Hafen sind, in Ihre Koje. Schlucken Sie gleich jetzt diese zwei Tabletten – ich sehe dann schon nach Ihnen. Daß Sie wenigstens im Hafen auf Ihren zwei Beinen stehen können. Nachher zu Haus werden Sie sich freilich gleich wieder hinlegen müssen. Haben Sie weit nach Haus?«
»Nein, nein, gleich in Hamburg!« lügt er wieder.
Er legt sich gehorsam ins Bett. Aber durch die Fieberträume geht eine neue Angst, die ihm der gute, ahnungslose Schiffsarzt in den Kopf gesetzt hat: seine Mutter könnte am Kai stehen! Und da sieht sie ihn dann vom Schiff kommen, fiebrig und verfallen: ein richtiger verlorener Sohn, der um Gnade, der um ein Bett fleht!
Nur das nicht! Hundertmal sagt er sich in ruhigen Stunden, daß seine Mutter unmöglich bei allen Schiffen auf dem Kai warten kann. Wenn sie ihn überhaupt erwartet, steht sie bei den großen Dampfern, die erster Klasse fuhren. Sie hat ja noch keine Ahnung, wie verändert der Sohn heimkehrt! Und wenn es möglich ist, soll sie es nie erfahren. Er hat Zeit, er hat Geld, er kann sich erst erholen – sie hat so lange gewartet, es kann nun nicht mehr auf ein paar Tage ankommen! So geht er nicht zu ihr zurück.
Und dann kehrt das Fieber wieder zurück, und die raschere Blutwelle, die sein Hirn durchflutet, trägt den Dampfer in den Hafen. Er hat sich hinter dem Schornstein versteckt, sein Köfferchen in der Hand, späht er nach dem Kai hinüber. Und richtig: da steht die Mutter, und kaum ist die Landungsbrücke hinübergeschoben, so kommt die Mutter schon an Bord! Ein Offizier geht neben ihr, ganz dicht an dem Schornstein kommen sie vorüber, der Offizier spricht: »Johannes Wiebe, ja, der ist an Bord. Gleich werden wir ihn haben!«
Er späht nach dem Landungssteg, jetzt könnte er vielleicht ausreißen – aber am Ende des Steges steht sein Bruder Thomas mit einem Polizisten! Und die beiden flüstern heimlich miteinander!
Er möchte förmlich in den Schornstein hineinkriechen, aber das hilft ihm nichts, gerade auf ihn zu kommt nun die Mutter mit dem Offizier. Der deutet mit dem Finger: »Der da ist Johannes Wiebe!«
Und die Mutter sagt mit ganz hoher tadelnder Stimme: »Oh, Johannes, mir wird eben gesagt, du hast deine Tabletten nicht ordentlich genommen. Immer warst du so widersetzlich – du hast dich gar nicht geändert!«
Und damit will sie ihm eine Tablette in den Mund stecken; aber es ist gar keine Tablette, es ist eine Schraubenmutter aus der Automobilfabrik. Er hat vergessen, sie aufzusetzen, und zur Strafe soll er sie jetzt verschlucken …
Er wehrt sich krampfhaft, aber der Druck gegen seinen Mund wird immer stärker, und nun sagt plötzlich die Stimme des Schiffsarztes ganz ärgerlich: »Mein junger Freund, trinken Sie doch endlich, es wird Ihnen wirklich guttun!«
Er schlägt die Augen auf, und da sitzt wirklich nur der Schiffsarzt an seinem Bett und will ihm ein Glas Orangensaft zu trinken geben. Der böse Traum ist zerstoben, er trinkt.
Der Schiffsarzt macht ein ernstes Gesicht und sagt: »Sie machen mir rechte Sorgen, mein junger Freund! So kann ich Sie doch wirklich nicht an Land gehen lassen!«
»Ach, Herr Doktor, bis morgen bin ich in Ordnung!«
»Bis morgen? Sie haben wieder einen Tag verschlafen, junger Wiebe! In drei Stunden legen wir in Hamburg an. Kommen Sie, seien Sie vernünftig, lassen Sie mich für Sie einen Krankenwagen bestellen. Gehen Sie erst einmal ins Krankenhaus.«
»Bitte, wirklich nicht, Herr Doktor!«
Der Doktor denkt nach. »Ist es irgendetwas? Kommt jemand – oder wollen Sie jemanden nicht sehen?«
»Ach, Herr Doktor, bitte nicht fragen. Ich verspreche Ihnen, ich lege mich in Hamburg sofort ins Bett.«
»Sie versprechen mir das in die Hand?«
»Das tu ich, Herr Doktor!«
»Es ist sträflich von mir, aber ich sehe ja ein … Was Sie auch alles für Zeug im Traum geredet haben … Nun also, ich schicke Ihnen den Steward, daß er Ihnen ein bißchen hilft.«
Und nun steht Johannes Wiebe an Deck. Er ist sehr schwach, aber sein Kopf ist wieder klar. Wie im Traum hält er sich versteckt. Er steht hinter einem Ventilator und sieht auf all die Gesichter am Kai. Er kann das eine Gesicht, das geliebte und gefürchtete Gesicht, nicht entdecken.
Langsam leert sich das Deck, langsam wird das Gedränge um das Fallreep lichter. Johannes Wiebe hat jedes der dort noch wartenden Gesichter dreimal angesehen: er kann ohne Angst vom Schiff gehen.
Er tut es, langsam, mit weichen Knien. Er ist so schwach, daß er sich von einem Träger sein leichtes Köfferchen abnehmen läßt.
»Sonst nichts – Herr?«
»Sonst nichts. Aber setzen Sie mich schnell in ein Auto.«
Er steigt mühsam in den Wagen, er läßt sich in das erstbeste Hotel fahren. Eine halbe Stunde später liegt er wieder in einem Bett, erschöpft, aber mit klarem Kopf.
Dies war die Heimkehr des verlorenen Sohnes – aber dem Arzte hat er doch wenigstens Wort gehalten!