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Die Herren in der Fabrik

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In seinem recht gut ausgestatteten Fabrikbüro sitzt hinter dem großen, säuberlich aufgeräumten Schreibtisch der ältere Bruder von Johannes Wiebe, der Syndikus Thomas Wiebe, und erteilt dem Prokuristen der Firma, dem alten weißhaarigen Blohm, seine Weisungen.

Trotzdem Thomas Wiebe erst etwa dreißig Jahre alt ist, ist er schon ziemlich füllig. Das Gesicht, unverkennbar dem seines jungen Bruders ähnlich, hat nichts mehr von Frische und Mut, es ist das etwas fett gewordene Gesicht eines erfolgreichen Geschäftsmannes, vor allem aber eines Mannes, der sich für zum mindesten sehr gut aussehend hält und recht eitel auf dieses Aussehen und auf seine Erfolge ist.

Herr Thomas Wiebe sitzt bequem in seinem Armstuhl und sieht nicht zu dem auf der andern Seite des Schreibtisches stehenden Prokuristen auf. Er spielt mit einer dünnen, goldenen Uhrkette, während er sagt: »Also, Sie sehen, daß bei der Auszahlung der Restlöhne alles glattgeht. Ich wünsche kein Geschrei und Geschimpfe – vor allem keine Zeitungsnotizen.«

»Sehr wohl, Herr Wiebe!«

»Es ist unsre Privatsache, ob wir arbeiten oder schließen. Wir sind ein Privatbetrieb. – Für alle Fälle können Sie ja das Polizeirevier verständigen, daß es ein paar Schutzleute in der Nähe hält.«

»Ich würde nicht gerne …«

Der Prokurist bricht ab, denn sein junger Herr hat mit einem nicht mißzuverstehenden Ausdruck hochgesehen.

»Was würden Sie nicht gerne, Herr Blohm?«

»Die Firma Hermann Wiebe hat in den siebenundzwanzig Jahren ihres Bestehens noch nie mit der Polizei zu tun gehabt!«

»Eben! Die Firma Hermann Wiebe würde auch in diesem Falle nichts mit der Polizei zu tun haben, sondern schlimmstenfalls ein aufsässiger Arbeiter.« In einem andern Ton: »Seien Sie kein Narr, Blohm! Sie wissen genausogut wie ich, daß der Betrieb unter den jetzigen Verhältnissen nichts abwirft. Wozu sollen wir uns all die Arbeit und Mühe machen, bloß damit wir an den Staat Lohnsteuern und Arbeitslosenversicherungen abführen? Ich denke, ich bin ein Kaufmann!«

Der Prokurist Blohm, mit versteckter Ironie: »Das sind Sie, Herr Wiebe!«

»Ich mache keine Geschäfte ohne Verdienst. Ich bin kein Beitragskassierer …«

»Siebenundzwanzig Jahre haben diese Schornsteine geraucht, Herr Wiebe. Und jetzt …«

»Jetzt sind sie in siebenundzwanzig Jahren alt und sentimental geworden, Blohm. Gehen Sie vier Wochen in Urlaub, gehen Sie acht Wochen, gehen Sie ein halbes Jahr …«

»Sie brauchen mich nicht mehr, Herr Wiebe?«

Der junge Herr lenkt ein. »Also ruhen Sie sich erst einmal aus. Ob wir Sie brauchen oder nicht, entscheidet meine Mutter. Vorläufig bin ich nur der Syndikus der Firma …«

»Und wären Sie der Herr, würden Sie mich auch entlassen. Ich danke Ihnen, Herr Wiebe …«

Der alte Mann dreht sich um und geht gegen die Tür.

Thomas Wiebe ruft ihm ärgerlich nach: »Ich habe kein Wort von Entlassung gesagt – wenn Sie meiner Mutter derartiges erzählen, lügen Sie. Ach was, seien Sie nicht so empfindlich, Blohm!«

Der alte Prokurist hat nicht mehr auf die Worte seines Herrn gehört, ohne Antwort will er aus dem Zimmer. Da öffnet sich die Tür, und Johannes Wiebe stürmt herein.

»Was ist das«, ruft er erregt. »Ihr habt hier zugemacht?! Warum denn? Ich habe euch Aufträge für drei Wochen gebracht …«

Der Prokurist Blohm, zu sehr beschäftigt mit seinem eigenen Schmerz, um die Aufregung seines jungen Herrn zu verstehen, verweist ihn mit einer Handbewegung an seinen Bruder: »Darüber müssen Sie mit dem Herrn Syndikus sprechen …«

Und geht.

Johannes Wiebe starrt ihm verblüfft nach, vergißt ihn aber sofort wieder und wendet sich an seinen Bruder, der sich mit einem halb spöttischen, halb überlegenen Lächeln von seinem Sitz erhoben hat.

»Und du hast mir kein Wort davon geschrieben. Du hattest kein Recht …!«

Der Ältere faßt ihn bei den Schultern. »Ist das eine Begrüßung nach einer so langen Reise?! Guten Tag, Hannes, du siehst prächtig aus. Ich habe mich sehr über deine Berichte und vor allem über die Aufträge gefreut. Du hast dir wirklich deine Sporen verdient. Mutter ist auch ganz glücklich.«

»Wie geht es Mutter? Ist sie drinnen?«

Er deutet mit dem Kopf auf eine Tür im Rücken des Bruders.

Der Bruder weicht aus. »Ich glaube, im Augenblick nicht. Wir können gleich nachsehen. Ich möchte zuerst mit dir sprechen. Mutter hat schon Kummer genug mit dieser Stillegung von Vaters Werk.«

»Aber wie konntet ihr das auch tun! Ihr müßt es sofort rückgängig machen. Ich habe Aufträge …«

»Deine Aufträge, lieber Junge, sind als Anfangserfolge sehr hübsch, aber wir können sie sehr gut zur Entleerung unserer vollen Läger gebrauchen. Um deiner Aufträge willen braucht keine Hand zu arbeiten.«

»So? Und meine Reise in den nächsten Wochen nach den Staaten? Ist die auch zu nichts weiter gut?«

Die beiden Brüder schauen sich an; der ältere sieht immer noch mit der amüsierten Überlegenheit des Erfahrenen drein, der den jüngeren, unerfahrenen, sich abzappeln sieht.

»Ich habe bei Mutter für diese Amerikareise gestimmt, weil dir viel daran zu liegen schien. An irgendwelche nennenswerte geschäftliche Erfolge glaube ich nicht.«

»Und warum nicht, bitte?«

»Gott, lieber Junge, soll ich dir denn wirklich Unhöflichkeiten sagen?«

»Das hast du jetzt schon genug getan, wie immer, es kommt auf ein paar mehr oder weniger nicht an! Also warum nicht, bitte?«

»Weil du kein Kaufmann bist, Hannes. Weil du nie einem festen Ziel folgst. Jetzt hat’s dir mal ein paar Wochen Spaß gemacht, Eisenwaren zu verkaufen. Vielleicht hast du in den nächsten vier Wochen mehr Lust, Bücher zu lesen oder Schneeschuh zu laufen … Man kann sich nicht auf dich verlassen, entschuldige bitte …«

Der Jüngere macht eine wütende Bewegung der Abwehr.

»Aber auf dich kann man sich verlassen, wie, Thomas?«

»Darauf, daß ich ein zielbewußter Kaufmann bin, bestimmt!«

»Auch ein ehrlicher?«

»Hannes, ich muß dich sehr bitten!«

»Warum hat mir denn der ehrliche Kaufmann nicht geschrieben, daß er die Fabrik schloß?«

»Weil du sofort alle Lust verloren hättest, Aufträge hereinzuholen, darum, mein lieber Junge!«

»Ich bin nicht dein lieber Junge! Ich bin alles andere als dein lieber Junge. Ich bin als Vaters Erbe Mitbesitzer dieser Fabrik, und ich verlange …«

»Du bist minderjährig, vorläufig üben Mutter und ich noch deine Rechte aus!«

»Das hat nicht Mutter getan, das warst du! Ich komme eben an, zehn, zwölf Arbeiter stehen vor dem Tor, Monteure von uns, von der Reise zurück, die hast du auch nicht benachrichtigt, und es war ihr Brot, das du ihnen wegnahmst.«

»Siehst du, jetzt verstehe ich alles! Du siehst ein paar entlassene Arbeiter, und sofort bricht dein weiches Herz. Ja, mein Lieber, daraufhin kann man keinen Betrieb leiten!«

»Aber auf kalte Zahlen, jawohl! Du hast Arbeit für vier Wochen und schließt die Fabrik!«

»Jawohl, weil ich sie in vier Wochen doch schließen müßte und weil das Schließen heute die Unkosten verringert!«

»Aber zweihundert Arbeiterfamilien hätten vier Wochen länger zu essen gehabt!«

»Mein lieber Junge, ich bin ein Geschäftsmann, keine Versorgungsanstalt!«

Jetzt ist der Jüngere in voller besinnungsloser Wut. Er spürt hinter der gelassenen Überlegenheit des Älteren dessen Ärger, und es reizt ihn, ihn noch mehr zu ärgern, zu verwunden, aus der Überlegenheit herauszubringen.

»Doch bist du eine Versorgungsanstalt!« ruft er zornig. »Eine Versorgungsanstalt deines eigenen fetten Bauches, deiner eigenen faulen Gelüste. Wenn du nur in deine Bars zu deinen geliebten Kokotten gehen kannst …«

»Johannes! Ich verbiete dir … Jetzt ist aber Schluß …«

»Jetzt geht es erst los, mein Lieber! Denkst du, ich habe nicht längst gesehen, daß du Mutter und mich hintergehst? Du behauptest immer, die Fabrik will dies und das, aber in Wirklichkeit willst du es! Du willst uns rausdrängen, du willst alles bestimmen, du willst alles verdienen …«

»Da ich alle Arbeit tue, ist es nur recht, daß ich am meisten verdiene. Und wie ich mein Geld ausgebe, ist meine Sache, jedenfalls nicht für alberne Ölbilder nichtskönnender Kleckser und gestammelte Verse fauler Poetaster wie du!«

Plötzlich ist der Jüngere ganz ruhig geworden. »Mit dir ist nicht zu reden«, sagt er kurz. »Du bist nichts weiter als ein dummer, blöder Materialist. Ich werde mit Mutter sprechen, die Fabrik wird wieder geöffnet werden!«

»Das glaubst du doch selbst nicht!«

»Und wenn sie nicht wieder geöffnet wird, dann gehe ich. Jawohl, dann reise ich nach den Staaten! Aber für mich, nicht für deinen verfaulten Betrieb in diesem verkommenen Lande! Ich will als Mensch leben!«

»In Amerika!«

»Ich will ich selber sein!«

»In Amerika!«

»Ich habe nichts mehr in Deutschland zu tun, wo alle alle aussaugen, jeder nur an sich denkt …«

»Aber in Amerika!«

»Jawohl, in Amerika!«

»Mit einem hübschen Scheckbuch …, das glaube ich!«

»Soviel für dein Scheckbuch! Ich will ich selbst sein – ich werde arbeiten!«

»Du …!« Der Bruder bricht in ein Gelächter aus. »Du willst arbeiten? Du, der nie eine Arbeit richtig fertig gemacht hat, weder in der Schule noch hier in der Fabrik? Du willst von deiner Arbeit leben? Glückliche Reise, mein Sohn! in vier Wochen sehen wir deinen ersten Scheck, und in einem Vierteljahr schlachten wir das fette Kalb für den verlorenen Sohn!«

Er sieht den Bruder mit verhohlenem Triumph an, jetzt hat er ihn da, wo er ihn haben will!

»Nie!« schreit der Jüngere. »Nie! Entweder komme ich heim als großer Mann oder …«

Er macht eine wilde Gebärde gegen die Tür und geht.

Der Ältere starrt ihm nach. Dann zieht er langsam ein großes, seidenes Tuch aus der Tasche und trocknet sich das mit Schweiß bedeckte Gesicht ab. Mit einem behaglichen Aufseufzen läßt er sich wieder in seinen Sessel sinken, wählt eine Zigarre, schneidet sie ab, entzündet sie und zieht langsam den Rauch ein.

Nun greift er zum Telefon.

»Fräulein Krause, verbinden Sie mich bitte sofort mit meiner Mutter.«

Dies Herz, das dir gehört

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