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Traumwelten

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Während Richard Wagner lebhaften Umgang mit Gleichaltrigen gepflegt haben soll, flüchteten Beethoven und Mahler aus einer grausamen Welt oftmals in die Einsamkeit.

Ludwig galt als „in sich gekehrt und ernsthaft‟, zur Verschlossenheit neigend habe er sich seiner „brütenden Phantasie‟ überlassen. An einem Fenster sah man den Jungen sitzen, wie er den Kopf in beide Hände legte und lange auf einen fernen Fleck zu starren schien. Oder er schloss sich auf dem Dachboden ein, wo ein Fernrohr auf ihn wartete. Damit schaute er dreißig Kilometer weit, über den Rhein hinweg, wo die anderen Kinder spielten; ließ seine einsamen Blicke und Gedanken bis hin zum Siebengebirge schweifen. Er suchte und fand Zufluchtsorte: den einsamen Dachboden, die Natur – und seine Musik. Sie stand im Mittelpunkt seiner Traumwelt, in ihr fand er Erfüllung und Glück.

Gustav Mahler war kindlichen Spielen grundsätzlich nicht abgeneigt, wie sein Jugendfreund Theodor Fischer berichtete. Er schloss sich nicht aus, wenn „Räuber und Soldat‟ oder „Spalschker‟ (ein mittels einer Peitsche angetriebener Holzpflock) gespielt wurden. Doch er scheint ähnlich empfunden zu haben wie der junge Beethoven. Ein bedeutsames, vielsagendes Ereignis: Als die Familie eines Tages den Großeltern einen Besuch abstattete, war der vierjährige Gustav plötzlich spurlos verschwunden. Nach langer Suche erst fand man ihn: auf dem Dachboden, an einem alten Klavier sitzend und klimpernd – der Moment, in dem für Bernhard Mahler feststand: Sein Sohn muss Musiker werden. Die ungeheure Begabung war ihm nicht entgangen, auf die Sensibilität, untrennbar verbunden mit ihr, nahm er leider keine Rücksicht. Denn auch vor den Schlägen des Vaters suchte Gustav Schutz in seiner Traumwelt: „Es setzte nicht nur Worte, aber, was immer mit ihm geschah, der Kleine träumte‟, wusste Alma zu berichten. „Von allem andern sah er nicht viel. Träumend ging er durch Haus und Felder, träumend zog er durch Familie und Kinderjahre.‟ Diese Versunkenheit überstieg ganz offensichtlich das „normale‟ Maß an kindlicher Verträumtheit erheblich, gab Anlass zu Besorgnis, vor allem immer wieder zu väterlichem Zorn. Denn der Sohn soll oftmals so abwesend gewirkt haben, dass er richtiggehend geschüttelt werden musste, um sich dem Alltag wieder zuzuwenden. Gustav empfand es als Qual, beständig ermahnt und bedroht zu werden. Im Gegensatz zu Beethoven beschönigte er später nichts und klagte der engen Freundin Natalie Bauer-Lechner als Erwachsener sein frühes Leid: „Was ich damit geplagt wurde, machst Du Dir keine Vorstellung. Und ich fühlte mich natürlich sehr schuldig über meine Versunkenheit, und spät erst ist mir eingefallen, was Eltern und Große an einem Kind darin sündigen, welches zu seiner geistigen Entwicklung offenbar dies nach Innengekehrtsein allernötigst braucht.‟

Als „komisches Beispiel‟ seines „verträumten Stillsitzens‟ sei ihm später erzählt worden, dass er als kleiner Junge nach stundenlangem Suchen in einem leeren Schweinestall gefunden wurde, in den er „weiß Gott wie‟ geraten war. Obwohl Gustav die Tür nicht öffnen konnte, blieb er ruhig und ohne zu schreien dort sitzen. Bis zu seiner zufälligen Rettung. „Hier bin ich‟, soll er vergnügt gerufen haben, während man draußen verzweifelt nach ihm rief.

Eine ähnliche, durch Alma überlieferte Episode aus Mahlers Kindheit ist ebenso charakteristisch für den Jungen: Der Vater nahm den kleinen Gustav mit in den Wald. Unterwegs fiel ihm ein, dass er daheim noch etwas zu erledigen hatte. Also befahl er seinem Sohn, sich auf einen Baumstrunk zu setzen und auf ihn zu warten. Die Ablenkung zu Hause jedoch war groß, nach vielen Stunden erst erinnerte man sich des vermissten Jungen. Es dämmerte bereits, als Bernhard wieder in den Wald eilte, und „wie er es verlassen, das Kind unbeweglich noch immer auf dem Baumstrunk‟ sitzend fand, „die ruhig-versonnenen Augen ohne Angst und Verwunderung‟. Immer sei Gustav Mahler dieses Kind geblieben, meinte Alma, niemals sei die „vereinsamte Traumwolke‟ ganz von ihm gewichen. Sie umgab ihn vor allem dann, wenn er sich in seine Bücher vertiefen konnte.

Während Beethoven sich mit dem Dachboden begnügte, so wollte der kleine Gustav noch höher hinauf, um beim Lesen ungestört zu sein. Er kletterte eines Tages aus der Dachluke des elterlichen Hauses aufs Dach und verbrachte dort Stunde um Stunde. Wieder wurde nach ihm gefahndet, bis man ihn vom gegenüberliegenden Haus aus entdeckte. Zitternd vor Angst und Wut stand Bernhard bald darauf auf dem Dachboden und wagte es nicht, das Kind anzurufen, das vor Schreck hätte hinunterstürzen können. Nach einer Stunde verließ Gustav selbst sein Asyl und wurde von einer fürchterlichen Tracht Prügel empfangen. Die Sorge des Vaters um das Wohl seines Sohnes war gewiss groß gewesen, die Angst vor dem Verlust – denn es wäre nicht der erste gewesen.

Beethoven, Wagner, Mahler

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