Читать книгу Als Erich H. die Schule schwänzte - Hans-Georg Schumann - Страница 11
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ОглавлениеDarüber hatte Erich noch nie nachgedacht: Eine Schule nicht als Ort des Lernens, sondern nur als ein Treffpunkt, vielleicht ein Ort der Kommunikation. In einer solchen Schule könnten es Schüler und Schülerinnen wie Hülya zum Aushalten finden. Lediglich der Unterricht ist und bleibt mehr oder weniger überflüssig.
»Aber wäre dies denn wirklich schlecht?«, sagte er plötzlich laut. Und erschrak zugleich, weil er damit seinen Beruf infrage stellte.
Man trifft sich, kommuniziert miteinander, mischt Ernst und Spaß. Schule als Ort zum Spielen und Lernen. »Dann wären die Lehrer doch nicht überflüssig.« Immerhin hatte Hülya gesagt, sie sei gern in der Schule – auch wegen einiger Lehrer. Und hatte ausdrücklich ihn dazu gezählt.
Die Idee einer Schule, die ganz anders ist als die Pflichtschulen, in die unzählige Schüler tagein tagaus gingen, gab es schon lange. Doch während vor allem jüngere Kollegen zum Teil über völlig neue Systeme diskutierten, für die aktuelle Schulen dichtgemacht werden müssten, hatte Hülya offenbar eine viel einfachere Lösung parat.
»Wenn man das als Basis nimmt«, sagte Erich auf dem Weg zur Espressomaschine, »dass Schüler sich in der Schule geborgen fühlen, nicht als Institution, sondern als Aufenthaltsort, könnte man darauf etwas Neues aufbauen.«
Er schaltete die Maschine an. Deutlich hörbar begann die zu rumoren und sich auf ihre kommende Arbeit vorzubereiten.
»Bloß, welche Rolle spielen dabei die Lehrer?«, fragte Erich weiter, während er darauf wartete, dass die Maschine sich aufwärmte.
Er selbst sah sich als »Kundendienst«, wie er es gern vor den Schülern ausdrückte, der Angebote zum Lernen machte. Bei einer echten Serviceleistung hatte man auch das Recht, sie gar nicht erst in Anspruch zu nehmen. Die Schüler jedoch waren zur Annahme der Lernangebote verpflichtet. Immerhin waren sie kostenlos – für die Schüler. Doch ihre Eltern mussten als Steuerzahler sehr wohl dafür bezahlen.
Inzwischen hatte Erich die kleine Tasse so positioniert, dass sie genau unter beiden Düsen stand. Ein Druck auf einen Knopf setzte das Mahlwerk in Gang, und etwas später begann aus den Öffnungen cremiger Espresso zu fließen.
»Die Schulpflicht verlangt, dass Schüler den Service der Lehrer in Anspruch nehmen müssen, auch wenn er miserabel ist, sonst ...«
Erich unterbrach sich, nahm die halbvolle Tasse vorsichtig auf und trug sie so zum Küchentisch, als würde er ein zerbrechliches Kleinod transportieren.
»Eine Pflicht zum Lernen, zur Bildung sollte es geben«, meinte er und nahm dann genüsslich den ersten Schluck. »Aber es muss eine Wahlpflicht sein.«
Dann schaute er ratlos in seine Espressotasse. Wie das genau aussehen sollte, wusste er nicht. Warum überhaupt machte ausgerechnet er sich Gedanken? Er würde sich niemals trauen, seine Ideen etwa in einer Konferenz oder in noch größerem Rahmen zu veröffentlichen. Und erst recht nicht an einer Bewegung teilzunehmen, die sich zum Ziel gesetzt hätte, eine neue Schule zu schaffen.
Er trank die Tasse leer und stellte sie so geräuschvoll in die Untertasse zurück, dass er darüber erschrak.
»Nein«, sagte er laut und stand auf, »Du bist nicht der Typ dafür. Du machst deinen Job, wie du ihn immer gemacht hast. Maximal noch fünf Jahre. Dann ist für dich das Thema Schule erledigt.«
Sollten doch die jungen Kollegen sich für Änderungen stark machen. Die hatten immerhin noch alles vor sich und mit dem jetzigen Schulsystem noch jahrzehntelang zu kämpfen. »Wenn überhaupt, dann hätte ich damit schon vor langer Zeit anfangen müssen.«
Unruhig lief er von der Küche ins Wohnzimmer und wieder zurück. Er wusste, dass er vor etwas nicht davonlaufen konnte. Aber er wusste nicht, was genau dieses »Etwas« war.