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2.1.4Schmelz- und Verdunstungsenergie

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Bisher wurden alle Phasenübergänge lediglich als eine Änderung des Aggregatzustandes gesehen. Tatsächlich spielen sich dabei aber wichtige energetische Vorgänge ab, die im Folgenden besprochen werden.

Denken wir zunächst an das Schmelzen von Eis. Im Eiskristall sind die Wassermoleküle an das strenge Raster des Kristallgitters gebunden. Im 61 Kristallgefüge sind nämlich starke Ordnungskräfte wirksam, die die Moleküle auf ihren Plätzen zu halten versuchen. In der flüssigen Phase dagegen können sie sich bekanntlich relativ zwanglos gegeneinander bewegen.

Will man einen Eiskristall schmelzen, so muss man Energie zuführen, die diese Kräfte überwinden hilft. Man nennt sie Schmelzenergie. Sie beträgt etwa 333 J/g. Das Gleiche gilt für die Überführung von der flüssigen Phase in die Gasphase. Im Gas sind die Moleküle viel weiter auseinander als im flüssigen Zustand, und diese Entfernungsvergrößerung kostet Energie, die als Verdunstungsenergie bezeichnet wird und die sogar 2,3 kJ/g Wasser beträgt. Sie ist, wie man sieht, um ein Vielfaches größer als die Schmelzenergie.

Mathematik und Physik

Weder die Zufuhr der Schmelz noch der Verdunstungsenergie bewirken – darauf muss nachdrücklich hingewiesen werden – eine Erhöhung der Temperatur. Sie dienen lediglich dazu, das Kristallgitter zu sprengen bzw. die Überführung in die Gasphase zu ermöglichen.

Eine Reihe von Vorgängen aus dem täglichen Leben, z. B. das Verhalten des Wassers beim Sieden, lassen sich so bequem erklären. Stellt man einen Topf mit kaltem Wasser auf den heißen Herd, so steigt die Temperatur unter der Einwirkung der Heizenergie zunächst stetig an. Setzt aber, sobald 100 °C erreicht sind, der Phasenübergang zum gasförmigen Wasser ein, was sich äußerlich durch sprudelndes Kochen bemerkbar macht, so bleibt die Temperatur unverrückbar auf 100 °C stehen. Die nach wie vor zugeführte Heizenergie wird jetzt einzig und allein für den Phasenübergang aufgewendet.

Auch die Tatsache, dass ein Eis-Wasser-Gemisch wie z. B. im Sektkübel, so lange konstant auf 0 °C stehenbleibt, wie festes Eis vorhanden ist, erklärt sich daraus.

Nach einem fundamentalen Gesetz der Physik kann Energie weder verschwinden noch aus dem Nichts heraus entstehen. Wo bleibt dann die Verdunstungsenergie? Sie wird dazu benützt, die vergrößerten Molekülabstände aufrechtzuerhalten, und die Schmelzenergie verhindert, dass die Kristallisationskräfte eine erneute Eisbildung auslösen. Da sich beide Energien dem unmittelbaren Nachweis entziehen, sich also gewissermaßen verstecken, bezeichnet man sie als latente Energie.

Mathematik und Physik

Bei der Verdunstung bilden sich aus 1 Liter flüssigem Wasser (bei 100 °C, 1013 mbar Luftdruck) fast 1,7 m3 Wasserdampf. Dabei laufen streng genommen zwei Vorgänge gleichzeitig ab. Erstens (→ Kap. 2.1.6, S. 66) werden die Wasserstoffbrücken in den Wasserclustern zerstört. Da die Wasserstoffbrücken eine Form von (chemischer) Bindung darstellen, muss Energie aufgewendet werden, um deren Bindungskräfte zu überwinden. Man nennt sie Abtrennenergie. Sie beträgt 2,088 kJ/g Wasser (100 °C, 1013 mbar). Zweitens muss Arbeit gegen den umgebenden Luftdruck geleistet werden, was ebenfalls Energie kostet (→ Kap. 1.5, S. 36), die sog. Verschiebungsenergie. Sie beträgt 0,169 kJ pro g Wasser (100 °C; 1013 mbar). Zusammen bilden sie die Verdunstungsenergie von 2,257 kJ pro Gramm Wasser. Wie man sieht, wird für die Trennung der Wassermoleküle voneinander rund 93 %, für die Volumenvergrößerung dagegen nur etwa 3 % der Verdunstungsenergie aufgewendet.

Beim Gefrieren bzw. beim Kondensieren wird die latente Energie in Form von Wärme wieder freigesetzt. Daraus ergibt sich für die Meteorologie ein eminent wichtiges Faktum: Flüssiges Wasser, erst recht aber der Wasserdampf stellen einen gigantischen Energiespeicher dar. Mit dem von der Luft transportierten Wasserdampf werden gleichzeitig gewaltige Energiemengen mitbefördert, die bei der Kondensation in Form von Wärme wieder verfügbar werden.

Aus dem Alltag

Auch im Alltagsleben gibt es Vorgänge, bei denen latente Energie in Wärme umgewandelt wird, z. B. beim Aufschäumen von Milch für einen Cappuccino. Dazu wird der heiße Wasserdampf in die kalte Milch geblasen. Dort kondensiert er und überträgt dabei die frei werdende latente Energie in Form von Wärme auf die Milch.

In den Ozeanen der Subtropen verdunsten erhebliche Wassermengen. Der dabei entstehende 62 Wasserdampf enthält riesige Mengen an latenter Energie, die er in die kühleren Regionen der Erde transportiert. In unseren Breiten kondensiert er zu Wolken und Regen. Dabei wird die latente Energie wieder frei und trägt so zur Erwärmung dieser Zonen bei. In Form von latenter Energie wird mehr Wärme nach Europa transportiert als vom Golfstrom. Wir haben hier einen mächtigen Energietransport vor uns, der jedoch äußerlich überhaupt nicht als solcher in Erscheinung tritt.

Dazu ein kleines Rechenbeispiel: In München fallen im Juli durchschnittlich 150 Liter Regen auf jeden m2. Dabei werden 360 MJ an Kondensationsenergie freigesetzt.

Andererseits verdunsten dort im gleichen Monat von jedem m2 rund 80 Liter Wasser, die etwa 190 MJ an Verdunstungsenergie binden. Die Kondensation liefert somit 170 MJ mehr Energie als die Verdunstung aufbraucht. Diese Energiemenge steht zur Erwärmung von Luft und Boden zur Verfügung. Die Sonnenstrahlung spendet im Juli eine Energiemenge von etwa 590 MJ. Somit beträgt der Gewinn an Kondensationsenergie fast 30 % der Sonnenenergie.

Schauen wir uns noch ein anderes Beispiel an: An einem wolkenlosen Hochsommertag erhält ein m2 Bodenoberfläche in Mitteleuropa etwa 30 MJ Strahlungsenergie. Denken wir uns am Abend eines solchen Tages ein Gewitter aufziehen, das jedem m2 5 Liter Regen bringen soll, dann lässt sich leicht berechnen, dass bei der Kondensation dieses Regenwassers etwa 40 % der tagsüber eingestrahlten Energie freigesetzt wurden. Ein etwas heftigerer Schauer mit einer Regenspende von 10 Litern auf den m2 bringt es auf 80 % und ein Unwetter mit 50 Litern pro m2 auf das 4fache der Sonnenenergie. Wirbelstürme und heftige Sommergewitter beziehen ihre Energie vollständig aus der beim Kondensieren frei werdenden latenten Energie.

Im Garten- und Weinbau ist die Frostschutzberegnung als probates Mittel zur Bekämpfung der gefährlichen Spätfröste verbreitet. Die Methode besteht darin, dass die zu schützenden Pflanzen in kurzen, regelmäßigen Abständen mit Wasser besprüht werden, das auf der Pflanzenoberfläche bei 0 °C gefriert. Die dabei frei werdende Gefrierenergie wird dazu benützt, die nächtlichen Wärmeverluste zu ersetzen. Richtig angewendet, kann man mit der Frostschutzberegnung Fröste bis unter –6 °C erfolgreich bekämpfen.

Sowohl die Schmelzenergie als auch die Verdunstungsenergie müssen aus irgendeiner Quelle entnommen werden. In der Meteorologie ist das der Wärmevorrat der umgebenden Luft, des Bodens, der Gewässer, Pflanzen oder der auf der Erdoberfläche befindlichen Objekte und die Strahlung. Und weil eine Energieabgabe mit einer Temperaturabnahme verbunden ist, beobachtet man besonders bei Verdunstungsvorgängen oft eine spürbare Kühlwirkung.

Man kann diesen Effekt „am eigenen Leibe“ verspüren, wenn man nach dem Baden im Freien aus dem Wasser steigt und das auf der Haut noch vorhandene Wasser verdunstet. Die damit verbundene Abkühlung kann sogar zum Frösteln führen. Vielfach werden Verdunstungsvorgänge bewusst zur Kühlung verwendet. So bewahrt man in südlichen Ländern den Wein gerne in porösen Tonkrügen auf, durch deren Wände ständig Flüssigkeit nach außen diffundieren und dort verdunsten kann. Die dafür notwendige Verdunstungsenergie wird dem Wein entzogen, wodurch er kühl gehalten wird.

Auch wenn die Feuerwehr einen Brand mit Wasser bekämpft, wird durch Entzug von Verdunstungsenergie der Brandherd unter die Entzündungstemperatur abgekühlt.

Tierische wie pflanzliche Lebewesen versuchen durch Verdunstungsvorgänge ihre Körpertemperaturen zu regulieren. Viele Tiere und die Menschen sondern dazu Schweiß ab, der an der Körperoberfläche verdunstet. Pflanzen transpirieren sowohl an der Cutikula (Deckhaut) als auch besonders an bestimmten Gewebeschichten (Schwammparenchym), von wo aus der Wasserdampf durch Stomata (Atemöffnungen) ins Freie gelangen kann. Durch Öffnen oder Schließen der Stomata kann die Pflanze die Verdunstungskühlung innerhalb weiter Grenzen regulieren.

Aus dem Alltag

Mit Fleischbrühe kann man sich leicht Zunge und Gaumen verbrennen. Der Grund dafür ist, dass die obenauf schwimmende Fettschicht die Verdunstung der Brühe verhindert. Wenn aber keine Verdunstung stattfindet, muss auch keine Verdunstungswärme aufgewendet werden, die die Brühe kühlen würde. 63

Die Kühlung durch Verdunstung führt noch zu einer weiteren wichtigen Konsequenz. Feuchte Oberflächen kühlen sich stärker ab als trockene. Während so in einer kalten Nacht die Temperatur einer trockenen Pflanze vielleicht gerade noch über dem Gefrierpunkt bleibt, kann sich eine tau- oder regennasse schon unter das Frostniveau abkühlen. Der häufig benützte Begriff Verdunstungskälte lässt sich aus den aufgeführten Beispielen leicht als entzogene Verdunstungsenergie interpretieren.

In diesem Zusammenhang soll noch kurz auf die sogenannte Feuchttemperatur hingewiesen werden. Man versteht darunter die tiefste Temperatur, die sich durch Verdunstung (Verdunstungskühlung) erreichen lässt. Voraussetzung dafür, dass sich an einer nassen Oberfläche die Feuchttemperatur einstellt, ist, dass die für die Verdunstung aufzuwendende Energie ausschließlich der vorbei streichenden Luft entnommen wird. D. h., weder die Strahlung noch Wärme aus dem Innern des nassen Gegenstandes noch irgendwelche künstlichen Heizungen dürfen sich an der Energielieferung beteiligen. Darüber hinaus muss die Luft eine Strömungsgeschwindigkeit von mindestens etwa 7 km/h bzw. 2 m/s haben. Die Feuchttemperatur ist umso tiefer, je trockener die vorbei streichende Luft ist. Die Begründung dafür ist im Abschnitt Verdunstung (→ Kap. 2.2.2, S. 76) zu finden. Die Feuchttemperatur ist nicht ganz leicht zu berechnen. Beispiele für ausgewählte Situationen enthält die Tabelle 2.4 auf Seite 67.

Die Feuchttemperatur spielt in der Messtechnik eine wichtige Rolle. Sie wird uns deshalb im Kapitel 8 noch einmal begegnen.

Schließlich sei noch eine Größe erwähnt, die in verschiedenen Bereichen der Meteorologie verwendet wird, die sogenannte Äquivalenttemperatur. Man versteht darunter die Temperatur, die ein Luftpaket annehmen würde, wenn der gesamte darin enthaltene Wasserdampf zur Kondensation gebracht und die dabei frei werdende Energie zur Erwärmung des Luftpaketes aufgewendet werden würde. Die Äquivalenttemperatur drückt also sozusagen den gesamten Energiegehalt der Luft in Form einer äquivalenten Temperatur aus. Sie lässt sich aus dem Dampfdruck nach Gl. (12) berechnen. Der von der Kondensationsenergie herrührende Temperaturanstieg wird als Äquivalentzuschlag bezeichnet.

Aus dem Alltag

Die Äquivalenttemperatur wird primär bei theoretischen Betrachtungen benutzt. Früher wurde sie auch als Schwülekriterium verwendet. Unser Schwüleempfinden hängt mit dem Wasserdampfgehalt der Luft zusammen. Wie später noch gezeigt werden wird, hängt die Verdunstung einer feuchten Oberfläche unter anderem von der Luftfeuchtigkeit ab. Trockene Luft fördert, feuchte Luft drosselt die Verdunstung. Somit wird die Kühlung, die unser Körper an heißen Tagen durch Verdunstung von Schweiß erfährt, von der Luftfeuchtigkeit beeinflusst. Da die Äquivalenttemperatur die Luftfeuchte in eine „äquivalente“ Temperatur umrechnet, lässt sie sich als einfaches Schwülekriterium benutzen. Bei Werten über etwa 50 °C setzt Schwülebelastung ein. Heute hat man sehr viel bessere Kriterien für das thermische Wohlbefinden, z. B. das „Klima-Michel-Verfahren“. (Jendritzky et al; 1990).

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