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2.1.6Molekularphysikalische Deutung ungewöhnlicher Eigenschaften des Wassers

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Vergleicht man physikalische Eigenschaften verwandter chemischer Verbindungen, so stellt man fest, dass die Unterschiede meist auffällig gering sind.

„Verwandte“ des Wassers – im chemischen Sinn – sind die Wasserstoffverbindungen derjenigen Elemente, die im Periodensystem unter dem Sauerstoff stehen, also Schwefel, Selen oder Tellur.

Vergleichen wir einmal ihre Siedepunkte miteinander:

Schwefelwasserstoff

(H2S; Molekulargewicht 34): –61 °C = 212 K

Selenwasserstoff

(H2Se; Molekulargewicht 82): –41 °C = 232 K

Tellurwasserstoff

(H2Te; Molekulargewicht 130): –2 °C = 271 K

Wie man sieht, sind sie recht ähnlich. Die parallel zum Molekulargewicht leicht steigende Tendenz ist einleuchtend, denn je schwerer die Moleküle sind, desto mehr Energie benötigt man, um sie in den Dampfzustand überzuführen.

Das Wasser fällt jedoch bei diesem Vergleich völlig aus dem Rahmen. Für ein so leichtes Molekül (Molekulargewicht 18) sollte man einen Siedepunkt um –80 °C = 193 K erwarten. Tatsächlich liegt er aber bei +100 °C = 373 K und damit erstaunliche 180 K „zu hoch“.

Ganz Ähnliches gilt für den Schmelzpunkt:

H2S:– 86 °C = 187 K;
H2Se:– 66 °C = 207 K;
H2Te:– 49 °C = 224 K.

Beim Wasser müsste er um etwa –100 °C = 173 K liegen. Bekanntlich beträgt er aber 0 °C und übersteigt den erwarteten Wert damit um rund 100 K.

Auch der Temperaturbereich, in dem das Wasser flüssig ist, erstreckt sich mit 100 K über eine große Spanne. Vergleicht man mit den Verhältnissen bei seinen „Verwandten“, so würde man an nur etwa 20 K denken.

Wie sind diese erstaunlichen Unterschiede zu erklären? Sie ergeben sich aus der Struktur des Wassermoleküls (→ Abb. 2.4): Die beiden Wasserstoff-Atome bilden zusammen mit dem Sauerstoff-Atom einen Winkel von etwa 105°. Am Scheitelpunkt sitzt das Sauerstoff-, an den Enden der Schenkel je ein Wasserstoffatom. Dieses Gebilde ist von einer Elektronenwolke umhüllt. Da der Atomkern des Sauerstoffs eine viel stärkere positive Ladung besitzt als die Wasserstoffkerne, zieht er die Wolke überwiegend auf seine Seite. So bildet sich im Scheitelbereich des Molekülwinkels ein negativer Ladungsüberschuss (e–) aus. Diese Ladungsverschiebung hat zur Folge, dass die positive Kernladung der beiden Wasserstoffatome nicht mehr restlos kompensiert wird und sich deshalb in ihrem Bereich eine positive Überschussladung einstellt. Insgesamt bildet sich eine Tetraeder-förmige Ladungsverteilung mit 2 positiv und 2 negativ geladenen Spitzen aus. Wassermoleküle haben also eine positiv und eine negativ geladene Seite. Solche Gebilde nennt man Dipole.


Abb. 2.4 Aufbau eines Wassermoleküls.

Aufgrund dieser Eigenschaft ziehen die positiv geladenen Seiten von Wassermolekülen die negativ geladenen Seiten benachbarter Wassermoleküle elektrisch an. Dadurch können sie lockere, zwar leicht zu zertrennende, aber immer wieder 66 neu entstehende Molekülnetze knüpfen, die als Cluster bezeichnet werden und die nach außen hin den Aggregatzustand „flüssig“ bewirken. In Clustern sind zwei benachbarte Sauerstoffatome über ein Wasserstoffatom miteinander verknüpft. In der physikalischen Chemie bezeichnet man solche Verknüpfungen als Wasserstoffbrücken (→ Abb. 2.5).

Tab. 2.4 Vergleich der Relativen Feuchte mit anderen Feuchtemaßen
Temperatur:–100102030°CBerech­nung nach:
2,96,112,323,442,5Sättigungsdampfdruck (mbar)Gl. 1; Gl. 2
RelativeFeuchte: 30 %0,91,83,77,012,7Dampfdruck (mbar)
– 24,1– 15,4– 6,71,910,5Taupunkt ( °C)Gl. 11
0,531,132,274,337,88Spezifische Feuchte (g/kg)Gl. 7
0,711,452,825,199,11Absolute Feuchte (g/m3)Gl. 4
– 11,9– 4,33,310,818,4Feuchttemperatur ( °C)Gl. 12a
– 8,72,815,630,749,5Äquivalenttemperatur ( °C)Gl. 12
2,04,38,616,429,7Sättigungsdefizit (mbar)
RelativeFeuchte: 60 %1,73,77,414,125,5Dampfdruck (mbar)
– 16,2– 6,82,612,021,4Taupunkt ( °C)Gl. 11
1,062,264,558,6915,83Spezifische Feuchte (g/kg)Gl. 7
1,412,915,6410,3818,21Absolute Feuchte (g/m3)Gl. 4
– 11,9– 2,96,015,024,0Feuchttemperatur ( °C)Gl. 12a
– 7,45,621,341,569,0Äquivalenttemperatur ( °C)Gl. 12
1,12,44,99,417,0Sättigungsdefizit (mbar)
RelativeFeuchte: 90 %2,65,511,121,138,2Dampfdruck (mbar)
– 11,3– 1,48,418,328,2Taupunkt ( °C)Gl. 11
1,593,396,8313,0723,86Spezifische Feuchte (g/kg)Gl. 7
2,124,368,4615,5727,32Absolute Feuchte (g/m3)Gl. 4
– 10,7– 0,98,918,828,6Feuchttemperatur ( °C)Gl. 12a
– 6,18,426,952,288,5Äquivalenttemperatur ( °C)Gl. 12
0,30,61,22,34,2Sättigungsdefizit (mbar)
Bitte beachten: Negative Feuchttemperaturen gelten für Eis (nicht für unterkühltes Wasser)!


Abb. 2.5 Schematisierte Beispiele für Wassercluster: (a) aus 3, (b) aus 7 Molekülen aufgebaut. Die schwarzen Linien symbolisieren die Wasserstoffbrücken. Cluster bestehen aus 2 bis 500 Molekülen. Je höher die Temperatur, desto kleiner die Cluster, weil sie von der heftiger werdenden Molekularbewegung zunehmend zerrissen werden. Dennoch hat man Cluster auch im Wasserdampf nachgewiesen. Erst ab etwa 1000 °C können die Wassermoleküle als Einzelindividuen existieren. Cluster haben nur eine extrem kurze Lebenszeit:1 bis 20 Picosekunden (= 10–12 s). Deshalb konnte noch kein individuelles Cluster isoliert werden.

Die gegenseitige elektrische Anziehung erklärt die oben aufgeführten ungewöhnlichen Eigenschaften des Wassers ganz zwanglos. Beginnen wir mit dem Siedepunkt: Die Wasserstoffbrücken widersetzen sich in erheblichem Maße dem Bestreben der Wassermoleküle, sich voneinander zu trennen und damit in den gasförmigen Zustand überzugehen. Erst bei der hohen Temperatur von 100 °C wird die Molekularbewegung so heftig, dass es den einzelnen Molekülen (→ Abb. 2.6) gelingt, sich voneinander loszureißen. Analoges gilt beim Schmelzen und erklärt so die hohe Schmelztemperatur. Die Tatsache, dass das Wasser innerhalb einer Temperaturspanne von 100 K flüssig bleibt, folgt ebenfalls aus der elektrischen Anziehung zwischen den Wasserdipolen.


Abb. 2.6 Schematisierte räumliche Darstellung des Kristallgitters in einem Eiskristall. Die schwarzen Linien stellen Wasserstoffbrücken dar (nach einer Vorlage bei Vogel, 1997).

Gehen Sie bitte zum Betrachten wie folgt vor: Halten Sie das Buch etwa 20 cm vor die Nasenspitze. Schielen Sie mit dem rechten Auge über die Nasenspitze hinweg nach links und mit dem linken nach rechts. Sie können dann drei Bilder nebeneinander erkennen. Das mittlere ist das dreidimensionale. Jetzt entfernen Sie das Buch ganz langsam nach vorne, bis der Druck scharf erscheint. Sollte sich der Stereoeffekt nicht gleich einstellen, dann drehen Sie das Buch leicht im oder gegen den Uhrzeigersinn, bis die drei Bilder exakt in einer Linie erscheinen, dann wird sich auch schnell der Stereo-Effekt zeigen.

Vom vorigen Abschnitt her wissen wir, dass das Wasser eine außerordentlich hohe spezifische Wärme besitzt, was wichtige meteorologisch-klimatologische Konsequenzen hat. Auch sie geht 67–68 auf die Neigung zur Brückenbildung zurück. Führt man flüssigem Wasser Wärme zu, so wird ein nicht unerheblicher Teil davon zum Sprengen von Wasserstoffbrücken verbraucht. Da dieser Vorgang sehr energieaufwendig ist, bleibt für die Temperaturerhöhung nur noch ein bescheidener Rest übrig. Die Folge ist, dass sich das Wasser weniger erwärmt als Substanzen ohne Dipoleigenschaften. Dafür macht sich die mit steigender Temperatur abnehmende Zahl von Wasserstoffbrücken aber durch eine abnehmende Viskosität des Wassers bemerkbar: Bei 0 °C ist Wasser fast 7-mal so zäh wie bei 100 °C.

Besonders auffällig macht sich die Dipolwirkung unter den Molekülen an der Oberfläche von Wassertropfen bemerkbar. Sie lässt eine Art elastischer Haut entstehen, die stets bestrebt ist, sich zusammenzuziehen und sich damit möglichst eng um das Wasservolumen herumzulegen. D. h., es entsteht eine erhebliche Oberflächenspannung. Sie hat zur Folge, dass auch noch relativ große, frei fallende Wassertropfen ihre Kugelgestalt beibehalten. Erst bei Tropfendurchmessern über 2 bis 3 mm kommt es, wie wir noch sehen werden, zu Deformationen.

Die große Oberflächenspannung bewirkt darüber hinaus, dass Wassertröpfchen, die sich zufällig berühren, spontan zu einem einzigen größeren Tröpfchen zusammenfließen. Auf diese Weise können Niesel- oder sogar Regentropfen entstehen (→ Kap. 2.3.4): Die Oberflächen zweier kleiner Tröpfchen sind nämlich zusammen deutlich größer als die Oberfläche des Tröpfchens, das beim Zusammenfließen entsteht.

Mathematik und Physik

Ein kleines Rechenbeispiel soll zeigen, dass die Oberflächen zweier Tropfen zusammen größer sind als die Oberfläche des Tropfens, der bei ihrem Zusammenfließen entsteht. Denken wir uns zwei gleich große Tropfen mit einem Radius r = 1 mm. Ihre Oberfläche O berechnet sich dann nach der Formel O = 4 · π · r2 zu O = 12,6 mm2; beide zusammen haben also eine Oberfläche von 25,2 mm2. Aus der Formel V = 4/3 · π · r3 für das Kugelvolumen lässt sich berechnen, dass beim Zusammenfließen der beiden ein Tropfen mit einem Radius von 1,26 mm2 entsteht, der eine Oberfläche von 19,9 mm2 besitzt. Das sind aber nicht einmal 80 % der Summe der beiden ursprünglichen Tropfenoberflächen.

Schließlich erklärt die Dipoleigenschaft die ökologisch wie klimatologisch bedeutsame Tatsache, dass Wasser seine größte Dichte bei 4 °C hat, dass also Eis auf flüssigem Wasser schwimmt.

Stellen wir uns dazu einen –20 °C kalten Eisbrocken vor. Er soll erwärmt, geschmolzen und als flüssiges Wasser weiter erwärmt werden. Dabei verfolgen wir den Dichteverlauf. Bei –20 °C beträgt sie 0,920 g/cm2. Beim Erwärmen wird die Molekularbewegung heftiger: ihre Abstände wachsen und damit verringert sich die Dichte: bis –10 °C auf 0,919 und bis 0 °C auf 0,918 g/cm2.

Beim Schmelzen brechen viele Wasserstoffbrücken auseinander, und es bildet sich ein fluktuierendes Netzwerk aus Wasserclustern (→ linke Seite). Gleichzeitig springt die Dichte auf 0,999 g/cm2, weil in den Clustern die Wassermoleküle aus physikalischen Gründen dichter gepackt sind als in den Kristallen! Beim Erwärmen des flüssigen Wassers laufen zwei Prozesse ab: Erstens eine stetige Verkleinerung der Cluster: Bei Temperaturen um 0 °C sind die Cluster relativ groß; sie enthalten 10 bis mehrere hundert Moleküle. Solche Cluster sind sperrig; zwischen ihnen gibt es viele „Hohlräume“. Mit steigender Temperatur wird die Molekularbewegung heftiger, dabei werden immer mehr Wasserstoffbrücken zerstört und die Cluster zerbrechen. Bei 100 °C bestehen sie meist nur noch aus 2 Molekülen. Dafür sind sie aber „dichter gepackt“ als die kälteren. Das bedeutet: Die Dichte des Wassers müsste beim Erwärmen stetig steigen, wenn nicht noch ein zweiter Vorgang ablaufen würde, nämlich die Wärmeausdehnung des Wassers infolge der heftiger werdenden Molekularbewegung. Sie verursacht einen stetigen Rückgang der Dichte. Die beiden Effekte: Zerfall der Cluster und thermische Ausdehnung wirken also gegenläufig. Bei Temperaturen unter 4 °C überwiegt der Clustereffekt (steigende Dichte), darüber die Wärmeausdehnung (fallende Dichte). Die Folge: Zwischen 0 °C und 4 °C steigt die Dichte des Wassers, darüber nimmt sie ab und bei 4 °C (genauer bei 3,983 °C) liegt das bekannte Dichtemaximum. 69

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