Читать книгу Die Todesotter - Hans Heidsieck - Страница 8
ОглавлениеIn der Hafenkneipe ‚Zum lustigen Seemann’ herrschte auch nach Mitternacht noch ein reger Betrieb. In den beiden vorderen Räumen hielten sjch vorwiegend Matrosen, Transportarbeiter und andere Schiffsleute auf. In einem etwas besser ausgestatteten, hinteren Zimmer, das einen gesonderten Eingang von einer anderen Gasse her hatte, fanden sich Kapitäne von Frachtdampfern, Lotsen und Steuerleute zusammen, namentlich, wenn es galt, Mannschaften für eine Fahrt anzuheuern. In solchen Fällen brauchte man bloß in den vorderen Räumen Umschau zu halten, bis der Gewünschte gefunden war. Das Lokal wurde deshalb auch häufig ‚Die Seemannsbörse’ genannt.
Hinter dem Schanktisch hantierte der handfeste ‚grobe Victor’ mit seiner ebenso kräftig gebauten Frau. Ein Kellner sowie zwei Kellnerinnen waren für die Bedienung da.
Viele Matrosen hatten ihre Braut mitgebracht und benahmen sich recht ungeniert. Es wurde getanzt und gesungen. Vor allen Dingen trank man auch viel, zumal es im ‚lustigen Seemann’ einen sehr guten Wein gab. Die Gäste der vorderen Räume zogen allerdings Schnaps vor.
Abseits an einem langen Tisch saßen zwei Männer, die offenbar hier auf jemanden warteten. Zu den Stammgästen schienen beide nicht zu gehören. Der eine, ältere, trug eine blaue Hose und eine weiße Wolljacke mit einem schwarzen Anker darauf. Sehr vertrauenerweckend sah er wirklich nicht aus. Unter den buschigen Brauen hervor blickten ein Paar harte graue Augen. Scharfe Falten standen um seinen Mund.
Sein Begleiter, noch ein jüngerer Mensch, sah kränklich und blaß aus und räusperte sich immerzu.
„Wenn sie nicht kommt, soll sie der Teufel holen!” sagte der Ältere in einem fremd klingenden Tonfall. Dann soll sie mich aber kennen lernen. Unpünktlich war sie ja allerdings immer schon.”
Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor eins.
Der Jüngere trank sein noch halb volles Schnapsglas aus. „Wann hat sie denn hier sein wollen?”
„Um Mitternacht. Bis eins warten wir noch.” — — —
An einem gegenüberliegenden Tisch stieß ein Matrose sein Mädchen an: „Kennst du die beiden da drüben?”
„Ja. Das heißt — nur den einen, den älteren. Er wird hier der ‚Brasilianer’ genannt, vielleicht, weil er tatsächlich einer ist, vielleicht auch nur, weil er eine so komische Aussprache hat. Was er eigentlich treibt, weiß kein Mensch. Wenn er betrunken ist, fängt er jedesmal furchtbar zu randalieren an. Zweimal ist er hier schon herausgeflogeh. — Ach sieh mal, jetzt kommt eine Frau an den Tisch!”
Die beiden drüben rückten zur Seite. Der Brasilianer erhob sich und sprach aufgeregt auf die soeben Eingetroffene ein. Dann zog er sie neben sich an den Tisch, und sogleich steckten alle drei geheimnisvoll die Köpfe zusammen.
Der Matrose blinzelte zu der Gruppe hinüber und sagte: „Was die zu besprechen haben, möchte ich gern mal belauschen! Etwas Reelles wird es bestimmt nicht sein. Übrigens scheint sich die Frau verkleidet zu haben.”
Das Mädchen legte seine Hand auf die des Freundes. „Denselben Eindruck habe ich auch gleich gehabt”
„Ich bin überzeugt, daß die sonst in einer ganz anderen Aufmachung daherkommt.” — —
Was die beiden behaupteten, mochte schon richtig sein. Die Fremde hatte sich offenbar nur der Umgebung angepaßt, die sie aus irgendeinem Grunde aufzusuchen gezwungen war.
„Nun—” fragte der Brasilianer, „hast du das Geld mitgebracht?”
Die Frau reichte ihm unauffällig einen verschlossenen Umschlag.
„Wie du wohl schon erfahren hast”, fuhr der Mann fort, „ist alles nach Wunsch gegangen. Die Verantwortung für das, was nun noch geschehen wird, lehne ich ab. — Im übrigen habe ich mittlerweile herausbekommen, wer hinter der Angelegenheit steckt.”
Die Frau fuhr zusammen. „Das ist nicht wahr!” rief sie. „Woher willst du das wissen!”
„Soll ich dir’s sagen?” Er neigte seinen Mund an ihr Ohr und flüsterte ihr einen Namen zu.
„Wirst du den Mund halten?”
Der Brasilianer grinste. „Es kommt ganz auf den Preis an!” erwiderte er. „Dieser Mann kann was ausgeben, ohne sich dabei anzustrengen.”
„Du wirst ihn in Ruhe lassen — oder du bekommst es mit mir zu tun!”
Der Brasilianer lachte rauh auf. Es war ein unheimlich klingendes Lachen. „Du! Pah — — was willst du mir anhaben? Danke Gott, wenn du von mir zufriedengelassen wirst.”
„Jedenfalls ist das Geschäft, das wir zusammen gemacht haben, abgeschlossen. Ich gab dir eben die Summe, die ausbedungen worden war. Du hast keine Forderung mehr.”
„Aber wenn ich vorher gewußt hätte, wer dahintersteckt, würde ich eine ganz andere Rechnung aufgemacht haben.”
„Du scheinst unersättlich geworden zu sein!”
„Wie du! Ohne eigene Villa geht es bei dir schon gar nicht mehr, Dienerschaft wie eine Fürstin — — Autoreisen — — eine eigene Yacht — ich möchte nur wissen — — —”
Sie unterbrach ihn unwirsch. „Alles das geht dich gar nichts an. Habe ich dir nicht geholfen und auch dieses Geschäft wieder vermittelt? Du darfst nicht unverschämt werden.”
„Dabei lautet dein eigener Grundsatz: Mit Unverschämtheit kommt man am weitesten!”
Beide hatten immer lauter gesprochen. Der Begleiter des Brasilianers sagte: „Streitet euch hier doch nicht! Sollen andere auf euch aufmerksam werden?”
Da brachen sie das Gespräch ab und redeten von anderen Dingen. Bald darauf trennten sie sich.
Die Straßenjungen von Pegli suchten unentwegt nach den Schlangen, wobei sie sich nicht nur an die Wege der Anlagen hielten. Unbekümmert trampelten sie auch über Rasenflächen und Blumenbeete dahin, bis ein Aufseher kam und sie zur Rede stellte.
„Verdammte Bengels — wollt ihr wohl von dem Beet herunter! Was sucht ihr denn da?”
„Schlangen, Herr Aufseher — — giftige Schlangen. Sie sind aus dem Zirkus da drüben ausgebrochen.”
„Das ist ja Unsinn. Wer hat euch denn das gesagt?”
„Der Direktor selbst. Gehen Sie zu ihm und fragen Sie ihn.”
„Schert euch zuerst einmal von den Beeten herunter!”
Der Aufseher fuchtelte drohend mit seinem Stock in der Luft herum. Die Jungens ließen sich aber nicht bangemachen. Sie suchten nur etwas weiter aus seinem Bereich zu kommen. Einige traten auch auf die Wege zurück. Es waren die Schlauen. Sie dachten: wenn der Mann fort ist, machen wir doch, was wir wollen.
Der Aufseher setzte den anderen nach. Doch er erreichte sie nicht. Und sie verhöhnten ihn obendrein. Endlich drohte er mit einem Polizisten wiederzukommen und ging wütend davon.
Wenige Minuten später stand er vor dem Zirkusdirektor. „Hören Sie — — ist es wahr, daß hier Giftschlangen ausgebrochen sind?”
Floretti setzte eine entrüstete Miene auf. „Giftschlangen? Wie? Kein Gedanke. Was uns entwischt ist — — das sind alles ganz harmlose Tiere, die kein Wässerchen trüben können. Wahrhaftig. Sie können sich darauf verlassen. — Den Jungens habe ich nur ein wenig bange gemacht, damit, — ja, weil — — ich meine — — falls eben doch —”
Der Aufseher blickte finster drein. „Sie sind sich also nicht sicher! Haben Sie diesen Vorfall schon der Polizei angezeigt?”
Floretti tippte sich an die Stirn. „Ich denke gar nicht daran. Das wäre ja lächerlich. Wegen dieser paar harmlosen Tiere werde ich doch nicht gleich die Behörden bemühen.” Er zog seine Brieftasche, nahm einen größeren Schein heraus. Übrigens fällt mir eben ein, daß ich noch an die Armenkasse etwas zu zahlen habe. Wollen Sie den Betrag für mich abgeben? Sicherlich kommen Sie doch nachher noch am Stadthaus vorbei.”
Der Aufseher sah auf den Schein. Er verstand. Aber er machte keine Miene, das Geld zu nehmen.
„Selbstverständlich erwarte ich auch von Ihnen”, fuhr der Direktor fort, „daß Sie mit Ihrem neuen Wissen nicht gleich zur Polizei hinlaufen. — Ich werde die doppelte Summe geben.” Er tat einen Schein dazu.
Der Aufseher ließ sich auch dadurch nicht weich machen. Er antwortete überhaupt nicht, drehte sich kurzerhand um und ging....
Der Professor ließ alles herrichten, wie es der Toten würdig war. Der prächtige Ebenholzsarg war rings von Kränzen und Blumen umrahmt.
Violas plötzlicher Tod wurde durch die Zeitung bekannt gegeben. Aber auch Sonderanzeigen, auf feinstem Büttenpapier, wurden herumgeschickt: „Gott dem Herrn hat es gefallen, unsere unvergeßliche Nichte....” begann der Text.
Signora da Costa, die erst so ärgerlich über die Aufbahrung in der Villa gewesen war, söhnte sich bald damit aus, als sie merkte, welch eine wichtige Rolle sie dabei spielen konnte. Es schmeichelte ihrer Eitelkeit, überall bemitleidet und bedauert zu werden. Außerdem war dies eine schöne Gelegenheit, ihr neues schwarzes Crêpe de Chine-Kleid zur Geltung zu bringen.
Der Professor schlich äußerst bedrückt umher. Violas plötzlicher Tod schien ihm nahezugehen. Die Beileidsbezeugungen seiner Bekannten nahm er in tiefer Ergriffenheit hin. Er sprach sehr gut und viel Rühmliches von der Verstorbenen. Dabei wies er auf die besondere Tragik des Schicksals hin, das sie dahinraffte, gerade, als sie an der Schwelle des Glückes gestanden hatte.
Ob ihr Verlobter verständigt sei?
Da Costa erwartete seine Ankunft in jedem Augenblick. Colonna hatte aus Spezia telegraphiert, daß er kommen werde. Er sei bereits unterwegs. —
Abends spät traf er ein. Er machte einen verwirrten, völlig zerfahrenen Eindruck. Fassungslos stürzte er auf den Sarg zu, als er der Toten ansichtig wurde, faßte nach ihrer erkalteten Hand und streichelte sie.
Da Costa zog ihn zur Seite und suchte ihn zu beruhigen.
„Wie ist das nur möglich! Wie konnte das bloß geschehen!” fragte der Verzweifelte immer wieder.
Der Professor berichtete ihm, was er erfahren hatte. Von der zweiten Untersuchung durch die Ärzte wußte er bisher nichts. Leona hatte es ihm noch nicht mitgeteilt, da sie es gar nicht so wichtig nahm und da sie von den weiteren Feststellungen selbst noch gar keine Ahnung hatte. Auch hatte sie ihren Chef nicht beunruhigen wollen. Schließlich war es ja gleichgültig, welche Ursache Violas Ableben hatte. Jedenfalls stand ihr Tod als eine unabänderliche Tatsache fest.
Mit dem jungen Schiffsarzt empfand sie ein aufrichtiges Mitleid. Sie drückte ihm in ehrlicher Anteilnahme stumm die Hand. Er warf ihr einen dankbaren Blick zu. Dann richtete er viele Fragen an Leona. „Sie waren es doch, die zuerst die furchtbare Entdeckung gemacht hat, nicht wahr?”
Leona nickte. Ausführlich berichtete sie, wie sie nach Viola lange gesucht und dann die Freundin endlich als Tote aufgefunden hatte.
Colonna bat, ihm auch alles weitere zu erzählen. Jede Einzelheit wollte er wissen. Und so erfuhr er auch, daß der Arzt später mit einem Kollegen wiedergekommen war, und daß beide zusammen die Tote noch einmal genau untersucht hatten.
„Was sagte der Doktor? Die Todesursache sei vielleicht eine andere als ursprünglich angenommen?”
„Ja. So sagte er. Er behauptete, einen besonderen Grund zu seiner Vermutung zu haben.”
Colonna schaute nachdenklich vor sich hin. „Wissen Sie, wie der Arzt heißt?”
„Ja. Doktor Viano. Den anderen stellte er mir als Doktor Perini vor.”
Merkwürdig — irgendeine Bedeutung muß diese zweite Untersuchung doch wohl gehabt haben.”
Er beschloß mit den beiden Kollegen zu sprechen.