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Karin Straub sah ihren Mann entgeistert an, ihre Mundwinkel zitterten. »Wie du aussiehst!«

Martin Straub drehte den Kopf zur Seite, damit sie seinen Atem nicht roch. »Wie sehe ich denn aus?« Er zog das Kinoprogrammheft aus der Jackentasche und legte es mit den Schlüsseln auf das Regal neben der Wohnungstür.

»Ha! Du bist vollkommen nass und alles ist dreckig.«

»Es regnet.«

Karin zupfte an seinem Ärmel. »Da fehlt ein Knopf!«

»Den muss ich verloren haben.«

Sie trat einen Schritt zurück. »Wieso bist du so dreckig?«

»Ich bin ausgerutscht.« Er zog das Sakko aus. Es fehlte tatsächlich ein Knopf.

»Ich musste zur Seite springen, weil mich sonst der Bus nass gespritzt hätte.«

»Wenigstens sind die versichert.« Sie wartete auf eine Reaktion von ihm. »Wegen der Reinigung.«

»Das glaube ich kaum.«

»Was glaubst du kaum?«

»Dass die SSB die Reinigung zahlt.« Unauffällig holte er die Zigarettenpackung aus der Jacke und schob sie in die Hosentasche. »Ich gehe mich umziehen«, sagte er und gab ihr das Sakko.

»Ich bringe dir was.«

Er ging ins Badezimmer. Die Zigaretten waren trocken geblieben. Er versteckte sie zusammen mit dem Feuerzeug in einer leeren Mundwasserschachtel im Spiegelschrank. Als er ihn schloss, schaute ihn sein Gesicht an. Die Wangenknochen stachen spitz hervor. Er hätte jedes Barthaar auf der weißen Haut zählen können. Der Kehlkopf zitterte. Er legte seine Finger darauf, es schmerzte. Dann zog er mit dem Zeigefinger das linke Augenlid herunter. Interessiert beobachtete ihn der rechte Augapfel. Er wollte das Auge schließen, aber es gelang ihm nicht.

Karin klopfte an die Tür und öffnete sie im gleichen Moment. Sie reichte ihm seinen Schlafanzug. »Du hast ja immer noch die nassen Sachen an!«

»Gleich«, sagte er und schloss die Tür. Er wollte den Schlafanzug nicht anziehen. Er hätte wie ein Kind ausgesehen, das zu früh ins Bett geschickt wird.

»Die Jacke können wir in die Reinigung geben. Das müssen die uns aber ersetzen. Ich rufe da morgen an. Oder ich gehe hin. Ich brauche sowieso meine neue Monatsmarke.«

Er schaute in den Spiegel und fuhr mit der Hand über die rechte Wange. »Lass es.«

»Was meinst du?«

»Ich sagte, lass es. Morgen ist Samstag.«

»Arbeiten die da nicht?«

Er öffnete die Tür und stieß fast mit ihr zusammen.

»Ich wollte die Hose holen«, sagte sie.

»Hier.«

Sie warf einen kurzen Blick darauf, sagte aber nichts.

»Die könnte auch eine Reinigung vertragen«, sagte er und holte sich frische Kleidung aus dem Schlafzimmerschrank.

Sie legte die Hose zum Trocknen sorgfältig über eine Stuhllehne. »In der Küche ist was zu essen.«

»Ich habe keinen Hunger.«

»Ein Bier ist auch da. Wenn du willst.«

Er ging in die Küche. Auf dem Tisch standen eine Flasche Hefeweizen, ein Weißbierglas und ein Teller mit Brot, Käse und einer geviertelten Gurke. Er schenkte sich das Bier ein und nahm sofort einen Schluck. Sie würde jetzt nicht mehr merken, dass er schon etwas getrunken hatte.

Karin setzte sich zu ihm an den Tisch. Hektisch drehte sie eine Haarsträhne zwischen den Fingern.

»Deine Hemden sind gebügelt.«

»Ich dachte, die sind bügelfrei.«

»Für ein Bewerbungsgespräch reicht das so aber nicht.«

»Ich sitze da nicht im Hemd.« Er starrte das Bierglas an. Es war zur Hälfte leer; er hatte zu schnell getrunken.

»Deine Unterlagen sind von der Allianz zurückgekommen.«

»Ach, schon?«

»Frau Karger hat sie gebracht.«

»Arbeitet die jetzt bei der Post?«

»Sie wollte nicht, dass die Sachen verknicken.«

»Nett!«

»Du weißt doch, wie die Umschläge in den Briefkasten gestopft werden.« Sie nahm das Messer und schnitt kleine Käsewürfel. »Wie war der Film?«

Er nahm ein Stück Käse und kaute bedächtig darauf herum. »Es ist schon was anderes, wenn man’s im Kino sieht als im Fernsehen.«

»Also hat es sich gelohnt.«

Er trank einen Schluck und schaltete das Radio ein. »Vielleicht kommen Nachrichten.« Er probierte einige Sender aus, schaltete das Gerät ab und ging ins Wohnzimmer. Der Fernseher lief ohne Ton. Es war irgendeine Quizshow.

»Suchst du die Bewerbungsunterlagen?«

Er drehte sich um. Sie stand in der Tür und lächelte ihn an. Angespannt drehte sie eine Haarsträhne zwischen den Fingern. »Ich habe sie nämlich schon abgeheftet. Nur, falls du sie suchst.«

»Schon klar.«

»Willst du noch fernsehen?«

Sie beobachtete ihn. Er wusste, dass sie ihn beobachtete. Sie machte das immer.

»Ich wollte nur wissen, ob ich ihn ausmachen kann.« Sie reichte ihm die Fernbedienung.

»Dann mach ihn halt aus«, sagte er und ging hinaus. Sie hörte, wie er die Toilettentür schloss. Mit einer kurzen Handbewegung warf sie ihre Haare über die Schulter, schaltete den Fernseher aus und legte die Fernbedienung auf die TV-Zeitschrift.

Straub hockte verkrampft auf dem Klo und starrte gegen die Tür. Sie ging über den Flur. Sie würde ihn hören und fragen, ob es ihm nicht gut ginge. In seinen Därmen rumorte es. Nein, es ging ihm nicht gut.

Er legte seine ganze Kraft in die Beine, drehte sich halb stehend um und drückte auf die Klospülung. Dann lies er sich fallen und schiss haltlos die Kloschüssel voll. Als die Wasserspülung verstummte, zerknüllte er hastig Papier und stopfte es unter sich. Über seine Fingern rannen warme Tropfen. Er wische sie mit Klopapier ab und betätigte noch einmal die Spülung.

Nach einiger Zeit war er sich sicher, dass nichts mehr kommen würde. Er machte sich sauber und zog sich an. Danach klappte er die Klobrille hoch und suchte nach Spritzern, die er mit feuchtem Toilettenpapier wegwischte. Anschließend reinigte er gründlich mit der Bürste die Schüssel. Er spülte zum dritten Mal.

Als er sich die Hände wusch, überkam ihm eine unbestimmte Leichtigkeit. Er würde jetzt hinausgehen und das Bier austrinken und vielleicht auch etwas essen. Und schlafen. Er stellte das Fenster auf Kipp und öffnete die Tür. Karin stand vor ihm.

Sie schob mit beiden Händen ihre Haare hinter die Ohren. Sie hatte zwei ungleiche Ohrläppchen. Das eine war angewachsen, das andere nicht. Er hatte das mal geliebt.

»Geht es dir nicht gut?«, fragte sie.

Schnell machte er die Tür hinter sich zu. »Doch? Wieso?«

»Nichts, ich dachte nur.«

»Gut geht es mir«, sagte er und ging in die Küche.

Der Tisch war schon abgeräumt. Nur das Glas mit dem Rest Bier hatte sie übrig gelassen. Er kippte das Bier hinunter und entsorgte das Glas im Geschirrspüler. Die leere Flasche lehnte in einem Metallträger neben der Spüle.

Karin Straub war ins Badezimmer gegangen. Die elektrische Zahnbürste surrte. Jetzt hatte er zwei Minuten Zeit. Er schnappte sich den Flaschenträger, steckte die Wohnungsschlüssel in die Hosentasche und holte den Kellerschlüssel aus dem kleinen Holzkasten neben der Wohnungstür. Mit großen, federnden Schritten sprang er die Treppe hinunter. Den Träger hielt er etwas schräg, damit die Flasche nicht gegen das Metall schlug.

Die Kellertür war nur angelehnt. Ein dünner Lichtschein drang durch den schmalen Spalt. Er riss die Tür auf und lauschte. Ein feuchtwarmer Luftzug strich über sein Gesicht. Er schaltete die Leuchtstoffröhre über der Treppe an, schloss die Tür hinter sich und stieg hinunter. In der Waschküche links von ihm brannte Licht. Er ging nach rechts. Die Kellerabteile waren mit Lattentüren versperrt. Die meisten Mieter hatten sie mit Stoffvorhängen verkleidet, er hatte alte Pappen draufgenagelt. Eilig schloss er auf. Der Kasten mit dem Weißbier war nur noch halbvoll. Er zog eine Flasche heraus und schlug mit der flachen Hand den Kronkorken an der Kante eines Regalbodens ab. Der Verschluss fiel scheppernd auf den Gang. Er setzte die Flasche an den Mund und trank gierig. Nach drei großen Schlucken gab er auf. Er fürchtete, sein Bauch würde platzen. Instinktiv riss er den Mund auf. Eine unermessliche Luftblase drückte sich seine Gedärme hinauf. Hemmungslos rülpste er.

In der Flasche war fast nur noch Schaum. Er tauschte die leere Bierflasche im Träger gegen sechs volle Sprudelflaschen aus. Das Bücken fiel ihm schwer. Der Bauch war stark gebläht und immer wieder musste er heftig aufstoßen. Er schaute in den Gang. Niemand war da. In der Waschküche brannte noch das Licht. Er ging hinaus. Durch ein rostiges Rohr rauschte Abwasser in die Tiefe. Als er an der Kellertreppe vorbeikam, bemerkte er, dass die Treppenhausbeleuchtung aus war. Er war schon zu lange unten.

Vor der Waschküche blieb er stehen. An den Leinen hingen einige T-Shirts und mit Spitzen besetzte Synthetikslips. Durch das weit geöffnete Fenster war Regenwasser die Wand hinuntergelaufen. Ein dünnes Rinnsal verödete vor einer schmalen, weißen Sandale. Er griff um die Ecke und schaltete das Licht aus. Rasch ging er zurück und trank das Bier aus. Er nahm den Flaschenträger und verschloss die Tür.

Kurz vor der Treppe fiel ihm der Kronkorken ein. Vor der Kellertür lag er nicht. Er war sich aber sicher, dass er nach draußen gesprungen war. Er ging noch mal hinein, schaute unter dem Regal nach und schob zwei Umzugskartons beiseite. Nichts. Morgen würde er noch einmal suchen. Karin wollte zu den Verkehrsbetrieben. Er würde sie schon dazu bringen, auch hinzufahren. Er schloss die Tür ab. Er war schon zu lange hier unten, viel zu lange. Sicher lag sie schon im Bett.

Dann sah er den Kronkorken. Unterhalb der Treppe. Straub maß den Raum zwischen der Kellertür und der ersten Stufe. Um die Ecke konnte er nicht geflogen sein. Er musste ihn dort mit dem Fuß hingekickt haben.

Durch die offenen Fenster in der Waschküche kam ein feuchtwarmer Luftzug. Für einen Moment roch es nach einem Hauch von Maiglöckchen.

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