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Es dauerte einige Sekunden, bis Karin Straub begriff, was Hilde Karger ihr erzählt hatte.

»Frau Lindner ist tot? Ermordet? In unserer Waschküche?«

Hilde Karger ließ ihr keine Zeit zum Überlegen. »Mit einer Drahtschlinge«, fuhr sie fort. »Sie soll ganz fürchterlich aussehen. Die Frau Pezic hat sie gefunden.«

»Ich habe den Krankenwagen gesehen und ich dachte, dass vielleicht was mit Herrn Kaluza wäre.«

»Mit drei Streifenwagen sind sie da. Und die Lindner ist schon weg.«

»Wie weg?«

»Im Sarg haben Sie sie rausgetragen. Wie im Fernsehen. In so einem Metallsarg. Da haben vorher bestimmt schon andere dringelegen. Na, der wird ja wohl anständig gereinigt.«

»Wann ist sie denn –?"

»Umgebracht worden? Die Strehlow hat gehört, dass sie heute Nacht –.« Gedankenversunken massierte sie ihren Hals. »Kann auch nicht anders sein. Gestern hat sie noch verkauft. Und ich hab sie auch noch gesehen. Hab gesagt, Frau Lindner, da sind sie auch froh, dass bald Feierabend ist. Sie wollte ins Kino. Das hab ich auch der jungen Frau von der Polizei gesagt. Weil sie gefragt hatte.«

»Mein Gott!«

»Da ist doch die Stelle zwischen Kaluza und Pezic, wo eigentlich Strehlows Maschine steht, die ist doch zur Reparatur, und jetzt sag ich Ihnen was.« Sie hielt kurz den Atem an. »Da lag sie.«

Karin Straub umklammerte den Türrahmen. »Ich war doch noch unten.«

»Na, ich doch auch. Und hab die Wäsche rausgeholt. Und zum Glück. Weil den Regen hatten sie nicht angesagt. Aber ich hab mir gleich so was gedacht. Das konnte nicht ewig so trocken bleiben.«

»Ich war vor einer Stunde noch unten. Ich hab im Keller gefegt!«

»Da hätten Sie sie finden müssen. Da haben Sie Glück gehabt, dass Sie die Waschküche nicht gewischt haben.«

Karin Straub wickelte hektisch eine Haarsträhne um ihre Finger. »Ja, furchtbar, Frau Karger, wirklich furchtbar. Ich muss wieder.« Sie schloss die Tür und drehte den Schlüssel zweimal herum.

Martin Straub strich gerade Marmelade auf eine Brötchenhälfte. Sie stellte das Radio aus und setzte sich an den Frühstückstisch. »Du kannst meine untere Hälfte haben.«

»Er tippte mit dem Messer gegen eine leere Plastikschale. »Die Salami kannst du mal wieder kaufen. Die ist gut.«

»Und wenn ich dir jetzt sage, dass die fertig abgepackt war?«

»Ich mag das sowieso nicht, wenn die Wurst von jedem angefasst wird.« Er biss in die Brötchenhälfte. Die Kruste splitterte auf den Tisch.

»Die Lindner ist tot. Ermordet.«

Straub zog das Brötchen wieder aus seinem Mund heraus. Er biss mehrmals in die Luft, dann legte er es auf den Teller.

»Was hast du denn, schmeckt es dir nicht?«

»Ermordet?«

»Unten in der Waschküche. Mit einer Drahtschlinge.«

»Und das sagst du so einfach?«

»Wie soll ich’s denn sonst sagen? Ich sage nur, was Frau Karger gesagt hat.«

»Frau Karger?«

»Die hätte sie nämlich beinahe gefunden. Nachdem ich sie beinahe gefunden hätte. Es war aber die Pezic.« Karin Straub hob den Zeigefinger. »Kehrwochenkontrolle!«

Straub legte das Brötchen auf den Teller. »Ich verstehe nicht ganz. Die Pezic hat Frau Lindner tot in der Waschküche gefunden?«

Sie stand auf, nahm seinen Teller und stellte ihn auf Spülmaschine. »Was regst du dich so auf? Ich schließlich lebe noch. Man muss sich das alles nur einmal vorstellen. In unserem Keller. Und eigentlich könnte es jeder im Haus gewesen sein.«

»Die Polizei verdächtigt jeden?«

»Ich war es nicht, die Karger auch nicht und du wirst gestern Abend auch nicht in der Waschküche auf sie gewartet haben.«

»Wie kommst du darauf?«

»Du warst doch im Keller.« Sie wickelte das angebissene Brötchen in eine Frischhaltefolie. »Zeit genug hast du gehabt. Wie lange braucht man, um jemanden mit einer Drahtschlinge zu erdrosseln? Du warst lange im Keller. Wie lange? Die Polizei wird dich das fragen.«

»Jetzt hör aber auf!« Er ging zum Fenster. Im Hof knieten ein Polizist und eine Frau in einem weißen Overall. Im dritten Stock des gegenüberliegenden Hauses wurde ein Fenster geöffnet. Ein Mann in einem Unterhemd glotzte mit einer Zigarette im Mund zu ihm rüber.

»Ich war nicht lange im Keller.« Was sollte er der Polizei sagen? Dass er heimlich ein Bier getrunken hatte? Und das nicht zum ersten Mal? Der Mann von Gegenüber interessierte sich jetzt mehr für die Polizisten im Hof als für ihn. Straub steckte die Hände in die Hosentaschen. Seine Finger spielten mit dem Kronkorken. Angeblich hatte Grünner die Typen doch verjagt. Er hatte es von Anfang an nicht geglaubt. Sie wollte, dass er sich mies fühlte. Sie kannte die Typen. So eine kennt solche Typen. Von wegen Grünner. Sie ist mit denen mitgefahren. Und dann gab es Streit. Eifersucht. Das kommt vor. Vielleicht war auch der mit dem bunten Hemd in ihrer Wohnung gewesen. Sie hatte es ja besonders eilig gehabt, ihn abzuwimmeln. Natürlich durfte er der Polizei nichts erzählen. Jetzt müsste er nur noch den Kronkorken loswerden. Er würde ihn draußen in irgendeinem Papierkorb verschwinden lassen. Bei der Bushaltestelle war einer. Das wäre kein Problem, er müsste nur aufpassen, wer da rumsteht. Am besten keiner. Auf den Spruch »Nur für SSB-Gäste«, von selbst ernannten Hilfssheriffs im Rentenalter, konnte er verzichten. Er drückte die Zacken des Kronkorkens gegen seinen Oberschenkel. Er müsste nur daran denken. Schon einmal war er tagelang damit in der Tasche herumgelaufen und hatte es erst gemerkt, als er einen Euro aus dem Einkaufswagen in die Hose steckte. Das Geklimper konnte man kilometerweit hören. Es war ein Wunder, dass Karin nichts mitbekommen hatte.

Karin rief ihn. Die Türglocke hatte er völlig überhört.

Der Mann stellte sich als Polizeiobermeister Wolz vor. Er machte ein derart ernstes Gesicht, dass man glauben musste, es wäre sonst etwas passiert. Ja, eine Nachbarin hat es uns erzählt. Wer? Mein Gott, die Frau Karger von gegenüber. Wann? Da müssen Sie meine Frau fragen. Der hat sie’s nämlich erzählt. Ich? Ich hab gefrühstückt. Ein halbes Brötchen habe ich für die Spurensicherung aufbewahrt. Nur einmal angebissen. Bitte, gern geschehen. Die Frau Lindner? Na, hin und wieder. Wie man sich halt so sieht als Nachbarn.

»Sie wohnte über uns«, sagte Karin Straub. »Viel hat man von ihr nicht gehört. Dabei ist das Haus sehr hellhörig.«

»Haben sie letzte Nacht etwas Ungewöhnliches gehört oder gesehen?«

»Ist es da passiert? Ich meine, wurde sie da –.« Mechanisch drehte sie eine Haarsträhne zwischen den Fingern.

»Bitte beantworten Sie meine Frage.«

»Ich bin um halb zwölf ins Bett. Vielleicht etwas früher.«

Wolz wandte sich Straub zu. »Und Sie?«

»Zwei Minuten später. Wir haben nur eine elektrische Zahnbürste. Zwei Minuten Putzzeit, wie es sich gehört, dann Licht ausmachen. Vielleicht drei Minuten später lag ich im Bett.«

»Sie haben auch nichts gehört oder gesehen? Stimmen oder sonst etwas Außergewöhnliches?«

»Nein, nichts.« Wann waren Sie wo? Wann waren Sie wie? Haben Sie Stimmen gehört? War er in der Psychiatrie? Er hörte keine Stimmen. Straub schob sich vor seine Frau. »Ich war sowieso auch gar nicht da.«

»Wo waren Sie denn?«

»Mein Mann war im Kino«, antwortete Karin Straub.

»Er ist gegen halb acht aus dem Haus. Auf die Uhr schaut man natürlich auch nicht so genau.«

»Ungefähr.«

»Ungefähr so um halb elf«, warf Straub ein.

»Haben Sie noch die Karte?«

»Müsste ich noch irgendwo haben.« Er schmunzelte. Und zwar in der Hose, die ich gleich zur Reinigung bringe.

»Das war wo? Ich hab’s nicht so schnell mitschreiben können.«

»Kinothek.«

»Was gab’s da?«

»Plan 9 aus dem Weltall.« Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Ein Science-Fiction.«

»Mein Mann geht regelmäßig ins Kino.«

»Ein Hobby muss der Mensch haben«, sagte Straub.

»Herr Straub, haben Sie Frau Lindner gestern Abend gesehen? Zwischen halb acht und halb elf?«

Straub wusste nicht, wie er es zustande gebracht hatte, aber er hörte sich klar und deutlich »Nein!« sagen.

»Da sehen Sie’s.« Karin zog ihre Haare durch die Finger. »Wir wissen gar nichts.«

Wolz steckte seinen Notizblock ein. »Die Kripo wird Sie noch befragen.«

Straub hob die Arme, als ob er kapitulieren würde. »Wir werden die Stadt nicht verlassen.«

Wolz gab ihr die Hand und ging die Treppe hinauf.

Kurz darauf wurde Regina Lindners Wohnungstür geöffnet. Ein Mann und eine Frau kamen heraus. Karin Straub schob ihren Mann von der Tür weg. Sie warf einen Blick nach oben. Der Polizist, der vorhin mit ihnen geredet hatte, unterhielt sich mit einem lang aufgeschossenen Mann, der vornübergebeugt mit den Füßen wippte. Der ganze Mann war schief. Die linke Schulter klebte, wie von einer unsichtbaren Schnur hochgezogen, unter dem Ohr. Der rechte Arm, der länger als der andere zu sein schien, stand weit abgewinkelt von der Hüfte ab. Die Hand steckte in der Hosentasche. Das längliche, grob geschnittene Gesicht war mit grauen Bartstoppeln übersät. Er war mindestens 20 Jahre älter als sie. Als sich ihre Blicke trafen, fragte sie sich, warum sie Angst hatte.

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