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II. Vampyre.

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Nicht lange, nachdem Hans von Ballenstedt die Tafel verlassen hatte, empfahlen sich auch Braut und Bräutigam.

Die heut Vermählten hatten sich jede Begleitung zum Bahnhof ausdrücklich verbeten, und als das von zwei raschen Pferden gezogene Kupee davonfuhr, hatten die jungen Eheleute vollkommen Musse, sich ihre Herzen gegenseitig auszuschütten.

Die Gräfin, die im Hotel Zeit gefunden hatte, ihre Toilette zu wechseln, trug jetzt einen seidenen Staubmantel, unter dem ihr Kleid, das aus lichtgrauem Tuch mit dunklen Applikationen gefertigt war, kokett hervorsah.

Dazu an Hals und Armen einen diskreten, altertümlich getriebenen Silberschmuck, zu dessen Inkrustierung man Saphire und Rubinen verwandt hatte, grosse durchsichtige, blau und rot leuchtende Steine von erlesener Schönheit.

Um die vollen Lippen der jungen Frau — denn jung war sie, trotzdem die Spuren raffinierter Toilettenkünste an ihr dem Eingeweihten nicht verborgen blieben —, um den brennendroten Mund schwebte ein Lächeln der Geringschätzung, das sie nicht einmal zu verbergen bestrebt war, als sie jetzt zu ihrem Manne sagte:

„Nachdem Sie Ihre Mission zu meiner vollen Zufriedenheit erfüllt haben, mein Herr, gebe ich Ihnen hiermit gern Ihre Freiheit wieder. Sie werden so gut sein und mich zum Bahnhof begleiten ... Und dann werden Sie, sobald als möglich, in einer anderen Richtung, deren Wahl Ihnen selbstverständlich vollkommen freisteht, Berlin ebenfalls verlassen ... So war es ausgemacht, und, nicht wahr, dabei soll es auch bleiben?“

Graf Berghorst, der während dieser Rede etwas nervös die Schnur seines Monokels zwischen den Fingerspitzen wirbelte, nickte zustimmend.

Dann warf er das Glas ins Auge — ein Auge, in dem, wie häufig bei Nachtschwärmern und Spielern, ein unstetes, scheues Glitzern war, und sah die junge Frau an, als wolle er sie etwas fragen.

Aber die Gräfin kam ihm zuvor.

„Was die Erfüllung unserer sonstigen Bedingungen anlangt, mein lieber Graf, so hatte ich anfänglich die Absicht, die Angelegenheit aus leichtbegreiflichen Gründen durch meinen Anwalt ordnen zu lassen. Da ich jedoch bei näherer Überlegung jedes Hineinziehen einer dritten Person tunlichst zu vermeiden wünschte und mir ausserdem denken kann, dass eine Verzögerung gerade dieses Teiles unserer Abmachungen Sie peinlich berühren würde —“

Die Gräfin hatte währenddem eine kleine Tasche aus rotem Corduan geöffnet und ihr ein Kuvert entnommen.

„So bin ich so frei, Ihnen dies persönlich zu übermitteln ...“

Sie reichte dabei dem Grafen das Kuvert, das dieser mit einer leichten Verbeugung entgegennahm.

„Sie werden finden, lieber Graf, dass ich, ebenso wie Sie, mich meiner Verpflichtungen genau erinnere.“

Der Graf erhob seine grosse, gelbbehandschuhte Hand.

„Aber, ich bitte, meine Allergnädigste ... äh ... ich bin nur traurig, dass ich damit nicht auch wirklich von dieser reizenden Hand Besitz ergreifen darf!“

Sie zog schnell ihre Hand, die in einem silbergrauen Handschuh aus Sämisch-Leder steckte, zurück — so schnell, dass es fast den Anschein hatte, als wolle sie die Rechte des Grafen nicht gern unnötigerweise berühren.

Er übersah das absichtlich, aber seine Stimme hatte einen spitzigen Ton, als er hinzusetzte:

„Nun, Sie werden doch nicht leugnen können, meine Verehrte, dass eine Situation, wie die unsere, jedenfalls sehr ... äh ... hm ... wie soll ich mich denn da ausdrücken? ... na, jedenfalls sehr eigenartig für beide Teile ist!“

Sie fasste ihn darauf abermals scharf ins Auge und ihre schweren, schwarzen Brauen rückten wie in innerlicher Entrüstung dicht zusammen. Aber sie liess seine Bemerkung unerwidert.

Er selbst schwieg auch, und man sah es dem bleichen Gesicht mit der grossen Hakennase deutlich an, wie sein Besitzer sich ärgerte. Dann nahm er den Claque ab uno fuhr sich mit dem weissen Seidentuch über die bedenklich verlängerte Stirn, um schliesslich doch mit der Bemerkung herauszuplatzen:

„Wenn ich mich nun jetzt plötzlich in Sie verliebte, meine Gnädige, und mich zu dem zweiten Teil unserer Abmachungen, wie Sie das so überaus zutreffend ... Äh ... zu nennen belieben — wenn ich mich nun damit jetzt nicht mehr einverständen erklärte, was dann?“

Die Gräfin hatte ihn ruhig ausreden lassen. In die braunen Ripspolster des Kupees lässig zurückgelehnt, betrachtete sie ihn mit ihren dunklen Augen, die hart und voller Verachtung auf seinem von Ärger leicht geröteten Gesicht ruhten.

„Ich habe Sie bis jetzt für einen Mann gehalten, dem sein Kavalierswort heilig ist, mein Herr.“

Sie betonte jedes Wort deutlich und lächelte dabei, ein kaum bemerkbares, aber desto vernichtenderes Lächeln.

„... und ich werde damit fortfahren, bis Sie selbst mir die Beweise vom Gegenteil liefern ... ausserdem aber ...

Sie betrachtete jetzt ihre wohlgeformten, für eine Frau aber auffallend kräftigen Hände.

„... ausserdem bin ich auch ein wenig orientiert über die glänzende Gewandtheit, mit der Sie, Herr Graf, das Geld unter die Leute zu bringen verstehen ... ich glaube, ich kann den Zeitpunkt in aller Ruhe abwarten, wo Sie selbst auf Scheidung unseres heut geschlossenen Ehebündnisses dringen werden, um die zweiten hunderttausend Mark zu bekommen.“

Und sie lachte so herzlich, dass ihre klugen, energischen Züge einen Anflug von entzückender Munterkeit bekamen.

Er sah ein, dass es für ihn nichts Vernünftigeres geben könne, als in dieses Lachen einzustimmen, und da der Wagen inzwischen den Anhalter Bahnhof erreicht hatte, so fragte er galant, ob er ihr noch irgendwie bei der Unterbringung des Gepäcks behilflich sein könne.

Sie verneinte.

Ihre Gesellschafterin sei am Bahnhof. Die Koffer, welche sie in Paris zuerst brauchte, seien der Sicherheit halber schon vor mehreren Tagen vorausgeschickt worden. Das übrige besorge ihr Intendant, dem sie, wie immer, die Regelung ihrer Angelegenheiten in ihrer Abwesenheit anvertraut habe.

Mit einem Seufzer verglich der Graf sein eigenes unstetes Leben und seine nur dem äusseren Schein nach geordneten Verhältnisse mit dem wirklich vornehm arrangierten Haushalt dieser Millionärin.

Aber viel zu wohlerzogen, um sich seinen Neid und Ärger äusserlich auch nur im geringsten anmerken zu lassen, öffnete er den Schlag des jetzt eben am Bahnhofsportal haltenden Wagens und half seiner Gemahlin beim Aussteigen.

Die Nacht war inzwischen hereingebrochen. Der Askanische Platz lag im Flimmer der Laternen, unter denen die dunklen Schatten der Passanten sich bewegten. Auf den Bänken der Anlagen sassen ausruhende Arbeiter und Pärchen; auch die Armen, die weder Geld noch Arbeit haben, lungerten dort in Menge umher. Und manches Auge sah neidisch herüber, wo im hellen Schein der Bahnhofslaternen die reichen Leute dem eleganten Gefährt entstiegen.

In der Wartehalle wurde Gräfin Berghorst von der Gesellschafterin, ihrer langjährigen Vertrauten, empfangen, einer älteren, sehr gemessenen Person von gediegen bürgerlichem Aussehen, die sich ihrer Herrin sofort anschloss, nachdem sie sich auch vor dem Grafen höflich verbeugt hatte.

„Meinen Gatten halten noch einige wichtige Besorgungen hier zurück,“ sagte die Gräfin, die dadurch zu erkennen gab, dass sie den Schein einer wirklichen Ehe in jedem Falle aufrecht zu erhalten strebte.

„Er hofft jedoch, dass er uns bald folgen kann! ... Nicht wahr, mein Freund?“

Etwas, von dem er selbst nicht wusste, was es heissen sollte, in seinen breiten, blonden Schnurrbart hineinmurmelnd, beugte sich der Graf und hauchte einen flüchtigen Kuss auf die Stelle des Handgelenks, die der etwas zurückgeschlagene Handschuh der Dame freiliess.

Dann empfahl er sich, als vollendeter Weltmann, den Zylinder in eleganter Pose etwas seitwärts haltend.

Aber während die Gesellschafterin bereits vorausschritt, beugte sich, schon im Gehen, die Gräfin noch einmal leicht zurück und sagte, nur für ihren Gatten hörbar:

„Wenn ich Ihnen noch einen Rat geben darf, mein Lieber, hüten Sie sich vor den Karten!“

Graf Berghorst schnitt eine Grimasse, als habe jemand sein vornehmstes Hühnerauge mit dem Stiefelabsatz in Berührung gebracht; dann drehte er sich, die rechte Gesichtshälfte zusammenkneifend und so das grosse Monokel ins linke Auge bringend, kurz um und schritt dem Ausgange zu.

Als die Gräfin neben ihrer Gesellschafterin über den Vorplatz schritt, um auf den Bahnsteig des Pariser Zuges zu gelangen, blieb sie einen Augenblick stehen.

Ihre Augen richteten sich auf einen Menschen, der ihr entgegenkam und vor dem sie, da auch sein Blick sie stark fixierte, mit einer instinktiven Gebärde den Schleier ihres Reisehütchens herunterliess.

Die grosse, in schlechter, abgerissener Kleidung steckende Gestalt dieses Mannes hatte wenig Vertrauenerweckendes.

Der finstere, schwarzbärtige Kopf, in dem die Augen so unruhig hin und her flogen, war auffällig klein und trug auf dem dunklen, kurzgeschorenen Haar eine sogenannte Wolkenschiebermütze.

Der Mann hatte eine Reisetasche aus schwarzem, abgerissenen Wachstuch in der Hand und schien auf dem anderen Bahnsteig, auf dem ebenfalls ein Zug hielt, fortfahren zu wollen.

Auch er hatte beim Anblick der Gräfin Berghorst, wie elektrisiert, den Schritt verhalten; als aber Maria Anna, einem leichten Ruck von der Hand der Gesellschafterin nachgebend, schnell weiterging, bewegte sich auch jener Mensch, wenn auch zögernd, vorwärts, und obgleich er sich mehrfach nach ihnen umsah, so hatten doch die beiden Frauen in wenigen Sekunden den Bahnsteig betreten und waren hinter dem dessen rechte Seite flankierenden Zuge verschwunden.

Als die Damen in einem Kupee erster Klasse sassen, das der Schaffner zum Dank für ein gutes Trinkgeld, solange wie es irgend anginge, für sie zu reservieren versprochen hatte, da fragte die Gesellschafterin, in deren erblassten Zügen noch immer ein ungläubiges Staunen und Erschrecken lag:

„War er’s denn wirklich, Marie?“

Die Gräfin nickte.

„Ja, da ist kein Zweifel, das war Fred Hunter!“

„Und glaubst du, dass er uns erkannt hat?“

„Sicherlich.“

Danach versank die Gräfin wieder in das Brüten, das sie in ernsten Lebensmomenten stets überfiel.

Und indem an ihrem umfassenden Geiste die Bilder ihres Lebens schnell vorüberzogen, mass sie die Entfernung zwischen ihnen ab, die Möglichkeiten, die das Einst und Jetzt miteinander zusammenstossen lassen konnten ....

Aber soviel sie sich mühte, die Erinnerungen, die so drohend sich herandrängten, zurückzustossen — sie bannte sie nicht, die schweren, schwarzen Wolken, die aus der Vergangenheit heraufzogen, und die ihre dunklen Schatten über den goldenen Strom warfen, an dem jetzt ihr Dasein blühte.

„Na, Herr Graf, wie ist es denn nun mit dem Provisiönchen?“

Graf Berghorst drehte sich um und sah bei dem ungewissen Licht der Laternen in das finnige und von einer rötlichen Bartfrese umrahmte Gesicht des Herrn Kretschmar, jenes Agenten, der ihm in Gemeinschaft mit noch zwei anderen Personen die Heirat mit Maria Anna Petersen vermittelt hatte.

Und gleichzeitig tauchten hinter diesem Herrn noch zwei andere Personen auf.

Eine etwas korpulente Frau im mit Pelz besetzten Seidenplüschmantel und mit einem schwarzen Federhut auf dem Kopf, dessen herabgelassener, dichter, weisser Schleier ihr Gesicht verdeckte. Und ein Mann im schwarzen Hohenzollernmantel, eine grosse deutsche Reckengestalt, mit langem, blondem Vollbart und den blauen Augen der alten Germanen, die allerdings ein wenig unsicher und vom Trinken gerötet schienen.

Graf Berghorst war förmlich zurückgeprallt bei dem plötzlichen Erscheinen dieser drei Leute, die ihm hier offenbar ebenso unerwartet als unerwünscht kamen.

Aber sofort erwachte in dem Aristokraten der hochmütige Stolz, der seiner Rasse stets zu Gebote steht, wo es sich um einen Konflikt mit niederstehenden Personen handelt.

Er trat einen Schritt zurück und fragte mit eisiger Stimme:

„Weshalb, wenn ich fragen darf, lauern Sie mir hier auf, halten Sie mich am Ende für Ihresgleichen?“

„Wie meinen Sie das, liebster Graf?“ meinte der Rotbärtige, dessen schmallippigen Mund ein höhnisches Lächeln umspielte.

„Wenn es Sie danach verlangt, will ich Ihnen die Erklärung nicht vorenthalten, Herrrr!“

Graf Berghorst erregte sich sichtlich, indem er mit diesem schon seinem Äusseren nach perfiden Menschen sprach.

„Bitte, bitte, genieren Sie sich gar nicht, Verehrter!“ höhnte letzterer weiter.

Aber nun legte sich der grosse, blonde Herr im schwarzen Kragenmantel ins Mittel und sagte:

„Lassen Sie doch Ihre spitzen Redensarten, Kretschmar, der Herr Graf wird es uns gewiss nicht übelnehmen, dass wir ihn hier erwartet haben ... mein Gott, jeder will doch sein Heu so bald wie möglich einbringen ... nicht wahr, Herr Graf?“

Er wandte sich mit einer chevaleresken Verbeugung an den Aristokraten.

„Sie verdenken es uns nicht, dass wir Sie bitten wollten, uns heute noch die Heiratsprovision auszuzahlen?“

„Jawohl,“ fiel jetzt die Dame ein.

„Darum wollten wir alle drei den Herrn Grafen ganz ergebenst gebeten haben. Denn erstens sind da die Vorschüsse, die wir dem Herrn Grafen verschafft haben und für die wir doch auch wieder haften müssen ... und dann hat uns die Zusammenbringung dieser Partie auch wirklich viel Mühe und noch mehr Unkosten gemacht ... schliesslich, nicht wahr, jeder Arbeiter ist doch seines Lohnes wert!“

Dem Grafen stieg der Ekel bis in die Kehle hinauf ... Das waren die Aasgeier, die auf seiner toten Ehre sassen und sich an ihr mästeten ... Er sah den Kretschmar an, der sich jetzt still verhielt, dessen bleiches, argwöhnisches Gesicht aber gespannt an jeder seiner Bewegungen hing, und er sah ein, dass er nichts Besseres tun könne, als so rasch wie möglich die Forderung dieser Leute zu befriedigen und sich ihrer Gesellschaft zu entziehen.

Wenn ihm jetzt einer seiner Bekannten begegnete! ... Welch eine Unvorsichtigkeit war es, sich mit diesen anrüchigen Leuten, die gewiss auch noch anderen ausser ihm bekannt waren, auf offener Strasse in lange Auseinandersetzungen einzulassen! Er suchte und fand eine Kaleschendroschke, die Raum für vier Personen bot.

Und die Herrschaften liessen sich denn auch nicht lange nötigen und stiegen ein.

Er selbst nahm unter dem hochgeschlagenen Rückverdeck Platz, so dass ihm jemand aus seinen Kreisen, der etwa vorüberging, nicht sehen konnte. Dem Kutscher hatte er zugerufen:

„Nach der Ackerstrasse 216!“

„Wieso nach der Ackerstrasse?“ fragte der misstrauische Agent.

„Ich habe dort etwas zu tun,“ erwiderte der Graf kurz.

„Na, aber ...“

Der Rotbärtige hatte etwas entgegnen wollen, überlegte es sich jedoch und fragte:

„Haben Sie denn das Geld, Herr Graf?“

„Ja, in einem Scheck.“

„Ach ’n Scheck! ...“ sagte die dicke Frau, die Leonore Tuto hiess und sich offiziell mit Heiratsvermittelungen befasste, während über ihre inoffiziellen Geschäfte niemand so recht orientiert war.

„Ein Scheck! ... Da sind wir ja noch so klug wie vorher ... heute ist doch keine Bank mehr offen!“

„Lassen Sie das nur,“ meinte der grosse Blonde — sein Name war Traugott Casparius, und er hatte sich als verkrachter Rittergutsbesitzer auf sogenannte Agenturgeschäfte gelegt, das heisst, er machte Hypotheken und Versicherungen, akquirierte auch Inserate und war, wie es hiess, wenig wählerisch in der Art der Unternehmungen, denen er seine Kräfte widmete.

„Lassen Sie nur, Frau Tuto, Herr Kretschmar und ich, wir kennen jemand, der uns auch heute abend noch den Scheck honoriert ... denn, nicht wahr, Herr Graf, Ihnen liegt doch auch daran, heute noch Geld zu sehen ... und auf einhundert Märkchen wird’s Ihnen dafür gewiss nicht ankommen?“

Graf Berghorst neigte zustimmend sein zweiunddreissigjähriges Haupt, dessen Haare von so manchem Sturm bereits stark gelichtet waren.

Und während er einige Worte an den früheren Gutsbesitzer richtete, der ihm aus jener Periode her vom Spieltisch bekannt war, wo Herr Casparius, wie er selbst sagte, den schönsten Teil seines Lebens zugebracht und den grössten Teil seines Rittergutes gelassen hatte — meinte der rothaarige Agent, dessen Stimme allein schon den Grafen in nervöse Unruhe versetzte, so leise, als spräche er zu sich selbst:

„Wenn ich nur wüsste, was der Herr Graf in der Ackerstrasse will!“

Der Graf überhörte das absichtlich.

Doch der Agent fuhr, in der offenbaren Absicht, von Berghorst zu einer Antwort zu reizen, fort:

„Wir haben doch wahrhaftig mehr zu tun, als dem Herrn Grafen bei seinen privaten Angelegenheiten Gesellschaft zu leisten!“

Kretschmar wandte sich dabei an die Tuto, und obwohl diese abwehrende Handbewegungen machte, setzte er hinzu:

„Ich schlage vor, wir fahren sofort nach der Fennstrasse ’raus zu Ephraim und sehen zu, dass die Geldsache sobald wie möglich in Ordnung kommt!“

Jetzt hielt der Graf nicht länger an sich, er wurde wütend.

„Nein!“ schrie er, „zum Donnerwetter, nein! Hören Sie denn nicht, was ich sage! Wir fahren nach der Ackerstrasse, und wenn Ihnen das nicht passt, so steigen Sie gefälligst aus! ... Ihre Gegenwart ist mir sowieso im höchsten Grade chokant!“

Mit dem Blick eines bösen, tückischen Tieres, aber ohne mehr als die blutlosen Lippen zu bewegen, starrte der Agent den Aristokraten an. Dieser Mensch war schlau, sehr schlau! Er wusste wohl, dass er nicht die geringste Handhabe hatte, den Grafen zu zwingen, dass dieser heute noch die Mitgiftsumme auskehrte. Deshalb schwieg er, aber in seinem Herzen schwur er dem Grafen heisse Rache und er war überzeugt, dass er früher oder später schon Gelegenheit finden würde, diesem alles mit Zinsen heimzuzahlen!

Der übrige Teil der Fahrt durch die hellen, menschenbelebten Strassen des Ostens ging fast ohne Unterhaltung vonstatten ... Diese vier Menschen hatten Wichtigeres zu tun, als zu plaudern.

Sie rechneten, wie viel für jeden von den Hunderttausend abfallen würde, und jeder, mit Ausnahme des Grafen vielleicht, hoffte den andern bei der Auszahlung übers Ohr zu hauen.

Als die Droschke in der Ackerstrasse hielt, sprang der Graf sofort leichtfüssig hinaus. Es war, als beflügele eine neue unsichtbare Gewalt seine Schritte. Aber er war kaum in dem matt erleuchteten Torweg des Hauses verschwunden, als auch schon der Agent die Droschke verliess mit den Worten:

„Vor allen Dingen werd’ ich mal untersuchen, ob das Haus auch nicht etwa einen zweiten Ausgang hat!“

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