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VI. Der Herr Agent.

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Auf der Treppe des Hauses Barutherstrasse 24 standen vielleicht dreissig junge Leute. Das heisst, es waren auch schon ältere dabei, aber sie gehörten sämtlich dem Kaufmannsstande an oder waren Insassen der Schreibstube, also alles Männer, denen die kaufmännische Gewohnheit beruflich den Namen „junge Männer“ gibt.

Ebenso wie Grösse, Gestalt, Gesichtsbildung und Sprache unter dieser kleinen Versammlung verschieden waren, in demselben Masse unterschieden sich auch ihre Leistungen und ihre Ansprüche.

Sie hatten in der Vosfischen Zeitung eine Annonce gelesen, in der ein Herr unter X Y Z einen jungen Mann für sein Bureau suchte, der perfekt englisch und französisch sprechen, stenographieren und mit der Schreibmaschine Bescheid wissen, doppelte und einfache Buchführung können und auch sonst im kaufmännischen Geschäft gut orientiert sein sollte.

Dem, der diese Stellung annahm, versprach die Annonce eine gute Behandlung und ein anständiges Salär.

„Na, ich denke,“ meinte einer der auf der Treppe anwesenden Jünglinge, dessen blasses, verschwiemeltes Gesicht allerdings keinen besonders tüchtigen Arbeiter vermuten liess, „es werden so ungefähr fünfzig Mark auf die gute Behandlung kommen, und 60 aufs Salär, das macht denn hundertundzehne!“

Darauf erwiderte einer, der eine rote Säufernase im Gesicht hatte und es an Reduziertheit mit jedem Pennbruder aufnehmen konnte:

„Können Sie aber gut rechnen ... da schlage ich Ihnen vor, Sie zahlen Ihrer Wirtin und Ihrem Schneider mit Ihrem Gehalt aus und leben selbst nachher von der guten Behandlung.“

Die Umstehenden lachten.

Indem öffnete sich die Tür, in welcher ein grosses, in Schwarz und Gold gemaltes Blechschild die Aufschrift:

„Theophil Kretschmar, Agentur und Kommission“ trug, und es trat ein junger, recht nett aussehender Mensch heraus, der mit einem freundlichen Lächeln, aber ohne ein Wort zu sagen, sich seinen Weg durch die gedrängt stehenden Kollegen bahnte.

„Der hat sie gewiss gekriegt, die Stelle,“ sagte einer leise zu dem andern.

Und der mit der Kupfernase rief ganz laut:

„Ick jratolliere!“

Während der eben aus der Tür Getretene die Treppe hinunter- und ein anderer zu Herrn Theophil Kretschmar hineinging, kam wieder jemand die Treppe herauf, der augenscheinlich auch auf den hier vakanten Posten spekulierte.

Ein kleiner, schwächlich aussehender Mensch, der auf den ersten Augenblick wie fünfzehn Jahre alt aussah. Bei längerem Ansehen aber war es doch underkennbar, dass man es mit einem viel älteren, sicherlich mehr als zwanzigjährigen Menschen zu tun hatte.

Er hatte dunkelblondes Haar und einen dünn stehenden, wenig gepflegten Schnurrbart. Seine Kleider waren ärmlich, seine Stiefel schief getreten und seine Wäsche nicht allzu sauber. Das Gesicht, in dem die Augen klein, die Nase breit und hässlich und der Mund zu vollippig war, hatte eine merkwürdig schöne, breite und hochgewölbte Stirn. Aber die Trostlosigkeit der unbestimmbar gefärbten, verschlafen blickenden Augen beeinträchtigte wieder deren Wirkung.

Und seine Bewegungen hatten etwas Müdes. Es schien, als würde es ihm schwer, sich aufrecht zu halten. Wie er die Treppe heraufkam, holte er schwer Atem.

„Noch ’ne Kraft!“ sagte der eine mit dem nachtschwärmerischen Gesichtsausdruck, und nun folgte ein Hagel von Witzen und abfälligen Bemerkungen gegen den „Chef“ da drinnen im Kontor, dem alle diese jungen Männer, die fast durchgehends dem kaufmännischen Proletariat angehörten, ohne ihn noch zu kennen, ihr Misstrauen und ihre Abneigung entgegenbrachten.

Als jetzt wieder jemand das Geschäftslokal verliess — es war das ein Individuum, dem schon seinem Äusseren nach gewiss kein Kaufmann auch nur die Portokasse anvertraut hätte — umringten ihn die Wartenden und wollten wissen, was es für eine Stelle wäre und wieviel Gehalt sie brächte.

„Er wollte mir dreihundert Mark geben,“ meinte der spitzbübisch aussehende Mensch mit einem tödlichen Ernst, „aber ich kann so einen Posten nich annehmen, weil ich nich wees, was ich mit det ville Jeld machen soll!“

Damit sprang er lachend die Treppe hinunter und liess die andern in derselben Ungewissheit wie zuvor zurück.

Einer nach dem andern ging jetzt hinein, und die wieder herauskamen, die sagten wie in stillschweigender Verabredung entweder gar nichts oder sie banden den draussen noch harrenden Kollegen offenbare Märchen auf.

Endlich trat einer aus der Tür, der seine gerechte Entrüstung nicht bemeistern konnte, und laut schrie:

„So’n Schubbiack! ... Vierzig Mark hat er mir geboten! ... Der Deibel soll’n holen! ... Da will ich ja lieber hungern, bis ich schwarz werde!“

„Ne, so’ne Arbeit. Da lieber ja keene!“ meinte ein anderer, und ein dritter fügte hinzu:

„Det müsste man wahrhaftig ins Blatt setzen lassen!“

Und plötzlich von einem gemeinsamen Entschluss, wie von einem Wirbelwind erfasst, fegten sie sämtlich, Flüche und Verwünschungen und Schimpfreden auf den Lippen, die Treppe hinunter.

Zurück blieb ausser dem zuletzt Eingetroffenen nur ein alter Mann mit weissem Haar und krummem Rücken, der gewiss bereits an unzähligen Stellen erfahren hatte, dass die Ehrfurcht vor dem Alter zur lächerlichen Phrase wird, sobald es sich darum handelt, solch einem marklosen, abgetriebenen Greise Brot und Verdienst zu geben.

Der Alte war früher gekommen, ging also zuerst hinein. Aber er kam gleich wieder heraus.

In seinem Auge stand eine Träne, und nur mit einem Kopfschütteln sagte er dem jungen Gefährten in der Not, dass es wieder einmal nichts geworden sei mit einem Engagement.

Zitternd und bebend, mit einem inneren Schauder, der ihm die Zähne aufeinanderschlagen liess, ging jetzt der kleine Mensch in das Kontor.

Der Raum, den er nach dem total dunklen Korridor zuerst betrat, unterschied sich in nichts von jenen kleinen, unsauberen Schreibstuben, wie man sie bei Winkelkonsulenten und unbeschäftigten Rechtsanwälten antrifft.

Ein paar Regale an den wänden voll von Staub starrender Aktenstösse und ein paar Tische, an deren einem ein Junge von vierzehn Jahren und ein Mädchen, ein blasses, blutarmes Geschöpf mit grossen Fieberaugen, sassen, und eine Schreibmaschine, damit erschöpfte sich das Mobiliar.

„Ich komme wegen der ausgeschriebenen Stelle,“ meinte der junge Mensch, an den Schreiberlehrling herantretend ... „Sie ist wohl schon besetzt?“

Der Junge, der auf den ersten Blick recht dumm und bäuerisch aussah, zuckte die Achseln und klopfte an der Tür, über welcher ein Schild mit der Aufschrift „Privat-Kontor“ hing.

Das „Herein“, das von drinnen ertönte, hatte gar keinen lauten, aber einen so scharfen, schneidenden Klang, dass der junge Mensch, der wegen der Stellung anfragte, förmlich zusammenzuckte.

Dann trat er ein und machte eine tiefe Verbeugung.

Als er sich wieder aufrichtete, sah er sich in einem ziemlich grossen Erkerzimmer, in das durch eine grüne Gardine das Licht der Mittagsonne hereinfiel. Dieses Zimmer war besser eingerichtet. Es hatte einen Teppich und eine Chaiselongue. Ein grosser Schreibtisch stand fast in der Mitte, und in einem rechtsstehenden Regal standen Bücher und weniger unsaubere Akten; aber das Hauptausstattungsstück des Gemaches war doch sicherlich der massive Geldschrank, der, linksstehend, einen ganzen Teil der Wand einnahm.

Der junge Mensch war in der Tür stehen geblieben, mit niedergeschlagenen Augen und ängstlich an dem Beinkleide herumfingernden Händen.

Der Chef, der sich Mühe zu geben schien, seinem unsympathischen Gesicht einen freundlichen Anstrich zu geben, musste ihn erst näher zu sich heranrufen.

Da kam er denn bis an die Rückseite des Schreibtisches, aber, — sei es nun, dass ihm der Agent so grosse Furcht einflösste, oder lag diese Scheu vielleicht in seinem ganzen Wesen — jedenfalls brachte er es nicht fertig, Herrn Kretschmar frei ins Auge zu blicken.

Dem Agenten war das freilich gar nicht unangenehm, weil er selbst jedesmal, wenn ihm irgendwer fest und scharf ins Gesicht sah, das seine senken musste.

„Sie suchen also eine Stellung, Herr ... wie war doch Ihr Name?“

„Philipp Märker ...“

„Wo waren Sie denn früher?“

Der kleine Mensch überreichte dem Agenten einen stark gefüllten Briefumschlag.

„Hier, bitte, das sind meine Zeugnisse!“

Der Agent las dieselben aufmerksam durch, dann gab er sie zurück.

„Das letzte reicht bis Ende August,“ sagte der Agent, den jungen Mann dabei fest ansehend. „Wo sind Sie denn seitdem gewesen?“

Der junge Mann wurde bei dieser Frage auffallend rot und trat ein paar Schritte von dem Schreibtisch des Agenten zurück.

Theophil Kretschmar bemerkte sofort, dass da etwas nicht in Ordnung sei, und er war nicht der Mann, sich da, wo es sich um die Ausspürung eines Geheimnisses handelte, von dem man nie wusste, wie man es mal benutzen konnte, so leicht abweisen zu lassen.

„Sagen Sie es nur ruhig,“ lächelte er, „zu mir können Sie unbedingtes Vertrauen haben ... Ich weiss recht gut, dass im Leben nicht alles so glatt abgeht, und wenn Ihnen da wirklich etwas passiert ist, worüber ein anderer vielleicht nicht so leicht hinwegsehen würde, bei mir findet auch der irrende und strauchelnde Mitmensch noch volles Verständnis.“

Aber der Kleine hatte sich inzwischen gefasst. Und mit dem eigensinnigen Ausdruck des Verstockten erwiderte er:

„Aber nein, mein Herr, mir ist nichts, gar nichts ist mir passiert ...“

„Wirklich nicht?“ fragte der Agent, und sah sein Gegenüber durchbohrend an.

„Nein, nein!“ beteuerte der junge Mann, „wenn Sie das von mir glauben, dann ist es ja besser, ich gehe gleich wieder.“

Dabei retirierte er auch schon nach der Tür zu, augenscheinlich von dem Wunsche beseelt, so schnell wie möglich von hier fortzukommen.

Aber der Agent liess ihn nicht fort.

„Nun, nun,“ meinte er, „wenn ich mich geirrt haben sollte, dann entschuldigen Sie nur, bitte ... das braucht Sie doch nicht abzuhalten, bei mir in Stellung zu treten.“

Aber der Kleine wollte jetzt nicht mehr.

„Ich möchte doch lieber ... ich möchte doch lieber darauf verzichten, mein Herr ...“

„Sooo ...?“

Der Agent heftete seine unbarmherzigen Blicke auf das kränkliche Gesicht des jungen Mannes, der sich auf seinem Platze wand und drehte, ohne jedoch die Energie aufzubringen, das Zimmer zu verlassen.

„So,“ sagte der Agent, „so, nun das scheint mir allerdings merkwürdig! ... Ich bitte Sie, Vertrauen zu mir zu haben, und gerade das bestimmt Sie, auf die Stellung in meinem Hause zu verzichten ... hm ... das ist doch recht merkwürdig ... wirklich sehr eigentümlich ...“

Der Kleine hatte abermals einen roten Kopf bekommen, jetzt sagte er:

„Aber nein, durchaus nicht! Ich würde sogar die Stellung sehr gern annehmen ...“

Er suchte offenbar nach einer Entschuldigung, weswegen er es nun nicht tun könne, aber sein mattes Gehirn gab diesem Augenblicksbegehren nicht nach, und gegen seine feste Absicht, hier auf keinen Fall länger zu bleiben, nahm er auf die sehr bestimmte Bitte des Agenten hin einen Stuhl und setzte sich Herrn Kretschmar gegenüber.

Der sah ihn an mit jenem Hohnlächeln, das ihm schon so viele Menschen zu Feinden gemacht hatte, und schwieg eine ganze Weile.

„Sie wollen also bei mir arbeiten?“ sagte er dann und weidete sich an der Unfähigkeit des Kleinen, ihm zu widerstreben.

„Die Bureaustunden sind von acht bis acht Uhr mit einer Stunde Mittagzeit ... na, und sollte mal etwas länger gearbeitet werden, so muss man das eben mit in den Kauf nehmen, das wissen Sie ja ... Ich gehe auch nicht mit der Uhr in der Hand nach Hause. Sonntags wird nur in ganz dringenden Fällen gearbeitet. Und von den Feiertagen haben Sie jedenfalls immer einen Tag frei. Das Gehalt beträgt vierzig Mark.“

Der junge Mensch schien von diesen Eröffnungen ganz zu Boden geschmettert, aber es musste in seiner Seele etwas geben, was ihn, ohne das jener andere noch wusste, was es eigentlich war, doch schon in ein Abhängigkeitsverhältnis zu dem Agenten gebracht hatte.

„Mit den Bedingungen sind Sie doch einverstanden?“ fragte Herr Theophil Kretschmar, dessen Grinsen in diesem Augenblick wirklich etwas Teuflisches hatte.

Der Kleine nickte. Ihm war zumute wie einem Vogel, den man in der Schlinge gefangen hat und der froh ist, wenn man ihm nicht sofort den Kopf abreisst.

Indessen wurde es ihm ganz augenscheinlich schwer, das zu sagen, was ihn bedrückte.

„Aber, Herr Kretschmar, ich muss ...“

„Na, was müssen Sie?“

„Ich muss ... ich brauche etwas Geld im voraus, Herr Kretschmar.“

„Im voraus? ... Nee, hören Sie mal, mein Lieber, so was, das gibt’s bei mir nicht ... Regelmässig am letzten des Monats wird Ihr Gehalt ausbezahlt, aber voraus zahlen, das wollen wir nicht einführen!“

Der Kleine schluckte ein paarmal heftig, dann sagte er:

„Ja, dann bedauere ich wirklich ... ich muss doch leben ... und ich besitze nichts, und Kredit geben tut mir auch keiner.“

„So, hm ...“

Der Agent dachte nach.

„Na,“ sagte er dann, „wenn die Sache so liegt, dann müssen wir eben mal eine Ausnahme machen ... dann werde ich Ihnen eben jeden Abend Ihre Mark ausbezahlen.“

„Ja, und ...“ Der Kleine fand wieder das Wort nicht.

„Na, was denn und?“ fragte der Agent, ihn so aufmerksam betrachtend, als hätte er ihn noch nie gesehen.

Der junge Mensch gab sich einen Ruck und meinte:

„Und die übrigen zehn Mark, nicht wahr, die bekomme ich dann am Ende des Monats?“

Der Agent lachte laut auf.

„Zehn Mark, ja, aber hören Sie mal, lieber Freund, ich kann mich doch nicht ohne weiteres in Unkosten stürzen Ihretwegen! Wenn Sie per Ende des Monats Ihr Geld nehmen wollen, dann zahle ich Ihnen vierzig Mark, sonst bekommen Sie eben pro Tag eine Mark ... Sie können mir ja jeden Tag wegbleiben, und dann habe ich die grösste Mühe gehabt, Sie anzulernen, und bin schliesslich selber der Dumme ... Nee, nee, lieber Freund, das wollen wir nicht machen!“

Der Kleine wurde wieder rot vor innerer Erregung, aber er brachte es offensichtlich nicht fertig, noch weiter gegen den Herrn Chef anzukämpfen.

Der Agent nickte lächelnd.

„Übrigens können Sie gleich hierbleiben, das Fräulein draussen wird Ihnen zeigen, was zu tun ist ... und vor allen Dingen hängen Sie einen Zettel an die Tür, dass Sie so glücklich gewesen sind, die Stelle zu erlangen, damit mir Ihre Kollegen nicht noch weiter das Haus einrennen.“

Und Philipp Märker hörte voll heimlicher Wut das laute Gelächter, mit dem ihn sein Chef verabschiedete.

Draussen gab ihm das blasse Mädchen einen Stoss Akten, die er auf der Schreibmaschine kopieren sollte, und bald eilten seine mageren Finger in ruheloser Hast über die Tastatur, und ob es gleich nicht viel mehr als nichts war, was er hier erwarb, so befriedigte es ihn für einen Augenblick doch, dass er einen Platz gefunden hatte, auf dem er sitzen durfte, und eine Arbeit, die ihn vielleicht das vergessen lassen würde, was ihn so unablässig quälte.

Bald darauf begannen die Sprechstunden des Agenten.

Nun kamen eine Menge Leute, die ein Anliegen an Herr Kretschmar hatten. Jeder von Ihnen musste von vornherein mal eine halbe Stunde warten, bis er vorgelassen wurde, und fast alle kamen sie niedergeschlagen oder wütend aus Herrn Kretschmars Zimmer heraus.

Da war zuerst eine Frau, die ein Darlehn suchte.

Solange sie drinnen leise sprachen, hörten ja die Angestellten im Bureau nichts, aber als sie in Konflikt gerieten und die Frau lauter sprach und der Agent sie mit seiner scharfen Stimme zu überschreien suchte, da verstand man im Bureau jedes Wort.

Die Frau hatte ein Sparkassenbuch hinterlegt, das auf einen Betrag von 1000 Mark lautete, und wollte darauf 300 Mark als Darlehn haben. Nun hatte jedoch Herr Kretschmar, dessen Verbindungen sehr weit reichten und der von tausend Dingen erfuhr, die eigentlich ganz ausser dem Bereich seiner Machtsphäre lagen, in Erfahrung gebracht, dass die Frau auch schon an anderer Stelle 300 Mark auf das Sparkassenbuch geborgt hatte gegen eine blosse Schuldverschreibung. Daraufhin verweigerte er ihr das von ihm geforderte Darlehn und steckte die 20 Mark Kostenvorschuss, die er sich schon hatte zahlen lassen, seelenruhig in die Tasche. Davon wollte natürlich die Frau nichts wissen. So entspann sich ein furchtbarer Streit, der damit endete, dass der Agent der Frau mit einer Betrugsanzeige drohte und sie höchst eigenhändig zur Tür hinauswarf.

Dann kam ein Redakteur, der sich auf sein Mobiliar etwas leihen wollte. Der Agent lachte ihn einfach aus. Möbel? ... hahahahaha ... das wäre gerade das Rechte! ... Er hätte doch kein Trödlergeschäft! Und obendrein Sachen, die wahrscheinlich auf Abzahlung genommen seien ... der Darlehnssucher sollte lieber vorsichtig sein, hinter solchen Geschäften lauere der Staatsanwalt!

Darauf wurde der Redakteur seinerseits sehr böse, und es kam wieder zu einem Wortgefecht, das, wie der Agent dem Besucher versprach, mit einer Klage gegen den letzteren wegen Hausfriedenbruchs enden sollte.

So kam und ging einer nach dem anderen, aber kaum ein einziger verliess das Agenturgeschäft von Theophil Kretschmar mit einem Lächeln.

Die Türglocke ging wieder und ein grosser, breitschultriger Herr mit blondem Vollbart betrat das Bureau.

„Traugott Casparius!“ sagte er.

Der Schreiberlehrling, der August Kothe hiess, ging hinein, ihn zu melden, kam aber sofort wieder mit dem Bescheid, Herr Kretschmar wäre jetzt nicht zu sprechen.

„Was, nicht zu sprechen? ... Warten Sie mal ’nen Augenblick!“

Und schon verfügte sich der frühere Rittergutsbesitzer dröhnenden Schrittes nach der Tür, über welcher „Privat-Kontor“ geschrieben stand, riss dieselbe auf und trat mit den Worten: „Ah, da sind Sie ja!“ bei dem Agenten ein.

Theophil Kretschmar sprang auf.

„Ich habe Ihnen doch sagen lassen, dass ich jetzt nicht für Sie zu sprechen bin!“

Einen Augenblick stand Casparius von soviel Unverschämtheit ganz erstarrt da.

„Was?! ...“ sagte er dann, „was!? ... das wagen Sie mir zu sagen?! ... und Sie frecher Lump, Sie schämen sich nicht, einen erst um sein Geld zu betrügen und dann wollen Sie sich nicht mal sprechen lassen ... ih! ... da soll ja der Deubel reinschlagen!! ... Sie Halunke, Sie erbärmlicher! ... Wenn Sie mir jetzt nicht auf der Stelle mein Geld geben, so schlage ich Ihnen hier in Ihrer eigenen Bude alle Knochen im Leibe entzwei ... Hören Sie? ... entweder mein Geld oder Sie kommen nicht lebendig davon!“

Der Agent war sehr blass geworden. Er sass in seinem Lehnstuhl zurückgelehnt und liess die Daumen seiner langen, knöchernen Hände umeinander spielen. Dabei sah er nach der auf dem Schreibtisch stehenden Klingel hin und suchte nun unauffällig die Hand danach auszustrecken. Casparius aber, der das wohl bemerkt hatte, nahm sie ihm einfach weg, indem er sagte:

„Ich bekomme alles in allem 4000 Mark ... also bitte her damit! ... und ein bisschen cito!“

Dabei zog er eine dicke, lederbeflochtene Hundepeitsche unterm Rock hervor.

Verzweifelt blickte der Agent sich um. Sein Gesicht sah aus, als sollte ihm mindestens eine Hand abgeschlagen werden, aber soviel er sein erfinderisches Hirn anstrengte, hier fand auch er nichts, was er hätte gegen ihn verwerten können. Und nebenbei hatte er eine rasende Furcht vor dem blonden Hünen, denn Kretschmar war ausserordentlich feige.

„Ich habe nicht soviel Geld im Hause,“ sagte er schliesslich.

„Dann schreiben Sie einen Scheck!“ meinte Casparius und machte allerhand verdächtige Bewegungen vor Herrn Kretschmars Gesicht mit seiner Peitsche.

Mit den Augen zwinkernd und dabei vor Wut kochend schrieb der Agent den Scheck aus und warf ihn dem andern hin. Der lachte, steckte ihn gemütlich in sein Portefeuille und verliess pfeifend das Zimmer.

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