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III. Ein Kind des Volkes.

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Atemlos, ein Rot der Hast und der inneren Erregung auf den sonst so aristokratisch farblosen Wangen, langte Graf Berghorst im vierten Stocke an.

Noch zitterten die Wogen des Unmuts über das Benehmen dieses Menschen da unten in der Droschke in ihm nach, den er viel zu sehr verachtete, um ihn zu fürchten.

Aber der Graf hatte nur nötig, an eine Tür zu klopfen und, als ihm geöffnet wurde, über eine Schwelle zu treten, um alles, alles zu vergessen, was ihn störte und bedrückte.

Mehr als dreissig Jahre waren vergangen, ohne dass es der Liebe gelungen wäre, dieses stolze Männerherz zu bezwingen!

Graf Berghorst wusste wohl, dass Frauenschönheit und Frauengunst dem Manne süss sei: durch braune, blonde und schwarze Locken war seine schmalfingrige Hand geglitten und in mancherlei Mundarten hatten rote Lippen ihm zugeflüstert:

„Ich liebe dich!“

Aber nie hatten solche Geständnisse und Liebkosungen sein Herz mehr als einen flüchtigen Augenblick schneller schlagen lassen.

Vielleicht hatte er das nicht gefunden, was die Leidenschaft in seinem Herzen ausgelöst hätte. Es war auch wohl möglich, dass das Spiel all seine Empfindungen und Gedanken so sehr in Anspruch nahm, dass nicht viel für Amors sanfte Triebe übrigblieb.

Und ihm, der den Luxus so selbstverständlich fand, dem ein Leben, das nicht mit allem Komfort des Reichtums umgeben war, ungeniessbar erschienen wäre — diesem Manne, der die seltensten Treibhauspflanzen kaum beachtete, war es vorbehalten, von einer Heckenrose so gefesselt zu werden, dass es ihn festhielt mit tausend Klammern, dass er niedersank vor ihr und mit scheuem Flehen um einen Blick ihrer sanften Augen, um einen Druck ihrer kleinen, arbeitharten Hände warb.

Was besass denn Käthe Wunderlich, dass sie diesen stolzen, hoffärtigen Charakter, den die eigene Mutter nie hatte bändigen können, mit einem einzigen Blick ihrer blauen Augen zur tiefsten Demut zwang?

Schön war sie doch eigentlich nicht.

Ihre blonden Flechten, die sie wie eine Krone ums Haupt gewunden trug, waren sicherlich das Allerschönste an ihr.

Ihr längliches Gesicht hatte, trotzdem ihre Arbeit sie täglich im engen Zimmer festhielt, eine frische, gesunde Farbe, und der hohe Wuchs ihres kräftigen, wohlgeformten Körpers gefiel jedem.

Aber das erklärte den tiefen Eindruck noch nicht, den sie auf den Mann ausübte, dessen Standesideale sicherlich in einer ganz anderen, viel komplizierteren Frauengattung ihre Erfüllung fanden.

Man musste mit Käthe Wunderlich sprechen, den bestrickenden Klang ihrer tiefen Altstimme hören, und man musste das seelenvolle Aufleuchten ihrer klarblauen Augen, ihres ganzen frommen Angesichts sehen, wenn sie sich an dem Gegenstand, von dem gesprochen wurde, erwärmte!

Sicherlich, ein Hauch von jenen Höhen, denen all unser Bestes immerdar zustrebt, war auch in diese einfache Menschenseele geflossen — ein Hauch, der denen entgegenwehte, die mit Käthe Wunderlich umgingen, der selbst den Verständnislosen Achtung und Bewunderung abnötigte.

Sie hatte an ihrem Arbeitstisch gesessen, als Graf Berghorst klopfte, und dorthin ging sie zurück, als sie ihm geöffnet hatte.

Auf der Platte des Tisches, über den eine einfache Schirmlampe ihr volles, gelbes Licht ergoss, lagen Seidenstreifen, schwarze und bunte von verschiedenem Muster. Daneben in einem Karton kleine blitzende, seltsam geformte Metallstückchen. Dann Schnallen, die einen blinkenden Hügel auf dem braunen Holze bildeten, und, etwas abseits in regelmässige Reihen gelegt, Herrenkrawatten zu Dutzenden.

Käthe erwarb ihr Brot mit Krawattennähen. Sie verfertigte die kleinen bunten, schwarzen und weissen Schleifen, „Diplomates“ genannt, welche die Herrenwelt unter dem Stehkragen über ihren weissen, gestärkten Chemisettes trägt.

Und da das Mädchen geschickte Hände und viel Geschmack besass, so wurde es ihr nicht schwer, sich auf eine anständige Weise zu ernähren.

Der Graf, der ihr bei seinem Kommen nur, wie einer Dame der grossen Welt, die Hand geküsst hatte, sass ihr jetzt gegenüber und sah zu, wie Käthes flinke Finger die bereits fertiggenähten Seidenstreifen zu verschieden geformten Schleifen banden, um sie alsdann mit raschen Nadelstichen zu befestigen.

Während sie dabei harmlos mit ihm plauderte, fühlte der Graf heimlich voll ängstlicher Bedrücktheit nach seinem Trauring, den er in die Westentasche gesteckt hatte.

Hier in der Nähe des angebeteten Mädchens lastete seine Verfehlung doppelt schwer auf ihm.

Dazu kam, dass er ihr heute zum ersten Male gegenüberstand als ein Mann, der seine Freiheit um schnödes Geld verkauft hatte, der im Augenblick wenigstens nicht mehr das Recht hatte, über seine Hand zu verfügen.

Er meinte auch, sie müsse ihm das ansehen.

Ihre heiteren unschuldigen Augen, die er auf sich gerichtet fühlte, brannten in seiner Seele, und nichts hätte er mehr gewünscht, als sich jetzt der Geliebten zu Füssen werfen zu dürfen, um ihr alles, alles einzugestehen.

Aber er wusste genau, sie würde sich dann erheben mit ihrer hohen aufrechten Gestalt, und ihm ruhig und ernst die Tür weisen — für immer!

Und das fürchtete er mehr als alles andere!

Deshalb sagte er nichts von dem, was sein Gemüt mit solch dumpfem Schmerz erfüllte; ja er log sogar, als sie ihn teilnehmend fragte, ob er Kummer habe, und verneinte die Frage lächelnd.

Dabei aber sah er sie immerfort an und verging vor Durst nach ihrem roten Munde ... einmal, einmal ja nur wollte er sie küssen ...

Oh, wer ihm das gesagt hätte, dass er so elend werden würde vor Sehnsucht nach diesen Lippen, damals an jenem Abend, als er sie zum erstenmal gesehen!...

Wie greifbar deutlich das alles plötzlich wieder vor seinem geistigen Auge stand!

Im Dezember war’s gewesen, als er wie gewöhnlich abends nach dem Klub zum Spielen fahren wollte.

Und seine Droschke hätte beinah — das erfuhr er erst später — ein Kind überfahren. Ja, der Kleine wäre sicher unter die Räder gekommen, wenn nicht im letzten Augenblick ein Mädchen zugesprungen wäre und das Kind zurückgerissen hätte.

Das Kind kam mit blossem Schrecken davon, die mutige Retterin aber war von einem Wagenrade erfasst und zu Boden gerissen worden.

Sie sah übel aus, die arme Käthe, aber es war ihr gottlob nichts Ernstliches geschehen, und sie hätte ihren Weg gewiss am liebsten still und unbemerkt fortgesetzt, wenn nicht die schnell zusammengeströmte Menge ihr allzu aufdringlich ihre Huldigungen dargebracht hätte, während sich natürlich gegen den Droschkenkutscher und den im Wagen sitzenden Grafen der ganze Unwille der Menge kehrte.

Dem letzteren hatte der Graf Berghorst allerdings schnell gesteuert, dadurch, dass er der herbeigeeilten und schimpfenden Mutter des Kindes — die Frau hätte eher Schelte verdient! — einen „blauen Lappen“ einhändigte ...

Er war gerade bei Kasse ... und, du lieber Gott! was kam’s ihm schon auf einen Hundertmarkschein mehr oder weniger an ... Als Spieler wird man es gewöhnt, das Geld so schnell kommen und gehen zu sehen, dass die Banknote selbst gar keinen Reiz mehr besitzt ...

Aber auf die armen Leute, die sich um ihn drängten, machte diese Freigebigkeit einen enormen Effekt! Dafür trat sogar das opfermutige Wagnis des jungen Mädchens in den Hintergrund, das, wie jemand unter den Zuschauern ganz offen sagte, „ja nicht mal was abbekommen hätte.“

Käthe Wunderlich verlangte auch gar keine Anerkennung für ihr Tun. Sie wäre still und zufrieden im Bewusstsein ihrer voll erfüllten Menschenpflicht nach Hause gegangen, wenn nicht der Graf selbst ihr seine höchste Anerkennung ausgedrückt und sie gebeten hätte, seinen Wagen zu benutzen, um nach Hause zu gelangen.

Mit einem Blick auf ihre über und über beschmutzte Kleidung hatte Käthe sein Anerbieten akzeptiert, und als der Graf dann ebenfalls einstieg und der Kutscher davonfuhr, waren die beiden Insassen der Droschke peinlich berührt worden durch ein paar recht unschöne Spässe, die sich der allzeit ulklustige Mob selbst bei dieser ernsten Gelegenheit nicht verkneifen konnte.

Vielleicht hatte der Graf auch wirklich, wie die Bemerkungen der Zurückgebliebenen andeuten wollten, im Anfang daran gedacht, er könne hier zu einer leichten Eroberung kommen.

Aber jedenfalls hatte er noch nicht viele Worte mit Käthe Wunderlich gewechselt, als von Berghorst wohl erkannte, er täte gut daran, jede derartige Absicht im Keime zu ersticken.

Der ernste Sinn des Mädchens liess für solche Liebelei gar keinen Raum. Und ehe sich der Graf noch von seinem Staunen über dieses seltsame Menschenkind erholt hatte, das seinen Mitschwestern so gar nicht ähnlich sah, mit dem man wie mit einem Manne reden konnte und das bei all seiner Vernunft doch wieder von einer kaum glaublichen Naivität war — noch ehe sich Graf Berghorst über dieses liebliche Naturwunder so recht klar geworden war, hatte ihn schon eine tiefe Neigung für dieses Mädchen erfasst, eine Neigung, die sich mit jedem Zusammensein steigerte und die zu immer höher aufflammender Leidenschaft wurde, je weniger Käthe sie erwiderte.

Denn in der Tat deutete nichts im Benehmen der Krawattenarbeiterin darauf hin, dass Graf Berghorst ihrem Herzen näher stand als andere Männer.

Sie war lieb und freundlich zu ihm. Wenn er kam, stand eine Tasse Tee für ihn bereit, und sie erkundigte sich teilnehmend nach seinen Arbeiten — er hatte ihr vorgeredet, er sei Ingenieur und arbeite an einem fachwissenschaftlichen Werke, weil tatsächlich die Technik ihn früher interessiert und beschäftigt hatte.

Aber weiter ging ihre Vertraulichkeit bisher nicht. Und der Graf sah gar keinen Weg, auf dem er diesem unberührten keuschen Herzen sich hätte nähern können.

So hatte denn auch zu seinem heutigen Besuch bei Käthe keine andere Veranlassung vorgelegen, als die rastlose Sehnsucht, der glühende Wunsch, sie zu sehen, in ihrer Gegenwart zu atmen und — vielleicht den ersten Kuss auf diesen reinen Mund drücken zu dürfen! ...

Deshalb liess Graf Berghorst seine „Geschäftsfreunde“ unten in der Droschke so lange warten; deshalb blieb er, obwohl ihn dieses Warten der drei in Gedanken peinigte, immer noch länger hier bei Käthe Wunderlich.

Die Uhr ziehend, sah er, dass es bald halb zehn war. Also mehr als eine halbe Stunde hatte er die unten schon warten lassen.

Wenn sie nun ungeduldig würden, ihn suchten und durch irgend wen erfuhren, dass er hier sei, bei seinem geliebten Mädchen.

Dem Kretschmar war die Frechheit zuzutrauen, dass er einfach heraufkam und nach dem Grafen von Berghorst sich erkundigte ..., dass er Berghorst hiess, wusste Käthe, aber von dem Adel und gar von dem „Grafen“ hatte sie keine Ahnung.

Nein, wahrhaftig, er musste gehen!

Unverzüglich! Sofort!!

Aber gerade dieser Zwang, der ihn wider seinen Willen von dannen trieb, liess das Meer seiner Leidenschaft immer höhere Wellen schlagen.

Er stand auf.

Seine Hände zitterten und seine Stimme bebte, als er jetzt sagte:

„Ich habe heut wenig Zeit ... Ich muss gehen.“

Käthe sah auf von ihrer Arbeit.

In ihren Augen blinkte es, wie eine Träne.

Und da — da siegte der Wunsch, sie sein zu nennen, über seine Schüchternheit.

Trunken vor Liebe und Zärtlichkeit, mit den unsicheren Bewegungen einer seiner Sinne nur halb Mächtigen, kam er ihr näher.

Sie hatte sich erhoben.

Und als er jetzt seine Arme um sie schlang, da widerstrebte sie nur schwach.

Ihr armes, einsames Herz, überwältigt von der Grösse dieser Liebe, deren wilder Pulsschlag zu ihr herüberdrang und sie schwach werden liess, gab sich ihm zu eigen.

Sie küssten sich minutenlang. Mit einer Kraft und Innigkeit, als sollte der Tod sie in der nächsten Minute voneinander reissen.

Und dann, als ihre Lippen sich, nach Atem ringend, voneinander lösten, da drängte sie selbst ihn nach der Tür, mit einem Flüstern, das wie ein Hauch durch den stillen Raum klang.

„Morgen! ... komm morgen wieder!“

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