Читать книгу Feuer! - Hans Hyan - Страница 4
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ОглавлениеAn diesem Tage, einem Mittwoch, konnte Robert Wegberger nur eine knappe halbe Stunde zu Hause verweilen; er kam so schon zu spät in die Klinik, wo es alle Hände voll Arbeit gab ... Er sah wohl, dass zwischen seinem Stiefvater und der Mutter wieder eine arge Verstimmung lag, doch fand der junge Arzt darin nichts Besonderes. Es kam leider in den letzten Monaten allzu häufig vor, dass er die erregte, laut schallende Stimme seiner Mutter hörte und dabei voller Mitgefühl in Klaus Mathiessens vor nervöser Aufregung bebendes Gesicht sehen musste. Heute war überdies der Sturm schon vorbei. Frau Karoline hatte rotgeweinte Augen, lag auf dem blumenprangenden Zitzsofa, und die Stube, in der Lehrer Mathiessen angst- und reuevoll hin und her lief, duftete nach Melissengeist.
Doktor Wegberger war wenig mit dem Verhalten seines Stiefvaters bei solchen Anlässen einverstanden. Er hätte auch dann gleich wieder das Haus verlassen, wenn seine Arbeit ihn nicht so eilig davongetrieben hätte ... Er, der wirklich ein guter Sohn war, er würdigte seine Mutter heute keines Wortes! Er wusste, dass diese hysterischen Anfälle, in denen Frau Karoline jede Mässigung, jede Verfügung über ihr eigenes Ich verlor, wohl zurückzudämmen, ja auf die Dauer vielleicht zu beseitigen gewesen wären. Sie hatte im Vaterhaus, in ihrer ersten Jugend sehr schwächlich und immer reizbar, als etwas ganz Besonderes gegolten, an das sich die bäuerliche Derbheit ihrer Eltern nicht heranwagte. Dazu kam diese wirklich seltsame Begabung, die sich am stärksten nach solchen Ohnmachten bei dem jungen Mädchen zeigte, das den Leuten mancherlei über ihr heut und morgen zu sagen wusste, was „doch eigentlich kein Mensch wissen konnte“.
Robert Wegberger, den dieser medizinisch so schwierige Fall, dessen Gegenstand ja seine Mutter war, besonders interessierte, erinnerte sich aus seiner Kindheit nicht so sehr an solche jede Harmonie störenden Zwischenfälle ... War die Frau in ihrer ersten Ehe zufriedener gewesen? Da hatte es auch Szenen gegeben, gewiss! Aber entweder scherzte sie der Doktor Wegberger senior aus der Welt, oder, wenn es gar zu schlimm wurde, dann entlud sich dieser Mann in einer so gewaltigen Grobheit, dass der Frau der scheltende Mund offen blieb. Und dann war wieder für eine gute Weile Ruhe. Adolf Wegberger war der Mann gewesen, den Frau Karoline brauchte, und ihn hatte sie leider zu früh verloren, als dass dieser regellose Geist vorher noch auf ein sicheres Gleis zu bringen gewesen wäre.
Der Sohn hatte eine ähnliche Macht über die Mutter. Schon als Kind war sie mehr ihm, als er ihr gefolgt ... Aber die Ehe mit Klaus Mathiessen, dessen goldenen Charakter — der leider auch den Härtemangel dieses Metalls besass — der damalige Student schon erkannt hatte — diese Ehe hatte Robert Wegberger auch nicht verhindern können.
Nun blieb ihm nichts übrig, als zu vermitteln und des Stiefvaters nachgiebigen Sinn zu festigen. Viel Erfolg hatte Robert damit nicht ... Er fragte sich oft, was diese beiden Menschen eigentlich zueinander gebracht hatte? Gewinnsucht auf seiten des Stiefvaters konnte es am allerwenigsten gewesen sein. Seine Mutter war mehrere Jahre Witwe gewesen, und es hatte ihr, die damals noch eine schöne Frau war und die man für vermögend hielt, an Heiratsanträgen nicht gefehlt ... Aber sie schlug jeden aus, bis Mathiessen kam ... Der hatte ein Zimmer bei der hübschen Witwe gemietet, die als Frau Doktor Wegberger einen guten Ruf genoss.
Und dann eines Tages, da erzählte sie Robert unter einem Tränenregen, er sollte nun einen neuen Vater kriegen, einen, der ihn schon lange lieb hätte und der ihm gewiss auch gefallen würde. Und dann meinte sie, Robert sollte einmal raten, wer es wäre?
Und da war dem gerade und einfach denkenden Jungen abermals ein so peinliches und unbequemes Gefühl aufgestiegen: Was sollte denn dieses Versteckspielen? ... Er hatte doch oft genug Zeuge sein müssen, wie sie den blonden Lehrer, dem Robert wirklich recht zugetan war — wie sie ihn immer mehr in ihre Reize verstrickte! ... Gewiss drängte sich dazwischen bei Robert die Liebe zu der Frau, die ihn geboren hatte ... Und diese Zärtlichkeit für sie liess ihn nach Entschuldigungen suchen, ja sie redete sich zuzeiten in einen förmlichen Hass gegen den Lehrer hinein, der am Verlobungstage so gar nicht den Eindruck des Glücklichen machte, dem heute seine liebsten Hoffnungen in Erfüllung gingen. Aber schon in dem Knaben steckte ein zu starkes Gerechtigkeitsgefühl, als dass er nicht doch am Ende begriffen und voll erkannt hätte, wer in diesem Fall der zu Bedauernde war ... Es kamen auch in der kurzen Brautschaft des guten Mathiessen schon jene Szenen vor, die seine Ehe wie eine üble Musik, die nie aufhörte, begleiten sollten ... Nur hielt Frau Karoline damals noch darauf, dass ihr Sohn davon so wenig als möglich hörte.
Ach, hätte sie das wenigstens heute auch noch getan! ... Der junge Arzt empfand diese Zänkereien zwischen seinen Eltern als eine fortdauernde Störung seines inneren Gleichgewichts sehr unangenehm. Er war wohl geschaffen, für die Menschheit einzutreten, den Menschen durch sein Können von Krankheit und Mühsal zu helfen ... Aber seine ganze Persönlichkeit aufgeben, wie es Klaus Mathiessen auch aus tiefinnerster Überzeugung tat, dazu war Robert Wegberger nicht geschaffen, das hielt er auch eines Mannes unwert!
So ass der Arzt schnell ein paar Bissen und verliess das Haus ... Nachmals hat er oft und oft beklagt, dass er sich an diesem Tage nicht mehr Zeit genommen habe.
Er hatte noch kaum die Strasse gewonnen, da richtete sich Frau Karoline ächzend auf und sagte zu ihrem Manne:
„Also gib das her!“
Mit allen Zeichen des Gegenwillens, der sich doch nicht behaupten kann, ging Klaus Mathiessen an den alten Mahagonischreibtisch, dessen Rollschub er aufzog, um langsam, mit widerstrebenden Händen Papiere und Schreibmaterial zurechtzulegen.
„Liebe Karoline ...“ sagte er zaghaft.
„Was willst du?“ Ihre Stimme klang wie eine Drahtsaite.
„Ich möchte dich noch einmal bitten, Karoline! ... möchte dir das noch einmal vorstellen ... die Versicherung ...“
Sie stand dicht an seiner Seite und stiess ihn brutal fort.
„Weg! ... weg da! ... Ich mach’s mir alleine! brauch dich gar nicht dazu! ... Du wirst nachher einfach unterschreiben und damit basta!“
Das war nicht der richtige Weg, damit zwang sie es nicht, und das wusste sie auch. Aber die Tonfolge ihrer Mittel steigerte sich eben bis zur brutalen Verletzung jedes Anstandes; sowie sie dann merkte, dass solche Art und Weise ihn im Widerstreben stärker machte, gingen die Tränenschleusen bei ihr von neuem auf, und der Anfall kam noch immer rechtzeitig, um den in seiner Güte so schwachen Mann schliesslich doch zu überwinden.
Das geschah auch diesmal. Mit einem ruhigen, aber festen: „Nein!“ ging Lehrer Mathiessen zur Tür.
Im nächsten Augenblick war sie hinterdrein gestürzt, hatte ihn mit ihren vollen Armen umklammert und schrie und jammerte, als sollte ihr Glück, ihre Seligkeit noch in dem nämlichen Augenblick auf immer verlorengehen.
Mit einem Seufzer, der diesem unwürdigen Spiele galt, das er so tief durchschaute und ebenso beklagte, wie ihm die Kraft fehlte, es zu ändern, ging Klaus Mathiessen zurück und setzte sich vor den Schreibtisch hin auf den Stuhl, den seine Frau ihm eilig herrückte.
„Karoline,“ sagte er, ohne sich durch ihre abermalige Kampfstellung beirren zu lassen, „ich tue dir deinen Willen, hörst du!“ — Sie wurde im selben Augenblick weich und schmiegsam und lächelte sogar leise — „aber vorher muss ich dir noch einmal meine Gründe sagen ... meine Ansichten darüber ... und weshalb ich es für falsch, ja direkt gesetzwidrig halte.“
„Meinethalben!“ Sie zuckte mit beleidigender Gleichgültigkeit die fleischigen Schultern. Und da er einen Moment zögerte, rief sie unfreundlich: „So rede doch! Los! ... ich höre ja!“
Dabei verschränkte sie die Arme über der Brust und blieb in ihrer herausfordernden Haltung neben ihm stehen.
Er sah auf zu ihr, sie blickte weg.
Dann sprach er seufzend:
„Als wir uns heirateten, Karoline, und du mir auseinandersetztest, es wäre am besten für dich, wenn das Geld von deinem ersten Mann in einem Geschäft angelegt würde — weisst du noch, wie ich dir damals abgeraten habe ... Ich habe ja alles das vorausgesehen.“
Der Frauenkopf mit den starken, schon etwas hängenden Wangen fuhr herum, und ein lauernder Blick fing des Lehrers blaue Augen, die so gut und so traurig und ach so weltfremd blickten, dass Karoline gleich merkte, er wisse nichts von dem, was sie durchaus vor ihm verborgen halten wollte.
„Aber ich brachte es nicht fertig, Karoline, ich bracht’ es nicht fertig, dir meine Einwilligung zu dem Geschäftsankauf zu versagen ... Wie ich es doch hätte tun sollen; denn dies Geschäft, es raubt uns den Frieden ... es ist zuviel für dich, deine Nerven sind dem nicht gewachsen ... und ... und ich glaube, Karoline, du findest dich auch rechnerisch nicht hindurch!“
Sie lachte laut und schallend.
„Ach! ... Unsinn! ... Wenn du doch bloss nich immer reden wolltest! ’s ist doch alles ... alles ganz anders! Du kannst’s natürlich nich wissen! ... Lächerlich! ... Ich weiss doch, was ich tue! ... Nich wahr? ... Und übrigens, was heisst denn das! ... Ich finde schon durch, da lass du dir man keine grauen Haare darüber wachsen!“
Er schüttelte gequält den Kopf, musste aber noch einen Schwall von ähnlichen Redensarten über sich ergehen lassen, ehe er sagen konnte:
„Das Geschäft ist mit zwanzigtausend Mark versichert. Ich kenne ja deine Rechnungen nicht, du verschliesst deine Bücher und lässt mich nicht hineinsehen ... Aber das kann ich doch auch einigermassen beurteilen, dass die Warenbestände hier mit Inventar zusammen kaum soviel ausmachen. Unsere Wohnungseinrichtung ist mit fünftausend Mark ebenfalls schon reichlich bezahlt — und da willst du die Police wieder um fünftausend Mark höher schrauben?“
Sie lachte herausfordernd und sagte:
„Sieh mal, das verstehst du bloss nicht ... Als ich das Geschäft anfing, wo doch mein Erster eben geschieden war, von mir und von dieser Welt ... und mit sei’m Geld, da hab’ ich mir gleich gesagt, fange gross an! Solche Kleinigkeiten nutzen nichts! Entweder oder! Denn damals war doch die Kartoffelteuerung gerade und waren nicht zu haben, für kein Geld! Na, und da habe ich es denn genommen; es war ja billig und ein altes Geschäft, aber ’n bisschen verkommen ... Oder hat’s uns etwa nich schön ernährt die ganze Zeit? ... Wovon hätt’ ich denn den Jungen studieren lassen sollen, den Robert?“
Klaus Mathiessen machte eine leicht abwehrende Bewegung. Er kannte dieses endlose Gerede seiner Frau; er war überzeugt, dass es sich dabei von ihrer Seite keineswegs um eine absichtliche Irreführung handelte; ihr schwankender und nur in seinem Eigensinn unendlich fester Geist zeigte sich hier eben am deutlichsten. Aber in diesem Augenblick mehr als jemals sonst galt es, sie festzulegen auf die Fragen, die er an sie richten musste. Er wiederholte also:
„Was bewegt dich aber, liebe Karoline, jetzt die Versicherungsprämie zu erhöhen?“
„Das verstehst du doch nicht,“ erwiderte sie brüsk, „und wenn ich es dir zehnmal sage! ... Im übrigen ist das auch ganz gleichgültig, das Geschäft gehört mir, ich kann machen, was ich will ...“
„Aber ich muss unterschreiben“, sagte er ruhig.
„Ja, ja, ja!! Du musst unterschreiben! Allerdings, das musst du!“ brach sie von neuem los.... „Und wenn ich ... wenn ich ...“
Da hatte er schon die Feder genommen, die Antragsformulare ausgefüllt und seinen Namen unterzeichnet.
„So! ... siehst du!“ Sie war mit einemmal wieder ganz froh und freundlich. „Und nu gehst du nachher gleich mit ’ran bei Küper und gibst sie ab!“
„Ich?“ meinte er. „Nein, das tu’ ich auf gar keinen Fall! ... Ich denke nicht dran!“
Sie lachte kreischend.
„Das tust du! Das tust du! Du wirst mal sehn, du tust es! ... Sieh mal!“ ... Sie nahm plötzlich einen Ton an, als wollte sie, die kluge und einsichtsvolle Frau, ihren ganz unvernünftigen und halsstarrigen Mann mit Güte belehren. „Sieh mal, Klaus, du musst das doch einsehen! Ich kenne doch das Geschäft! Und der Küper, der kennt mich doch auch! Der Mann ist doch kein Kind mehr! Der hat doch hier die Versicherung schon seit Achtundneunzig, glaub’ ich. Aber damals hat er noch am Markt gewohnt, wo jetzt das Putzgeschäft ist von Niebuhr. Na, und jetzt in der Niedern-Strasse, da wohnt er schon so lange, wie wir verheiratet sind! Der Mann kennt mich doch! Und der weiss Bescheid! Also da gehst du nachher hin und sagst ihm: Meine Frau und ich, sagst du zu ihm, wir sind übereingekommen, wir wollen die Police höher machen, sagst du! Weiter gar nichts! Dann wird er schon herkommen! Und ich mach’ es dann schon mit ihm ab! ... Die grosse Scheune ist doch jetzt, wo ich alles habe reparieren lassen, von Behrendt ...“
„Ja,“ warf er, schon wieder geschlagen, ein, „den hast du auch wieder bei dir, diesen widerlichen Menschen; trotzdem du mir fest versprochen hast, du willst ihn nicht mehr aufnehmen!“
„Aber ich krieg’ doch keinen andern, Menne!“ So nannte sie ihn nur in Kosestunden und drängte auch jetzt ihren vollen Körper dicht an seine Seite; er rückte leicht weg, aber sie schien das nicht zu empfinden, legte den Arm um seinen Hals, tätschelte seine Wange und lachte.
„Lass mich man machen, Menne! ... Ich richte schon alles ein! ... Nich wahr, es is uns doch immer noch recht gut gegangen! Und wo könnten wir so leben, wenn wir das Geschäft nicht hätten!“
Er wollte sagen, dass er an diesen Nutzen, den der Fouragehandel angeblich abwarf, nie geglaubt habe. Und dass ihm jede Einschränkung recht wäre, wenn die Frau das Geschäft aufgeben würde ... Aber seine Kraft und Energie waren verbraucht; mit einem müden Lächeln stand er auf und verabschiedete sich von ihr.
Sie begleitete ihn bis vor die Haustür, auf die Strasse hinaus, was er nie gern sah, und sagte, nach der Niedern-Strasse hinüberdeutend:
„Vergiss ja nicht! ...“
Klaus Mathiessen nickte leise und ging, ohne sich umzusehen, die kleine Baustrasse hinauf.
Die Frau stand noch eine geraume Weile im Torbogen und sah ihrem Manne nach ... Dann ging sie wieder hinein, setzte sich auf den Stuhl, auf dem Klaus Mathiessen den Antrag an die Versicherung unterschrieben hatte, und holte ihre Bücher hervor. Sie rechnete und rechnete, ohne zu einem Resultat zu kommen. Dann rief sie ihren Arbeiter herein.
Der Verwachsene, der das Delirium überwunden hatte und der in seiner rauschfreien Zeit einen ganz hellen Kopf besass, grinste beim Eintreten.
„Vörhin wär da ’n Wechsel von Rasmussen un Sähn. ... Dat möt bis morjen betolt wern!“ Er sprach gerne Platt, besonders da er wusste, dass Frau Karoline das nicht leiden mochte. „Ick häv’n jo nich rinloten, wil ick doch weess, dä Herre wär dor! ... Na, un dä hätt wüll’n schünen Skandal makt, wenn hei dat hüren soll!“
„Quatsch er nich, Behrendt!“ Die Frau sah gar nicht auf. „Er is ’n Esel und das ’n ganz grosser!“
„Nä,“ grinste der Arbeiter, „ick nich!“
Aber sie hörte nicht auf ihn; wie zu sich selber sagte sie:
„Übermorgen is wieder einer fällig von fünfhundert ... wenn ich bloss wüsste ... aber die Kerls zahlen ja alle nich ... da war er doch noch mal, nich wahr? ... bei Köstritz u. Co?“
„Jo, wör ick all vorjestern ... soll morjen widderkamen! ... Aberst Zweck hat dat keen! ... Dä Lüd sin ful, öwerful! ... Dä hebben alleene nix to freten!“
„Na, und Emil Haldang?“
Behrendt machte wieder eine höhnische Bemerkung; sie hörte es aber nicht, sie rechnete schon wieder und sagte zwischendurch, ohne aufzublicken, mit dem Kopf winkend:
„Er kann gehn!“
Worauf der Arbeiter grinsend verschwand.