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An diesem Tage lernte Klaus Mathiessen jenes Gefühl der inneren Zwiespältigkeit kennen, mit dem manche Menschen geboren werden, das andere als die einzige Möglichkeit, das Leben zu führen und zu tragen, nach vielen Kämpfen übernehmen und das nur die brutalen niemals begreifen.

Zum erstenmal empfand der Lehrer mit aller Deutlichkeit und Bewusstheit eines lebenslänglich dazu Verurteilten, dass er das Wesen und die Person seines Weibes nicht immer würde ertragen können.

Und gerade heute war sie weich und von einer Nachgiebigkeit ihm gegenüber, wie niemals sonst.

„Komm, setz’ dich doch, Menne!“ Sie führte ihn zum Sofa, wie wenn er krank wäre und nicht laufen könnte. „Wen hattest du denn da? ... Die Dame aus dem Werk, ach so! ... Ja ... Das sind wirklich feine Leute! ... Du hast ja solche Bekanntschaften ...“

Mathiessen fürchtete schon, einer von Frau Karolines Eifersuchtsanfällen verberge sich hinter den schmiegsamen Worten; aber kein Ton ihres sanften, beinah wehmütigen Geplauders verriet, dass sie böse Hintergedanken habe.

Nachher beim Mittagessen — es gab heute Sauerbraten und Kartoffelklösse, ein Lieblingsessen des Lehrers — da kam sie, fast zaghaft, mit der Mitteilung, der Versicherungsagent sei heute dagewesen und habe die neuen Policen gebracht, und sie fügte, Mathiessens Augen mit den ihren suchend, hinzu:

„Im Grunde hast du ja eigentlich doch recht gehabt, Menne, die Dinger hätten auch so bleiben können ... Denn nicht wahr, die anderen haben doch auch nicht mehr?! Gestern hat noch Beseberg, der Buttermann, du weisst doch, der immer aus Unterberge kommt, der erzählt ja auch, dass er’s so gemacht hätte! Na, nu gleich dreimal soviel! Nu hat er jedes Jahr die grosse Prämie! Ich möchte auch schon fast hingehen und sagen: Nein! Aber ’s sieht ja so dumm aus! ... Na, und is ja nu auch mal, nicht wahr, da kann’s auch so bleiben! Mein Gott, schliesslich, solange wie ich noch lebe ...“

Sie redete immer weiter und immer in dieser weichlichen Tonart. Klaus Mathiessen aber fand nichts Auffälliges daran, er hörte ja kaum, was sie sagte, und hatte nicht das geringste Interesse an ihren Worten. Ihm war, als spräche jemand aus einer Entfernung zu ihm, die sich fortwährend vergrösserte; bei der man sich eher wundern musste, dass diese unsympathische Stimme trotz alldem verständlich blieb.

Was aber Klaus Mathiessen am merkwürdigsten deuchte, das war die absolute Klarheit über sich selber, die er hatte bei diesem starken Empfindungswechsel, dieser wachsenden Kälte dem Weibe gegenüber, mit dem er so viele Jahre Seite an Seite gelebt hatte ... Er war sich vollkommen klar darüber, dass jedes, aber auch das letzte Fünkchen Gefühl und Zuneigung für diese in die Breite gehende Frau, die da neben ihm auf dem Stuhl sass und so endlos quasselte, in seiner Brust erloschen sei ... Sie ging ihn nichts mehr an; sein ganzes Innere fühlte sich ihr gegenüber so fremd, als wäre sie eben erst störend und in allem unsympathisch in sein Dasein getreten ... Und Klaus Mathiessen begriff auch, dass sich das nie wieder ändern, dass nie mehr der frühere Zustand des grossen Mitleides, der gewohnheitsmässigen Zuneigung oder auch nur der freundschaftlichen Duldung von ihm zu ihr möglich sein würde ... Und anstatt dass ihn diese starke und unverrückbare Erkenntnis mit Schmerz, mit Trauer hätte anfüllen sollen, war Lehrer Mathiessen ganz ruhig und zufrieden in seiner Seele, die von einer geheimen und schön verborgenen Genugtuung erwärmt wurde, dass er jetzt frei wäre, befreit von einer, die seiner nicht würdig war, die ohne alle Berechtigung so lange einen Platz in seinem Herzen festgehalten hatte ... Ja, die Gefühle und Empfindungen dieses Mannes waren aufgestanden zu einer solchen Revolution, dass er, der allzeit treue und ehrliche, sich einen förmlichen Feldzugsplan zurechtlegte, wie er seine Frau täuschen könne und ohne äussere Unbequemlichkeiten seiner grossen Leidenschaft leben, ihr heimlich überall Altäre bauen, und wie er so wenig als möglich von seinem Ich einer anderen lassen wollte, als nur der Geliebten.

Noch sah er den Ausweg nicht aus seinem Käfig; noch wagte er auch nicht an den Augenblick zu denken, der ihm, dem Freigewordenen, die heissbegehrte Liebe in den Arm legen sollte ... Aber seine Nerven tasteten an den Ketten, die ihn banden; und seine Gedanken umschlichen ein fremdes Hans, ein Hans, in dem sein Freund wohnte, nach Möglichkeiten spähend, die Geliebte heraus in seine Arme zu locken.

Robert Wegberger kam jetzt zu Tisch, und schon, als ihn Klaus Mathiessen draussen die Tür aufschliessen hörte, überkam ihn eine eigene und unbequeme Befangenheit.

Das da war einer von den Ehrlichen; der Sohn der verlogenen Frau, von der er selbst niemals Wahrheit empfangen, ja von der er sie nicht einmal erwartet hatte! Aber Robert war ohne Falsch, war auch zu stolz, seine Lippen mit der Lüge zu beflecken. Und den musste Klaus Mathiessen auch belügen; zu dem musste er auch Hinsehen mit arglistigen Gebärden und verdeckten Worten, als ob er noch der alte Klaus Mathiessen wäre, der Mann der Wahrhaftigkeit und der Güte zu allen, die ihm anvertraut waren.

Und da merkte der Lehrer, wie leicht sich die Arglosen betören lassen. Der junge Arzt plauderte mit ihm, sie lachten beide und scherzten gar; und jener merkte nicht einen Augenblick, dass der Stiefvater etwas gegen seine Mutter im Herzen trug. Er hatte auch wenig Zeit, wie gewöhnlich, der Doktor, und erzählte nur, dass er einen Antrag als Arzt nach Südwest-Afrika bekommen habe, der sehr vorteilhaft für ihn wäre.

Da stürzten Frau Karoline die hellen Tränen aus den Augen.

„Du willst fort, Robert? Du willst fort! Ach, denn hab’ ich ja gar keinen mehr!“

Nun hätte Klaus Mathiessen sein Weib umfassen müssen, wenigstens ihre Hände nehmen, zum Trost, das fühlte er. Aber es war ihm bis in die Seele unmöglich ... Er blieb sitzen, lächelte nur und wollte etwas sagen, als Robert ihm zuvorkam mit den Worten:

„Aber, Mutter, ich bitte dich! Noch habe ich ja die Stellung gar nicht!“ Er lachte lustig. „Und dann ist es ja auch sehr fraglich, ob ich sie annehme! Da sprechen wir erst noch lange drüber!“

„Na ja, ja,“ schluchzte die Frau, „sieh mal, das ist doch auch schwer für ’ne Mutter! ... Was Schlimmeres gibt’s doch gar nicht! Fuhrmanns ihrer, der, der is auch nich wiedergekommen! Und Wetzlar, der junge Wetzlar! ... In Afrika, da wimmelt’s doch von wilde Tiere und Schlangen! ... Und ewig Fieber! ... So was kennt man doch! Und gerade du! ... Wo du so anfällig bist!“

„Aber Mutter! ... Ich bin doch kräftig für zweie! ... Mir fehlt nicht das geringste!“

„Na, aber doch früher!“ beharrte sie. „Und kann jeden Tag wiederkommen, so was! ... Nein, auf keinen Fall, dazu gebe ich meine Zustimmung nich! Wozu erzieht man denn seine Kinder?! Und nachher geht der Frieden weg, und das ganze Glück is aus ’m Hause!“

Klaus Mathiessen hörte den beiden zu, die sich so lange unterhielten, bis der Doktor wieder fort musste. Aber auch seines Stiefsohnes Rede berührte den Lehrer kaum; er hörte mit den Ohren. Seine Seele war weit, irgendwo im Frühling, der mit allen Stimmen der Natur die Liebe lobte und ihre Gluten pries, zur seligsten Erfüllung.

Dann ging der Lehrer hinauf in den Oberstock in sein kleines Arbeitszimmer, Hefte korrigieren, wie er sagte.

Aber er sass still auf dem Sofa dort oben in der stummen Einsamkeit, die er immer geliebt hatte und die ihm heute dreifach wohltat; er sass still auf dem Sofa, die Hände übereinandergelegt, die Augen erhoben und mit einem verzückten Lächeln auf den Lippen.

So gïng der Tag, der laue Sommerluft ins Fenster spielte.

Die Frau brachte ihm später den Kaffee nach oben, da tat Klaus Mathiessen, als arbeitete er eifrig, und war froh und befriedigt, dass sich Karoline so täuschen liess.

Dann sank das Licht, und die Schatten kamen, wie blaue Elfengeister, zu ihm herein in das heimliche Gemach. Draussen erstarb der Lärm. Die Glocken der alten Marienkirche läuteten den Sonntag ein. Das ergriff den Einsamen mit einer Feierlichkeit, die wie aus fernsten Jugendtagen in ihm aufschwoll. Seine Augen, die in das milde Blau des Sommerabends hinausblickten, wurden feucht ... Und losgelöst von allem, was irdisch und schwer war, beging Klaus Mathiessen mit tiefer Inbrunst die Feier seiner grossen, wunderbaren Liebe.

Auf einmal riss es ihn zusammen: Hatte er geschlafen? ... Lange schon?

„Was denn ... Was ist denn?“

„Na, komm doch! Ins Bett ... Wie lange willst du denn hier oben noch sitzen?“

Seine Frau war’s. Und nicht eine Spur der Demut und Freundlichkeit, die ihm heute mittag so zuwider gewesen waren, klang in ihrer Stimme ... Ihm war’s lieber so, er konnte ihrer Grobheit und ihren Unarten gegenüber seine eigenen Empfindungen ebenso frei spielen lassen.

„Ich hab’ mir’s Bein vertreten,“ sagte sie, „geh’ mal rüber mit de Laterne und sieh nach, ob die Scheune zu ist ... der Behrendt war heute wieder voll wie ’ne alte Spritze ... Da!“

Sie reichte ihm etwas hin. Und jetzt merkte Mathiessen erst, dass das schwache Leuchten, das dem Zimmer mehr Schatten als Licht gab, aus der Laterne kam, die Frau Karoline mit herabhängendem Arm an ihrer Seite trug.

Mathiessen unterzog sich nicht gern solchen häuslichen Verrichtungen; er hatte das richtige Empfinden, dass diese Dinge seinem Wesen fremd waren und deshalb für ihn nicht hätten vorhanden sein sollen. Aber der innige Wunsch, mit sich und seiner heimlichen Schönheit allein zu bleiben, nicht gestört zu werden in dem Kultus, den er seiner reinen Empfindung bot — der liess ihn die Laterne in die Hand nehmen und gehen.

So schritt er hinaus in die nächtige Stille und trat in den Garten, von dem aus der Eingang zur Scheune war, die den Hof gegen das Haus abschloss.

Am Gartentor stiess sein Fuss gegen etwas ... Er griff hin und nahm ein Blechgefäss hoch, dessen penetranter Geruch ihm sofort sagte, dass es eine Petroleumkanne sei, die Gott weiss durch welche Nachlässigkeit hierhergekommen sein mochte.

Unschlüssig nahm der Lehrer sie auf, setzte sie wieder hin und trug sie dann doch, links die Kanne haltend und rechts die Laterne, weiter.

Aber er fuhr zurück, als ihn plötzlich aus dem Dunkel eine helle Stimme ansprach:

„Guten Abend, Herr Lehrer!“

Mathiessen hob die Laterne, leuchtete dem Sprechenden ins Gesicht und fragte:

„Was machst du denn hier? ... Ach, du bist’s, Erwin ... Du suchst wohl deinen Vater, nicht wahr? Aber der ist schon lange fort, soviel ich weiss ... Er war heute wieder ... na, du weisst es wohl selber schon?“

„Ach ja, Herr Lehrer,“ des Jungen Wort klang mehr traurig als böse, „ich weiss!“

Klaus Mathiessen wollte noch etwas darüber reden, aber da fragte ihn der Knabe:

„Sie schleppen doch so, Herr Lehrer, kann ich Ihnen nich was abnehmen?“

Das war Klaus Mathiessen nicht angenehm. Seine Schüler sollten nicht denken, dass er im Geschäft seiner Frau den Hausknecht spielte ... Er stellte rasch die Kanne weg, verbot es dem Jungen, der sie schon anhob, auch, sie zu tragen, und sagte dann:

„Geh nur nach Hause, Kind, deine Mutter ängstigt sich gewiss schon um dich!“

„Ach nein, Herr Lehrer ... nein ...“ Der Junge hob die Hand an die Nase. „Da ist doch sicher Petroleum drin gewesen, in die Kanne!“

Den Lehrer überkam ein so peinliches Empfinden; aus der Verwirrung, die ihn immer ergriff, wenn ein Fremder ihn bei solch häuslicher Tätigkeit überraschte, und aus wer weiss welchem anderen Grunde, über den er sich selber nicht klar wurde, sagte er:

„Ach nein, ich glaube nicht ... wer weiss, was da drin ist ...“

Der Junge blickte noch mal nach der Kanne hin, roch verstohlen ein zweites Mal an seinen Händen, sagte aber weiter nichts als:

„Na, denn ... ich gehe, Herr Mathiessen ... adieu ...“

Er zog seine Mütze und war aus dem kleinen Lichtfleck, den die Laterne warf, in die Finsternis des Gartens verschwunden.

Klaus Mathiessen blieb stehen und sah ihm nach, hörte auch das Trapsen seiner genagelten Schuhe auf dem Steinpflaster des Hofes.

Dann erst ging er zur Scheune und schloss sie auf.

Wie er mit der erhobenen Laterne hineinleuchtete, war’s ihm, als hörte er drin etwas rascheln ...

„Aha,“ murmelte er, „darum kommt der Kerl nicht nach Hause! Er ist wieder mal betrunken im Stroh liegengeblieben!“

„Behrendt!“ rief er hinein. „Sind Sie da, Behrendt?“

Doch nichts antwortete ihm. Da schloss Klaus Mathiessen die Scheune wieder zu und begab sich mit dem Gefühl, all das ginge ihn längst nicht das geringste mehr an, ins Haus hinein.

Feuer!

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