Читать книгу Der Massenmörder - Hans Hyan - Страница 3
Homo sum.
ОглавлениеMit den Schatten der Dämmerung, unter denen das Licht in dem grossen Arbeitsgemach immer grauer wurde und endlich ganz versiegte, war Luise selber wie ein schöner, flüchtiger Schatten verschwunden.
In der Rauchecke, verschmolzen ganz mit der Dunkelheit, in die nur die massigen Schultern des Mannes, sein gebogener Rücken eine vage Linie zeichneten, sass der königliche Staatsanwalt Emil Pallaske, noch betört und selig hingenommen von den Liebkosungen dieser Frau, die vor etlichen Monaten auf eine Annonce zu ihm gekommen war, als seine Haushälterin ... So süssermattend, all seine Sinne streichelnd, umschwebte ihn noch ihres Leibes Duft, dass er das Licht nicht andrehn, seinen Platz nicht verlassen, dass er sich nicht einmal aus seiner Lage rühren mochte ... Es girrte und gurrte noch um ihn die Stimme der Rothaarigen, ihr weiches, helldunkles Lachen; und seine Augen fühlten in der Finsternis den singenden Schwung, die strahlende Form ihrer Linien.
Wie war ihm nur? Er hatte doch schon früher Frauen gehabt ... die schönsten ... nie lange ... Sein Überdruss erwachte vorm Sattsein. So hatte er, ein klarer Rechner auch seiner Sinne, sich nie verheiratet. Nie hatte er einer mehr versprochen, als er gut halten konnte. Sein Leben war ganz korrekt. Nicht einmal der unbewusste Fehler unterlief ihm. Wie ein Spieler, der jeden Zug berechnet und jeden Tag sein nennt.
Bis sie kam ... Ja, jetzt ... jetzt war seine Kühle entflammt. Seine Triebe stürmten entfesselt! Seine eiserne Strenge war dahin und lag vor sich selber auf den Knien.
Einmal, vor zehn Jahren, war ihm so etwas passiert .. die Geschichte mit der Else Löwenthal ... in dem Wucherprozess Löwenthal und Genossen. Sie hatte ihn aufgesucht, ihres Mannes wegen. Hatte ihn bestürmt, und er — er war nachher ein ebenso kalter, eiserner Ankläger des Mannes geblieben wie vordem. Dass die Frau vor Schrecken erstarrte ... Sie stand vor den Schranken des Gerichts und wogte von wilder Anklage gegen den Ankläger. Doch ihre brennenden Augen erloschen in dem fahlen Licht ihrer Schönheit, als er sprach ... sprach, wie — ja, er hatte sich damals selber bewundert wegen seiner Disziplin!
Aber die Abende, die er vor dieser Verhandlung an dem grossen Schreibtisch da drüben am Fenster zubrachte; die Nächte ... diese tolle, nervenreibende Angst, in die er reinhieb mit seiner herzlosen Stärke, bis sie dann doch verschwand — des allen erinnerte er sich wohl ... auch noch jener Sucht, dem ganzen Irrsal mit einem Fingerdruck zu entgehen.
Der Mann im dunkeln Zimmer drehte sich ein wenig im Sessel und griff sachte an die Waffe, die immer in der hinteren Beinkleidtasche steckte. Man kann doch fort! Bleiben, wo er nichts mehr zu suchen hatte, das war Emil Adolf Pallaskes Sache nicht!
„Die Menschen sind Dreck, aber man kann ihre Achtung nicht entbehren!“
Seine Stammtischfreunde sahen ihn bei solchem Wort an, wie einen, der nicht im Fleisch gewachsen ist.
Ja, er hatte die Kraft, zu gehen, ohne Gruss und Geste ..
Der Staatsanwalt sah auf einmal in der noch eben von Luisens Reizen hold belebten Finsternis einen Mann, der seine Figur, seine Züge trug, der Emil Adolf Pallaske selber war, inmitten einer lärmenden, lachenden, jubelnden Gesellschaft, die er still verliess.
War vielleicht da oben unter der breiten Glatze der Mechanismus nicht mehr intakt? ... Sein Grossvater väterlicherseits war im Greisenwahn gestorben, immerhin mit fünfundsiebzig. Und mit siebzig hatte der auch noch ’ne Haushälterin! ... Grossvater mütterlicherseits total gesund.
Aber die beiden Grossmütter ... Paralyse und Paranoia ... und seine Mutter ... verflucht. Da lag eine Grube bei der andern ... bloss nicht zu alt werden ... und aufpassen, auf sich selber!
Machte ihm sein Beruf denn Freude? Freude? ... Gott, das ist doch Pflicht. Er war ein Mensch, der das Staatsinteresse im Auge hatte! .. Immer? Ja, zum Donner! ... Selbstverständlich hat der, der dem Staat zum Wohle lebt und tut, sein Wohl in sicherer Wiege! Streber? — Quand même! Jeder Begriff ist ein Wort! Man fasst’s aus, wie man’s gelernt hat.
Er würde vielleicht bald „Ober“ werden ... Oder sollte er ... Der armselige Jude damals, der Löwenthal, der liess sich gleich nach der Verurteilung noch einmal vorführen und:
„Herr Staatsanwalt! Nich leben will ich: Sie enden mal ebenso wie ich!“
Am andern Morgen hing er tot in seiner Zelle.
Ach nee, aufhängen ... das nun nich!
Ja, zum Dieb und zum Deubel, was machte ihn denn heute so nervös? ... Ihm war doch eben noch so wohl! Diese Erschütterung in seinem Gefühl ... die hat wohl jeder nach solchen Küssen ... Man soll sich mit dreiundfünfzig nicht mehr verlieben? — vielleicht. Und doch ist der Strom der Leidenschaft auch auf dem Triebrad der Kraft!
Ach, er hatte ein hypertrophiertes Gewissen, das war alles! ... Luise war gerade die, die sein schweres Blut leichter machen, seiner Logik trägen Fluss sprudeln lassen konnte! ... Vielleicht heiratete er sie auch ... gebildet, aus anständiger Familie ... ja ... hm ... was denn?
Emil Adolf Pallaske lachte plötzlich, und das klang sonderbar, eigentlich beinahe schaurig in der nun ganz dunkeln Stube.
Sie war jünger als er ... hatte vorher schon andere Männer geliebt ... deswegen ... na ja! ... was denn? ... Jeder Mensch hat seine Fehler ... jeder ... bloss .. sie fallen nicht immer gerade unter einen Strafgesetzbuchparagraphen!
Und Luise ... Luise stahl ... ja, sie stahl, wie’n Rabe! Sie bestahl ihn, ihren Herrn und Liebhaber! ... Ging am Tage mit Nachschlüsseln an seinen Sekretär ... plünderte in der Nacht sein Portemonnaie ... raubte seine Beinkleider aus ... alles.
Gemerkt hatte er’s bald ... Aber doch zu spät ... da war er schon nicht mehr imstande, sie fortzujagen ... Dann die Szene, wo er ihr’s sagte ... Sie weinte gar nicht, keine Idee ... Nur ganz zuerst war sie ein bisschen betreten, dann lachte sie ihn aus, log aus allen Schleusen und stahl noch am selben Tage wieder.
Einem Freunde, der, ebenfalls Junggeselle, solchen Besuch gern empfing, hatte sie, während sie alle drei lustig lachten, drei Hundertmarkscheine weggenommen — peinlich! Und nebenbei auf die Dauer auch sehr teuer.
Stahl sie etwa auch in Läden? Sie besass ja mehr Schmuck als eine Frau aus der Gesellschaft! ... Ja, gewiss, sie stahl, wo sie nur konnte!
Und er, als Staatsanwalt, er hatte doch gewissermassen die Pflicht, jedes Verbrechen, das ihm bekannt wurde, zur Anzeige zu bringen ... er hätte allerdings amtliche Kenntnis davon haben müssen.
War sie Kleptomanin? — Wahrscheinlich ... Wie die meisten dieser Maniakalischen, die ihre Anomalie doch zu recht brauchbaren Objekten hintreibt ... Freud will darin einen erotischen Symbolismus sehen ... vielleicht ... Ja, wahrhaftig! das war schlimmer, als damals die Geschichte mit Grete Löwenthal, die nachher in eine Bar gegangen war und heute dekollettierte Triumphe feierte.
Verdammt, warum warf er denn das Mensch nicht raus? ... heute noch!
Er konnte sie doch jeden Tag ... er konnte ...
Und Emil Adolf Pallaske lachte wieder ... Das klang wie aus dem finsteren Grabe.
Dann stand er auf, ging zum Fenster, wo kleine matte Blitze vom Laternenlicht hereinzuckten. Die Dunkelheit war ihm plötzlich greulich.
Er schaltete das Licht unter der grünen Schirmlampe am Arbeitstisch ein.
Da stand ihr Bild!
Wie schön ... gross ... üppig! ... Seine Blicke enthüllten sie ... Er atmete ...
Dann sah er sich scheu um in dem grossen Schattenraum ... Else Löwenthal huschte vorbei ... und der kleine kranke Jude, ihr Mann ...
Was hatte er denn? — toll! ... einfach toll ... Liebeshörigkeit nennt man sowas ... hm ... Und er hatte mehr als einen, der sich von solchem geliebten Satan den Mordstahl in die Hand drücken liess, hinrichten lassen ... fiat justitia ...
Es klingelte.
Draussen?
Nein, am Telephon!
Der Staatsanwalt ging an den Apparat: „Halloh!“
„Hier Kriminalpolizei.“
„Ja, was denn?“
„Ach, Herr Staatsanwalt, da ist in dem grossen Juweliergeschäft von Grilling & Sohn in der Friedrichstrasse eine Ladendiebin abgefasst worden ... hinter der wir übrigens schon eine ganze Zeit her sind ... Die Person behauptet, sie kennt Herrn Staatsanwalt und müsste Herrn Staatsanwalt sofort sprechen!“
Emil Adolf Pallaske sah aus, wie wenn er lächelte ... Er wusste nicht mehr, dass er am Telephon sprach, und zwang seine Züge, als stände er dem andern gegenüber.
„So ... wie heisst sie denn?“
„Den richtigen Namen wissen wir auch noch nicht. Sie nennt sich Luise Schulz.“
„Und wie sieht sie aus?“
„Pardon, Herr Staatsanwalt, ich kann nicht vorstehen?“
Herr Pallaske wollte lauter reden, es wurde ihm schwer.
„Wie sie aussieht?!“
„Gross, volle Figur, rothaarig und sehr elegant ... sie spricht holsteinischen Dialekt.“
„Dann ...“ der Staatsanwalt lächelte noch immer, er dachte nach .. „dann sagen Sie der Person, ich kenne sie nicht und muss daher bedauern.“
„Danke bestens, Herr Staatsanwalt.“
„Bitte. Schluss.“
„Ja,“ sagte der Staatsanwalt, sowie der Hörer hing, noch einmal ganz laut zu sich selber: „Schluss!“
Er ging zur Wand, suchte mit fahrigen Fingern nach dem Lichtknopf und drehte ihn einmal ... die leuchtenden Kugeln verglühten in der grünen Seide ... Doch ein zweites „Knicks“ liess sie noch einmal aufflammen.
Herr Pallaske wandte sich und sah lange auf das Bild ... Er sann nach ... Irgendeine Rettung? — Nein, für ihn nicht.
„Sauve qui peut!“ Er sprach die Worte, leise, „wie lieb sie doch war! ... ja, dahinten ist’s dunkel ... keiner sieht den andern ... Adieu, Luise!“
Und es ward abermals finster im Gemach.
Schritte gingen leise auf dem Teppich ... Die schwere Form eines Mannes in der Finsternis versinkend .... Geräusche von an Stoff tastenden Händen ...
Ein scharfer Knall!
Und stöhnendes Schlagen gegen Möbel ... rutschen ... fallen ... röcheln ...