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Der Koffer.

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Zwischen den Eheleuten Haber war heute wieder einmal der Zank ganz besonders laut und hässlich. Die Nachbarfrauen standen aus der Treppe und lauschten, um keine der pikanten Aufklärungen zu verpassen, welche derartige Auseinandersetzungen in jeder Ehe ergeben. In dieser besonders, denn Frau Haber gehörte zu den sogenannten „unsterblichen Alten“; sie war annähernd fünfundsechzig Jahr, mager wie ein Zaunstecken, hatte den Kopf voll weisser Haare und im Gesicht über der rotspitzigen Nase und dem zahnlosen Maul ein paar Augen voll rastloser Geilheit.

Er war erst siebenundzwanzig, schwarzhaarig, ein verschlagener Kopf, mit lüsternen, aber unkräftigen Zügen. Seine lange, schlanke Gestalt ging immer etwas geduckt, wie wenn sie zum Sprunge ansetzen wollte.

Oh, wie die Alte zeterte! ... Sein schwächeres Organ blieb verhalten, düster drohend und doch feige; sie aber trompetete wie ein Pfau! Bei ihr brauchte man gar nicht aufpassen. Bloss das, was er sagte, war interessanter: er warf ihr vor, wie sie ihn zwang ... und wie er sich vor ihr ekelte!

„Hören Se, Webern, hören Se!!“

„Pfui, wie kann er sowas sagen!“

„Na, warum denn nich! ... Wenn sie so eene is! .. so’naltes Reff! ... Die müsste man ja bei de Sittenpolizei anzeijen!“

„Nee, warum denn? ... Er hat ihr doch jeheirat!“

„Na ja, aber doch bloss wejent Jeld!“

„Denn kann er ihr ooch jetzt den Jefallen dhun un se abknutschen!“

Indem stürzte die Alte drin den Gang entlang, nach der Korridortür zu.

„Huh! ... huh! ... er schlägt mir dod ... Hilfeh! Hilfeh!“

Die Frauen prallten zurück.

Dann wie man drin klatschende Schläge, unterdrücktes Weinen und ab und zu einen Aufschrei vernahm, machte sich die aus der Solidarität der Frauen keimende Entrüstung geltend: jetzt schimpften sie alle auf den Mann, und eine vorwitzige Hand pochte gegen die Korridortür ... Aber die Kecke sprang gleich wieder zurück, als geöffnet und Frau Haber sichtbar wurde.

„Wat? ... wat is denn los?“ keifte sie, „wat stehn Se denn hier alle un halten Maulaffen feil? ... wat sagen Se, Frau Webern, mein Mann? ... Ick sage Ihn’, lassen Se ja mein’ Mann zufrieden! ... Mechten woll mit ihn poussieren, wat? Sie? ... Machen Se ja, det Se Ihre Weje kommen, Sie! vastehn Se?“

Die Frauen, die sich schimpfend entfernten, waren alle darüber einig, dass die Alte absolut kein Mitleid verdiente und dass keine von ihnen sich je wieder um den Lärm da oben kümmern wollte.

Frau Ottilie Haber war inzwischen in die Küche gegangen und hatte Mittag gekocht. Rouladen mit Speck, Gurken, Senf und Zwiebel, wie sie ihr Emilchen so gerne ass.

Sie schluchzte noch ein paarmal, dann rief sie ins Zimmer, so recht schmachtend:

„Mileken! mein Mileken! ... Ick bin jleich so weit! ... Hungert dir ooch schon?“

Für gewöhnlich schmollte er nach solchen Szenen stunden-, ja tagelang, ganz im Gegensatz zu ihr, deren hysterische Launenhaftigkeit ewig zwischen Regen und Sonnenschein wechselte.

So war sie doppelt glücklich, dass er jetzt gleich herauskam. Er stand an der Küchentür.... Blass, nur an der Stirn voll roter Flecken und mit schwarzflackernden Augen, strich er den dünnen, lang ausgezogenen Schnurrbart.

Sie war wieder ganz Güte:

„Det macht ja nischt mit den dummen Koffer, Mileken! ... Wenn d’n ooch so gross jenomm’ hast ... lass doch man, Mile! Meinswejen kannste noch zwee sone Koffer koofen! Bloss wat soll’n da allens rin? ... ick weess ja nich! ... aba det is ja ooch janz ejal ... nich wahr, nu essen wa jleich un denn lejen wa uns hin un schlafen, un morjen, da reisen wa, schon janz früh! ... nich wahr, Mileken! ... ja?“

Sie schwatzte unaufhörlich, sah sich dabei gar nicht um, sondern rührte in ihren Töpfen und Pfannen.

Er stand immer noch an der Tür, hielt beide Hände auf dem Rücken. Nun trat er ihr behutsam näher, seine Füsse schoben sich langsam vorwärts, seine schwarzen Augen tasteten nach ihrem Gesicht — die Hände hielt er krampfhaft auf dem Rücken.

Darin hatte er etwas: eine Schlinge aus starker Hanfschnur. Langsam, ganz unglaublich vorsichtig brachte er die Schnur hervor, hob sie, die rechte Hand höher haltend, in die Höhe und —

Die Alte drehte sich um —

„Mile ... hach!“

Sie versuchte mit ihren mageren Händen in die Schnur zu greifen, die sich — ritz!! — um ihren Hals zog. Er riss sie mit dem Aufgebot aller seiner Kräfte zusammen. Dann trat er ihr mit dem Stiefel mitten ins Gesicht, auf die Nase, und zerrte so mit beiden Fäusten und — erwürgte sie.

Sie röchelte schwer ... ihre Augen, die alle Zärtlichkeit verloren hatten, kamen aus den Höhlen und flehten voll Entsetzen um Schonung ... und die Zunge — blaurot, grässlich! — trat aus dem Halse.

Zuletzt zuckten und zitterten die alten, gichtigen Hände nur noch, wie wenn sich das letzte Leben in diese hässlichen und doch so erbarmungswürdigen Finger verkrochen hätte.

Er holte nun ganz schnell den Koffer, um dessen Ankauf sie heute morgen so gestritten hatten und der von vornherein nur zu ihrem Sarge bestimmt gewesen war, hob sie mit Anstrengung hinein und brach und bog rücksichtslos die Glieder der Alten, wo sie nicht in den grossen, leinwandüberzogenen Kasten passten.

Nun ass er, benutzte aber alles Geschirr doppelt, damit niemand Verdacht schöpfen könnte.

Und dann erwartete er den Spediteur, den er zu 4 Uhr bestellt hatte ... So genau, mit solch kaltblütiger Ruhe war der Mord geplant.... Der Spediteur kam und wunderte sich über den schweren Inhalt des Koffers. Haber selbst half beim Hinabtragen und scherzte mit dem Rollkutscher, den er zum Schluss noch einlud, einen Schnaps mit ihm zu trinken.

Dann ging er wieder hinauf, fragte die ihm auf der Treppe begegnende Frau Weber, ob sie denn seine Frau nicht gesehen hätte?

Die Frau verneinte natürlich. Er entschuldigte sich und legte sich oben in der Wohnung, in der die Alte den letzten Seufzer ausgehaucht hatte, ruhig, als wäre nichts geschehen, schlafen ...

Er schlief sofort ein und schlummerte tief und fest mehrere Stunden lang. Als er aufwachte, erinnerte er sich eines angenehmen Traumes: er hatte ein Dienstmädchen aus dem Hause, das ihm schon seit langem gefiel, zu sich in die Wohnung gelockt. Und als sie erst einmal bei ihm war, tat sie ihm auch den Willen ... er dehnte sich jetzt noch vor Behagen ... Gott sei Dank, dass die Alte —

Die Alte!!!!!!!!!!

Er sprang mit beiden Beinen vom Sofa. Und schickte seine todesängstlichen Augen überall im Zimmer umher.... Da! Da! Da! Da! ... war sie nicht da?! ... Aber nein, sie war weg! ... er hatte sie ... stöhnend knickte er zusammen und kniete und stierte immerfort in dem schon vom Dämmerlicht verschatteten Gemach umher, als müsste sie jeden Moment dort hinter der Gardine, aus dem Nebenzimmer, aus dem grossen, alten Kleiderspinde, ja, aus der Wand selbst heraustreten.

Ein namenloses Grauen hatte ihn erfasst! Nicht Mitleid mit der Toten, die hasste er! Keine Reue, denn in seiner fürchterlichen Angst war er doch glücklich, ihr weinerliches Lachen nicht mehr hören zu brauchen, ihr ewig verlangendes Gesicht nicht zu sehen und dieses scheussliche Gekeif nicht zu hören, das ihn um den Verstand gebracht hatte.

Aber er fürchtete sich! ... Noch im Tode fürchtete er sie! ... Und war fest überzeugt, dass sie ihre alte, dreckige Knochenpfote emporrecken und ihn hineinreissen würde ins Unglück.

Wie hatte er vorher, vorm Schlafen, bloss so ruhig sein, noch essen ... ja und sogar schlafen hatte er können!!

Es trieb ihn durch die drei Zimmer der Wohnung, wieder in die Küche ... überall machte er die Vorhänge zu, liess die Rouleaux runter.... Sie wohnten ja drei Treppen hoch, aber vielleicht ... vielleicht konnte doch einer reinsehn ... wer weiss ...

Oder sie sah hinaus und rief um Hilfe! ... sie!! ...

Er lachte, absichtlich laut und schallend. In den Räumen, die wenig Möbel hatten, klang das Echo ... herrjeh, das war ja fast schrecklicher jetzt, als wie die Alte noch lebte! ... Aber es würde besser werden! Ja, sicher! ... Das war nur die erste Angst ... Er bebte und traute sich plötzlich nicht mehr vor- noch rückwärts ... überall war das, was ihn ängstigte!

Dann aber stürzte er vor! ... In verzweifelter Anstrengung durchbrach er den Kreis der Angstgespenster, die ihn umringt hielten und ihm hohnlachend entgegengrinsten.

Er suchte nach dem Geld!

Überall hielt’s die Alte versteckt, nur damit er nicht rankam. Aber, warte, du altes Aas, ich find’s doch! ... Und in dem wütenden Eifer des Suchens, in dem er Kasten und Spinde aufriss, den Inhalt umherstreute, sie von ihrem Platz schob und die ganze Wohnung auf den Kopf stellte, gewann er seine Selbstbeherrschung wieder.

Endlich hatte er das Scheckbuch!

Nun raus, weg! ... nach Amerika!

Aber soviel Besinnung hatte er doch noch, dass er sich vorm Spiegel sorgfältig anzog.

Auf der Treppe traf er das Dienstmädchen das er vorhin im Traum geküsst hatte. Er lachte und schäkerte mit der kleinen Rundlichen. Und ganz erregt ging er aus dem Hause.

Der Massenmörder

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