Читать книгу Der Massenmörder - Hans Hyan - Страница 4
Die Akrobatin.
ОглавлениеAm letzten Sonnabend hatte er „geschmissen“ und seinem Chef, einem Eierhändler, gesagt, er sollte sich seine faulen Eier gefälligst alleine aussuchen. Dann hatte er Geld und Bücher genommen und war spät in der Nacht sternhagelvoll zu seiner Wirtin gekommen, die noch an ihrer Nähmaschine sass und sofort die Miete verlangte. Aber Friedrich Unkelbach hatte alles verwichst. So musste er am nächsten Montag auf die Sparkasse, wo er die mühselig gesparten siebzig Mark abhob. Zuerst fluchte er, dann aber, sowie er den Betrag in der Tasche hatte, wurde er sich auf einmal bewusst, wie herrlich das sei, Geld zu haben und nicht gleich wieder arbeiten zu müssen. Er frühstückte in einer bekannten Kneipe, gab ein paar Lagen aus für ebensolche Nichtstuer und kam schon wieder angetrunken am späten Nachmittag zu seiner Wirtin, die ihn tüchtig ausschalt.
„Schäm’n sollten Se sich was,“ sagte die brave Frau, die von früh bis spät arbeitete, um sich und ihre beiden vaterlosen Kinder zu ernähren, „da ham Se nu Wochen und Wochen zu jebraucht, um die paa Meta uff de Kasse zu bring! ... un nu jeh’n Se hin un schlagen allens in’n paa Dage uff’n Kopp!“
Friedrich Unkelbach lachte. Er zahlte für zwei Wochen im voraus seine Schlafstelle, dann legte er sich hin und schlief sofort ein.
„Morjen früh,“ hatte er gesagt, „morjen früh mach ick ’ne Landpartie!“
Und da er an diesem Tage gar nicht mehr aufstand und es sowieso gewohnt war, früh aus dem Bett zu müssen, zog er sich am nächsten Morgen, wie es kaum Tag geworden war, schon an und ging ohne Kaffee fort ... Natürlich zuerst in die Kneipe, wo er schon zum Frühstück ein paar Schnäpse trank. Dann ging es mit dampfender Zigarre hinaus in den frischen Herbstmorgen.
Wie griente er und verspottete innerlich die Fleissigen, die schon nach ihren Arbeitsstellen zu eilen anfingen. Ein paarmal rief er, sie sollten sich doch Zeit lassen, die Arbeit liefe ihnen ja nicht weg. Und er högte sich, wenn die Leute über seine faulen Witze ärgerlich wurden.
Mit der Potsdamer Vorortbahn fuhr er hinaus bis nach Grosslichterfelde. Dort kehrte er wieder ein und trank gehörig. Er hatte eine förmliche Sucht nach Alkohol, der, das empfand er unklar, eine vollkommene Änderung in seinem ganzen Wesen bewerkstelligte. Die Ehrfurcht, die ihm sonst jeder besser gekleidete und höhergestellte Mensch abnötigte, verschwand unter dem Einfluss dieser starken Getränke. Der junge Mensch, der sonst wirklich kein Bösewicht war, empfand nach ihrem Genuss, er sei genau soviel wie jeder andere, ja, es sei eigentlich unverschämt, wenn irgendwer mehr scheinen wollte! ... Und während er sonst schüchtern war in Gesellschaft von Frauen, war er sich jetzt, in der Betrunkenheit, seiner Mannhaftigkeit vollbewusst. Ein unschönes Feuer erglühte in ihm, und mit frechem, zudringlichem Blick mass er jede Frauensperson, die ihm begegnete.
Inzwischen wanderte er rüstig fürbass. Aus dem in der Frühe noch mit einer grauen Dunstschicht verkleideten Himmel war die Sonne hervorgetreten, die milde Herbstsonne, die in der weichen Bläue des Morgenhimmels stand und alles vergoldete ... Hie und da erhoben sich auch hier schon die weissen, hässlichen Mietskasernen, aber noch dominierte das Feld, wo eben umgepflügte und frisch gesäte Landstriche von schwarzbrauner Farbe mit dem Grün bepflanzter Erde wechselten ... Lauben standen da, noch umweht und übersponnen von den bunten Wimpeln und Papierguirlanden des Erntefestes, alles aber, alles lag in dem weichen Glanz dieses herrlichen Morgens, der wie ein Abschiedsblick des scheidenden Sommers über die Erde leuchtete.
Friedrich Unkelbach schob den verbeulten Filzhut aus der niedrigen Stirn und steckte seine breite Nase witternd in die köstliche Luft. Er war auf dem Lande gross geworden; der Reiz der Natur ging an ihm verloren.
Aber da! Da drüben! ... Das war was!
Ein Mädel ging da durch die Felder, den Rock aufgeschürzt, so dass man ein Stück ihrer festen Wade sehen konnte, mit kräftigem, hurtigen Schritt und in strammer Haltung.
Der Hausdiener musste seine kurzen Beine tüchtig gebrauchen, um ihr näher zu kommen. Einmal sah sie sich um, aber sie beachtete den ihr Folgenden offenbar gar nicht.
Friedrich Unkelbach glühte förmlich. Vom schnellen Laufen, aber auch von jenem anderen Feuer, das der Alkohol in ihm entzündet hatte.
Die Gegend wurde hier, hinter Zehlendorf, immer freier, und bald, bei dem Wege, den das Mädchen einschlug, musste es in die Busch- und Baumgruppe hineinkommen, die völlig abgeschlossen lag und wo um diese Zeit sicher noch kein Mensch hinkam. Friedrich Unkelbach kannte die Gegend genau.
Er folgte dem Mädchen, das sich noch einmal umgesehen hatte, jetzt in einer Entfernung von knapp zehn Schritt, und seine Phantasie, von allen Hemmungen der Schamhaftigkeit befreit, malte sich den strammen, vollbusigen Körper der rasch vor ihm Herschreitenden.
Friedrich Unkelbach war neunzehn Jahre alt, er hatte aber bisher nichts anderes wie käufliche Liebe genossen. Vielleicht war seine Schüchternheit sonst zu gross oder er gefiel den Mädchen nicht. In dem gesteigerten Selbstbewusstsein seiner augenblicklichen Stimmung empfand er das als eine Beleidigung, für die er sich rächen müsse. Er war Mann und hatte so gut wie jeder andere das Recht, ein Mädchen sein zu nennen, das keine Dirne war!
Und, die da eben den Saum des Laubwäldchens erreichte, das war bestimmt keine! ... Die musste er haben! Bis zu diesem Augenblick hatte seine Begierde sich noch niederhalten lassen von dem Verantwortlichkeitsgefühl. Jetzt aber schnellte sie empor und bezwang die moralischen Regungen.
Im Nu war der Bursche hinter seinem Opfer, hatte es gepackt und rücklings ins Gras gerissen. Aber über sie herzustürzen, ihr gar Gewalt anzutun, dazu kam er nicht! Die Arme der Liegenden, deren frisches, fröhliches Gesicht einen starren Ausdruck angenommen hatte, waren plötzlich wie eiserne Pfähle steif emporgerichtet und hielten den Übeltäter an den Armmuskeln gepackt von sich ab. Dann warf sie mit gewaltigem Schwung ihren Unterkörper in die Luft und flog in vollem Überschlag von rückwärts auf ihn hinauf.
Friedrich Unkelbach stöhnte: es hagelte jetzt förmlich Schläge und Püffe auf seinen Kopf und Rücken von diesen stählernen Mädchenfäusten. Zuerst hatte er sich gewehrt, hatte mit den Beinen gestossen und sie von sich abwälzen wollen. Aber seine Kräfte reichten nicht aus, je mehr er sich zur Wehr setzte, desto mehr Prügel bekam er. Endlich liess sie von ihm ab und stand mit einem trotzigen Lachen auf.
„Wollen Sie nun noch etwas von mir?“
Er wagte garnichts zu erwidern. Sah sie nur bewundernd an und war voller Angst, was sie nun mit ihm machen würde.
Sie schien sich schnell zu beruhigen, und an ihrer aufgerissenen Bluse nestelnd, sagte sie:
„Haben Sie vielleicht ’ne Stecknadel?“
Die hatte er zufällig. Sie steckte den Riss in dem roten Stoff zu, klopfte ihren Rock ab und meinte:
„Machen Sie sich man auch ’n bisschen sauber! Wir werden nu beide auf de Polizei gehn!“
Da fing er an, laut zu weinen:
„Ach nein, bitte nich! bitte nich! Ich tu’s ja nie nich mehr wieder! Wahrhaftig nich! ...“
Sie verbiss sich das Lachen über sein mehr als komisches Gesicht und sagte:
„Das is janz egal! Wenn das nu ’ner anderen passiert, die zufällig nich soviel Kräfte hat wie ich! .. Dann machen Se so’n armes Jeschöpf unglücklich für Zeit ihres Lebens! ... Nee, nee! Hier nachher rumweimern, das kann jeder! Man schmeisst doch ’ne Frau nich so einfach mir nichts, dir nichts hin! Das ist doch keine Sache!“
Sie ging. Er rannte mit gerungenen Händen schluchzend neben ihr her und bat unaufhörlich, sie möchte ihn laufen lassen!
Sie sagte lange Zeit garnichts. Endlich blieb sie stehen. Und so recht nachdenklich kam’s aus ihr heraus:
„Komisch, alle Männer sind so! .. Ist denn das Liebe?“
Er nickte voller Überzeugung.
Sie lachte leise.
„Also, Sie lieben mich? .. Gefall’ ich Ihnen denn?“
Er wusste gar nicht, was er sagen sollte vor innerer Bewegung.
„Ja ... ja ... ja ...“
„Na, denn kommen Sie doch heute mal in Müllers Variété in der Tiekstrasse, da bin ich Akrobatin.“
Er nickte voller Begeisterung, und da sie sich’s gefallen liess, nahm er ihre Hand und küsste sie unaufhörlich.
Hernach gingen sie zurück nach dem Bahnhof Zehlendorf und fuhren zusammen hinein in die Stadt.