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Budenfrass.

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Bloss dreissig Flaschen Bier, Paul?“

„Ja, draussen ist ja noch ’ne alkoholfreie Wasserleitung!“

„Und wie ist es mit der Erotik?“

„Ausser Lene kommt die verdrehte Agnes und noch son paar kleine Atelierhasen.“

„Wo ist denn Lene?“

Er zeigte mit dem Daumen rückwärts über die Schulter nach einem „Das Koituskulum“ genannten Nebengemach.

„Und immer noch platonisch?“ zweifelte der Gast, ein grosser, dicker Mensch mit langem, lockigen Haar.

Paul Rammler nickte und räumte die Zeichnungen, Bleistifte, chinesische Tuschfläschchen und den ganzen Malerkrempel vom Tisch.

„Ach du ...“ lachte der andere, „das hältste wohl für riesig anständig?! ... ich schreib’s doch nich!“

„Würd ick mir ooch verbitten!“

„Wieso?“

Die etwas schwindsüchtige Klingel draussen übernahm die Antwort. Zwei kamen. Ein Baumeister, der nie etwas baute, namens Fritz vom Strom, und ein ungarischer Journalist mit sehr dicken Lippen und den schwermütigen Augen eines Neufundländers.

„Kinder, ein Wetter ist draussen!“ sagte der Baumeister, „man wird der reine Sturmgeselle!“

„Aber nich Sokrates!“ meinte der Schriftsteller.

„Still, du Siamese! ... Wo ist der Steinklopfer-August?“

„Wennste Jehmann meinst, der besorgt die Fettigkeiten!“

Paul Rammler ging dabei an die Schlafzimmertür und klopfte.

„Immer noch nich fertig, Leneken?“

Aber schon ging die Tür auf und ein ganz schwarz gekleidetes Mädchen mit perlenbesetzter Seidentaille, deren Ausschnitt ein schwarzes Tüllfichü verhüllte, kam herein. Die Ärmel waren auch Tüll, die bleiche Haut der langen schlanken Arme schimmerte hindurch. Und sie trug den sehr schlanken Leib anmutig. Ihr Kopf war mager, aber doch von weicher Form, das gleich den grossen, langbewimperten Augen schwarze Haar nach Madonnenart frisiert. In ihrem ganzen Wesen lag eine Bitte um Nachsicht, man wusste zuerst nicht, ob mit ihren geistigen Gaben oder mit ihrer augenblicklichen Hilflosigkeit.

Und auf einmal wirbelte es in das grosse Atelierzimmer herein, wie Wind! Es hatte noch gar nicht geklingelt, da war sie schon drin, die verrückte Agnes!

Die beiden Mädchen küssten sich, Helene zurückhaltend, lieb und ein wenig untergeben, Agnes mit einer leisen Pose von Tribadie.

Den Schriftsteller hatte sie noch gar nicht gesehen. Zog ihn sofort auf den windigen Balkon und sagte, ihren blonden Kopf mit der fast tierischen Kinnpartie und dem kindlich reizenden Oberteil an seine Brust lehnend:

„Nicht wahr, Sie versprechen mir, zu sagen, dass wir uns beide schon lange kennen?! ... Ich kann neue Bekanntschaften nicht leiden!“

„Wenn Sie mir für die Lüge einen Kuss geben, ja!“

„Nachher!“

„Nein, gleich!“

Er wollte sie umfassen, da war sie schon wieder drin im Atelier und lag auf dem kleinen Diwan, wo sich der inzwischen mit den Essvorräten angekommene Bildhauer Aute Jehmann zu ihr setzte.

Er war klein, bartlos und knabenhaft blond und eroberte die Frauen, indem er sich auf das liebenswürdige, ungefährliche Kind hinausspielte. Kein Mensch ahnte, dass er verheiratet und Vater von drei kleinen Jungens war.

„Im übrigen ist mir Klinger schnuppe,“ sagte der Schriftsteller, „seine Radierungen, schön! ... Vielleicht noch ein paar Büsten, aber ohne die bunten Geschmacklosigkeiten ... sonst, das andere — Kitsch!“

Der Ungar polemisierte dagegen in seiner gewandten, stets nachgiebigen, auf den Rückzug bedachten Weise, aber die tolle Agnes sagte plötzlich, Aute Jehmann, der, allzu frühreif, ihren Busen prüfen wollte, vom Sofa stossend:

„Bildhauer ist überhaupt Unsinn! Farbe! Farbe, das ist alles! Nicht wahr, Paul?!“

Und sie umfing den Hausherrn und küsste ihn, wie eine Verzweifelte.

„Du verdirbst mir de Frisur!“ meinte Rammler, küsste aber, von den andern beneidet, energisch wieder.

Inzwischen hatte Lene den Tisch gedeckt. Auf sieben Leute kamen zwei Messer und drei Gläser. Es gab Aufschnitt, Käse, Sardinen, Gurken und Appetitsilds. Einer sass dem andern auf dem Schoss, denn Stühle waren auch nur drei da.

Neben Lene sass ein blonder Student, der seine ersten Lieder im Selbstverlag herausgegeben hatte. Ein blonder, feinrassiger Typ mit den Erinnerungen einer blöden Korpsvergangenheit im zarten Gesicht. Mit einer sordinierten Sprache, den ruhigen, wohlgefälligen Gesten und dem sanftwitzigen Fluss seiner Rede passte er gut in den Kreis und noch besser zu der Schwarzen, die er in seine Universitätsstadt mitnehmen wollte.

„Wie bist du eigentlich zu ihr gekommen?“ fragte in diesem Augenblick der Schriftsteller den Maler, flüsternd und mit einem Augenwink nach dem Pärchen.

„In de Stadtbahn ... se fuhr immer rund rum für ihren letzten Jroschen.“

„Und behältst sie hier ... hat sie denn Sachen?“

„’n bissken ... det meiste is in Metz jebliem ... irgend so’n Strunk von Offizier hat se da hinjeschleppt un nachher uff’n Proppen jesetzt.“

Der Schriftsteller verzog den Mund.

„Ehrenmann!“

Indem kam Agnes, die schon vor Neugierde platzte, heran.

„Über mich?“ sagte sie, „ja? ... reden Sie über mich?“

Der Schriftsteller nickte.

„Was denn, sagen Sie doch!“ Sie bat förmlich.

„Ins Ohr ...“

Sie hielt ihr Ohr hin. Und nun küsste er sie, obwohl sie sich sträubte. Er wäre zu dick. Sie liebte die Dünnen. Einen Blick auf den Maler, worauf dieser unnachahmlich drollig das eckige Kinn hob und den Brustkasten herausstreckte. Er war mager, ganz Muskel und von einer Beweglichkeit, die das sinnliche Mädchen, dessen Formen das samtne Reformkleid voll ausfüllten, reizen musste.

Darüber machte ein anderer Maler, ein schwächlicher, aber in seiner Kunst nicht übler Landschafter, eine täppische Bemerkung.

Die tolle Agnes zog sich, als habe sie plötzlich Zahnweh bekommen, in eine Ecke zurück und sagte zu dem kleinen Bildhauer:

„Warum denn?! ... Ich verstehe das doch auch so!“

„Aber er versteht es nicht anders ...“

„Sind sie auch so ... so gemein?“

„Alle Männer ...“

„Pfui! ... Ich will nichts mehr mit euch zu tun haben!“

„Det wirste nich aushalten!“ sagte Rammler, der zuhörte.

Sofort sprang sie auf ihn los, wie eine Tigerkatze, und biss ihn in die Backe, dass er schrie.

Der Ungar sagte zu seinem Nachbar, dem Studenten:

„Mir ist sie ekelhaft!“

Das hatte sie gehört und erwiderte schlagfertig:

„Will ich auch! ... Ich kann nur Künstler leiden!“

„Wahrscheinlich, weil Sie selbst das Gegenteil sind!“

Sie weinte fast. Wieso? ... Er sollte auf der Stelle sagen, wieso sie keine Künstlerin wäre?

Der Ungar biss gerade in seine Käsestulle.

„Weil alles an Ihnen Pose ist ... und Kunst ist das Gegenteil von Pose: Einfachheit! Wahrheit!“

Sie lief fort, ins Koituskulum, warf sich dort aufs Bett, vergrub den Kopf in die Kissen. Doch als der gutmütige Student nach ihr sah, hatte sie keine Träne.

„Auch noch!“ meinte sie auf dessen Frage, „wegen dem wein’ ich doch nicht!“

Der Schriftsteller kam, auf der Suche nach einem komplizierten Seelenmechanismus.

„Wenn Sie so durch die Welt wollen,“ sagte er, „als Weib ... allein ... wird Ihnen da nicht manchmal bange?“

Sie schlug ihre merkwürdig glänzenden, sehr lichtgrauen Augen zu ihm auf.

„Nein, ich stehe in mir selbst!“

Er dachte nach, was sie damit meinen könnte, sie aber störte ihn und sagte:

„Sie vergessen das weibliche Gemüt ... mit seiner Tiefe ... seiner tiefen Tiefe!“

„Au!“ dachte er, „das hätte nicht kommen müssen! .. Sie ist offenbar eine Pflaume!“ — Laut sagte er:

„Sie haben ganz recht, liebes Kind ... aber sagen Sie, waren Sie dies Jahr schon im Panoptikum?“

Sie begriff ihn nicht, ahnte aber, dass er sie frozzeln wollte und schmollte. Zu seinem Glück klingelte es. Zwei Mädchen kamen.

Die eine klein, hässlich, schlecht angezogen, aber sprühend wie ein Teufelchen. Die andere ausgesprochen dumm, dahingegen zum Reinbeissen. Blond, rosig, in ihrem entzückenden Gliederbau wie auf Federn. Wirklich blaue Augen, die Zähne alle echt und trotzdem so schön und weiss. Es war eine rechte Gottesfreude!

In fünf Minuten war sie von den Männern umlagert.

Der kleine Aute Jehmann küsste sie zuerst. Und dann alle anderen. Sie schien das selbstverständlich zu finden — ihre kleine, hässliche Freundin fragte, warum Hella nicht wenigstens Entree erhöbe! — sie hielt ihren süssen Mund hin, und gefiel ihr einer besonders, gab sie den Kuss zurück. Selbst Fritz vom Strom, der nie um einen faulen Witz verlegene Baumeister, bekam was ab von diesen einzigen Lippen.

Sehr schüchtern im Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht, hielt er sich zurück und sagte eben:

„Ich komme mir so ungeleckt vor!“

Als sie auch schon auf ihn zukam und mit ihren weichen, warmen Armen seinen Hals umschlang.

Vielleicht forcierte sie das Küssen auch ein bisschen. Denn so dumm ist kein Weib, dass sie nicht ihre Nebenbuhlerin ärgern möchte.

Lene nicht, die blieb immer still und freute sich. Aber den Irrwisch, die Agnes!

„Wenn man nichts andres wie küssen kann! ...“ sagte sie und zuckte die runden Achseln.

„Oh, die kann auch noch was andres!“ meinte der Maler, und alle stimmten ihm bei.

Aute Jehmann wurde geschickt, Stoff holen. Eine grosse Blechkanne voll Bier. Der lange Rickel, ein Karikaturist und der geborene Clown, sang Niggersongs und spielte Bagno. Als das Bier kam, wurde wieder stark getrunken. Der Ungar schlief schon. Da er schnarchte, weckten ihn die andern fortwährend.

Die Flamme in der von einem roten Seidentuch umhüllten Glasglocke flackerte, denn der Herbstwind fuhr in das des Rauches wegen geöffnete Balkonfenster.

Nun wollte die wilde Agnes tanzen, aber die schöne Hella war dagegen, da hätte ihr doch nur immer einer den Hof machen können. Sie sagte das auch ganz naiv.

Aute Jehmann fiel ab. Er schluchzte, weil Hella sagte, er röche so nach Bier, sie wollte ihn nicht mehr küssen. Der kleine Landschafter verlangte nach Hause, er müsse morgen arbeiten. Wer noch lachen konnte, lachte. Der Schriftsteller war nüchtern, er verabredete für den nächsten Tag mit Agnes ein Rendezvous, er wollte ihre Seele doch noch einmal untersuchen, vielleicht war es gar nicht so schlimm mit ihr.

Die andern sangen eine Kabaretweise.

„Bald grob, bald fein,

Mit Trillerlein drein ...“

Sie sangen falsch und ohrzerreissend, aber mit der Ausdauer der Trunkenen.

„Na, dann gehn wir ins Café!“ meinte Agnes.

„Hella bleibt noch hier!“ sagte Paul Rammler.

„Und Lene?“

„Ach so ... hm ... ja ...“

„Ich gehe mit ins Café!“ sagte Lene diskret und zog sich ihr Mäntelchen an.

„Nein, wir gehn auch mit, Paul!“ meinte die süsse Blonde.

Paul maulte, aber er ging.

„Seid bloss leise auf der Treppe!“ sagte er, die Korridortür aufschliessend, „ich habe meine Miete noch nicht bezahlt!“

Der Massenmörder

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