Читать книгу Fahr Far Away: Mit dem Fahrrad von Alaska bis Feuerland - Hans-Joachim Bittner - Страница 13
1. Etappe: Dazwischen ist es oft viel interessanter
ОглавлениеPetra, Volker, Ihr brecht immer wieder mal fast alle Zelte daheim ab, um exakt jenes hundertfach in anderen Ländern – weit weg von daheim – auf- und wieder abzubauen. Dabei werft Ihr viele gewohnte Prinzipien unserer Gesellschaft einfach über den Haufen und werdet häufig als „verrückt“ bezeichnet. Seht Ihr Euch selbst auch ein wenig so?
Als wir im April 2011 bei Schneetreiben gestartet sind, haben wir uns natürlich auch gefragt, ob wir wahnsinnig sind. Wir könnten schön in einem warmen Büro sitzen, unsere Arbeit tun und uns abends vor dem Fernseher ausstrecken. Stattdessen geben wir alle Annehmlichkeiten auf und starten ins Ungewisse. Verrücktsein – nicht nur ein wenig – ist wohl eine der Grundeigenschaften, um eine solche Reise durchzustehen.
Ergebnisse einer gemütlichen Nacht in den Neuen Bundesländern: Gefrorene Unterhosen und eine rote Nase.
Eure bislang längste Reise, 20 Monate, führte Euch nach Nord-, Mittel- und Südamerika. Warum gerade dorthin?
Die USA lockten uns ganz einfach immer wieder magisch an. Ein weiterer Aspekt war die lange Strecke, die wir dort problemlos „durchfahren“, also bewältigen konnten. Auch das Durchqueren aller fünf Klimazonen mit sagenhaften Landschaften, kaum Leerlauf mit längeren Abschnitten unattraktiverer Gegenden – all das ergab letztlich den Ausschlag für unsere Entscheidung.
In den Rocky Mountains, USA.
Auch die Route Russland-Honkong hattet Ihr im Auge?
Die verwarfen wir aber schnell wieder. Die größten Probleme hätten wir mit den Visa gehabt. Oft reicht ihre Gültigkeitsdauer nicht aus, um sich die Länder Kirgisistan, Kasachstan und Russland auch in Ruhe anzuschauen. Außerdem erschien uns die Route Alaska-Feuerland abwechslungsreicher.
Wie lange habt Ihr Euch auf die Panamericana zwischen Alaska und Feuerland vorbereitet?
Nicht mehr als sechs Monate zuvor gingen wir es langsam an, buchten als ersten Schritt den Flug. Wir mussten nicht alles auf einmal erledigen, hatten reichlich Zeit. Vieles war schnell gemacht. Die Ausrüstung hatten wir größtenteils auch schon seit etlichen Jahren zusammen.
Ein spezielles Radtraining gab es also nicht?
Überhaupt nicht. Erstens lag unsere Reisevorbereitungszeit mitten im Winter. Zweitens baut sich die Kondition dann beim Reiseradeln von selbst auf. Wir haben das immer ohne Training gemacht, und es ist immer gut gegangen. Wir hatten im Februar aufgehört zu arbeiten und hätten somit noch Zeit zum Training gehabt, ehe der Flug nach Alaska ging. Ich (Petra) wollte dann aber so schnell wie möglich weg. Auch deshalb unternahmen wir die Auftaktrunde über Tschechien. Das war sozusagen unser Trainingslager.
Gab es besondere Gründe für die Route von Nord nach Süd – und nicht umgekehrt?
Im Süden zu starten ist anstrengender. In Alaska ist es einfacher: die Straßenverhältnisse sind besser, die klimatischen Verhältnisse angenehmer, das Wetter stabiler. Wir wollten auch im April, spätestens im Mai los. Da herrscht in Patagonien jedoch „Winter“, es regnet viel und ist zum Radfahren zu kalt.
Warum wolltet Ihr Eure Tour unbedingt im Frühling starten?
Aufgrund finanzieller Gründe. Es hat steuerliche Vorteile: Zahlt man „nur“ drei Monate in Deutschland Steuern, erhält man sie komplett zurück, wenn der Rest des Jahres nicht mehr gearbeitet wird. Zuvor war uns auch noch wichtig, das Weihnachtsgeld mitnehmen zu können.
Knapp zwei Jahre von zu Hause wegbleiben, da gibt es sicher etliche Hürden zu überspringen. Was gestaltete sich als besonders schwierig?
Richtig schwierig war eigentlich nichts. Für uns war es eher lästig, bürokratische Arbeiten zu erledigen, Briefe zu schreiben, damit die Post umgeleitet wurde, den Telefonanschluss zu kündigen … – also Dinge, die mit Ämtern zu regeln waren. Echte Probleme gab es jedoch nicht. Für uns war es eine große Hilfe, Freunde zu haben, die sich während unserer Abwesenheit um für uns wichtige Dinge kümmerten: Beispielsweise die während unserer Abreisephase begonnene Volkszählung, die Post, die Hausverwaltung, einen trockenen Stellplatz für unser Auto.
Ihr besitzt ein kleines Haus in Bad Reichenhall. Welche Lösung hattet Ihr diesbezüglich?
Für uns stellte sich eigentlich nur die Frage, ob wir es für die Zeit unserer Abwesenheit vermieten sollten. Wir ließen es schon mal länger leerstehen, da zerriss uns der Frost die Kloschüssel und einige Leitungen froren ein. Für uns war es auch wichtig, jederzeit – zum Beispiel bei Krankheit – zurückkehren zu können. Diesmal fanden wir einen Freund, der vorübergehend einzog, und der bei einer vorzeitigen Rückkehr unsererseits sofort wieder ausgezogen wäre. Wir ließen ihn ohne Miete in unserem Haus wohnen. Im Gegenzug musste er nur die laufenden Kosten wie Strom, Heizung und Wasser übernehmen. Die Gewissheit, dass sich jemand im Haus befand, war einfach beruhigender.
Das setzt großes Vertrauen voraus.
Natürlich ist das ein wichtiger Punkt. Es war ein Arbeitskollege von mir (Petra), da wusste ich, dass alles gutgehen würde. Und es ist auch gutgegangen.
Wie sehr habt Ihr Euch um Euren Besitz gesorgt, beispielsweise das kleine Haus in Bad Reichenhall?
Gar nicht so sehr, weil wir es in guten Händen wussten.
Was bedeutet Euch der Besitz des Hauses?
Es ist jetzt einfacher, da es uns seit 2002 gehört. Zuvor, als wir zur Miete dort gewohnt haben, war es sehr viel schwieriger.
Inwiefern?
Wir hätten uns bei der Stadt abmelden müssen. Wer Deutschland über ein halbes Jahr verlässt, müsste sich komplett bei der Gemeinde abmelden. Das birgt aber jede Menge Schwierigkeiten bezüglich diverser Versicherungen.
Frühling im Glacier-Nationalpark, USA.
Eine frühere Reise wäre deshalb fast gescheitert. Da hing alles an den Mülltonnen. Warum?
Wir waren noch Mieter und wollten uns bei der Stadt abmelden. Doch aufgrund der Müllabfuhr ging das nicht. Der Vorteil: Für jemanden, der seinen Pass verliert, wie es uns in Nepal passiert ist, gestaltet sich die Beschaffung eines neuen Ausweises einfacher, wenn er noch bei einer Behörde gemeldet ist. Als Haus- oder Wohnungseigentümer ist es einfacher: Wir hatten diesmal die Mülltonne abgemeldet. Damit sparten wir natürlich Geld. Wir selbst hatten uns, auch wenn wir das eigentlich hätten machen sollen, nicht abgemeldet. Wir hätten aber gar keinen anderen Wohnsitz angeben können. Die Police für die Hausratversicherung würde sich im Übrigen verzehnfachen, wäre das Haus die ganze Zeit unbewohnt.
Ihr habt Eure Pässe verloren?
Nur ich (Volker), er wurde mir zusammen mit zirka 300 US-Dollar und den Traveller Checks am Flughafen in Kathmandu gestohlen. Ich hatte die Sachen in einer Bauchtasche, die Diebe müssen sehr gerissen gewesen sein. Als wir es merkten, war es schon zu spät.
Was folgte daraufhin?
Eine zweitägige Rennerei zwischen Deutscher Botschaft, Polizei und Behörden. Dazu die Kontaktaufnahme mit dem Passamt in Bad Reichenhall, wir benötigten rasch eine Meldebescheinigung. Wären wir abgemeldet gewesen, wäre das zu einem großen Problem geworden. Zum Glück hatten wir eine Kopie meines Ausweises dabei. Nach zwei Tagen war alles erledigt.
Wann kam der neue Ausweis?
Wir unternahmen eine dreiwöchige Trekking-Tour. Als wir in die Hauptstadt zurückkamen, war der neue Ausweis da (ausführliche Geschichte im Kapitel „Unfreiwillige Auszeit: Ohne Ausweis in Kathmandu“).
Wie wichtig ist Euch Sicherheit, die es letztlich nicht zu 100 Prozent geben kann?
Eine Unfallversicherung ist wichtig, die hatten wir vor der Reise sogar ein wenig aufgestockt. Ansonsten ist auch eine Auslandskrankenversicherung von Vorteil. Einen Rechtsschutz brauchen wir aber nicht. Die sonst üblichen Versicherungen, also beispielsweise die Hausratversicherung, ließen wir ganz normal weiterlaufen.
Ihr habt die Gewissheit, auch ohne Reiserücktrittsversicherung jederzeit aussteigen zu können. Ihr müsstet lediglich einen Flug nach Hause buchen und könntet jederzeit sofort zurück in Euer Haus, und somit zurück ins alltägliche Leben. Braucht Ihr diese Sicherheit, um überhaupt solche Touren zu starten?
Das sorgt schon für eine gewisse Beruhigung.
Tag für Tag ein neues Panorama.
Reinhold Messner meinte einmal: „Das Haben ist langweilig, die Herausforderung ist wichtig.“ Könnt Ihr das so unterstreichen?
Diese Aussage empfinden wir so als zu pauschal. Wir besitzen ein kleines Haus. Das schafft gewisse finanzielle Unabhängigkeiten und auch Freiheiten, weil wir in der Gestaltung keinem Vermieter und seinen möglichen Launen Rechenschaft schuldig sind. Das ist alles andere als langweilig. Wir sind auch froh, ein Auto zu besitzen, weil es ganz einfach bequem ist. Es geht also immer darum, ob ich den Besitz auch wirklich für meine Interessen nutzen kann und nicht darum, materialistische Gegenstände anzuhäufen. Das halten wir für eher überflüssig. Darum haben wir auch keine Sammel-Hobbys. Sich ein Ziel zu setzen und diese Herausforderung anzugehen, ist immer spannend. Wenn wir ein Ziel, unser Ziel erreichen, erfüllt uns das schon mit Stolz. Unsere ganze Reise war eine Herausforderung. Denn wir wussten nie, was alles auf uns zukommt: die schweren Andenpässe in Peru, die tropischen Temperaturen in Zentralamerika, die Winde von Patagonien. Bei der Ankunft in Ushuaia waren wir nicht nur stolz, sondern auch glücklich und erleichtert. Ständige Herausforderungen würden aber Stress bedeuten, das brauchen wir nicht jeden Tag.
Wie nennt Ihr Eure Art des Unterwegsseins?
Es ist wohl eine Art Reiseabenteuer … – ja, dieses Wort trifft es sicher am besten.
Arches Nationalpark, USA.
Ihr seht Euch als Abenteurer …
Wir lieben die Spannung und auch das Ungewisse auf unseren Reisen, suchen aber nicht die Gefahr, sondern versuchen, diese eher gering zu halten. 2002 waren wir mit dem Fahrrad in Indien unterwegs. Auf dem Weg nach Rajasthan zur pakistanischen Grenze machten wir kehrt, da hunderte von Militärfahrzeugen Richtung Grenze unterwegs waren und einige Militärs meinten, es gäbe Krieg mit dem Nachbarland. Natürlich beinhaltet die Durchführung einer solchen Reise auch eine gewisse Risikofreudigkeit. Oftmals sind es gerade die anstrengenden und riskanten Ereignisse, die einem später noch in Erinnerung bleiben – beispielsweise unsere Besteigung des 6.088 Meter hohen Huayna Potosi in Bolivien. Denn wir waren zuvor noch nie mit einer Gletscherausrüstung unterwegs. Oder 2001: Wir befanden uns mit den Fahrrädern in der Maasai-Steppe Tansanias. Dass es dort Löwen gibt, war uns allerdings nicht bewusst. Wir sind auch keinen begegnet.
Bekamt Ihr Tipps für eine mögliche Begegnung mit einem oder mehreren Löwen?
Immer in die Augen schauen und die Mittagsstunden zum Fahrradfahren nutzen – denn da schlafen sie.
Was erhofft Ihr Euch von Euren Abenteuern?
Das Ungewisse ist eigentlich das Spannendste: neue Eindrücke sammeln, Menschen und Natur kennenlernen. Großartige Landschaften faszinieren uns am meisten. In dieser Beziehung sind wir unglaublich neugierig. Dazu kommt, dass der gewöhnliche Tourist, der mit dem Bus organisiert reist, lediglich von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gekarrt wird. Wir erlebten auch die Regionen dazwischen, und die waren oft viel interessanter.
Wie erklärt Ihr Euch diese Faszination?
Unser langsames Reisen war womöglich der Grund für eine gewisse Spannung. Durch unsere Art der Fortbewegung auf zwei Rädern erlebten wir das Reisen nicht nur mit den Augen, sondern mit allen Sinnen – weil wir uns sozusagen in der Landschaft befanden und förmlich mit ihr verschmolzen. Das war alles andere als touristisch, und das empfanden wir schon als besonderes Privileg.
Naturerlebnis Chile: Frühling im November.
Würdet Ihr demnach Eure Art des Reisens, mit dem Fahrrad, als die genau richtige bezeichnen?
Für uns war es das bislang. Mit dem Rad erlebten wir die Natur viel unmittelbarer, hatten weit spontanere Begegnungen, auf natürlichere Art und Weise. Der Großteil war ungeplant, konnte auch gar nicht geplant werden. So viel konnte passieren, im positiven Sinn. Das empfanden wir als besonders wertvolle Erfahrungen. Wir wussten beispielsweise nie, wo wir als nächstes übernachten würden. Diese Frage stellte sich täglich neu und wirkte deshalb enorm spannend.
Wo war es während Eurer Tour besonders faszinierend?
Faszinierende Momente gab es natürlich reichlich: In erster Linie in den USA. Dieses Land, mit seinen abwechslungsreichen Nationalparks, mögen wir ganz einfach sehr. Toll war es auch ab Peru. Bolivien, Chile, eigentlich ganz Südamerika kam für uns recht spannend daher.
Inwiefern?
Die Andenstaaten mit ihren Hochländern, die einzigartigen Landschaften, das übte schon einen ganz besonderen Reiz auf uns aus. Peru mit seinen beeindruckenden Bergregionen samt atemberaubender Pässe, den großen Alpaka-Herden, dem einfachen Landleben und den bunten Märkten. Wir sahen über vier Wochen lang kaum einen Touristen. Das ist ursprünglich, ja abenteuerlich. Nordwest-Argentinien war grandios, mit der Ruta 40, der längsten Straße des Landes, meist in hervorragender Qualität, oft sehr einsam. Wir konnten überall wild zelten. Bolivien, die Lagunenrunde um den größten Salzsee der Erde, den Salar de Uyuni, der Lago de Colorado (rote Farbe), die Vulkane, die Flamingos und die bunten Berge mit der Wüste der sieben Farben. Einzigartig. Unvergessen bleiben uns die Wüstenzeltnächte am Lagerfeuer, der sternenklare Himmel darüber, die unglaublichen Ausblicke auf die schneebedeckte Andenkette. Chile mit seiner Carretera Austral: Eine 1.200 Kilometer lange, größtenteils nicht asphaltierte Straße durch urige Wälder, vorbei an Gletschern, Fjorden, Wasserfällen …
Welche Vorteile barg das Zelten vor allem für Euch?
Wenn das Wetter passte, gab es fast nichts Schöneres, als in der Wildnis zu sein, Essen über dem Feuer zu kochen, eine sternenklare Nacht zu erleben, im Hochland, in den Bergen, viel klarer als über tiefer gelegenen Städten. Das war besonders in den Wüsten beeindruckend, in vollkommener Stille. Wir dachten dann oft an das gestresste Europa. Wir lieben die Unabhängigkeit: Wir aßen, wann wir wollten, hatten unsere eigenen Schlafutensilien, ja, wenn man so will, unseren eigenen Dreck – nicht jenen anderer Leute.
Nach welchen Kriterien habt Ihr Eure Übernachtungsplätze ausgewählt?
Wenn wir unter freiem Himmel campierten, war Sicherheit für uns ein wichtiger Faktor. Wir achteten stets darauf, dass unser Zeltplatz – wenn möglich – nicht von der Straße einsehbar war, um die Gefahr eines Überfalls zu verringern. Außerdem war es natürlich von Vorteil, einen See, einen Fluss oder zumindest einen Bach in der Nähe zu haben – einfach der Hygiene wegen. Die Kleidung war vom Schweiß verklebt, wir wollten uns schon jeden Abend gut waschen können. Und natürlich benötigten wir auch gutes Wasser zum Kochen und Spülen.
Und wenn das nicht möglich war, beispielsweise in sehr trockenen Gebieten?
Dann versuchten wir, uns möglichst vorab mit reichlich Wasser zu versorgen. Es funktionierte schon auch mal, sich mit einer gut gefüllten Wasserflasche zu waschen. Übrigens: Ab einer Höhe von 3.000 Metern schwitzten wir nicht mehr.
Wie wichtig war Euch die Kleiderwäsche? So viel hattet Ihr schließlich auch in dieser Hinsicht nicht dabei.
Wir machten es halt so gut es ging. Einige Male duschten wir auch in voller Montur, um gleich alles auf einmal sauber zu bekommen.
Glückliche Alpakas, Peru.
Exklusiver Outdoor-Waschplatz, Peru.
Was war sonst noch wichtig, wenn es auf die Suche nach einem geeigneten Schlafplatz ging?
Bis 16 Uhr wollten wir immer einen gefunden haben. Denn bis das Zelt aufgebaut und genug Brennholz gesammelt war, vergingen schon zwei, drei Stunden. Das sollte alles erledigt sein, bis es dunkel wurde. Und wir wollten immer bei noch halbwegs gutem Tageslicht Abendessen. Die Suche war von den klimatischen Bedingungen abhängig. Im Hochland Perus wurde es schon ab 4 Uhr nachmittags ziemlich kalt, bis minus 15 Grad. Das wäre dann fast zu spät gewesen, um mit der Suche nach einem Übernachtungsplatz zu beginnen. Bis zum Sonnenuntergang um zirka 18 Uhr wollten wir alle anfallenden Arbeiten wie Zeltaufbauen, Körperhygiene, Kochen, Essen und womöglich auch noch Feuerholz Sammeln hinter uns haben. Ohne Feuer wurde es bitterkalt, so dass wir schon um halb sieben Uhr in den Schlafsack kriechen mussten. Anhand eines Kompasses versuchten wir, unser Zelt immer so zu platzieren, dass wir morgens schon die ersten Sonnenstrahlen abbekamen. Mithilfe von Höhendiagrammen hielten wir unseren Schlafplatz niedrig, da man auf über 4.000 Metern meist sehr viel schlechter schläft. Wir wollten aber auch vermeiden, in der morgendlichen Frische gleich bergab fahren zu müssen – lieber erst ein wenig warmstrampeln. Freilich gab’s auch die exakt gegensätzlichen Bedingungen: In Zentralamerika stiegen die Temperaturen um die Mittagszeit oft bis auf 40 Grad im Schatten an. Mit dem ersten Tageslicht um 5 Uhr ging’s auf die Strecke, um 11 Uhr machten wir meist Schluss. Da die Gegend zu dicht besiedelt ist und zelten aufgrund der erheblichen Kriminalität für uns ohnehin nicht infrage kam, suchten wir uns meist Unterkünfte, die über einen Ventilator oder, noch besser, über eine Klimaanlage verfügten. Gegen einen Swimmingpool hatten wir natürlich auch nichts einzuwenden.
Unverzichtbares Utensil für Volkers Höhenprofile.
Woher hattet Ihr die Höhendiagramme?
Aus dem Internet unter www.perfilderuta.es. Da gibt es zwei Seiten. Eine funktionierte, die andere nicht. Unser absolviertes Höhenprofil zeichnete ich (Volker) Abend für Abend in unser Reisetagebuch.
Auf wie viele Höhenmeter nur bergauf kamt Ihr am Ende?
Auf 250.000, also auf 250 Kilometer.
Für den Fall, dass kein Brennholz aufzutreiben war, hattet Ihr einen Campingkocher dabei.
Sogar zwei, einen mit Gas, einen mit Benzin gefüllt.
Als Reserve, wenn einer ausfiel?
Eher aus Kostengründen und weil nicht überall Gas zu bekommen war. Eine 400-Gramm-Gasfüllung kostete acht Euro, die gleiche Menge Benzin 30 Cent.
Wo war es mit dem Brennholz schwierig?
In ganz Peru. Oder auch in Kanada. Da hätte es zwar reichlich davon gegeben, war aber zu nass und qualmte nur. In den Wüstengegenden Argentiniens war es dagegen spitze: viel trockenes Brennholz, ideal.
War alles für die Nacht erledigt, blieb womöglich auch viel Zeit, um beispielsweise in einem Buch zu lesen. Doch Ihr hattet keines dabei. Warum nicht?
Aus Gewichtsgründen. Jedes Gramm wog bei dieser Tour doppelt schwer. Es wäre ganz einfach zu belastend gewesen.
Ihr hättet also schon ganz gerne das eine oder andere Buch dabei gehabt?
Ja und nein. Auf der einen Seite verspürten wir schon ab und zu die Lust, zu lesen. Allerdings gingen wir während der Tour meist früh schlafen, weil wir von den vielen Eindrücken und den körperlichen Belastungen immer ziemlich müde waren. Wir konnten jedenfalls fast immer zwölf Stunden ganz gut durchschlafen (beide schmunzeln).
Der dicke Radführer war der einzige „Literatur“-Luxus, den Ihr im Gepäck hattet?
Auf dem Weg nach Sorata in den Anden, Bolivien.
Wir hatten auch einige Reiseführer und eine Menge Landkarten dabei. Wenn wir eine Region hinter uns gelassen hatten, rissen wir die entsprechenden Seiten raus – einfach, damit wir wieder ein paar Gramm weniger mitschleppen mussten. Wir sind da zwar nicht so extrem drauf wie viele andere, die wirklich jedes unnötige Gramm sparen. Aber irgendwann spürt man halt dann doch alles, was zu viel im Gepäck ist. Mit einem iPad wäre es leicht, sich immer wieder neuen Lesestoff zu besorgen – aber wir haben’s nicht so mit den technischen Dingen.
Ihr wart ausrüstungstechnisch also minimalistisch unterwegs. Was musste dennoch sein?
Für jeden ein MP3-Player. Musik war wichtig, vor allem, wenn wir gefühlte Ewigkeiten durch eintönige Landschaften radelten. Sie war auch nötig, um körperliche Erschöpfungszustände zu überwinden oder sich bei langen Berganstiegen zu puschen. Beim Mungo Jerry-Song „In the Summertime“ hab ich Petra meist nur noch von hinten gesehen.
Vor der Reise hattet Ihr überlegt, einen Campinghocker als echten Luxusartikel mitzuschleppen.
Den hatten wir zunächst tatsächlich dabei, aber nur für die Zeit in Tschechien und in Deutschland. In Nordamerika war er nicht mehr vonnöten, da die Campingplätze dort sehr gut ausgerüstet sind. Darum blieb der Hocker bei Petras Eltern.
Auf Empfehlung der Ranger hattet Ihr in Alaska das unverzichtbare Bärenspray erworben.
Das ist dort tatsächlich unerlässlich. Wir hatten es am Lenker befestigt. Im Notfall wäre die 225-Gramm-Flasche in acht Sekunden leer. Dafür wirke das Spray laut Hersteller bis zu sechs Meter weit.
Ihr habt sie noch gefüllt mit nach Hause gebracht.
Sie kam zum Glück nicht zum Einsatz.
Vergleich US-amerikanisches Bärenspray (links), daneben deutsches Pfefferspray – beides kam auf der Panamericana nicht zum Einsatz.
Bären sind Euch aber schon begegnet?
Wir haben 24 gesehen: Einen Grizzly, der Rest waren die nicht so aggressiven Schwarzbären. Auch in Gegenden, in denen wir diese Tiere nicht vermutet hätten, zum Beispiel auf Weizenfeldern in Montana (USA).
Erzählt mehr von den Begegnungen mit den Bären. Hattet Ihr Bedenken, dass es auch mal gefährlich werden könnte?
Wir haben viel nachgefragt und uns erkundigt, wie es mit den Bären aussieht. In ganz Nordamerika übernachteten wir stets auf Campingplätzen, einfach auch aus Sicherheitsgründen. Volkers Gedanke: Wenn dort ein Bär auftauchen würde, hätte er mehr Auswahl. Die Chance, dass er sich unter 30 Zelten ausgerechnet unseres aussucht, ist freilich geringer als hätten wir irgendwo in der Wildnis ein einzelnes Zelt stehen. Da würde er definitiv dieses eine nehmen.
Mehrfach rieten uns Einheimische vom Übernachten in der Wildnis ab, da haben wir auch so einige Storys gehört. Aufgrund der jüngsten Vorkommnisse waren wir sehr vorsichtig, auch wenn die „Chance“, von einem Auto überfahren zu werden, weitaus größer ist: Eine ältere Dame wurde in Kanada in ihrem eigenen Garten von einem Schwarzbären angefallen und getötet. Das gleiche Schicksal ereilte einen Wanderer im Yellowstone-Nationalpark bei der Begegnung mit einem Grizzly. Und ein Ranger in Kanada bemerkte einen Bären in etwa 500 Metern Entfernung. Wie im Lehrbuch machte er alles richtig und mit einer Signalpfeife auf sich aufmerksam, damit er früh genug von diesem mächtigen Tier wahrgenommen würde, und sich dieser nicht in seinem Territorialverhalten gestört fühlte. Dennoch griff der Bär an, und der Ranger musste ihn erschießen. Bei unserer ersten Bärensichtung am Straßenrand haben wir ein Wohnmobil gestoppt, um uns ungesehen auf der Rückseite des Fahrzeugs an diesem mächtigen Tier vorbei zu mogeln.
Einmal habt Ihr in einem Lkw übernachtet.
Im kleinen Ort Mendenhall im kanadischen Yukon Territory fragten wir in „Irenes Restaurant“ nach einem Platz für unser Zelt. Irene meinte, dass dies zurzeit zu gefährlich sei, da eine Grizzlymutter mit zwei Jungen in der Gegend unterwegs sei. Sie würde uns aber einen kostenlosen Van zur Verfügung stellen, in dem wir sicher übernachten könnten. Ich (Volker) freute mich schon, nach zwei Monaten im Zelt, auf den Luxus und die Annehmlichkeiten eines Wohnmobils, und malte mir dies in den schönsten Farben aus. Stattdessen gab’s einen heruntergekommenen Lieferwagen, der auf einem Schrottplatz vor sich hin gammelte. Im Innenraum befand sich viel Unrat und eine alte Matratze, auf der wir uns frustriert breitmachen durften.
Gab es „gefährliche“ Nächte, in denen Euch in Eurem Zelt nicht wohl war?
Kaum. In Peru gab es mal eine Nacht, in der ich (Petra) stundenlang wach und mit offenen Ohren dagesessen bin, ob wer kommt. Denn da waren am Abend mehrere Autos mit seltsamen Gestalten bedrohlich nah an uns herangefahren. Das war eher unheimlich.
Bestens geschützt: Perfekter Zeltplatz im Hochland, Peru.