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Brot

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Brot ist des Menschen Vorname. Zumindest in Europa. Brot ist einfach eine tolle Sache. Man kann am Laib abbeißen und es mit etwas Flüssigem oder einem Apfel essen. Oder Stücke abreißen und in die Milch, die Suppe oder den Eintopf tunken. Zu Brotstücken eine Wurst oder einen Handkäs essen. Man kann den Brotlaib in Scheiben schneiden und die Scheiben mit Butter oder Margarine beschmieren. Darauf Salz oder Zucker streuen. Je nachdem was der Haushalt hergibt kann man eine Brotscheibe auch belegen. Mit Käse, Wurst, Fleisch, Insekten, Kräutern, Gemüse, Obst. Man kann die Scheibe auch mit Marmelade, Honig und Remoulade bestreichen, was die Kinder gerne tun. Viele würzen die Brotstücke und Brotscheiben und braten sie in der Pfanne. Ein Leben ohne Brot ist für Menschen eine traurige Angelegenheit.

Das ist aber nur das halbe Unglück. Wenn es kein Brot gibt heißt das, dass Mehl fehlt, die Körner fehlen, es kein Getreide gibt. Ohne Mehl gibt es auch keinen Kuchen, keine Kekse, keine Plätzchen. Und keine Nudeln. Das ist hart. Nudeln aus Linsen sind ein schwacher Trost. Doch genau das erwartet nun die Insulaner bis zur nächsten Ernte und Zoratoms Mitgefühl hält sich in Grenzen. Noch bevor die Insulaner ihr Saatgut abholten, war ihr Körnervorrat schon aufgegessen.


Als Fritzi den Pilz auf dem eigenen Getreide entdeckte, wurde sie von einem abscheulichen Gefühl überwältigt. Sie wirkte wie ein angezählter Boxer. Schon aus einiger Entfernung schimmerte ihr der Weichweizen weißlich entgegen. Ausgerechnet der Weichweizen, der das Mehl für das Brot liefert. Nach großer Aufregung und heißer Diskussion auf ihrem Hof, sattelte sie ein Pferd und galoppierte zu Grissly.

Dort schlägt die Nachricht natürlich wie eine Bombe ein. Sprachlos und fassungslos, manche auch zweifelnd, nehmen die Anwesenden ihre Mitteilung auf. Kurz darauf setzt sich eine Prozession in Bewegung, um sich von dem Pilzbefall zu überzeugen. Richard der Bücherwurm bleibt zurück, geht sofort zum Regal, in dem die landwirtschaftlichen Ratgeber stehen, beginnt zu recherchieren. Die Gruppe um den alten Grissly durchreitet derweil Fritzis Getreidefelder. Jeder rupft Halme aus, untersucht sie, ob es sich überhaupt um Pilzbefall handelt, hofft auf eine andere Krankheit.

Zurück in der Kantine, weiß Richard schon mehr. Grissly legt ihm eine Handvoll grüne Weizenpflanzen auf den Tisch. Jedoch, Richard findet die dazugehörige Krankheit nicht.

„Ich brauche noch mehr Bücher“, fordert er. „Ich weiß, dass Buran auf seinem Hof eine Menge Ratgeber hat. Über alles Mögliche.“

„Was hast du bislang herausgefunden?“ will Grissly dennoch wissen.

„Falls es sich tatsächlich um einen Pilz handelt, müssen wir das Getreide sofort mähen und verbrennen.“

„Kann man es nicht verfüttern“, ist jemand skeptisch. „Einfach nutzlos vernichten ist schon öde.“

Die anwesenden Landwirte schauen sich an. Mähen, trocknen und dann verbrennen, finden sie doof. „Wir sollten es an einer Ziege testen“, schlägt ein anderer vor.

„Das ist eine verdammt gute Idee“, lobt Grissly. „Dann wissen wir gewiss, ob es sich um einen schädlichen Pilz handelt. Fritzi soll das probieren und Richard soll weiter forschen. Ich reite zu Carlina hinüber und zapfe ihr Pilzwissen an.“ Schnappt sich die Halme vom Tisch und geht zu seinem Pferd, das noch gesattelt im Hof steht.

„Oh Scheiße“, entfährt es Carlina, als sie das Weißliche auf dem Grün untersucht.

Grissly wird es ganz anders, einen so heftigen Ausdruck hat er von ihr noch nie vernommen. „Es ist also ein Pilz?“

Sie nickt. „Du weißt doch, es gibt essbare, ungenießbare und giftige Pilze. Das sieht nach einem Schimmelpilz aus. Schimmelpilze sind in Masse immer giftig. Die Idee mit der Ziege ist sehr gut. Wenn es ein gefährlicher Pilz ist, wird sie sofort Durchfall bekommen.“

„Und wenn sie Durchfall bekommt? Was heißt das für uns? Müssen wir tatsächlich das Getreide vernichten?“

„Alles andere wäre leichtsinnig.“

Grissly will das so nicht hinnehmen. „Es könnte doch sein, dass man die Körner trotzdem verwenden kann. Was an den Halmen schädlich ist, muss ja nicht an den Körnern schädlich sein. Außerdem könnten wir die Körner waschen, trocknen und dann zu Mehl verarbeiten.“

Carlina schüttelt energisch ihren Kopf. „So wie ich Pilze kenne, werden sie den Weizen aussaugen. Das bedeutet, die Pflanzen haben keine Kraft mehr um Körner zu bilden. Es wird nichts zu ernten geben. Ihr müsst sofort alles vernichten, damit die Schimmelpilze keine Sporen abgeben können“, erklärt sie in aller Ruhe.

„Aber nur wenn die Ziege krank wird.“

„Es wäre so oder so sehr ratsam den Weizen komplett niederzumähen. Sobald Sporen entstanden sind, werden sie vom Wind großflächig verteilt. Pilzsporen sind überaus leicht, sie finden überall hin. Wenn du Pech hast, finden sie auch über den Hügel auf deine Felder.“

Er verzieht sein bärtiges und faltiges Gesicht. „Du machst mir vielleicht Hoffnung.“

„Da wäre noch etwas.“ Mit leiserer Stimme: „Jemand muss die Felder der Insulaner inspizieren. Wenn deren Getreide ebenfalls befallen ist, muss es genauso vernichtet werden, sonst werden weit und breit alle Weizenfelder infiziert. Dann ist eine Katastrophe unvermeidbar.“

Nach dem entmutigenden Gespräch mit Carlina reitet er langsam zurück. Hofft, dass Richard etwas Positives gefunden hat. Doch Richard ist zum selben Ergebnis gekommen. Das Vernünftigste wäre, jeglichen befallenen Weizen sofort zu vernichten. Noch während sich die anwesenden Landwirte uneins sind, platzt Fritzi wieder in die Kantine. Die Ziege hätte sich schon nach wenigen Minuten erbrochen und Durchfall bekommen. Damit war alles klar. Das weißliche Zeug, egal ob Schimmel oder sonst was, ist giftig und muss weg. Dann wäre da noch die Sache mit den Insulanern.


In der Morgendämmerung steigt Fritzi in die Erdspalte und schwimmt zur Insel hinüber. Dort kontrolliert sie das Getreide. Es sieht schlimm aus. Schimmel wohin sie schaut. Der gewährte Kredit ist hinüber. Die Insulaner werden nicht ernten, ergo kein Getreide zurückerstatten können und nochmals betteln kommen. Sie müssen schnellst möglich alles niedermähen und verbrennen. Und das muss man ihnen beibringen, muss es von ihnen fordern. Fritzi wäre so mutig, sofort hinüber zu laufen und es ihnen zu sagen. Doch sie hört bellende Hunde die verrücktspielen. Da die Insulaner auf ihrem Territorium keine Fremden dulden und bestimmt die Wachhunde losschicken, gibt sie Fersengeld und stürzt sich wieder ins Wasser. Getrocknet und umgezogen erscheint sie nach dem Frühstück bei Grissly und erstattet Bericht.

„Dann wissen wir ja was wir heute zu tun haben“, meint er wenig erfreut. „Wir nehmen aber Carlina mit, sie kennt manche von denen.“

Auf dem Ritt zur Brücke wird kaum gesprochen, jeder hat ein mulmiges Gefühl, befürchtet, dass es ohne Gewalt nicht gehen wird. Deshalb haben Grissly und Buran über ein Dutzend Bewaffnete um sich geschart. Selbst Carlina befürchtet eine unerquickliche Zusammenkunft, brütet vor sich hin. Einzeln führen sie ihre Pferde über das wacklige Floß, das eine Brücke sein soll.

Als erstes, nach dem Überqueren der Brücke, erschießt Grissly einen Hund, der nach den Beinen seines Pferdes schnappt.

„Damit stehen alle Zeichen auf Konfrontation“, sagt Carlina locker.

„Ich finde das praktisch“, brummt Grissly. „Wir wissen ja gar nicht wo wir die Leute suchen sollen. Jetzt kommen sie uns bestimmt entgegen.“

Auf einem Kiesweg reiten sie gemächlich den Ruinen von Grafenhausen entgegen. Es gibt auch intakte Häuser. Niemand weiß genau wieviel Personen dort eigentlich leben. Sechs Familien vielleicht, oder auch zehn. Entgegenreiten wird ihnen niemand, den Insulanern fehlt die Zeit ihre Pferde zu satteln. Die Blicke der Eindringlinge wandern über Wiesen und Felder. Die Äcker sind vielfältig bestellt. Verhungern werden die Insulaner jedenfalls nicht. Die grünen Getreidepflanzen schimmern weißlich. Nach den neusten Erkenntnissen besteht dringender Handlungsbedarf. Einzelne Kinder kommen aus Häusern, verschwinden wieder. Kurz darauf erscheinen Männer mit Gewehren, gehen aber in die Häuser zurück und kommen ohne wieder heraus. Legen bellende Hunde an die Kette.

„Die sind vernünftig“, denkt Carlina und schöpft Hoffnung, dass alles ohne Streit abgeht.

Aus verschiedenen Richtungen strömen nun Männer, Frauen und Kinder auf Grisslys Gruppe zu. Stellen sich ihr in den Weg.

Grissly hebt die rechte Hand. „Hallo. Wir haben erfahren, dass euer Getreide wieder von Schimmel befallen ist. Das tut uns sehr leid. Wir wollen euch helfen, es zu vernichten.“

„Ist der verrückt“, sagt im Hintergrund einer der Insulaner.

Carlina entdeckt Manni und ihren Mann. „Hallo Manni“, grüßt sie freundlich.

„Hallo Große“, grüßt diese grimmig zurück.

Grissly startet einen neuen Versuch. „Euer Pilzbefall hat inzwischen die Felder der Nachbarhöfe angesteckt. Der Schimmel kennt keine Grenzen. Bevor er Sporen entlässt und noch mehr Getreidefelder befällt, muss alles gemäht und verbrannt werden.“

Einer der Männer tritt vor. „Wir wollen abwarten, ob der Weizen doch noch gedeiht.“

„Ich sage euch was passiert. Die Körner werden sich erst gar nicht entwickeln. Wenn ihr abwartet, ist es für unsere Felder schon zu spät.“

Der Mann beißt die Zähne zusammen, dass sich seine Backen verbreitern. Dann: „Auch wenn ihr euch noch so mächtig fühlt, lassen wir uns nichts befehlen. Wann gemäht wird bestimmen wir.“

Grissly bewahrt seine Beherrschung. „Versteht doch. Von euch geht eine Gefahr aus. Wenn sich Pilzsporen entwickeln, werden die mit dem Wind weit fortgetragen und immer wieder neue Felder befallen.“

„Angenommen“, kommt es langgedehnt, „wir vernichten unseren Weizen. Werdet ihr uns neues Saatgut geben?“

Alle Berittenen aus Zoratom schauen nun auf Grissly. Nach Sekunden sagt er: „Da wir dank euch schon Ernteausfälle haben, brauchen wir unsere Körner selber.“

„Wir sollen also ohne Brot leben“, schnaubt es.

„Das müsst ihr durch anderes ersetzen“, meint Grissly, der inzwischen nervös auf dem Sattel hin und her rutscht, schnippisch. „Verhungern werdet ihr nicht. Dazu geben eure Felder und die Natur zu viel her.“

„Ich glaube, ihr seid nicht recht bei Trost“, wird der Mann nun lauter.

Carlina entdeckt nun die Braunhaarige mit den drei Durchfallkindern. „Sind alle Kinder gesund?“

Die Angesprochene bringt vor lauter Schreck nur ein „Ja“ heraus.

„Ich sage dir nun was passieren wird“, sagt sie in langsamen überdeutlichen Worten. „Ich sage es aber nur dir.“ Sie schaut die Frau fest an, spricht zu ihr, als wären sie allein auf weiter Flur. „Der Schimmel auf dem grünen Weizen hier, wird weiter wachsen und winzige Samen bilden. Diese Samen, Sporen genannt, sind giftig. Der Wind wird die Sporen in Wolken über das Land blasen und die Gesundheit der Menschen gefährden. Die Sporen werden sich in die Atemwege und Lungen setzen und vor allem die Kinder krank machen. Schwache und Kranke Menschen können davon sterben.“

Den Leuten auf den Pferden läuft es genauso kalt über den Rücken wie den Stehenden.

„Sag das deinen Leuten. Und sag ihnen auch, wenn sie den Weizen nicht vernichten, sind wir zum Wohle aller Menschen verpflichtet es selber zu tun.“

„Damit ist alles gesagt“, meint Grissly. „Wir können gehen.“ Die Gruppe wendet die Pferde und reitet los. Nach zehn Metern dreht Grissly wieder um und geht auf den Mann zu. „Ich wollte mich noch wegen dem Hund entschuldigen. Wenn ihr einen neuen braucht, bekommt ihr einen von uns.“ Dann beugt er sich hinunter und flüstert: „Und wenn ihr uns zu Leide lebt, kommen wir und brennen alles nieder, so wahr ich Grissly heiße.“ Dann gibt er seinem Pferd die Sporen.

Carlina hat auf ihn gewartet. „Hätte ich auch gesagt“, meint sie.

„Das mit dem Hund?“

„Das mit dem Niederbrennen.“

„Sag bloß, du hast das gehört?“

„Ich höre sehr gut, du aber schlecht. Deshalb sprichst du so laut.“

„Ich werde in Zukunft aufpassen. Aber schön, dass wir einer Meinung sind.“

„Wenn es ums Existenzielle geht, muss man rabiat sein.“ Das Wort Existenziell kennt Grissly nicht, aber den Ausdruck rabiat. Damit ist für ihn die Sache erledigt.


Am nächsten Tag lauern auf dem Hügel mehrere Ferngläser. Während Fritzi mit vielen anderen ihre Weizenfelder niedermäht, geschieht nebenan auf der Insel nichts. Es zerrt an den Nerven. Ist es zu viel verlangt von einer Sekte, dass sie Einsicht zeigt? Vielleicht brauchen sie nur Bedenkzeit. Doch am Tag darauf mähen die Insulaner mit Handsensen tatsächlich ihr Getreide um. Grissly hätte ihnen gerne mit seiner von zwei Pferden gezogenen Mähmaschine geholfen. In zwei Stunden wären sie fertig gewesen. Wagt aber nach seiner Drohung nicht mehr dort zu erscheinen. Fritzi lässt ihr Mähgut trockenen und anschließend verbrennen. Man geht davon aus, dass es ihre Nachbarn genauso handhaben. Doch die laden alles auf Wagen, kippen es ins nächstgelegene Fließgewässer und weg ist es. War das nun clever oder eine Dummheit? Selbst Carlina bleibt die Antwort schuldig.

Der Hartweizen gedeiht, der Roggen gedeiht, der Dinkel, der Hafer und zur rechten Zeit auch der Mais. Die Gemüter beruhigen sich. Bis Ende Juni Fritzi wieder auf Grisslys Hof galoppiert und in das üppige Frühstück platzt. Der alte Bär liest sofort aus ihrem Gesicht eine unangenehme Botschaft. Will von Schimmel nichts hören, wird aber nicht verschont. Auf den Gregor-Höfen sind die Körner des Hartweizens von Schimmel befallen. Des Nudelweizens. Sofort reiten die Landwirte los, inspizieren auf den Terrassen der Vorbergzone ihre eigenen Getreidefelder aufs Genauste und erklären sie danach für gesund. Tags darauf wird in der Ebene wieder Weizen niedergemäht. Auch das einzige Hirsefeld, das zwischen zwei Weizenfeldern liegt und ebenfalls verpilzt ist. Ein Landwirt lebt ja immer mit der Hoffnung, bei Schädlingsbefall auf andere Getreidearten ausweichen zu können. Dass nun auch die Hirse anfällig ist, belebt die Unruhe.

Doch damit nicht genug. Im September ereilt die Gemeinschaft eine weitere Hiobsbotschaft. Nun sind die Maiskolben befallen. Der Pilz frisst die Kolben samt Körner regelrecht auf. Beziehungsweise zersetzt er sie. Und nicht nur beim Flachlandmais. Schockierender Weise sind auch die Felder Zoratoms betroffen, bis hinüber zum Waldrand, wo Burans Futtermais steht. Jahrzehntelang haben die Landwirte den Maiswurzelbohrer erfolgreich ausgetrickst, in dem jährlich die Felder gewechselt wurden. Haben auch anderen Schädlingen getrotzt, weil der Mais in Streifen zwischen Gemüse, Hülsenfrüchten und Kartoffeln angebaut wird. Viele Bürger Zoratoms essen auch gerne mal ein Maisbrot oder eine Polenta. Manche verfüttern die Maiskörner achtlos an Tiere. Aber auch dieses Korn müssen sie nun durch anderes ersetzen. Was ausfällt, muss auf die eine oder andere Art kompensiert werden.

Es kommt zur düstersten Ratssitzung überhaupt. Sonst wird, auch wenn ernste Themen anstehen, vorher herumgeflachst oder werden Witze erzählt. Diesmal setzen sie sich mit echt besorgten Gesichtern an den Tisch. Bevor man die Vollversammlung mit der grausamen Wahrheit konfrontiert, muss der Rat aus der Misere einen Weg finden. Die Bürger erwarten das.

„Sind wir überhaupt schon mal wegen einem so beschissenen Thema zusammengesessen?“ schimpft Sigsig, kaum dass er sitzt. Aus seiner Frage spricht die pure Hilflosigkeit.

„Nicht schimpfen, denken“, fordert Michelle, die auch gerne Butterbrot isst, um gebratenen Schnecken drauf zu legen.

Grissly versucht zu Beginn Optimismus zu verbreiten. „Wie ihr wisst, ist auf dem Gebiet der Gregorhöfe der Weich-und der Hartweizen ein Komplettausfall. Von dem bisschen Hirse wollen wir hier nicht reden. Aber wir haben so viel Weizen gelagert, dass er für zweieinhalb Jahre reicht, wir brauchen uns also keine Sorgen zu machen.“

Carlina nickt und kommt zum Punkt. „Aber über uns schwebt die Frage: Wird nächstes Jahr der Schimmel weg sein, und, wo sollen wir den Weizen aussähen? Ich denke, wir werden ein wenig umstrukturieren müssen.“

Fritzi nickt eifrig. „Auf unseren Feldern war es dieses Jahr einfach zu feucht und das Wetter war zu warm. Da müssen Pilze ja wachsen.“

„Die Gräben haben wir alle umsonst ausgehoben“, mosert Buran, der mit seinen Leuten geholfen hat.

Sie wehrt sich. „Die sind nicht umsonst ausgehoben. Die waren gedacht, um Starkregen und Hochwasser abzuleiten.“

„Erzähl nicht. Der Insulaner-Schimmel war der Grund. Genutzt hat es auf jeden Fall nichts.“

Fritzi ist eingeschnappt, verschränkt ihre Arme und lehnt sich zurück.

„Und, bringt uns das weiter?“, murrt Klara. „Ich habe ja keine Ahnung von Ackerbau und Viehzucht. Aber wie mir scheint, könnte unser Weizen nächstes Jahr wieder verschimmeln. Und wenn er das übernächstes Jahr auch macht, ist es aus mit leckerem Brot und Nudeln.“

Carlina verhindert immer, dass sich jemand in Rage reden kann und unterbricht. „Ich habe einen Vorschlag. Wir gehen nächstes Jahr auf Nummer sicher und sähen den Weizen nur auf den Terrassenfeldern der Hügel aus. Für die brachliegenden Felder der Ebene müssen wir uns etwas anderes ausdenken. Mehr Raps vielleicht, oder Soja. Auf jeden Fall Ackerfrüchte, die Feuchtigkeit und Wärme vertragen. Aber beim Mais bin ich überfragt.“

„Das ist echt heftig“, sagt Grissly mit Trauerblick. „Wir mussten alle Maissorten vernichten, egal auf welchem Standort. Dabei war unsere Philosophie, jede Pflanze auf unterschiedlichen Lagen anzubauen. Auf trockenen, feuchten, hochgelegenen, tiefgelegenen, sonnigen und schattigen, damit es immer was zu ernten gibt. Das hat in diesem Fall überhaupt nicht geklappt.“

Buran ergänzt: „Der Pilz auf dem Mais ist auch etwas dunkler. Ich glaube, der hat mit dem Getreidepilz überhaupt nichts zu tun.“ Alle schauen zur Pilzfachfrau.

Carlina überlegt. „Das liegt vermutlich daran, weil der Schimmel auf Kolben üppiger wachsen kann. Wenn es nach mir ginge, würde ich nächstes Jahr nur wenig Mais anbauen und abwarten, was aus ihm wird. Das Saatgut eines Jahres würde ich nicht riskieren. In welchem Bereich wurde er nicht oder weniger befallen?“

„Auf einer südlichen Lage“, weiß Grissly. „Wenn es nächstes Jahr wenig regnet, werden aber dort die Körner nix.“

„Alternative?“ fragt Sigsig.

Michelle meint: „Das Ganze hört sich ziemlich kompliziert an. Wenn für den Maisanbau nur eine Lage in Frage kommt, die aber von vornherein nicht viel verspricht, kann man es auch mit jeder anderen versuchen.“

Grisslys Rechte trommelt mit den Fingern auf dem Tisch herum, Buran kratz sich mit der Linken in seinen Haaren. Es bleibt still. Bis Fritzi etwas weiß.

„Ich fasse zusammen. Die Weizensorten säen wir nächstes Jahr nur auf den Hügeln aus. Mit dem Mais probieren wir es am Fuße eines Hügels, wo es eher feucht bleibt, aber auch der trockene Südwestwind hin findet, der den Pilzen zusetzen wird.“

Jeder schaut jeden an, niemand weiß etwas Besseres.

„Sehr gut Fritzi“, sagt Grissly dann, „so machen wir‘s. Vom Weizen säen wir so viel aus wie immer, den Mais nur auf einer Versuchsfläche.“

Die folgende Vollversammlung ist zufrieden mit dem Vorschlag, freut sich außerdem über die großen Lagerbestände.


Im Frühjahr darauf hat sich an der Strategie nichts geändert. Aber in der vielmals geflickten Lagerhalle ist ungewohnt viel Platz. Weizen und Mais wurden den Winter über verbraucht wie immer. Niemand musste auf seine gewohnten Nudeln, Brote, Brötchen, Kekse und Kuchen verzichten. Die Nichtlandwirte haben die Schimmelpilze verdrängt oder sogar vergessen. Die Insulaner haben sich kein einziges Mal blicken lassen, nicht einmal einen Patienten gebracht. Aber sie wissen, ihre Schuld ist nicht aufgehoben, nur aufgeschoben. Irgendwann müssen die geliehen Weizensäcke wieder mit Aufschlag zum Dorf gebracht werden, sonst erhalten sie als unzuverlässige Geschäftspartner nie mehr wieder irgendetwas.

Der Winter war mild, das Wetter stimmt, die Inselbewohner säen zuerst. Hatten sie noch geheime Vorräte? Oder haben sie irgendwo neues Saatgut erbettelt? Genauso ausgesät wird auf Gregors Höfen, Burans Höfen und rund um den Weiler, der gerne als Weltstadt gesehen wird. Unruhig beobachten die Landwirte das Wachstum. Im Mai wird dann auf dem vorgesehenen Feld noch der Mais gesät. Viel sorgfältiger als sonst. Danach bleibt der Regen aus. Über Wochen. Nun hat man nicht nur die Sorge, ob das Getreide von Pilzen befallen wird. Mangelnde Feuchtigkeit verhindert das Wachstum, generiert kleine Körner, die schlecht zu verarbeiten sind und nicht viel Mehl hergeben.

Mitte Juni endlich, ziehen die passenden Wolken übers Land, schütten sich aus und tränken die Erde mit dem ersehnten Nass. Eine Woche lang herrscht Regenwetter. Es regnet eine zweite und eine dritte Woche. Heumachen ist unmöglich. Nun gilt das Regenwetter auf einmal als schlecht, endet erst Anfang Juli. Da ist es zu spät. Auf allen Lagen schimmelt das Getreide. Der Weichweizen ebenso wie der Hartweizen. Dieses Mal aber auch der Roggen, der Dinkel und der Hafer. Nicht nur die Landwirte sind entsetzt, auch der letzte Agrarfremde begreift: sein täglich Brot ist gefährdet. Einzig das Feld mit Emmer, welches jemand als Hobby angelegt hat, ist schimmelfrei.


Pandemie des Todes III Teil

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