Читать книгу Sehnsucht nach Zärtlichkeit - Hans-Joachim Koehl - Страница 10

Die Reise

Оглавление

„Haleb, hör zu, wir werden unsere vorgezogene Abreise als eine große Jagd tarnen. Am besten wäre es, dass neue schnellere Schiff auf eine lange Fahrt vorzubereiten.“

„Gut, dann lasse ich die großen Tonkrüge mit Erdpech füllen und die Feuer anzünden. Das Schiff muss erst an Land.“

Wir hatten am unteren Ufer eine seichte Stelle mit glatten runden Hölzern ausgestattet und diese mit Talk und Fett beschmiert; dort war es kein Problem, das flache Schiff an Land zu ziehen.

„Oder wollen wir die Boote aus Binsengras nehmen?“

„Nein, die können doch nicht so viele von uns tragen, meinte Haleb.

„Gut, dann mach dich ans Werk!“


Es gab ein paar geschickte Bauleute, die mit ihren Bronze- und Steinbeilen umzugehen wussten.

Als ich mich umdrehte, stand Nehu hinter mir. Ich musste lachen: „Na, raus aus deinem Nest?“

„Ja, Herr!“ Er sah zu Boden. „Herr, ich habe eine Bitte!“

„Sprich!“ Sicherlich will er mich verlassen, dachte ich.

„Nimm mich mit in das neue Land. Auch Akida will mitkommen.“

„Nehu, es wird ein großes Abenteuer. Du bist mir willkommen. Mit Akida muss ich erst sprechen. Wenn die Sonne über diesen Palmen steht, schick´ sie zu mir!“Ich zeigte in Richtung Westen.

„Ja, Herr!“

Die Sonne war nicht mehr heiß und die Schatten wurden länger, als Akida mit wiegendem Gang vor mein Haus kam. Unter einem mit Schilf abgedeckten Vorbau erwartete ich sie.

„Du hast mich rufen lassen?“, fragte sie.

„Du willst mitkommen?“

Durch unsere telepathischen Fähigkeiten konnten wir Lichtgestalten uns auch ohne Lautsprache unterhalten. So konzentrierte ich mich: „Also, Tara, was hast du vor?“

„Ich komme auf jeden Fall mit dir, das kannst du nicht verhindern! Ich will dich unterstützen und in Akida kann ich dir bestimmt von Nutzen sein.“

Ich sagte laut: „Gut, so soll es sein. Willst du bei Nehu bleiben?“

„Nehu ist ein starker Mann, er gibt mir Schutz. Ich werde mit ihm gehen. In den letzten Tagen habe ich mich schon vorbereitet und viele Kräuter gesammelt, falls wir Verletzte oder Kranke haben.“

Im Moment machte sie auf naive Kräuterfrau. Aber das störte mich nicht, mit ihr würde es bestimmt nicht langweilig. Auch Waali würde ich mitnehmen.

Meine Söhne Sinks und Betschep mit ihren Sippen waren die neuen Führer, sie wollten hier die Macht übernehmen und freuten sich schon darauf, nicht mehr hinter mir zu stehen. Ach, sollten sie doch. Vielleicht würde es sich Adonai ja noch einmal überlegen …


Beim ersten Tageslicht brachen wir auf. Kein Abschied, keine Tränen. Dass Schiff trieb auf dem Fluss, mit leichtem Ruderschlag machten wir gute Fahrt. Tagsüber wurde gerudert oder der Wind trieb uns vornan. Gegen Sonnenuntergang in der Dämmerung ankerten wir nahe am Ufer. Oft kamen Tiere um zu trinken. So hatten wir immer frisches Fleisch und Fische gab es mehr als genug. Wenn es zu heiß wurde, ließen wir uns an einem Tau im Wasser hinterher ziehen. Es waren Halebs Schiff und seine Leute, er hatte die Führung übernommen. Ich erfreute mich an Waali.

So gingen die Tage dahin, bis wir nach Babel kamen. Haleb hatte schon des Öfteren hier gehandelt. Wir tauschten drei Sklavinnen, die ich extra zu diesem Zweck mitgenommen hatte, gegen Goldschmuck und bronzene Pfeilspitzen.

Alle Lichtgestalten veranlassten die Menschen Monumentalbauten zu errichten. Meistens waren es Stufentürme und Tempel. Zweimal im Jahr, zur Sonnenwende, wurden hier ausgelassene Orgien gefeiert, deren Höhepunkt die Schrecken einflößenden Menschenopfer waren.

Priester brachten die Kinder der Wollust lebend im Feuer Baals als Oper dar. Es waren Säuglinge, die im Fruchtbarkeitstempel bei wilden Orgien gezeugt wurden.

So wurden die Menschen an einen Ort zusammengeführt, damit sie uns verehren und wir sie beherrschen konnten.

Je größer die Stadt, desto mehr Macht, Luxus, Reichtum.

Amurru war der Stadtfürst, er hatte in Babel eine große Zikkurat errichten lassen.

Wir gaben uns nicht zu erkennen; ich hatte es auch Tara verboten. Der Stadtkönig Amurru war für seine Habgier, Feindseligkeit und Grausamkeit bekannt. Daher wollten wir nicht länger als nötig verweilen.

Die Männer gingen in das Tempelhaus. Es war etwas Besonderes, Rund gebaut, aus dicken Mauern aus Schlammsteinen mit Lehm, gehacktem Schilfrohr, Palmblätter vermischt.

Hier ließ sich einer der Ersten der 600, Inanna, als Göttin

verehren. Inanna war in eine von Kains Töchtern gefahren. Als diese starb, wurde immer wieder eine der schönsten Frauen von ihm als Hohepriesterin ausgesucht. So dachten die Menschen, Inanna sei unsterblich. Mit Spiel, Tanz und nacktem Fleisch dienten die Priesterinnen im Tempel den Männern — gegen entsprechende Opfergaben natürlich.


Am nächsten Morgen legten wir ab und Akida sagte: „Haleb, sei die kommenden Nächte besonders wachsam, es liegt Tod in der Luft!“

Akida musste einen guten Grund für eine solche Warnung haben, denn sie hatte während unseres Aufenthaltes im Tempel der Inanna ihre Triebhaftigkeit ausgelebt.


Am zweiten späten Nachmittag, als die Sonne fast gegangen war, kam der Angriff. Mit Schilfbooten und Guffas, kleinen runden Booten, die aus Binsen geflochten mit Fellen bespannt und Erdpech versiegelt waren. Die Krieger kamen plötzlich von beiden Ufern auf uns zu. Schon flogen die ersten Pfeile. Wir hatten sie erwartet und waren bereit. Den Ersten, die an Bord springen wollten, schlugen wir mit unseren Steinbeilen ihnen die Schädel ein. Mit den neuen Pfeilen aus Kupfer- und Bronzespitzen hielten wir sie auf Abstand und den Rest der Meute in Schach, denn jeder von Halebs Pfeilen traf.

Trotzdem jammerte und fluchte er: „Meine schönen Pfeilspitzen! Bei der Jagd hätte ich sie alle wieder bekommen! Rudert, Leute, rudert!“

Ich hatte für die Reise ein schmaleres langes Schiff bauen lassen. Durch diese Bauweise konnten wir sehr schnell werden, so entkamen wir.

„Einer deiner Männern hat wohl im Tempel der Fruchtbarkeit ausgeplaudert, welch schöne Sachen wir dabei haben“, meinte Nehu zu Haleb.

Haleb war schweigsam. Mit finsterer Miene schlug er die Faust auf die Reling, ging zu einer Ruderbank und schlug mit den anderen das Ruderblatt ins Wasser.


Die Nächte wurden immer dunkler und als das Licht der Nacht ganz verschwand, näherten wir uns der ersten gebauten Stadt auf der Erde.

Wir, die ersten 600 Wächter, wollten die Erde besitzen und hatten uns auf ihr verteilt.

Drei von uns — Inanna, Nabu und Marduk — hatten die Stadt Uruk gegründet. Alle drei wohnten bei Abanahsis, dem König von Uruk. Inanna hatte schon vor vielen Jahren den Menschen gezeigt, wie ein Samenkorn in die Erde gegeben wurde und wie mit guter Bewässerung drei Ernten erzielt werden konnten. So ließ er sich als Göttin der Fruchtbarkeit verehren.

Eines Morgens sahen wir aus dem Dunst die Zikkurat, den Turm von Uruk, auftauchen. Auf diesen Turm aus Lehmziegeln konnten die Einwohner bei einem Angriff durch andere Stämme fliehen. Er hatte nur einen Zugang, eine lange Treppe, ansonsten waren die Wände so glatt, dass kein Fuß die Zikkurat erklimmen konnte. Er gab ihnen Schutz und hielt die Menschen davon ab, die Stadt zu verlassen. Um den Schutzturm herum hatten sie ihre Häuser gebaut. Große bewässerte Gärten und Felder lagen außerhalb von Uruk; sie versorgten die Menschen mit Gemüse, Obst und Gerste.

Adonai wollte nicht, dass sich die Menschen zusammenrotteten und Städte bauten. Sie sollten nicht eingezwängt sein, von keiner Obrigkeit dirigiert werden und nicht an diese Tribut zahlen. Er wollte die Menschen frei sehen, als Sammler und Jäger auf einer paradiesischen Erde.

Die von ihm eingesetzten Wächter hatten später die Menschen um sich geschart und sich als Götter verehren lassen.


Uruk war eine große Stadt. Ihr Reichtum war das schwarze Gold. Es quoll in ihrer Nähe aus der Erde, wurde getrocknet und war heiß begehrt zum Haus- und Schiffsbau.

Als wir am Ufer von Uruk festmachten, kamen die Händler und Schadur, der Diener des Königs; er erhob Wegezoll.

„Seid gegrüßt, ich bin Kannat, dieser ist mein Sohn Haleb und dieser mein Diener Nehu! Melde uns bei deinem Herrn, ich werde ihm die Gaben selbst bringen.“

Noch am Abend waren wir bei Abanahsis zum Mal eingeladen.


Abanahsis war ein stattlicher Mann. Sein Haar war glatt, schwarz und lang. Es wurde von einem goldenen geflochtenen Band gehalten.Sein Gesicht zierte ein schwarzer glänzender Vollbart. Deren Haare in kleinen Locken gedreht war.

Ein breiter Ledergürtel hielt seinen Umhang um die Hüften und ein dicker bronzener Griff ragte aus dem Gürtel.

Am linken Handgelenk trug er einen nicht geschlossenen, breiten gehämmerten Armreif aus Gold.

„Kannat, von dir und deinen Söhnen, besonders von deinem Sohn Haleb, habe ich schon gehört. Was führt dich aus deinem Lande Mitanni und deiner Stadt Mari zu mir?“ An allen vier Ecken des Raumes standen bewaffnete Diener. Er traute uns wahrscheinlich nicht über den Weg.

„Mari habe ich meinen zwei Söhnen, Sinks und Betschep, gegeben. Ich will in ein neues Land im Norden und eine neue, noch größere Stadt bauen. Wenn du von mir gehört hast, dann hast du auch gehört, dass am Oberlauf des Euphrat ein Mann namens Noe mit seinen Söhnen einen wasserdichten großen Kasten baut. Adonai hat ihm eine große Wasserflut vorhergesagt, in der alles Lebende umkommen soll. Ich will mit einigen, die wirklich zu mir stehen, in das Land der hohen Berge. Denn was Adonai plant, das führt er auch durch. Ich weiß nur nicht, wann. So sind wir auf der Durchreise und ich hoffe, du kannst mir mit einem guten Tausch helfen.“

Wie vom Schlag getroffen fiel Abanahsis zu Boden. Er zuckte, schlug um sich, Schaum trat aus seinem Mund. Ich hörte, wie die drei Titanen in ihm jammerten und zeterten.

„Die Zeit des Herrn ist noch gar nicht gekommen; er wird uns doch nicht töten wollen? Wehe uns, was sollen wir nur tun?“

Inzwischen hatten sich die Diener um Abanahsis bemüht, ihn festgehalten und auf die Seite gelegt; damit er nicht an seinem Erbrochenen erstickte.

Telepathisch sprach ich mit ihnen: „Brüder, bleibt ruhig, sonst stirbt euer Wirt. Die Gefahr ist ja noch nicht akut!“

Daraufhin erholte sich Abanahsis wieder. Er wusch sich und nach einer Weile trank er und nahm etwas Speise zu sich.„Es kommt selten vor, aber manchmal schlagen mich die Götter!“, meinte er.

Wenn du wüsstest, wie recht du hast … du würdest es nicht glauben, dachte ich bei mir. „Abanahsis, ich habe eine Bitte. Wenn du es willst, kannst du mir helfen. Wir benötigen 10 bis 12 Tragetiere, reichlich Salzplatten und Pfeilspitzen aus Metall, Goldblättchen und einige gelbe, durchsichtige Steine zum Tauschen. Wir wollen auf dem Weg als Händler angesehen werden.“

„Voller Gefahren und Hindernissen ist der Weg durch das Land Martu. Was hast du mir zum Tausch anzubieten?“ fragte er.

„Mein Schiff mit den Rudersklaven. Mit diesem Schiff kannst du mit einem tüchtigen Führer auf dem Fluss Handel treiben.“ Ein habgieriges Glitzern trat in seine Augen und er fing an, sich die Hände zu reiben. „Du bekommst von mir alles, was du benötigst. Es wird einige Tage dauern, bis alles bereit ist. In dieser Zeit kannst du mit den deinen in meinem Haus wohnen.“

„Danke, du bist sehr großzügig. Auch wir müssen uns noch vorbereiten. Bis wir zum Aufbruch bereit sind, bitte ich noch auf dem Schiff bleiben zu dürfen.“

„Es sei so, wie es dir gefällt“, sagte er.


So blieben wir auf dem Schiff. Ich wollte nicht, dass wir ganz unter der Beobachtung Abanahsis standen. Vom Schiff aus unternahmen wir Jagden in die nähere Umgebung und in der Stadt tauschen wir die Felle gegen einen großen Kupferkessel.


Der König hatte sein Wort gehalten. Er gab uns Dromedare und einige Esel, Pfeil- und Speerspitzen sowie Feuersteine. Mir schenkte er sogar einen wertvollen Armreif aus purem Gold.

Nach einem Abschiedsfest im Hause des Königs zogen wir los. Vor uns lag weites Savannenland. Zu unserem Schutz bekamen wir zwölf Krieger mit, sie sollten uns bis zum Tigris begleiten und vor Überfällen bewahren.

Jetzt wurde mir die listenreiche Großzügigkeit des Königs bewusst und auch die Geschichten, die an den Feuern erzählt wurden, von verschwundenen Karawanen auf der Strecke zwischen den Stätten Uruk und Lagasch. Konnte es sein, dass der wertvolle Goldreif lediglich jedes Misstrauen ausräu

men sollte?


„Akida, wir brauchen deine Hilfe. Lass die erste Nacht die Trommel schlagen, koche einen berauschenden Sud und tanze für die Krieger des Königs. Versuche mit dem Anführer zu sprechen und finde heraus, was der König ihnen befohlen hat. Verhalte dich so, als würdest du das Lager wechseln wollen. Nehu soll deinem Schutz dienen!“

„Ja, Herr!“

Nach Eintritt der Dunkelheit ertönte der Schall der Trommel über das große Feuer, das die ganze Nacht zum Schutz gegen einen Löwenangriff brannte.

Akida kam mit einem Tonkrug in den Feuerschein. Der Krug machte die Runde. Jeder trank so viel er konnte. Danach fing sie an sich zu wiegen und langsam begann sie ihren Tanz. Der Tanz war dieses Mal eher melancholisch ruhig und auch die Melodie ihres Liedes war besänftigend. Danach setzte sie sich zu einem kleinen, breitschuldigen, muskulösen Mann. Sein Gesicht war mit einer unschönen Narbe verziert, die quer über die eingeschlagene Nase verlief. Das einzig Schöne an ihm war ein goldener Ohrring. Auch die anderen hatten, wenn man genauer hinsah, an Beinen und Armen reichlich Blessuren.

Es waren wilde Männer, die wussten, wie ein Schwert zu führen war, und schon selbst von dieser harten Speise gekostet hatten.

Akida setzte sich neben den Narbigen und es sah so aus, als wolle sie ihn verführen. Doch seine unbewegte Miene und wenige Worte zeigten, dass er andere Pläne hatte.

Aber sie waren nach einem langen Tagesmarsch ruhig und müde. Alle zogen sich nach und nach in ihre Fellzelte zurück. Wegen der reichlichen Taubildung konnte keiner ohne Zeltdecke im Freien schlafen, wir wären sonst triefend nass geworden und hätten vor Kälte gezittert.


Am nächsten Tag rasteten wir, als das Licht in der Mitte des Firmamentes stand. Akida brachte mir ein Stück getrocknetes, gesalzenes Fleisch.

„Akida, was hast du rausgefunden?“

„Ich konnte nichts erfahren. Die Männer sind sehr verschlossen, Herr!“

Ich schaute ihr in die Augen und nahm so Kontakt mit Tara auf. Er gab mir zu verstehen: „Durch die Nähe zu ihm konnte ich seine Gedanken lesen. Sie planen in der dritten Nacht einen Überfall. Wer von uns überlebt, wird an einem Treffpunkt mit Sklavenhändlern vor der Stadt Lagasch verkauft. Aller Besitz geht zurück nach Uruk.“

„Genau so etwas hatte ich mir gedacht. Wir werden ihnen zuvorkommen … Akida; du bringst jetzt jedem Wasser. Zu den unseren sagst du; sie sollen heute Nacht nicht aus deinem Krug trinken, sondern nur so tun, als ob. Sag ihnen; Kannat hat es gesagt; es geht um unser Leben. Hast du ein starkes Gift, um die zwölf zu erledigen?“

„Nein, für zwei oder drei würde es genügen, nicht für mehr! Der Trank würde sonst zu bitter und sie würden die Falle bemerken. Ich könnte sie aber in einen tiefen Schlaf versetzen.“

„Gut, so machen wir es. Versetze sie in einen tiefen Schlaf, das genügt.“

In diesem Moment kam Haleb zurück. Auf seinem Dromedar lag vor ihm eine erlegte Gazelle. Haleb hatte zweien seiner Kämpfer angeboten mitzukommen. Gonat und Gonos waren Brüder, junge Männer, die den Kampf und die Jagd liebten. Sie verehrten Haleb. Die drei versorgten uns mit frischem Fleisch. Das war in diesem Land keine Kunst. Vom Reittier aus konnte man weit über die Savanne schauen und die Herden gut ausmachen. Solange sie keine Witterung aufnahmen, waren die Tiere unbefangen. So kamen die drei nahe genug, um ihre Pfeile in ein Tier zu schießen. Mit drei Pfeilen getroffen, war es schnell erlegt.

An diesem Abend erzählte Gonat am Feuer von seinem Jagdglück. Doch einige der Krieger des Königs spotteten:


„Hier kann doch jedes Kind ein Tier töten.“

Ein anderer meinte: „Es ist noch gar nicht so lange her, da war ich in diesem Gebiet auf der Jagd und ich ließ einen lauten Furz, da fielen drei Gazellen tot um.“

Die Stimme war gehässig. Die Krieger lachten.

Die andern schwiegen.

„Ja, ja, stimmt schon … schwer ist es hier nicht, meinte Gonos, „aber heute Morgen fuhr mir der Schrecken in die Glieder. Wir schlichen uns hintereinander an eine Herde Gazellenantilopen. In dem fast mannshohen Savannengras kannst du keine Armeslänge weit sehen. Ich nahm leises Atmen und auch Bewegungen auf der rechten Seite neben mir im Grase wahr. Ich dachte, es sei mein Bruder oder Haleb, denen ich im Anschleichen zu langsam war. So pirschten wir uns eine ganze Weile nebeneinander an, ohne uns sehen zu können. Dann kam eine Lichtung, auf der vor Tagen die Herden das Gras abgefressen hatten. Ich schaute nach rechts — und ich lag, keine drei Schritte neben einem Löwenweibchen. Die Löwin hatte sich von ihrem Schreck schneller erholt als ich und wollte sich auf mich stürzen. In diesem Moment sprangen Haleb und Gonat auf, schrien aus Leibeskräften und zogen ihre Schwerter; auch ich sprang auf. Das Gras rundum bewegte sich, die Gazellenherde ergriff die Flucht und es waren mindestens zehn Löwen, die hinter der Herde her rannten. Erst später wurde uns klar, dass wir mitten in einem Löwenrudel auf Pirsch gewesen waren.“

„Ho, ho … dich hat wohl Marduk gebissen. Das kannst du deiner Großmutter erzählen, das glaubt doch kein Mensch.“

Alle lachten und der Bann war gebrochen.

Da brachten Akida und Waali das Fleisch und der Krug ging herum.

Laut sagte ich: „Waali, bringe auch den drei Wachen etwas!“

Jeder aß so viel er konnte, denn es war die einzige große Mahlzeit pro Tag. Eine ganze Zeit dauerte es, bis alle Krieger des Königs schliefen.

Keiner von ihnen ist je wieder aufgewacht — wir schnitten ihnen den Hals durch oder erschlugen sie mit den Steinbeilen. Wegen der wilden Tiere war es nicht möglich, noch in der Nacht etwas zu unternehmen. Nur die Waffen sammelten wir ein, ließen sie liegen wie sie lagen und löschten das Feuer.


Wir hatten ein großes Zelt etwas abseits aufgebaut und wachten in dieser Nacht um ein kleines Feuer im Inneren des Zeltes. Akida und Nehu waren alsbald eingeschlafen. Auch Waali lag neben mir und atmete ruhig. Haleb lag neben seinem Schwert und von den beiden Brüdern war nur Schnarchen zu hören.

Schlafen konnte ich in dieser Nacht nicht.


Ständig war ein Knurren, Bellen, Knacken und Schleifen zu hören. Als der Morgen dämmerte, sahen wir noch ein paar Gebeine und eine breite Insektenstraße, auf der einige Knochen und ein blanker Schädel lagen.

Still packten wir unser Lager und dachten an die schnelle Vergänglichkeit des Seins. Wenn wir nicht gehandelt hätten, wären wir an ihrer Stelle gewesen. Trotzdem fühlten wir uns nicht wohl.

Was war aus mir geworden? Von einem Engel des Lichts, einer unsterblichen Schöpfung voller Liebe, Freude und Güte hatte ich mich zu einem mordenden Dämon gewandelt. Ich hatte mich von der Fürsorge und dem Gesetz Adonais freigemacht. Selbst bestimmt, nur meinem eigenen Willen unterworfen. Doch dafür würde ich auch für meine Taten geradestehen müssen. Ich wusste, der Tag der Abrechnung nahte. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, mich vorsätzlich von meinem Vater abzuwenden, denn ich kenne seine Herrlichkeit.

Doch wegen meiner Selbstsucht und meines Ungehorsams hatte er sich von mir abgewandt und jetzt gab es für mich kein Zurück. Ein kalter Schauer überlief mich.

Aber was soll´s … die Erde ist wunderschön und ich lebe!

Wir zogen weiter und nahmen eine andere Richtung, etwas mehr zum Sonnenaufgang hin. Das Tageslicht immer noch im Rücken umgingen wir die Stadt Lagasch.


Den Tigris erreichten wir im unteren Lauf. Der dortige Schilf- und Sumpfgürtel machte ein Weiterkommen unmöglich. Wie sollten die Tiere über diesen breiten Fluss gelangen? Unbewohnt war das Land.

Wir selbst sahen aus wie Schlammgeister aus der Unterwelt. Tier und Mensch hatten sich mit einer Lehmschicht gegen die unzähligen Insekten und Stechmücken bedeckt. Hier im Sumpfland kamen wir nicht über den Fluss. Wir zogen weiter. Als das Delta in einen einzelnen Flusslauf überging, bauten wir eine Behausung. Zum Schutz vor Raubtieren entstand am Rande der Savanne unter Eukalyptusbäumen ein Gral, rundum von einer Holz- und Dornenhecke geschützt. Hier waren wir von aller Art von Mücken befreit. Jetzt hieß es nur noch mit unseren Tieren über den Fluss zu kommen, der von Flusspferden und Krokodilen bevölkerten war.


Haleb und die beiden Brüder versorgten uns mit frischem Fleisch. Nehu benötigte jede Menge Weidenzweige. Aus diesen entstand eine große rund Schale, in denen vier Ruderer und ein oder zwei Esel Platz fanden. Die Schale bestand aus gebogener Weide, die mit Därmen oder Weidenrinde zusammengebunden wurde. Dann wurden von außen mit Därmen Felle übereinander genäht und an der Weide festgebunden. Das Ganze wurde mit heißem Pech abgedichtet, von innen mit Gras und Fellen ausgepolstert. Nehu schnitzte noch für jeden ein Paddel.


Der große Ozean drückte seine Wassermassen alle 12 Stunden in den Fluss. Es gab eine kurze Zeit zwischen dem ab und auf laufenden Wasser in dem der Fluss keine Strömung hatte. Nur in dieser Stunde würde der Übergang ans andere Ufer gelingen. Den Eseln banden wir die Beine zusammen und legten sie ins Boot. Die Dromedare wurden mit der Schnauze ans Boot gebunden und mussten hinterher schwimmen. Um dem Gejammer der Esel und Dromedare zu entgehen, verstopften wir unsere Ohren mit Bienenwachs.

Als wir die Dromedare hinüberbrachten, hatte Haleb oberhalb von unserer Übergangsstelle zwei tote Antilopen am Ufer festgebunden; das Gleiche taten die beiden Brüder weiter unten. So entstand ein von Krokodilen befreiter Abschnitt. Die rissen sich bei den Antilopen um die besten Happen, während unsere Tiere durch den Fluss schwimmen konnten.

Sehnsucht nach Zärtlichkeit

Подняться наверх