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Ohne Gesetz

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Als ich es zum ersten Mal hörte, bekam ich eine solche Angst, dass meine Hände anfingen zu zittern. Ich musste mich zur Ruhe zwingen, um nicht einen schweren Anfall zu bekommen. Wenn ich mich stark aufregte, konnte es passieren, dass mein jetziger Körper sich in wilden Zuckungen auflehnte und unter Schmerzen verkrampfte. Mit dem Gedanken, dass keine akute Gefahr bestand, beruhigte ich mich.

Panik war nicht angesagt; bisher gab es nur Gerüchte. Um mich abzulenken und zu beruhigen, kaute ich ein paar Datteln. Ein Bote war gekommen, was würde er bringen?

„Herr, dein Sohn schickt mich, euer Schiff liegt am Ufer, es hat eben festgemacht!“

Freude durchlief mich. „Geh zu den Frauen und lass dir zu essen geben!“

„Danke, Herr!“

„Nehu!“

„Ja, Herr!“

„Sag Betschep und Sinks, sie sollen mich begleiten: bewaffnet! Du kommst auch mit, wir gehen zum Fluss!“

Allein und unbewaffnet war es zu gefährlich durch die Gegend zu laufen, wenn man nicht als Kahnzieher oder auf einer Ruderbank enden wollte. Diebstahl, Raub mit Waffengewalt und Vergewaltigung waren an der Tagesordnung. Ohne Schutz war es nicht ratsam, sich auf eine Reise zu begeben, selbst wenn diese nur ein paar Flügelschläge weit war. Auf den Wegen war es zu unsicher. Viele wollten sich ein Imperium, zumindest ein Stadtkönigreich errichten und scheuten nicht davor zurück, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen.

„Ja, Herr?“ Betschep stand vor mir und auch Sinks näherte sich. Ihre Steinbeile hatten sie an einem dicken Ledergürtel an der Seite hängen. Ein Köcher mit Pfeilen hing mit dem Bogen über ihre Schultern. Irgendwo in ihrer Kleidung waren kurze scharfe Waffen aus Feuerstein versteckt. Was noch fehlte, waren ihre langen Spieße … aber die würden wir nicht brauchen.

Wir standen an der Seite eines mit Palmen bewachsenen Innenhofes. In der Mitte lag der hauseigene Brunnen. Um diesen herum waren runde Häuser aus Flechtwerk mit Lehm und Tierdung überzogen. Eine große, dicke Hecke aus Dornengestrüpp war so dicht, dass kein Raubtier ein Durchkommen wagen würde; seien es nun zwei- oder vierbeinige! Die Dornenhecke war mehr als mannshoch und umschloss das ganze Gelände.


Von außen war kein Blick ins Innere möglich — weder ins Haus noch in den Palmenhain oder den Gemüse- und Obstgarten. Auch nicht von einem Kamel oder Pferd aus. Die einzige Öffnung durch das Dornengeflecht war ein Holztor und der dünne Wassergraben vom Fluss her unter der Hecke durch. So hatten wir einen guten Schutz gegen nächtliche Löwenattacken.


Zur Sicherheit gegen zweibeinige Räuber hatte ich zwei starke, bewaffnete Männer als Wachen eingesetzt. Vor den Wildhunden im Kral mussten wir uns selbst in acht nehmen; die hatten immer Hunger. Trotzdem war man vor einem Überfall nie sicher. Es gab nur ein Gesetz: das des Stärkeren.


Stärke und Gewalttaten wurden bewundert. Vor zwei Wochen fanden wir außer dem Obergewand einer meiner Sklavinnen keine Spur mehr von ihr. Sie hatte auf dem Feld den Boden gelockert, es war nicht weit vom Haus. Die Wächter glaubten, ein Löwe hätte die Ärmste geholt, doch es war weder Blut zu sehen noch hatten sie Schreie gehört; es gab Spuren von Löwentatzen, aber auch von mehreren Männerfüßen.


Sinks, mein zweiter Sohn, ein Hüne, zwei Kopf größer als die Menschen, hatte die Wächter mit je fünfzehn Stockhieben bestraft. Sie ertrugen sie stumm.

Die Palmenblätter wehten leicht im Morgenwind, der kühl vom Fluss her übers Land wehte. Wir gingen durch die Dattelhaine zum Euphrat; am Ufer entlang, in Richtung Anlegesteg. In einen dichten Schilf- und Papyrusgürtel eingerahmt lag der Fluss. Allerlei Getier war hier zu Hause: Schlangen, Krokodile und Flusspferde sowie unzählige Vögel, die noch keinen Namen hatten.


Der Fluss lag, ruhig und blaugrün, träge in seinem Bett. Es sah aus, als hätte er noch nicht ausgeschlafen. Doch es gab auch andere Tage: Er konnte alles verschlingen, was sich ihm in den Weg stellte. Wasser ist nicht berechenbar.

Schade, ich hatte mich hier sehr wohl gefühlt. Die Menschen waren willig und leicht zu steuern. Eins war sicher: Wenn ich mein kleines Reich erhalten wollte, dann mussten wir innerhalb von zwölf Monaten dieses Land verlassen.

Es war hell. Die Sonne versteckte sich wie jeden Tag hinter einem dicken Dunstvorhang.

Diese dicke, geschlossene Wolkenschicht umgab den ganzen Planeten und verhinderte eine direkte Sonneneinstrahlung. Er schützte alle Lebewesen vor Krankheiten und einem frühen Tod, denn die aggressiven Mikrowellen, Gamma-, Röntgen- und UV-Strahlen wurden durch den Dunst gefiltert und konnten nicht zu ihnen durchdringen und die Zellen frühzeitig zerstören. Von diesem Wissen hatten meine Leute nicht den leisesten Schimmer.

Die dicke Wolkendecke verschaffte ihnen ein langes Leben. Bis zu tausend Erdenjahre konnten die Menschen Fleischlinge existieren. In unserer Zeitrechnung war es nur ein Tag. Doch hier auf der Erde zählte eine andere Zeitspanne. Die Männer, die am Ufer an uns vorbeizogen, sahen wie ein langer, sich windender Wurm aus. Sie waren um Brustkorb und Schultern mit einem Tau fest verbunden und zogen damit einen Lastkahn gegen die leichte Strömung. Schiffe wurden gezogen, gerudert oder gesegelt. Es war ein identischer Lastkahn, wie ich einen hatte: flach und breit. Flussaufwärts wurden Felle, Leder, gesalzener Fisch, Taue und Handwerkswaren transportiert. Eins der besten Geschäfte waren Waffen. Begehrt waren junge Frauen und Pfeilspitzen aus einem dunkelroten Metall. Diese drangen in die dicken Felle der großen Tiere besser ein als hölzerne. Alles wurde getauscht: Männer zum Ziehen der Kähne, Kinder und Frauen für die Felder und sonstige Arbeiten.


Vom Oberlauf des Flusses kamen Menschen nicht immer wieder zurück, stattdessen gelbes Metall, Holz und behauene Steine. Im oberen Flusslauf am Ende des Euphrat gab es einen kleinen Gebirgsbach. An dessen Ufern wurde Gold aus dem Schwemmsand gewaschen, das war seit ewigen Zeiten bekannt, denn der Bach begrenzte die Nordostseite der Täler vom Garten Eden. Die Flüsse Tigris und Euphrat sind seine Brüder im Westen und Osten bis auf den heutigen Tag.

Am Tauschplatz der Waren entstanden kleinere Siedlungen, die durch unsere Hilfe schnell größer wurden. Die Handelsplätze und Speicher wurden befestigt, bewacht und wuchsen zu Trutzburgen.

Am Ufer wurde mithilfe langer Bohlen vom Land aus unser Schiff entladen.


„Sei gegrüßt Haleb. Wie war die Reise?“

Der Mann, der vor mir stand, war einen Kopf größer als alle anderen. Selbst unter seinem Gewand konnte man noch den muskulösen Körper erkennen. Die Haut war dunkel, die Haare fielen ihm schwarz auf die Schultern und ein Goldband hielt die Pracht zusammen. Sein Gesicht war auf den ersten Blick ebenmäßig. Trotzdem senkten alle den Blick vor ihm, denn sie fürchteten seine Augen. Seine ganze Ausstrahlung hatte etwas Gewalttätiges, Furcht einflößendes. Schon als Knabe war er außergewöhnlich stark, schweigsam — ja finster!

Bisweilen ging ihm selbst seine Mutter aus dem Weg. Als er kaum geboren war, wollte ihn seine Mutter nicht mehr stillen. Sie kam zu mir und beschwerte sich: “Du hast einen Sohn gezeugt, der mir in die Brust beißt, wenn die Milch nicht schnell genug kommt. Die Schmerzen sind unerträglich: Soll ihn doch eine Amme stillen!“ Aber auch die Amme schrie vor Schmerz. So wurde er mit Kamel- und Ziegenmilch gestillt. Er war nicht wählerisch — Hauptsache satt werden.


Er lernte gut und verstand es meisterhaft die Menschen in seiner näheren Umgebung in seinen Bann zu ziehen und zu manipulieren, um seinen Willen durchzusetzen. Als Gleichaltrige noch Knaben waren, war er schon ein Mann. Durch seine immense Kraft zerbrachen seine Bögen aus Bambus oder Holz. Ich fertigte ihm einen aus dem Schädelknochen und Horn einer Antilope. Diesen Bogen hat er noch immer.

Ich bin stolz auf meine Söhne. Alle drei sind wahre Giganten an Körpergröße und Kraft; kein Mensch kann es mit ihnen aufnehmen.


Haleb liebt die Jagd; es ist ihm egal was er jagt, Hauptsache es hat Beine. Sinks ist hinterlistig, schlau und boshaft. Betschep liebt den Kampf über alles und seine Frauen samt Kinderschar. Alle drei waren schon als Kinder gewalttätig; auch untereinander.


Einmal, bei einem Abendmahl lagen wir ums Feuer. Da versuchte Sinks seinem Bruder Haleb ein Stück Fleisch von dessen Holzspieß zu entwenden. Als er die Hand mit dem Fleisch langsam zurückzog, nagelte Haleb den Arm von Sinks mit einem Messer auf die Holzplatte. Sofort stürzte sich Betschep auf Haleb. Haleb war noch dabei das Messer aus Holz und Arm zu ziehen, als ein gewaltiger Schlag von Betschep ihn zu Boden riss. Betschep stürzte sich auf den am Boden Liegenden, doch geschickt rollte sich Haleb weg, sprang auf und stürzte sich von hinten auf Betschep, riss ihn mit der linken Hand an den Haaren und die rechte Faust schmetterte auf die rechte Niere. Betschep schrie auf und blieb am Boden stöhnend liegen.


Sinks hatte sich inzwischen die Armwunde abgebunden. Er benutzte das Kopftuch einer Frau, die hinter ihm saß. Aus der Wunde quoll dickes dunkelrotes, fast schwarzes Blut. Doch es gab kein Jammern und kein Geschrei! Er öffnete und schloss seine Faust und dann stürzte er sich auf Haleb. Sein wütender Kampfesschrei warnte Haleb, sofort warf er sich zur Seite, so fiel Sinks auf Betschep der den Angriff abwehren musste!

Jetzt kämpfte jeder gegen jeden! Keiner von uns wagte es, die drei zu trennen. Alle anderen Anwesenden schnappten sich ein Stück Fleisch, Brot oder eine Schüssel mit Brei und setzten die Mahlzeit draußen fort.


Erst als unser großes Zelt über den Kämpfern zusammenbrach, kam einer nach dem anderen heraus gekrochen; alle blutverschmiert! Seit diesem Tage liegen sie nur noch getrennt an der Tafel.


Haleb war mir am liebsten von den dreien. Nicht weil er mein Erstgeborener war, … vielleicht, weil er so finster, so verschlossen war. Ich konnte es nicht genau definieren; solche Gedanken waren rein menschlicher Natur und ich vergaß manchmal, dass wir Lichtgestalten die Menschen lediglich als Wohnung benutzten.

Vor nicht allzu langer Zeiten waren wir auf der Jagd und hatten schon einen ganzen Tag auf Lauer gelegen. Uns wäre ein Löwe genau so lieb gewesen wie eine Antilope; selbst mit einem Hasen hätten wir zufrieden sein können. Doch auch in der Dämmerung kam kein Tier zur Quelle. Haleb war voller Zorn. Er sprach nicht, doch wer ihn nur ein wenig kannte, ging ihm jetzt besser aus dem Weg. Als es ganz dunkel wurde, brachen wir die Jagd ab.


Ein Jagdhelfer, ein junger Sklave mit schwarzer Haut und lustigem Gemüt, den ich gegen einen Sack Aussaat getauscht hatte, rannte und sprang durch die Büsche und rief: „Die Jagd ist aus, wir gehen nach Haus!“ Da hörte ich das Singen eines Pfeils und Halebs Worte: “Wer ... sagt ... das?“ Der Ton dieser Stimme ließ mich schaudern. Der Knabe fiel mit einem spitzen, erstaunten Schrei, als könne er nicht verstehen, dass eins seiner Beine ihn nicht mehr trug. Halebs Pfeil stecke in seinem Oberschenkel. Nun … er war mein Sklave! Wäre er Halebs Sklave gewesen, hätte er die Attacke nicht überlebt. Als Haleb begann, die Frauen in unserem Haus zu schlagen, die ihm nicht zu Willen waren, sandte ich ihn fort und gab ihm eine Aufgabe, bei der er sich bewähren konnte.


Wir konnten ihn nicht mehr ertragen. Die Sippe hatte nur Frieden, wenn er auf der Jagd war. Sein liebstes Wild waren Raubkatzen; vor allem die Löwen. Die Felle waren sehr begehrt. Er tauschte sie gegen alles, was er benötigte. Bewunderung und Angst vor ihm wechselten sich ab. Ich kannte keinen, der mit ihm vertraut war. Haleb brauchte ein Ziel, eine Aufgabe.


Ich hatte auf dem Fluss drei Handelsschiffe; hier sollte er von einem den Handel übernehmen. Die ständige Bewegung eines Schiffes war meiner Meinung nach genau das Richtige für diesen unruhigen Geist. Als er alles gelernt hatte, was nötig war, um einen Schiffskahn zu führen, wollte er selbst das Kommando übernehmen. Der Bootsführer lehnte lachend ab: „Das musst du mit deinem Vater ausmachen.“ Zwei Bootsleute standen schmunzelnd dabei.

Schon als Kind ertrug Haleb es nicht, ausgelacht zu werden. Den zwei Bootsleuten schlug er blitzschnell die Köpfe zusammen, sodass sie wie Eierschalen platzten. Der entsetzte Schiffsführer rettete sich mit einem Sprung in den Fluss. Seitdem führt Haleb das Kommando. Und bisher zu unseren Gunsten.


„Seid gegrüßt, Vater, die Reise hat sich gelohnt. Die neuen Speere und der Schild, die du mir schenktest, kamen gut zum Einsatz. Als wir am oberen Fluss an eine Biegung kamen, war eine Trosse von Ufer zu Ufer gespannt. Dort sind seichte Stellen, und als wir aufliefen, wollten sie uns niedermachen.

Dreißig Mann war die Rotte stark. Vom Ufer stürmten sie auf uns zu; doch wir waren vorbereitet. Die Pfeile lagen auf den Sehnen. Einige konnten fliehen. Fünf hab ich dir als Sklaven mitgebracht, die anderen mussten wir im Kampf erschlagen.“

Er sprühte vor Eifer und ich hatte den Eindruck, mit dem Erschlagen könnte er jeden Moment wieder anfangen.


Rund um uns war ein geschäftiges Treiben. Für seine beiden Brüder hatte er weder Gruß noch Blick. Als sie noch Kinder waren, sind sie ihm schon immer ausgewichen, denn alles ging nur nach Halebs Willen oder gar nicht.

Das Schiff war eigentlich nur ein 25 Schritt langer und 5 Schritt breiter Kasten. Zum Staken hatte es auf beiden Seiten die Laufplanken und in der Mitte einen kurzen Mast mit einer langen Stange, fast quer, an dem ein dreieckiges Segel befestigt war. Nur im hinteren Teil war das Schiff abgedeckt, ansonsten war es offen. Bei Sturm musste ein Mann ständig Wasser schöpfen, trotz des zähen Erdpechs, mit dem die Fugen abgedichtet waren.

Haleb drehte sich um und rief zum Schiff: „He Zanuck.

Binde die fünf neuen Sklaven wieder ans Schiff zum Wasserschöpfen.“ Dann drehte er sich zu mir um.

Ich musste zu ihm aufschauen, als ich ihn fragte: „Hast du meinen Auftrag erfüllt? Konntest du etwas heraus finden? Mich interessiert die Ladung nicht so sehr!“

Ich hatte vor meiner eigenen Vermutung Angst: die Überfälle und Toten. Die vielen Bluttaten auf der Erde würden nicht ungesühnt bleiben. Auch meine Söhne hatten Blutschuld auf sich geladen. Eines ihrer liebsten Spiele war es, Menschen zu fangen und über die fremden jungen Frauen herzufallen. Wenn die Männer ihrer Sippe sich verteidigten, kam es zum Kampf und darin waren meine Söhne sehr geschickt. Die Männer wurden nicht getötet, nein, das machte ihnen kein Spaß. Sie wurden verspottet, verhöhnt, ein bisschen gequält oder einige verkauft. Den Rest ließ man wieder laufen.


Die Welt war so schön, so perfekt — nur sicher war sie nicht. Durch die besondere Stärke meiner Söhne gehörten sie zu den Rücksichtslosesten. Keiner lebte nach Gesetzen. Jeder tat was ihm passte, denn außer der Blutrache gab es keine Sühne, Verfolgung oder Gesetz.

Jeder prahlte mit seinen Heldentaten und kleinen Raubzügen.

Der meiste Mutwillen richtete sich gegen die Urks.

Sie sahen den Menschen ähnlich, waren etwas kleiner und behaarter, sehr gute Jäger und immer auf Wanderschaft. Sie lebten in Zelten aus Fellen oder Laubhütten, aber auch in Höhlen. Sobald die Jagdgründe nichts mehr hergaben zogen sie weiter. Früher stahlen oder tauschten die Menschen von ihnen die Frauen, aber nie gebaren sie den Menschen Kinder. Sie waren zwar weitaus klüger als Affen aber vom regelmäßigen Arbeiten waren sie nur mühsam zu überzeugen. Als sich das nach einer Generation bei den Menschen herumgesprochen hatte, wurden sie nur noch verfolgt. Die Urks wurden immer seltener. Sie suchten weiter im Nordwesten, wo noch kein Mensch den Boden betreten hatte, neue Jagdgebiete.


Hier in der fruchtbaren Ebene zwischen den beiden Strömen, vermehrten sich die Menschen rasch und so hielt man sich an die, die schwächer waren, machte ihnen ihre Jagdgründe streitig, raubte sie aus und stahl ihre Frauen und Mädchen. Niemals gab es Kinder bei diesen Verbindungen. In Gefangenschaft, wenn sie arbeiten sollten, starben sie wie die Fliegen. Kleine Tauschgeschäfte waren möglich. Für einen Tonkrug, an einer Quelle in ihrem Gebiet abgestellt, gaben sie einige sehr schöne Felle. Früher lebten sie in den besten Jagdrevieren, doch als der Mensch kam und die gleichen Jagdgründe beanspruchte, mussten sie weichen.

Haleb sah mich von oben herab an. Sein wildes schwarzes Haar wurde von einem Lederband gehalten. Seine Miene gab kein Lächeln her und er berichtete.

„Ja, ja, du musst dir vorstellen: Einige Tagesreisen vom Fluss mitten im Wald bauen sie einen Kasten aus Holz, größer als ein Haus soll er werden. Es sind ständig Leute da, die sich das ansehen und die Bauherren verspotten. Es gibt kein anderes Gesprächsthema im ganzen Land.“

„Warum machen die das?“ fragte Betschep, mein Jüngster.

„Mit einem Sohn aus der Sippe, Cham hieß er, habe ich gesprochen“, sagte Haleb und fuhr fort: „Es ist nicht einer allein, es ist die ganze Familie. Sie bauen diesen Kasten weit vom Fluss auf trockenem Land. Die Leute rundum gehen hin und lachen, freuen sich und spotten über so viel Dummheit.

Die Geschichten von ihnen werden überall erzählt. Der Vater heißt Noe, er hat angeblich eine Stimme Gottes gehört, es würde eine Wasserflut kommen und alle Menschen wegspülen. Er solle jede Menge Tiere mitnehmen, Proviant und die gesamte Familie. Ich habe ihn gefragt, wie sein Gott heißt und er meinte: er hätte keinen Namen. Er sagt von sich, er sei der Anfang und das Ende, der Schöpfer aller Dinge, er habe sogar mit ihm gesprochen. Was soll´s, ein Verrückter.“„Vater ... was hast du?“

Mich packte eine Kraft, Angst! Alles Blut wich mir aus Gesicht und Beinen. Mir wurde schlecht. Ich fing an zu zittern, Speichel lief mir aus dem Mund. Ich wusste genau, von welchem Gott er gesprochen hatte. Wenn dem so war, dann war die Zeit hier vorbei und alle meine Pläne zum Bau meines Machtzentrums zunichte.


Ich wusste dieses Dasein, unser Sein auf der Erde, war auf Fleischeslust, Habgier und dem Willen zur Macht aufgebaut. Noch ein knappes Jahr … bis dahin musste ich an einem sicheren Ort, irgendwo möglichst hoch in den Bergen sein.

Doch momentan musste ich mich ganz ruhig verhalten. Wenn ich dies nicht tat, bekam dieser Körper wieder einen Anfall. Trotz meiner Beherrschung fiel mein Unwohlsein auf und Haleb und Sinks stützen mich.

Wir setzten uns auf einen Stapel Schnittholz. Langsam ordnete ich meine Gedanken und beruhigte mich wieder.

„Wie weit sind sie mit dem Bau?“ fragte ich.

„Nun, die erste Etage ist fertig. Es sollten drei werden. Warum ist es für dich so wichtig? Die werden nie fertig, es wird alles zusammenfallen!“, sagte er selbstsicher.

Betschep lachte und meinte: „So etwas Dummes! Wo soll denn das viele Wasser herkommen? Noch nie ist der Fluss so weit über die Ufer getreten. Da müsste uns schon der Himmel auf den Kopf fallen!“

Wir lachten alle über den gelungenen Spaß.

Aus seiner Sicht hatte er recht, wie sollten auch alle Wolken zu Boden fallen. Wenn nachts die Luft abkühlte, wurde durch den Tau der Nacht alles feucht. Der schwere Dunst benetzte die Erde und Pflanzen. Durch die dichte Wolkendecke wurden die tödlichen Strahlen der Sonne gefiltert. Doch was würde sein, wenn dieser Strahlenschutz zusammenbräche? Die Erde hatte noch nie einen Regenguss erlebt. Regen, selbst das Wort, war völlig unbekannt. Aber davon wusste ich zu dieser Zeit auch noch nichts.

Langsam ging es mir etwas besser, doch die Glieder meines Wirts beherrschte ich noch nicht gänzlich. Ich war noch von diesem Schreck geschwächt. „Wir werden das Land verlassen müssen. Holt mir die Sänfte und kommt mit nach Hause!“

Sie verstanden nicht. Meine Söhne waren erwachsene, furchtlose Männer geworden. Sie widersprachen auch nicht, denn ich war das Oberhaupt und sie hatten gelernt mir zu vertrauen. Ich denke, ich war der Einzige, dem sie gehorchten.

„Ja, Vater, warte noch; ich will euch allen ein Geschenk mitgeben!“, rief Haleb.


Er ging zum Schiff und kam kurz darauf mit sechs Frauen in seiner Begleitung zurück. „Das sind noch die Besten!“, sagte er.

„Wo sind die her?“, fragte Sinks.

Haleb zeigte seine weißen Zähne und streckte sich. „Am Oberlauf des Euphrat teilt sich der Fluss und es gibt dort in der Nähe eine starke Quelle. Dort blieben wir ein paar Tage, um uns diesen Kasten im Land anzusehen. Plötzlich spitzten die Hunde die Ohren, winselten leise und gaben sonst keinen Laut. Laut bellen war nicht erlaubt. Wir taten so, als hätten wir nichts bemerkt. Doch unsere Waffen hatten wir in der Hand. Als der Überfall kam, waren wir nicht überrascht.


Mit denen, die uns überfielen, waren wir schnell fertig, doch ließ ich es dabei nicht bewenden. Meine Männer setzten den geflohenen Angreifern nach, suchten und fanden nach zwei Tagen ihren Lagerplatz, und wir nahmen uns, was zu gebrauchen war. Einige von ihnen nahmen wir mit. Die Frauen und Kinder tauschten wir später gegen Oxid und etwas Gold.“Dabei gab er mir ein kleines Holzkästchen.

Es war erstaunlich schwer. Als ich es später öffnete, schimmerten gelbe Körner in verschiedenen Größen darin. Flussgold, das wertvollste aller Materialien.

Er schaute mich forschend an und erzählte weiter.„Den größten Teil dieser Sippe haben wir dann ungeschoren gelassen. Sie werden an ihren Feuern noch lange erzählen, wie eine wilde Horde über sie herfiel. Meinen Namen werden sie nicht vergessen und mir in Geschichten danken, dass ich sie am Leben ließ.

Diese Weiber hier habe ich behalten, sie gefielen mir noch am besten und ich habe sie für euch mitgebracht. Heute Abend am Feuer erzähle ich euch noch ein einmaliges Ereignis.“Das sagte er nicht ohne Stolz in seiner Stimme.

Haleb war zwar verschlossen und in seinem Zorn unberechenbar, aber nie geizig. Habgier war ihm fremd. Wenn er etwas erworben hatte, konnte er es auch teilen. Er verstand es, die Menschen an sich zu binden. Was er wollte war Macht. In diesem Punkt war mit ihm nicht zu spaßen. Ihm zu widersprechen konnte gefährlich werden.


Als Haleb seine erste Reise machte, hatte er keine Mühe Männer zu finden, die zum Oberlauf mitfuhren, obwohl es eine gefährliche Reise war. Bei seinen vielen Jagden hatte er eine Rotte Männer um sich geschart. Es waren raue, gefürchtete Kämpfer und es hatte sich an den Feuern herumgesprochen, dass mit Kannats Söhnen und seinen Männern nicht zu spaßen war, dadurch waren unser Land und unsere kleine Stadt von größeren Überfällen verschont geblieben.


„Oh, Bruderherz, vielen Dank! Im Namen aller Freuden bedanken wir uns!“ Betschep und Sinks verneigten sich lachend. Jeder von ihnen hatte schon einige Frauen. Doch Arbeit gab es genug und ihre Frauen würden sich freuen, Hilfe zu bekommen und Neues von anderen Sippen und Gebieten zu erfahren.

„Vater! Mach du den Anfang, such dir zwei aus!“, meinte Haleb.


„Das werde ich schön bleiben lassen. Wer weiß, was unter dem Dreck hervorkommt. Lasst uns das später zu Hause entscheiden, nachdem sie gereinigt sind.“

Die Männer lachten, sie verstanden sehr gut.

Meine Kräfte waren inzwischen zurückgekehrt, trotzdem ließ ich mich auf dem Rückweg tragen.


Inzwischen war es warm geworden. Der Fluss brachte keine Kühlung und der leichte Wind war, wie jeden Mittag, eingeschlafen. Die Luft flimmerte ein paar Ellen über dem Boden. Wegen der Wolken und dem Dunst, der die Erde umgab, erreichten direkte Sonnenstrahlen die Erde nicht, und so war es trotz der Wärme angenehm. Das grob gewebte Tuch, das als Baldachin vor unserem Haus und dem Brunnen gespannt war, gab ein angenehmes Zwielicht.

Normalerweise gab es zu den Mahlzeiten immer gekochten Getreidebrei. Doch heute war Haleb zurück, ein Grund für ein Festmahl. Wir saßen auf Matten um einige Holzteller, auf denen gekochtes Fleisch, Gemüse und dünne Brote lagen. In groben Tonschüsseln gab es eine fette Brühe, die mit Holzlöffeln oder direkt aus den Schüsseln getrunken wurde. Die Frauen und Kinder hatten ihren eigenen Kreis. Wer von den Kleinsten schon laufen konnte, ging dorthin, wo es ihm am besten gefiel, beziehungsweise wo es am meisten zu essen gab.


Die Söhne waren bei ihren Müttern und die Töchter ließen sich gern von den Vätern mit ein paar Leckereien verwöhnen. Ab dem zwölften Lebensjahr schlug diese Sitte ins Gegenteil um. Die Söhne wollten schon bei den Männern essen und die Mütter verboten ihren Töchtern bei den Männern zu sitzen.

Wir aßen in Frieden, gesprochen wurde kaum. Es wurde nicht hastig gegessen, aber doch stetig, denn die Schüsseln waren immer schnell leer.

Ich mochte es, wenn alle zusammen waren, es gab eine Stimmung des Vertrauens, der Sicherheit und Geborgenheit und der Zusammengehörigkeit.

Haleb wandte sich zu mir: „Vater, ich muss dir noch etwas Merkwürdiges berichten.„Eigentlich hatte ich vor, diesem Noe das Holz zu stehlen. Er hat jede Menge ausgezeichnetes, hartes Bauholz für seinen Kasten gesammelt. Schöne, bearbeitete Stämme, gesägte Bretter und Balken, die wir hier gut gebrauchen könnten. Es ist nur eine kleine Sippe, also kein Problem für uns. Es wäre ein Leichtes, die Männer zu überwältigen.


Wir wollten von einer Seite kommen, so dass sie zur anderen hätten fliehen können. Gut bewaffnet wie immer zogen wir los. Als wir in Sichtweite waren, überfiel mich und alle anderen plötzlich ein innerer Friede, eine Zärtlichkeit, Liebe zum Guten und Sanftmut … wir glaubten es nicht, schauten uns an und von innen heraus hatten wir das Gefühl, wir sollten unseren Plan nicht zu Ende führen. Irgendwie waren wir wie gelähmt. Uns fehlte jeder Mut und Kampfeswille. Wie geprügelte Hunde gingen wir zurück zum Schiff. Kein Wort fiel mehr, wir waren wie verzaubert. Am nächsten Morgen saß uns der Schreck vor unserer eigenen Güte noch in den Gliedern, immer noch stumm, legten wir ab.“


„Haleb“, sagte ich, „Noe und seine Söhne stehen unter dem Schutz des Höchsten, Cherubime bewachen sie. Auch der Garten Eden wurde von den Engeln so bewacht. Gut, dass ihr auf eure Gefühle hörtet und du nicht weiter gegangen bist. Ihr hättet es nicht überlebt. Durch das, was du erlebtest, wird auch bei uns eine Veränderung eintreten.“

Nachdenklich sah er mich an. Dann sprach er leise, denn es war nur für mich bestimmt:„Das ist noch nicht alles. Stell dir vor, auf dem Rückweg entdeckten wir ein großes befestigtes Lager, aus dem wir die Weiber entführten und gegen die Männer kämpften! Plötzlich ertönte eine helle, laute Stimme: „Im Namen des Höchsten, im Namen Jahs, hört auf mit dem Blutvergießen!“Wir hielten einen kurzen Moment inne. Wir wollten wissen, wo die Stimme her kam, da stand am Rande des Kampfplatzes ein älterer Mann. Er trug einen hellen Umhang, sein Haar war wie weiße Wolle, Waffen waren an ihm keine zu sehen; Aufhören im Namen des Höchsten! Im Namen Jahs, hört auf!“, rief er.

„Wer hat dich über uns als Richter eingesetzt?”, fragte einer meiner Männer. Der Kampf kam völlig zum Erliegen. Alle blieben wir, ob Freund ob Feind, stehen, wo wir gerade standen. Da fing der Alte wieder an: „Jah wird euch alle, die ihr voller Gewalt seid, strafen. Vor allem die Nefihlim wird er vernichten.“

Dabei schaute er mich an und kam zwischen uns allen, direkt auf mich zu. Ich dachte: Mut hast du, aber dir fehlt es an Klugheit. Dann sprach er mich direkt an: „Dein Vater war eine Lichtgestalt. Einer der Gottessöhne. Als die Wächter über die Erde eingesetzt wurden, damit nichts Ungerechtes ungesühnt blieb, wurden viele Wächter dem Höchsten untreu. Sie sind alle verloren. Lasst den Rest hier am Leben.“

Meine Männer lachten: „Mal sehen, ob du nicht andere Töne schreist, wenn du auf unseren Spießen steckst!“

Drei oder vier näherten sich ihm. Ich wusste, sie wollten sich einen Spaß mit dem Alten machen, bevor sie ihn töteten.

Ein paar Schmerzen würde er noch aushalten müssen.


Der erste Spieß berührte schon fast das Kleid des Mannes, als er, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, nach oben über den Boden schwebte und vor uns verschwand.

Er löste sich einfach in Luft auf. Wir waren sprachlos. Wir suchten ihn rundum. Verschwunden, einfach weg wie Zauberei … was weiß ich?

Jedenfalls verdankt der Rest der Sippe ihm sein Leben, denn die Lust zu kämpfen und zu töten war uns vergangen.

„Hast du seinen Namen gehört?“, fragte ich.

„Die Männer aus der Sippe sagten mir, er hieße Enoch oder so ähnlich.“


Die Geschichte machte mich noch nachdenklicher als ich schon war und nach dem Essen sprach ich zu allen: „Heute in sieben Tagen will ich unsere komplette Sippe hier sehen. Wir wollen für Haleb ein Fest feiern. Es sollen die Gekauften wie die Freien kommen. Alle, die in irgendeiner Weise zur Sippe gehören. Es wird eine besondere Feier; eine Feier der Freude, der Trennung und Entscheidung wird es sein, für uns alle. Wir werden zur Dämmerung beginnen, einige Hammel schlachten und gegorenes, berauschendes Gebräu trinken. Es wird ein Fest des neuen Anfangs werden, aber auch des Abschieds!“

Besonders die Frauen schauten mich fragend an. Doch sie waren es gewöhnt das zu tun, was ihnen gesagt wurde. Sie erfuhren sowieso alles … nachts, auf dem Lager. Sie hatten gelernt ihre Neugierde zu zügeln und bis dahin zu warten, unsere Schwachstellen zu finden und dort anzusetzen. So konnten sie all unsere Geheimnisse in Erfahrung zu bringen. Dieser Zärtlichkeit, Klugheit, Ausdauer und Neugierde war nur gespielte Gleichgültigkeit oder männliche Härte entgegenzusetzen.

Wir hatten gegessen und lehnten uns zurück. Noch war kein Platz für die Wahrheit, aber genug für eine tröstende Lüge.

„So, und jetzt holt mir die neuen Frauen.“

Außer ein paar Holzketten und einem Lendenschurz hatten die meisten nichts am Körper. Auf den ersten Blick wollte mir keine recht gefallen. Alle waren zum Arbeiten viel zu dünn und schwach. Für sonstige Spielereien zog ich Fleisch den Knochen vor. So ließ ich meinen Söhnen den Vortritt. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich jeder zwei ausgesucht hatte.

Was für mich übrig blieb, war eine sehr junge Frau, fast noch ein Kind, die vermutlich noch bei keinem Mann gelegen hatte und eine schöne, reife, ältere. An ihnen war nichts Besonderes was andere Weiber nicht hatten. Inzwischen waren sie gewaschen und die beiden mit einfachen Umhängen aus ganz feinem Rehleder ausgestattet, die an der Taille mit einer Holzschnalle gehalten wurden.

Die ältere war grazil und etwas größer, wobei mir die junge etwas klein und untersetzt erschien. Ihre festen Brüste zeichneten sich unter dem dünnen Leder deutlich ab. Ihr Blick war gesenkt, doch sie machte nicht den Eindruck von Furcht. Ich spürte Neugierde und eine erotische Ausstrahlung ging von ihr aus. Die würde auf dem Lager erst Ruhe geben, wenn sie, schreiend vor Lust wie eine Katze, den Samen empfangen hatte. Neugierig schaute hingegen die ältere der beiden mich an. Die hochgesteckte, mit einem Holzkamm gehaltene Frisur, hatte ich bisher noch bei keiner Frau gesehen. Sie gab den Blick auf einen Giraffenhals frei. Ob sie sich winden würde, wenn ich diesen mit Küssen bedeckte? Von ihrer elastischen Figur war nicht mehr viel zu erkennen.

In ihren großen schwarzen Augen konnte ich einen gewissen Spott erkennen, der mich wachsam werden ließ. Auch ihr Gang hatte etwas Wiegendes, Graziles. Ein gedrehtes Lederband war lose um das Gewand geschlungen. Diese Frau hatte etwas eigenartig Raubtierhaftes an sich.

Was sollte ich machen? Es waren Männergedanken nach

Zärtlichkeit und Begierde, die in mir hochstiegen.

Doch nicht nur ich hatte anscheinend diese Gedanken, denn die Gespräche waren verstummt und die Männer sahen diese ältere Frau an.

So etwas hatte uns noch gefehlt; die würde allen Männern nur noch den Kopf verdrehen und unser Friede wäre dahin.

Ganz leise erklang eine sanfte Melodie. Ich hörte sie nicht über die Ohren, sie war einfach in meinem Kopf. Es war nicht zu erkennen woher sie kam und doch wusste ich, dass die Melodie von dieser Frau ausging.

Haleb wendete den Blick von den Frauen ab und sah zu mir. Aha, auch er hörte die Melodie!

In diesem Moment schaute ich dieser Frau direkt in die Augen. Sie erwiderte meinen Blick und verstand, dass ich sie hören konnte, ohne dass ein Ton gesprochen wurde. Ihre Augen weideten sich etwas, ihr Mund lächelte und die Melodie wurde lauter und sinnlicher. Sie drehte mir eine Seite ihrer Hüfte zu und machte einen Schritt nach vorne als wolle sie tanzen. Dann senkte sich ihr Blick.


Ich wusste Bescheid: Sie war eine Magierin, hatte Verbindungen zu uns Lichtgestalten und war wahrscheinlich eine ihrer auserwählten Töchter.

Die Erkenntnis des Sehens war ihr eigen und sie war gezeugt von Kain, dem Brudermörder. Durch ihren meditativen Gesang hatte sie sich verraten. Wie sollte sie wissen, dass Haleb und ich sehr gut verstanden? Erst bekam ich einen Schreck, doch dann überwog die Freude. Schon sehr lange hatte ich von den anderen nichts mehr gehört.

Kains Töchter waren wunderschöne Weiber. Sie waren alle äußerst begehrenswert und liefen ohne Scheu den Männern nach. Jeder Mann wollte sie besitzen; doch sie gehörten nur sich selbst. Wenn ein Stärkerer auftauchte, gingen sie mit ihm. Zur täglichen Arbeit waren sie nicht zu verwenden, aber tanzen konnten sie. Kains Töchter hatten von Jubal, dem Sohn Lamechs gelernt die Flöte, Trommel und Zimbel zu spielen. Sie verbreiteten an den Feuern Spiel und Tanz, Gelächter und Wollust. Sie hatten nicht nur die Männer verführt, ihre innere Freude und Begierde begeisterte auch uns Wächter. Wir materialisierten uns und nahmen jede, die gefiel, freuten uns mit ihnen an dem erotischen Spiel. Es war das heiße, temperamentvolle Blut ihres Vaters. Ihr Schoß konnte nie genug bekommen. Ihre wollüstigen Schreie erfüllten das ganze Lager, steckten alle Männer und Frauen an.

Die in Kains Töchter eingegangenen Geistwesen lehrten sie die Kräfte, die in den verschiedenen Pflanzen sind. Sie lernten Heilen und Gift mischen. Durch die Kunst gegorene Säfte als Rauschmittel herzustellen, waren sie in der Lage, alle in ihrer Rotte in einen Rauschzustand zu versetzen. Feierten sie Feste, dann war kein Jüngling, kein Mann und kein Weib mehr ohne Begierde.

Je älter Kains Töchter wurden, desto mehr gelüstete es sie und ein Mann war ihnen nicht mehr genug, so trieben sie es mit mehreren gleichzeitig, ganz ohne Scham, und verführten die anderen, es ihnen gleichzutun.

In solchen Lagern kannten die Väter ihre Söhne nicht und die Söhne wussten nichts von ihren Vätern. Es wurden wilde Menschen: Liebe, Güte und Erbarmen waren unbekannt. Sie lebten von Raubzügen, der Jagd und ihrer Wollust. So vermehrten sie sich schnell. Es wurden viele und nur die Jagd allein konnte nicht mehr alle ernähren so kehrte auch der Hunger ein.Daher hatten nur die kräftigsten Säuglinge eine Chance zu überleben.

Für eine erfolgreiche Jagd riefen die Jäger ihre Schutzgeister an, meist waren sie in Form von geschnitzten Holzfiguren gehalten. Die Stärke und Gerissenheit der Tiere bei der Jagd wurde bewundert und verehrt. So hatte jede Sippe ihren eigenen zugehörigen Schutzgeist in Tierform. Aber auch außergewöhnliche Bäume oder Felsen wurden von uns als Wohnstätte benutzt. Die Menschen spürten die besondere Umgebungsaura, brachten Gaben dar und beteten an; wir genossen diese Verehrung.

In einer tiefen, sich weit öffnenden Schlucht am Fuße des Berges Nisir sprudelt eine starke Quelle direkt aus dem Fels. Diese Quelle gilt als Heilquelle, die Leben spendendes Wasser hervorbringt. Immer wieder kamen Menschen und beteten die Quelle an. Wer sich an sieben Tagen den ganzen Körper wusch, wurde von Hautkrankheiten und Wunden geheilt. Das war kein großes Wunder, was die unseren da vollbrachten, gemessen daran, dass die Menschen sich selten wuschen. So nutzten wir den Ort, um uns anbeten zu lassen. Ihre Holzfiguren-Götter ließen die Geheilten als Dank zurück und einige von uns fuhren in diese Bilder hinein; wohnten in ihnen. Viele von uns wurden somit in diesen Figuren angebetet.

Wegen seiner Stärke und Mutes war das Bild eines Stieres das beliebteste; er nahm es sogar mit einem Löwen auf; diese Figur nannten sie Baal.

Zu Neumond wurden an der Quelle Befruchtungsorgien abgehalten und in ihrer Ektase verbrannten sie einen frisch geborenen Sohn als Opfer für ihren Gott Baal. Immer waren Kains Töchter dabei und heizten die Stimmung mit ihrem Flötenspiel, Trommeln, Gesang und wilden Tänzen an.

Solch ein Weib hatte in einem Sippenlager großes Ansehen. Sie riß die Menschen in Tanz und Spiel mit sich. So erhielt sie Macht über die anderen Frauen und verstand es, die stärksten Männer zu umgarnen und für sich einzunehmen.

Die Zeit hatte mich eingeholt. Ich befürchtete schon seit Langem, dass ich irgendwann so eine Wilde in meiner Stadt haben würde, und ausgerechnet mein Sohn schleppte sie mir nun an.

In Gedanken versunken war ich ganz abwesend: Wir sind Gefangene der Erde. Hier vergeht die Zeit so unbegreiflich langsam und kommt doch so schnell zum Ende. Was jetzt zu mir hochgekrochen kam, war wieder die Angst … sie kam wie ein kalter Schauer vor dem Unvermeidlichen. Wo ist die Öffnung, wo der Schlüssel, um zu entkommen? Was wir auch immer versuchen, um wie früher zur gleichen Zeit an mehreren Orten zu sein, es ist nicht möglich! So sind wir doch immer Gefangene des Moments.


Ich stand auf ging in das große Zelt, das ich extra zum Fest hatte aufbauen lassen und zog mich zurück. Keiner sollte meine Schwäche sehen. Schon einmal war ich in Tränen ausgebrochen. Ich wollte mich beherrschen und die Traurigkeit nicht zulassen, doch sie kam wie ein Gewitter über meinen Körper und die Tränen liefen unaufhörlich. Ich versuchte die Flut zu stoppen, doch ich verging in Selbstmitleid. Aber je mehr ich weinte, desto erleichtert fühlte ich mich.


Nach einiger Zeit flossen die Tränen nur noch, um mich befreiter zu fühlen. Als dieses Gefühl kam, hörten die Tränen auf. Ich fühlte mich besser. Jederzeit würde ich wieder weinen, wenn nicht vorher diese Trostlosigkeit wäre.

Ach, wären doch Tränen und Weinen aus Traurigkeit zweierlei! Dennoch hatte sich nichts verändert. Ich wurde sogar fröhlich, denn ich lernte den Menschen immer besser kennen und seinen Körper beherrschen. Nach einer kleinen Weile ging ich wieder zurück zum Lagerfeuer.

Nehu war ein freier Mann. Trotzdem blieb er bei mir. Er sah seine Aufgabe darin, mich zu beschützen. Groß, breitschultrig gewachsen war er ein tapferer, begabter Krieger. Aber auch feinfühlig genug, um ein guter Schnitzer zu sein. Mit seinen scharfen Feuersteinmessern schnitzte er aus Horn oder Elfenbein kleine Figuren und Amulette. Jede der beiden neuen Frauen legte ich unser Sippenamulett um den Hals. Jetzt gehörten sie zu meinem Besitz.

Die feine Melodie war inzwischen lauter geworden.

„Wie ist dein Name?“

„Akida!“

„Schlagt die Trommeln! Akida wird für uns tanzen. Doch lasst euch nicht verführen sie anzufassen; sie gehört mir!“

Langsam ertönte der Trommeltakt. Schlangengleich bewegte sie ihren Körper. Den Kopf warf sie lachend in den Nacken, nahm einigen Männern das Trinkhorn aus der Hand und während ihre Füße sich zum Takt bewegten, ließ sie den gegorenen Saft in ihren Mund und an sich herunter rinnen.


Das feine nasse Leder schmiegte sich an ihren Körper. In diesem Moment setzte eine Flöte ein und der Tanz wurde schneller. Aus unseren Reihen schlugen einige Frauen die Hände im Takt zusammen. Die Männer riefen: „He-ha, he-ha“ und feuerten Akida an. Ihr Tanz wurde aus ihrer Bewegung und Elastizität heraus noch schneller. Sie stand auf den Zehenspitzen und drehte sich um ihre Hüfte. Vor einem Mann tanzte sie immer wieder ganz nah, sah ihn mit Begierde in den Augen an, als gäbe es nur ihn.


Der junge Mann sprang auf, wollte sie anfassen und mit ihr tanzen. Er hatte anscheinend meine Worte vergessen.

Ein Wink an Nehu und der Mann lag im Sand. Ein anderer trug ihn fort.

Das Feuer loderte hell auf und laut lachend tanzte sie weiter, wurde immer schneller. Das nasse Rehleder war von ihrer Schulter gerutscht und sie tanzte nur noch mit einem Schurz. Ihre Haut glänzte und die Brüste wippten zu ihren kleinen, schnellen Schritten.

Die Arme gingen über ihre Kopf und die Hände bewegten sich wie tausend Schlangen, dann löste sich das lange, pechschwarze Haar und fiel in den Rücken, beim Tanzen und Drehen über ihre nackten Brüste. Die Beine waren die einer Gazelle, doch ihr Körper war gespannt wie ein Leopard während des Angriffs. Die Bewegungen ihres Leibes forderten auf, sie zu nehmen. Immer schneller wurde ihr Drehen. Sie winkte der Trommel zu, immer schneller und schneller zu schlagen, dann ließ sie sich bebend, wild zuckend in den Sand fallen und ihre Schenkel öffneten sich.


Die Trommel, das Händeklatschen, die wilden Schreie verstummten. Für einen Moment blieb jede Bewegung in sich erstarrt.

Behände sprang ich hinzu und warf meinen Umhang über sie. Ich hatte das Gefühl, alle jungen Männer wollten sich auf mich stürzen und sie mir entreißen. Als ich mich bückte, schlug sie ihre Arme um mich, ihre Zunge kitzelte meinen Hals, ging ins Ohr und sie flüsterte leise: „Nimm mich — nimm mich jetzt sofort, vor allen anderen. Lass uns einen Sohn zeugen!“

Ich nahm sie auf und wollte sie ins Haus tragen, doch ihre Beine umklammerten meine Hüften, sie warf sich nach hinten und schon war ihre Hand unter meinem inneren Kleid und suchte mein Glied zu fassen. So rannte ich zu meinem Zelt. Die Männer und Frauen, die es sahen, grölten und jauchzten mir hinterher. Der Trommel gab ich ein Zeichen und das Fest ging weiter. Heute Nacht würde so mancher Sohn gezeugt — aber nicht von mir!

Im Haus warf ich mich mit ihr auf mein Lager und drückte sie fest unter mich. Sie wand sich und wollte frei ihren Trieb entfalten. Dann sprach ich zu ihr: „Du bist doch eine von uns, lass ab!“


Akida wand sich weiterhin lautlos unter mir.

Eine tiefe Stimme kam aus ihrem Inneren und nicht nur meine Ohren hörten sie: „Wer bist du?“

„Ich bin Halenabis und bin mit den ersten 600 gekommen!“

„Ich bin Tara, einer der ganz kleinen Engel. Mein Herr war Arasjal. Ich habe von dir gehört, Halenabis. Viele haben dich gesucht. Doch du wolltest nicht mehr mit den anderen die Erde in Gemeinschaft mit uns in Besitz nehmen. Sie glaubten, du hättest den Abfall bereut. Jetzt zeig deine wahre Größe! Alle werden von dir sprechen. Komm, komm … lass´ uns einen Sohn zeugen, du bist noch erregt, ich spüre es in meiner Hand. Zwei Lichtgeister versucht durch die Menschen einen Nachkommen zu zeugen. Wenn es gelänge, würde er Großes vollbringen!“

Akida versuchte mich zu küssen, ihr wilder Körper wand sich unter mir, ihre Hand suchte mein Geschlechtsteil in sich einzuführen. Allein würde ich ihr nicht widerstehen können. Noch einen Sohn zeugen? Er würde nur noch ein weiterer Unheil stiftender Riese. Von dieser Art gab es schon genug auf der Erde. So rief ich so laut ich konnte: „Nehu!“

Er war von mächtiger Gestalt und Größe, ein kleiner Gigant in meiner Nähe. Zwei Köpfe größer als ich.

„Komm, hilf mir, binde sie, bring´ sie von hier fort! Am besten du schlägst ihr den Kopf ab oder lässt sie im Euphrat ersaufen!“

Er zögerte, mit anzufassen. Natürlich verstand er meine Handlungsweise nicht. Er wusste ja nicht, welcher Dämon in ihr war. Tara würde sich ein anderes Opfer suchen. Doch als Akida meine Worte hörte, wurde sie unter mir ganz weich, ruhig und schmiegsam.

Sie ließ von mir ab, nahm beide Hände und legte sie um mein Gesicht:

„Herr, sei barmherzig, ich werde mich zähmen. Lass´ mich bei dir, ich kann dir sehr nützlich sein deine Macht zu stärken, ich kenne viele Heilpflanzen. Lass´ mich dir und den deinen dienen!“

Erwartet hatte ich, dass sie schreiend Verwünschungen ausstoßen würde. Aber mit einer solchen Milde und Klugheit hatte ich nicht gerechnet. Sie war schlau wie eine Schlange. Nun ja, so eine Zauberin auf meiner Seite zu wissen und einen meiner Brüder in ihr, war für das, was ich vorhatte, eventuell von Nutzen.

„Gut, wir werden sehen. Falls du aber auch nur das Geringste gegen mein Haus im Schilde führst, ist dein Ende besiegelt. Nehu, bring sie in dein Gemach. Mach mit ihr was du willst, aber lass’ sie nicht raus!“

Kein Wort kam über seine Lippen. Er hob sie leicht wie eine Feder auf. Ich wusste genau, was passieren würde: Sie würde Nehu verführen und ihre Lust an ihm stillen. Sollte sie nur. Nehu hatte alle seine Frauen verloren, sie waren dahingesiecht und jetzt wollte keine mehr sich mit ihm einlassen, denn sein Glied war so groß wie das eines Esels. Ich rief ihm noch hinterher: „Wenn sie schreit, halte ihr den Mund zu!“


Solch eine Frau ohne einen Mann in der Siedlung zu haben brachte alles durcheinander. Sie hatte weder mich noch einen meiner Söhne bekommen. Damit zeigte ich ihr, von welch geringem Wert ich sie erachtete. Sie würde es zur Kenntnis nehmen und versuchen mein Wohlwollen zu erlangen. Trotzdem war Vorsicht angebracht.

Ja, Tara hatte recht: Ich hatte es bereut. Was gäbe ich darum, noch im ersten Universum beim Vater zu sein und bei meinen Brüdern. Ich hatte mich, wie so viele von uns, von Satanel, dem schönsten Engel Gottes verführen lassen. Doch er wurde durch seinen Machthunger zum Höllenengel und sein neuer Name wurde Satan. Er würde nach der bestimmten Zeit alles verlieren und die Seinen mit ihm. Als ich das verstand, hatte ich mich schon mitreißen lassen; ich wusste, es gab kein zurück!

Ich trauerte drei Zeiten, denn ich sollte und wollte meinen Weg auf der Erde alleine gehen, ohne die anderen. Wir hatten alle unsere Erfahrungen gemacht.

Wenn wir mit mehreren einen Wirt benutzten, dann verändert sich sein Verhalten: Er war nicht mehr er selbst. Er bekam Anfälle von Tobsucht, sein Gehirn setzte aus und er wurde häufig ohnmächtig, konnte keine Nahrung mehr aufnehmen oder bei sich behalten.

Die gesamte Steuerung der Motorik fiel mehr oder weniger aus. Einen Menschen über längere Zeit als Wirt zu benutzen funktionierte nur mit einem Einzelnen von uns. Selbst dann war es noch schwierig, da wir ihn nicht mit unserem gesamten Quantenwissen konfrontieren konnten. Dazu war sein Gedankenspeicher viel zu klein. Um den Wirt zu steuern und dabei seinen körpereigenen Ablauf nicht zu stören, erforderte es Feingefühl und Geduld. In seine Persönlichkeit sollte nicht eingegriffen werden, er musste das Gefühl haben, er träfe alle Entscheidungen aus sich selbst heraus.

Hatte ich mich an einen Wirt gewöhnt, ihn angepasst, seine Identität übernommen, so versuchte ich ihn so lange als möglich zu behalten. Es war ihm nicht bewusst, dass er nicht er selbst war — er lieh mir nur seinen Körper. Die Kraft des Geistes war ich. So wurde der Wirt überheblich und glaubte, seine großen Fähigkeiten kämen aus seinem eigenen Genie. Wenn ich ihn verließ, verlor er in kurzer Zeit die Macht über die Menschen und wurde von ihnen verstoßen oder getötet.


Jetzt war wieder einmal die Zeit gekommen, es stand eine Trennung bevor. Die Frage für mich war jetzt: Sollte ich in ihm bleiben oder springen? Kannat war im Moment in einer sehr guten körperlichen Verfassung, daher würde ich seine Hülle gerne behalten, auch war ich mit ihm gut eingespielt und ein neuer Wirt machte anfangs immer Probleme. Doch wie auch immer: Die Entscheidung würde ich dieses Mal meinen jetzigen Nachkommen überlassen. In sieben Sonnenaufgängen würde ich es wissen.

Sehnsucht nach Zärtlichkeit

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