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5) Die letzte Fahrt
ОглавлениеAnfang des 17.Jahrhunderts, der Freiheitskampf der Niederländer gegen die spanischen Unterdrücker befand sich auf seinem Höhepunkt, gelang den Spaniern 1635 die Eroberung der Festung Schenkenschanz, die vor den Toren von Kleve auf einer Insel zwischen Rhein und Waal lag. Diese Anlage wurde ab 1586 von einem Obristen Namens Martin Schenk von Nideggen errichtet, der in niederländischen Diensten stand. Doch die Spanier konnten sich nicht lange dieses Sieges erfreuen. Nur kurze Zeit wehte das Banner Philipps II über den Festungsmauern, dann machte eine neunmonatige Belagerung und die Pest der spanischen Herrschaft ein Ende. Dies nur als Hintergrundwissen um zu verstehen, was während dieser Zeit geschah. Die Belagerungsarmee ließ den Spaniern keine Möglichkeit zur Flucht über Land. Dazu hätten Sie mit Schiffen ans Festland übersetzen müssen, wo die Freiheitskämpfer schon auf die verhassten Besatzer warteten. Die einzige Möglichkeit Entsatz und Verpflegung herbei zu schaffen, bestand über Rhein und Waal. Wer heute auf dem Rheinstrom die Schenkenschanz passiert ahnt nichts von der tückischen Gewalt, die vor mehr als 350 Jahren das Fahren mit Schiffen auf Rhein und Waal zu einem gefährlichen Abenteuer machte. Vor allem nachts. Denn nur in der Nacht konnten sich die Spanier für ein paar Stunden aus der würgenden Umklammerung der Niederländer befreien. Ständig änderte der Strom seinen Lauf, und die Frühlingshochwasser jagten in brausendem Strom der Nordsee zu. Lastkähne verkehrten zwischen dem nordwestlich gelegenen Nimwegen, wo die Spanier ein großes Nachschub Depot unterhielten. In einer dieser Hochwasser-Nächte im Mai muss es gewesen sein, als ein schwer beladenes Lastschiff, bestückt mit Segel, Rudermannschaft und Steuermann einen Zug spanischer Soldaten zur Schenkenschanz schippern sollte. Die gurgelnden Wasser schmatzten gierig am hölzernen Rumpf des Schiffes, und ein um das andere Mal mussten Steuermann und Ruderer alles geben, um das Schiff in der Fahrt zu halten und gegen den gefährlichen Strom manövrieren. Dann schälten sich aus dem Dunkel der Nacht die Umrisse der Festung heraus. Wie ein Stein gewordener Dämon erhob sich das düstere Mauerwerk aus den Fluten des Rheinstromes, und aus den Öffnungen der Schießscharten fiel hin und wieder ein Lichtschein, der sich ängstlich an die bemoosten Steine klammerte.
„Es ist geschafft, gleich landen wir an“ rief der Steuermann gegen den Wind und die schäumende Flut an.
Die Männer im Schiff atmeten auf und frohlockten ob der sicheren Obhut, die sie gleich empfangen würde. Schon erkannten die Fahrensmänner die Gesichter der Wachen, die ihnen durch die Nacht mit hellen Tüchern zuwinkten, ein bestimmtes Signal, das zu jeder Fahrt geändert wurde, um dem Feind keine Möglichkeit zu geben, die Festungsmannschaft zu attackieren. Was dann geschah konnte später niemand mehr genau beschreiben, weil es zum einen Nacht war und zum anderen sehr schnell ging. Das Schiff muss auf eine neu entstandene Untiefe geraten sein; Sand, Geröll und Treibgut mischte der brodelnde Strom zu gefährlichen Barrieren auf; der Lastkahn fuhr sich fest, stellte den Rumpf quer, der sich nun, angeschoben durch die gewaltigen Wassermassen, wie ein großer Baumstamm aus der Flut erhob. Ein Schreien und Brüllen setzte ein, Befehle wurden erteilt, die niemand mehr befolgen konnte oder wollte. Das gesamte Schiff drehte sich krachend und splitternd um sich selbst, der rotbraune Kiel mit Schiffsboden schimmerte für einen kurzen Moment im fahlen Mondlicht, und nur wenige Augenblicke später war vom Schiff, von der Ladung und der Besatzung nichts mehr zu sehen. Nur das grässliche Schreien der Ertrinkenden hallte über die erbarmungslosen Fluten dahin, bis es in der Finsternis erstarb. Das liegt mehr als 350 Jahre zurück und war sicher ein tragisches Ereignis. Aber das ist nur die halbe Geschichte. Besuchen sie das Dörfchen Schenkenschanz auf der heutigen Halbinsel im Rheinstrom bei Kleve. An schönen Sommertagen ein idyllischer Ort, der die Sorgen des Alltags im Handumdrehen vergessen macht. Doch wenn die Frühlingshochwasser kommen, die ganz Großen, Mächtigen, die alles Verschlingenden – dann sollten Sie tunlichst Ihren Fuß nicht auf die Schenkenschanz setzen. Von den mächtigen Mauern des Bollwerks ist nichts mehr zu sehen, es wurde im 19.Jahrhundert geschleift. Aber wenn sich die Geschehnisse jener Maitage jähren, sich in einem jener mörderischen Frühlingshochwasser verdichten, dann erhebt sich die alte Festung wie von Geisterhand getrieben aus den schäumenden Fluten – wie damals in jener dunklen Nacht, die dem Schiff und seiner Besatzung zum Verhängnis wurde. Sollte es Sie aber doch auf die Insel verschlagen, dann lauschen Sie in der Nacht den Stimmen des Stromes. Es sind nicht nur die Einheimischen, die das klagende Hilfegeschrei der Ertrinkenden vernehmen. Die aufgewühlten Fluten spülen die Seelen der Spanier vom Grund des Flusses an die Oberfläche – wo sie vergebens um Rettung und Erlösung rufen.
Morituri te salutante - die Todgeweihten grüßen dich.