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1. Kapitel – Schrecken in der Morgenstunde

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Robert Müller, ein pensionierter Polizeikommissar, spazierte, wie fast jeden Morgen seit sie auf Norderney Urlaub machten, mit seinem Hund zu dem Strandkorb auf dem Hundestrand, den er mit seiner Frau Nanni während ihres Aufenthalts hier fast den ganzen Tag bewohnte. Es war sie gewesen, die darauf gedrängt hatte, dass sie sich einen Hund anschaffen sollten. Sie befürchtete, dass ihr Mann ansonsten zum Stubenhocker werden könnte, nachdem er seinen Beruf aufgeben musste. Und das wollte sie weder sich noch Robert antun.

Den mittelgroßen Mischling aus Retriever und Bordercollie mit buntgeschecktem, vor allem nudelfarbenen, Fell, wie es ihr Sohn mal bezeichnet hatte, hatten sie Aika getauft. Den Namen hatte seine Frau in einem kleinen Buch mit ostfriesischen Vornamen gefunden und fand ihn sehr passend für das neue temperamentvolle Familienmitglied. Schließlich sollte der Hund einen schönen Namen haben, der einprägsam war und sich leicht rufen ließ. Ihren eigenen Namen, Erna, fand sie ausgesprochen fürchterlich und sie hatte es ihren Eltern bis an deren Lebensende nicht verziehen, dass die sie so getauft hatten. Robert nannte sie deswegen Nanni und nur wenn es zwischen ihnen mal etwas knirschte, griff er auf den ungeliebten Taufnamen zurück. Aber das kam eigentlich relativ selten vor.

Aika, die fröhlich vor Robert herumtollte, den schönen Morgen genoss und alle möglichen Stellen ausgiebig beschnüffelte, ahnte nicht, dass sie sozusagen als therapeutische Maßnahme in die Familie Müller gekommen war. Es war für Robert ein ziemlicher Schock gewesen, als man ihm eröffnete, dass er auf Dauer dienstunfähig sei und in Pension gehen müsse. Denn er liebte seinen Beruf. Als Kripobeamter hatte er jahrelang engagiert und meist erfolgreich gegen kleine und große Ganoven ermittelt. Aber nachdem ihn ein Zuhälter bei einer Razzia im Hamburger Milieu mit einem Schuss in den linken Oberschenkel außer Gefecht gesetzt hatte und die Ärzte während des Klinikaufenthalts bei ihm auch noch Bluthochdruck und eine Schilddrüsenunterfunktion festgestellt hatten, eröffnete ihm sein Vorgesetzter, dass er nicht mehr dienstfähig sei und bei seinem Alter eine vorzeitige Pensionierung erfolgen müsse. Robert war entsetzt. Pensionär = altes Eisen! Dazu fühlte er sich noch zu jung. Sein langjähriger Freund Jürgen, der als Personalratsvorsitzender seiner Dienststelle schon öfter mit solchen Fällen zu tun hatte, riet ihm jedoch das Angebot anzunehmen, denn ein Widerspruchsverfahren hätte kaum Aussicht auf Erfolg. Und eigentlich könne er doch zufrieden sein. Seine Frau und er besaßen doch ein hübsches, kleines Reihenhaus am Rande der Stadt. Eine Beförderung könne er auch nicht mehr erwarten und falls, wider Erwarten, seinem Widerspruch gegen die vorzeitige Zurruhesetzung stattgegeben würde, müsse er damit rechnen auf einen ‚ruhigeren‘ Dienstposten versetzt zu werden. Ob er damit zufrieden sei? Robert fügte sich ohne Begeisterung in sein Schicksal und als er mit seiner Nanni die Gestaltung ihrer Zukunft besprach, kam sie auf die Idee, dass sie sich einen Hund anschaffen sollten. Damit wären sie gezwungen, sich auch bei schlechtem Wetter zu bewegen und an die frische Luft zu gehen. Robert war in seinem Elternhaus zwar mit Hunden groß geworden, aber danach hatte kein Haustier mehr einen Platz in seinem Leben gehabt. Schon bald nach seiner Ausbildung hatte er Nanni kennengelernt, die damals an der Uni Sprachen studierte. Kurz nach ihrem Abschluss als Diplomdolmetscherin und -übersetzerin hatten sie geheiratet und bald danach kam ihr Sohn Heiko auf die Welt. Aber jetzt, da er mehr Zeit für sich und seine Frau hatte, freute er sich, dass Nanni die Idee mit dem Hund gehabt hatte. Eine Nachbarin, die selbst Hundebesitzerin war riet ihnen, sich mal im Tierheim umzusehen. Schon im ersten Zwinger entdeckten sie eine hübsche Mischlingshündin mit einem lustig bunten Fell, die ihnen auf Anhieb gefiel. Das schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn der Hund guckte sie neugierig freundlich an und wedelte fröhlich mit dem Schwanz.

Wie jeden Morgen in diesem Urlaub war er mit Aika erst zum Inselbäcker gegangen, um dort ein paar belegte Brötchen einzukaufen. Nach einem kurzen Besuch der Hundewiese, bei dem Aika zu ihrem Leidwesen zu so früher Stunde noch keinen ihrer Spielkameraden getroffen hatte, gingen sie zu ihrem Strandkorb und machten es sich dort gemütlich. Nanni würde hoffentlich bald mit der Thermoskanne voll Kaffee kommen und dann konnten sie gemeinsam frühstücken. Bis dahin genoss Robert die morgendliche Stimmung am Strand, die durch das Rauschen der sich brechenden Wellen eindrucksvoll akkustich untermalt wurde. Er nahm sein Buch, das er gerade las, aus der Strandtasche und vertiefte sich in den spannenden Historienroman, den ihm sein Buchhändler empfohlen hatte. Doch trotz der dramatischen Ereignisse auf Schloss Rüberswald fielen ihm bald noch einmal die Augen zu. Er merkte noch, dass Aika sich neben ihn in den Strandkorb kuschelte und dann übermannte ihn die Müdigkeit endgültig.

Im Traum reiste er mit Nanni und Aika gerade durch Frankreich und genoss dort ein köstliches Menu, als ihn ein hysterischer Schrei aus dieser friedlichen Atmosphäre riss.

„Hilfe, Hilfe ein Arzt muss her!“, drang es in sein Bewusstsein vor. Er konnte wegen der dicht gestellten Strandkörbe zwar niemanden sehen, aber die Stimme kam ganz aus seiner Nähe. Auch Aika war wach geworden und sprang aus dem Strandkorb. Sie schaute abwechselnd in die Richtung, aus der die Stimme kam und zu ihrem Herrchen, als ob sie sagen wollte: „Nun beweg dich! Irgendetwas ist doch da los.“ Die weibliche Stimme schrie immer wieder nach Hilfe. Robert beeilte sich nun und rannte in die Richtung, in der er die Frau vermutete. Nur zwei Strandkörbe von seinem entfernt stand eine etwas füllige Frau, zeigte in den Korb vor ihr und schrie immer wieder: „Hilfe, Hilfe ein Arzt!“

Als Robert die Ursache für ihre Aufregung sah, legte er der Frau, die in dem Strandkorb lag zwei Finger auf die Halsschlagader. Der Hals war kalt und einen Pulsschlag konnte er nicht fühlen. An die aufgeregte Frau gerichtet, murmelte er nur:“ Die braucht keinen Arzt mehr, allenfalls einen Bestatter.“ Er wandte sich der heftig keuchenden Blondine zu und versuchte sie ein wenig zu beruhigen.

„Wo ist denn Ihr Strandkorb? Ich bringe Sie eben dort hin und kümmere mich dann um das Weitere hier.“

„Aber der Frau muss doch geholfen werden!“, stammelte sie und zeigte immer wieder auf den leblosen Körper vor ihnen.

„Ja, das mach ich schon.“, versprach Robert und zog sie von dem Strandkorb weg, so dass sie nicht mehr auf die Tote gucken konnte, die dort lag. Sie bot wahrlich keinen schönen Anblick. Aus ihrer Brust ragte ein Messer, das nur noch zum Teil zu sehen war und ihr Oberkörper war blutverschmiert. Offensichtlich war sie ermordet worden. Auf den ersten Blick schien es sich um eine jüngere Frau zu handeln, doch als Robert sich die Leiche intensiver anschaute, taxierte er sie doch eher auf Mitte bis Ende dreißig. Ihr gepflegtes Äußeres hatte sie zunächst jünger aussehen lassen. Bekleidet war sie mit einem modischen T-Shirt und dazu trug sie hellblaue, hautenge Jeans. Das deutlich sichtbare Firmenlabel des T-Shirts deutete darauf hin, dass die Tote nicht nur einen guten, sondern auch einen teuren Geschmack gehabt haben musste. Obwohl es an diesem Morgen noch recht frisch war, konnte Robert allerdings nirgendwo eine Jacke oder Ähnliches entdecken.

Robert brachte die aufgeregte Urlauberin, die die Leiche entdeckt hatte, zu ihrem Strandkorb und stellte sich auf dem kurzen Weg vor. „Ich bin Robert Müller, Kriminalhauptkommissar a.D. und wie heißen Sie?“ „Ich heiße Rita Wolfert und ich wollte doch nur einen frühen Strandspaziergang mit meinem Hund machen. Wo ist der eigentlich?“, reagierte sie immer noch ein wenig unsortiert. In dem Augenblick kam Aika mit einem kleinen braunen Mischling an ihrer Seite auf sie zugestürmt.

„Da bist du ja, Rosi!“, jubelte Frau Wolfert erleichtert, nahm Rosi auf den Arm und drückte das Hündchen an ihren üppigen Busen. Die Rückkehr ihres Hundes beruhigte sie und Robert konnte ihr nun ein paar Fragen stellen. Seine jahrelange Berufsroutine ließ sich nicht verleugnen.

„Haben Sie irgendjemanden hier an diesem Strandkorb gesehen?“, fragte Robert, obwohl der Mord nach seiner Einschätzung wohl schon etwas länger her sein musste. Das Blut auf der Kleidung des Opfers war schon größtenteils getrocknet.

„Nein, als Rosi und ich ankamen, war der Strand noch menschenleer. Nur auf der Promenade habe ich eine Person gesehen, die rasch in Richtung Ort ging.“

„Könnten Sie die etwas näher beschreiben?“

„Ich habe sie nur von hinten gesehen. Der Mensch trug einen Kapuzenpullover und schien es eilig zu haben.“

„War es ein Mann oder eine Frau?“

„Das kann ich nicht sagen. Die jungen Leute sehen ja heutzutage alle gleich aus.“

„Warum meinen Sie, dass es ein jüngerer Mensch war?“

„Naja er war schlank und bewegte sich recht schnell. In unserem Alter ist man nicht mehr so flott unterwegs.“

Robert wollte lieber nicht mit der fülligen Hundebesitzerin über ihr Alter sprechen, weil er fürchtete, dass sie dann nicht mehr zu bremsen sein würde.

Eine letzte Frage noch: „Wo wohnen Sie hier auf der Insel? Wenn die Polizei kommt, wird sie mit Ihnen sprechen wollen.“

„Mein Mann und ich wohnen in der Pension Strandblick, nicht weit von hier, direkt hinter dem Deich. Von unserem Zimmer hat man einen herrlichen Blick auf die Nordsee und die Verpflegung ist sehr gut, besonders…“ „Danke Frau Wolfert, das reicht für das Erste.“, unterbrach Robert ihren Redefluss, denn sonst würde er sich bestimmt noch eine ausführliche Schilderung der Einrichtung ihrer Unterkunft und der sonstigen Lebensumstände von Frau Wolfert anhören müssen. „Können Sie allein zu Ihrer Pension gehen, oder wollen Sie hier warten, bis Sie jemand begleiten kann?“

„Ich glaube, ich schaff‘ das schon. Rosi begleitet mich ja und ich muss doch meinem Mann berichten, was ich Schreckliches erleben musste.“

„Gut, dann bis später.“, entließ sie Robert mit der jahrelang geübten Routine seines Berufs. Dabei vergaß er völlig, dass er nicht mehr im Dienst war und die Ermittlungen von den Kollegen durchzuführen waren.

Während er zu der Leiche zurückging, wählte er auf seinem Handy den Notruf und alarmierte die Kollegen der örtlichen Polizeistation. Die waren zunächst etwas skeptisch. Ein Mord auf ihrer Insel! Das hatte es noch nie gegeben! Als Robert sich als ehemaliger Kriminalhauptkommissar vorstellte, wich jedoch ihre Skepsis. In 5 bis 10 Minuten würden sie am Hundestrand sein. Sie baten ihn noch dafür zu sorgen, dass am Tatort niemand etwas veränderte. Den Hinweis nahm Robert mit Schmunzeln zur Kenntnis, das war das kleine Einmaleins in der Polizeiausbildung und für ihn eine Selbstverständlichkeit.

Zurück am Strandkorb mit der Toten, sah sich Robert die Ermordete etwas genauer an und fühlte sich bei der Einschätzung des Alters bestätigt, nachdem er sich zunächst durch ihr gepflegtes Äußeres hatte täuschen lassen. Ihre Größe schätzte er auf ca. 1,70 Meter. Die dunklen langen Haare hingen ihr seitwärts über das Gesicht. Bekleidet war sie mit einem weißen T-Shirt, auf das ein wohl origineller Spruch aufgedruckt war, der jedoch unter dem vielen Blut nicht zu mehr zu lesen war. Dazu trug sie eine Jeans, die auf den Taschen mit Glitzermotiven bestickt war und auf der ebenfalls etliche Blutflecken zu sehen waren. Eine Handtasche konnte er nicht entdecken, ebenso wenig Schuhe oder Strandlatschen.

Vorsichtig beugte er sich über die Leiche und berührte ihren bloßen Oberarm. Kalt. Das hieß, dass der Tod schon vor einiger Zeit eingetreten war. Ohne länger nachzudenken, machte er mit seinem Handy schnell ein paar Fotos von dem Opfer. Er schaute sich auch noch in der Umgebung des Strandkorbs um, aber in dem lockeren Sand waren natürlich keine verwertbaren Spuren zu erkennen. Aika schnüffelte zwar aufgeregt auf dem Boden herum, wurde aber durch die eintreffenden Polizisten abgelenkt, die sie erst einmal freudig begrüßen musste.

„Moin. Ich bin Polizeihauptmeister Diercks und das ist mein junger Kollege Polizeiobermeister Eilts. Sind Sie der Kriminalhauptkommissar a. D., der uns alarmiert hat?“

„Ja, Kriminalhauptkommissar a.D. Müller. Kommen Sie, hier im Strandkorb 17 liegt die Leiche einer Frau.“

Als die beiden Polizisten die blutüberströmte Leiche sahen, stöhnte PHM Focke Diercks: „Nö, das darf ja wohl nicht wahr sein! Die ist tatsächlich tot.“

Seinen Kollegen, der etwas blass geworden war und mit aufsteigender Übelkeit kämpfte, wies er an: „Dirk ruf bei der Kripo auf dem Festland an und sag denen gleich, dass sie auch die Spusi in Marsch setzen sollen. Und dann geh ins Revier und hol mal das Trassenband, damit wir den Fundort absperren können.“

Eilts war froh, von hier verschwinden zu können. Schon auf dem Weg zur Promenade rief er von seinem Handy aus die Kripo an und meldete den Mord. Die Kollegin, die die Meldung entgegennahm, war skeptisch. „Sind sie sicher, dass es ein Mord ist? Kann es nicht ein normaler Todesfall sein?“

„Also mit so einem Messer in der Brust und den Unmengen von Blut war das wohl kaum ein normaler Todesfall oder Unfall!“, fauchte Eilts zurück.

„O.K., ist ja gut. Ich glaube Ihnen ja schon.“, beruhigte sie ihn nun. „Wir kommen mit der Fähre und bringen die Kollegen von der Spusi mit. „Wissen Sie, wann die nächste Fähre geht?“

„Ja, vom Festland geht um 08:45 eine, aber die werden sie kaum noch erreichen. Die nächste geht dann erst um 10:30. Aber wenn Sie erst mit der kommen wäre das schlecht, denn dann ist hier am Strand schon ziemlich viel Betrieb. Vielleicht können Sie ja mit dem Boot der Küstenwache kommen, das bei Ihnen im Hafen liegt?“

„Gute Idee. Ich ruf die Kollegen gleich an und melde mich dann bei Ihnen, ob das klappt. Ihre Handynummer habe ich ja hier im Display. Bis gleich.“

Eilts hatte gerade das Inselrevier erreicht, als sein Handy klingelte. „Also, das klappt. Die Kollegen von der Küstenwache machen ihr Boot auslaufklar und meinen, dass wir in ca. einer Stunde vor Ort sein könnten. Denken Sie daran, den Fundort zu sichern und auch daran, nach eventuellen Zeugen zu suchen.“

Nach diesem Telefonat suchte Eilts das Trassenband. Er fand es jedoch nicht auf Anhieb, erinnerte sich aber, dass sie es das letzte Mal gebraucht hatten, als Bauer Knudsen nach einem feucht-fröhlichen Abend seiner Boßelvereinigung mit seinem Fahrrad durch die Vorgartenhecke und einige Beete des schmucken Anwesens der Familie Gerken gefahren war. Dort hatten sie damit den ‚Tatort‘ für die Schadenaufnahme gesichert. Nach einigem Suchen fand er das rot-weiße Band schließlich in dem Raum mit der Altaktenablage. Er wunderte sich, warum es da gelandet war und stopfte es in die Fahrradtasche seines Dienstfahrrads. Vorsorglich nahm er auch noch die kleine Kamera mit, mit der die Wache ausgestattet war, um ein paar erste Fotos vom Fundort und der Umgebung machen zu können.

Am Strand tauchten bereits die ersten Urlauber auf und wunderten sich über den Polizisten, der sich eindrucksvoll vor dem Strandkorb mit der Leiche postiert hatte. Um den Urlaubern den scheußlichen Anblick zu ersparen, hatte Robert die große Decke aus seinem Korb geholt und sie gemeinsam mit Diercks über das Dach gelegt, so dass nur noch der Unterkörper zu sehen war.

Irgendjemand musste wohl auch dem Strandkorbvermieter von der Anwesenheit der Polizei berichtet haben, denn nun erschien der leicht übergewichtige Gert Hettinga keuchend auf der Bildfläche und lief, soweit man seine Fortbewegung als Laufen bezeichnen konnte, auf den Polizisten und Robert zu. Schon von weitem brüllte er: „Was ist denn hier los?“ Am Strandkorb angekommen, musste er erst einmal durchschnaufen. Nachdem er sich erholt hatte, wollte er es nun aber genau wissen: „Warum hängt da eine Decke über Strandkorb 17? Der ist vermietet und wenn die Urlauber gleich kommen, muss die blöde Decke weg. Und wer liegt da überhaupt?“

„Daraus wird nichts. Hinter der Decke liegt nämlich eine Tote.“

„Was? Habe ich richtig gehört? Du spinnst doch Focke Diercks. Eine Leiche am Hundestrand? So früh am Morgen hast du wohl Halluzinationen. Gestern Abend ordentlich einen gesoffen und heute Morgen noch nicht ganz klar im Kopf?“

„Brems dich Gert! Ich muss dich sonst wegen Beamtenbeleidigung verwarnen.“

„Na, mach mal halblang. Ich kann das einfach nicht glauben; eine Leiche in meinem Strandkorb. Lass mal sehen.“ Und schon streckte der Strandkorbvermieter den Arm aus und wollte die Decke von dem Möbel herunterziehen.

„Nix da! Finger weg! Das hier ist ein Fundort. Hier darf nichts verändert werden. Gleich kommt auch noch die Kripo vom Festland und erst wenn die hier alles freigegeben hat, kannst du wieder über deinen Strandkorb verfügen.“, herrschte ihn Focke Diercks mit gewichtiger Stimme an.

Soviel Autorität überzeugte Hettinga. „Dann will ich mich mal um die anderen Körbe kümmern.“, brummelte er und zog von dannen.

Kaum außer Hörweite der drei zog er sein Handy aus der Tasche und rief den Kurdirektor an. „Moin Herr Freese, Hettinga hier!“

„Moin Hettinga. Was gibt’s denn schon so früh?“

„Haben Sie schon gehört? Am Hundestrand hat man eine Frauenleiche gefunden. In meinem Strandkorb!“

„Wirklich Hettinga? Eine Leiche? Weiß man schon, woran sie gestorben ist?“

„Ich glaube, sie wurde ermordet. Unser Dorfsheriff Diercks hat nämlich die Kripo vom Festland angefordert. Und ich habe da im Sand auch Blut gesehen.“

„Was? Ein Mord! Auf unserer Insel. Das ist aber gar nicht gut und dann auch noch kurz vor der Saison. Auf jeden Fall vielen Dank für die Info. Ich werde gleich zum Strand fahren und mir ein Bild von der Lage machen.“

„Ich muss zum Hundestrand. Hettinga hat mich eben angerufen und was von einer Leiche und Mord gefaselt.“, informierte er seine Assistentin und eilte aus dem Büro, um mit dem Fahrrad die paar hundert Meter zum Strand zu fahren.

Schon von weitem sah er Polizeihauptmeister Focke Diercks, der sich vor Strandkorb 17 postiert hatte und erste neugierige Urlauber verscheuchte.

„Moin Focke! Was ist denn hier los? Hettinga hat mich gerade angerufen und mir erzählt, dass hier eine Tote läge.“

„Moin Norbert. Jau, stimmt wohl. Ne junge Frau, naja eher so Mitte, Ende Dreißig, meint der Kriminalkommissar a.D., der die Leiche gefunden hat. Sieht so aus, als ob sie ermordet wurde. Hat jedenfalls ein Messer in der Brust und kalt isse auch schon.“

„Nee, das darf ja wohl nicht wahr sein. Die Vorsaison hat gerade begonnen und wenn die Presse davon Wind bekommt, wirkt sich das garantiert negativ auf unsere Gästezahl aus. Nach dem verregneten Sommer letztes Jahr können wir das überhaupt nicht gebrauchen.“

„Na, vertuschen kannst du das aber nicht.“

„Da hast du Recht, aber vielleicht kann die Kripo den Mord schnell aufklären, so dass er rasch wieder aus den Schlagzeilen verschwindet. Je schneller die Kripo den Fall löst, desto besser. Weißt du denn schon, wer die Tote ist? Und wer war das genau, der sie gefunden hat?“

„Also die junge Frau ist noch nicht identifiziert, keine Papiere, keine Handtasche, nichts. Und gefunden haben sie eine Urlauberin und der Herr hier. Kriminalhauptkommissar Müller. Ist zurzeit als Gast auf unserer Insel und war mit seinem Hund hier unterwegs.“

„Was, die Kripo schon vor Ort. Das ging aber schnell.“, wandte sich der Kurdirektor nun Robert zu.

„Nein, Herr Diercks hat vergessen zu erwähnen, dass ich pensioniert bin. Es war nur ein Zufall, dass ich durch eine andere Urlauberin auf die Leiche aufmerksam gemacht wurde. Den Fall müssen meine zuständigen Kollegen bearbeiten. Ich habe damit nichts mehr zu tun.“ Damit erlosch das Interesse des Kurdirektors an Robert und er wandte sich wieder Focke Diercks zu.

„Kannst du mir mehr sagen?“

„Naja, die Kripo auf dem Festland ist informiert und kommt mit einem Schiff der Küstenwache zu uns rüber. Bis dahin muss hier alles so bleiben. Spurensicherung! Müssten so in einer knappen Stunde hier sein.“

„So lange kann ich hier nicht warten. Im Büro wartet jede Menge Arbeit auf mich. Vielleicht sollte ich auch schon mal eine Presseerklärung vorbereiten.“

„Na, das ist wohl ein bisschen voreilig. Wir haben doch noch gar keine Fakten.“, meinte Diercks. Erstaunt schaute ihn der Kurdirektor an. So viel Situationsgespür hatte er dem schlichten Ortspolizisten nicht zugetraut.

„O.K., ich fahre jetzt zurück in die Kurverwaltung. Rufst du mich bitte an, wenn die Kripo eingetroffen ist. Ich möchte mit denen gerne sprechen.“

Robert wollte nicht länger hier herumstehen und auch nicht auf das Eintreffen der Kripo vom Festland warten. Er machte sich auf den Weg zu seinem Strandkorb in der Hoffnung, dass Nanni nun bald mit dem Kaffee kam und sie wie gewohnt frühstücken konnten. Aika rannte am Strand hin und her und schnupperte an Muscheln und altem Tang herum. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stocksteif stehen und ihre Nackenhaare sträubten sich. Irgendetwas lag vor ihr im Sand. Erst knurrte sie ein wenig und dann bellte sie, um die Aufmerksamkeit ihres Herrchens zu wecken.

„Aika, was hast du denn? Einen toten Fisch? Komm, beruhige dich und lass den liegen. Wir wollen zurück.“

Aika kam auch zu ihm, rannte aber gleich wieder zu der Stelle, die sie so nervös gemacht hatte. Robert verstand nicht, was sein Hund ihm sagen wollte und trottete weiter. Aika kam wieder zu ihm und bellte ihn nun an. „Hör auf zu bellen!“, versuchte er seinen Hund zu beruhigen. Aber Aika hörte nicht auf. Robert war irritiert. Der Hund schaute ihn an und bellte in einem fort, dabei ging er immer wieder ein paar Schritte in die Richtung, wo er eben so intensiv herumgeschnüffelt hatte. Schließlich überwog die Neugier und Robert gab seinem Hund nach. An der Stelle, die Aika ihm nun zeigte, entdeckte er ein Streichholzheftchen von einem Lokal hier auf der Insel.

„Aika, was soll das? Was ist denn da Besonderes dran? Komm wir gehen.“ Aber Aika blieb neben dem Streichholzheftchen stehen und war nicht zu bewegen mitzukommen. Robert ging noch einmal zurück und schaute sich den Fund genauer an. Aber er konnte nichts anderes entdecken, was Aika so verrückt machte. Sollte sie etwas gewittert haben, das mit der Leiche zusammenhing? Er nahm sein frisches Taschentuch, das er heute Morgen eingesteckt hatte, aus der Hosentasche und hob das Streichholzheftchen auf. Auch jetzt konnte er nichts Aufregendes daran entdecken. Aber Aika wedelte nun fröhlich, um zu zeigen, dass er endlich auf sie reagiert hatte. Er steckte Taschentuch und Inhalt vorsichtig ein und ging mit der Hündin, die ihm nun willig folgte, weiter.

Nanni saß schon in ihrem Strandkorb und hatte alles für das Frühstück vorbereitet.

„Ich warte schon seit einer ganzen Weile. Wo wart ihr denn?“, empfing sie Herrchen und Hund. Aika begrüßte sie freudig und ließ sich ausgiebig streicheln und bekam wie jeden Morgen ein kleines Leckerchen.

Robert erzählte ihr von dem Leichenfund und was bisher passiert war. Seinen engagierten Bericht hört sich Nanni mit wachsender Skepsis an. „Denk dran, du bist nicht mehr im Dienst! Wir machen hier Urlaub und sonst nix!“

„Ja, ist ja gut. Die Kollegen von der Kripo sind schon unterwegs. Sie kommen mit einem Boot der Küstenwache und müssten bald eintreffen. Sag mal, kennst du ein Restaurant Wattkieker‘?“

„Ja, warum?“

„Aika hat in der Nähe des Strandkorbs, in dem die Leiche liegt, ein Streichholzheftchen dieses Lokals entdeckt und nicht eher Ruhe gegeben, als bis ich zu ihr gegangen bin und das Streichholzheftchen an mich genommen habe.“

„Ach, die wollte bestimmt nur spielen. Los, jetzt wird erst einmal gefrühstückt. Wo sind die Brötchen, die du eingekauft hast?“

Nachdem Robert die Brötchen aus dem Einkaufsbeutel genommen hatte und Nanni aus der Thermoskanne zwei Becher Kaffee eingeschüttet hatte, machten sie es sich im Strandkorb bequem und lasen den allmorgendlich erscheinenden Inselkurier. Am Himmel hingen einige weiße Wolken, die wie riesige Wattebäusche aussahen. Sie verbargen aber kaum einmal die Sonne, die für eine angenehme Temperatur sorgte. Am Strand brachen sich immer wieder Wellen und sorgten für die passende Untermalung der idyllischen Urlaubsstimmung. Man konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass nur ein paar Strandkörbe weiter eine übel zugerichtete und ermordete junge Frau lag.

Robert nahm sich immer erst den vorderen Teil der Zeitung, während Nanni die letzten Seiten zuerst las. Sie hatten gerade getauscht, als Robert in den Anzeigen auf der letzten Seite die Werbung des Lokals entdeckte, von dem das Streichholzheftchen stammte, das Aika am Strand gefunden hatte. Er kramte es aus seiner Tasche hervor, um sich zu vergewissern und meinte zu Nanni: „Guck mal, Nanni, das Lokal. Die haben heute Nachmittag Happy Hour. Da könnten wir doch hingehen. Vielleicht können wir das Geheimnis von Aikas Fund aufdecken.“

„Robert Müller, du bist erstens im Urlaub und zweitens pensioniert! Hör auf, wieder deinem detektivischen Spürsinn nachzugehen. Und im Übrigen, wer sagt denn, dass dies Streichholzheftchen etwas mit der Toten zu tun hat?“

„Naja, hast ja vielleicht recht, aber ich bin doch nur neugierig. Und es muss doch einen Grund geben, warum Aika so aufgeregt war.“

„Du kannst das Streichholzheftchen ja den Kollegen von der zuständigen Dienststelle geben. Überlass es denen, den Fall aufzuklären.“

„Ich glaube kaum, dass die unseren neugierigen Hund ernst nehmen. Wenn du nicht mit in das Lokal willst, gehe ich eben allein dort hin.“

„Sturer Sack! Ich komme schon mit, zumal die für ihren ‚Pharisäer‘1 werben, den ich so gerne trinke.“

Nach der Zeitungslektüre vertiefte sich Robert wieder in sein Buch. Er hatte aber kaum den Faden wieder aufgenommen, als es am Strand unruhig wurde. Er lugte um die Seitenverkleidung seines Strandkorbs, um zu sehen, was die Ursache war. Die Kripobeamten und der Spusitrupp waren eingetroffen und untersuchten nun den Fundort der Leiche. Die beiden Ortspolizisten wurden angewiesen, die neugierigen Strandbesucher aufzufordern weiterzugehen und die Arbeit der Polizei nicht zu stören. Das hielt die Menschen aber nicht davon ab stehen zu bleiben, um mit gereckten Hälsen vielleicht einen Blick auf das Opfer zu erhaschen. Etliche Urlauber hatten auch ihre Handys gezückt und schossen Fotos.

Robert sah, dass eine Frau, die mit dem Rücken zu ihm stand, wohl die Leiterin des Teams war, denn sie erteilte den anderen Beamten routiniert Anweisungen und forderte die Spusileute auf, ihr die ersten Erkenntnisse zu berichten. Als sie sich kurz in seine Richtung umdrehte, erkannte er Nele Jansen. Eine Polizeihauptkommissarin, mit der er einige Weiterbildungsseminare besucht hatte und mit der er noch kurz vor seiner Pensionierung gemeinsam eine Einbruchsserie aufgeklärt hatte. Obwohl Nanni etwas missbilligend guckte, erhob er sich und ging zu den Beamten hinüber. Schließlich war er ja fast als erster vor Ort gewesen.

„Hallo Nele! Schön dich wieder zu sehen, obwohl der Anlass ja nicht so toll ist.“

„Mensch Robert, was machst du denn hier?“

„Naja, auch Pensionäre machen gerne Urlaub und sitzen nicht nur dumpf zu Hause herum. Ich genieße mit meiner Frau Nanni die Insel und die Nordsee.“

„Ach ja richtig. Du bist ja wegen einer Schussverletzung vorzeitig in den Ruhestand geschickt worden, wie ich gehört habe.“

„Ja, ja“, brummelte Robert, denn auf das Thema wollte er nicht weiter eingehen.

Aika war ihm gefolgt und schnüffelte neugierig an der Hose der Polizistin herum. Mit einem energischen: „Aika lass das!“, versuchte Robert seinen Hund davon abzuhalten, aber Aika fand das, was sie riechen konnte viel zu interessant, um auf Herrchen zu hören.

„Is‘ schon gut Robert. Deine Aika riecht wahrscheinlich meinen Shorty.“

„Naja, trotzdem sollte sie aber gehorchen. Wenigstens ein bisschen. Was ist den dein Shorty für ein Hund? Also, ich meine Rasse.“

„Ein Australian Shepherd.“

„Na, der braucht bestimmt viel Bewegung.“

„Ja, er ist der ideale Begleiter für meinen Mann und mich, denn wir joggen mehrmals in der Woche bei uns in der Feldmark und nachdem Shorty in der Hundeschule war, gehorcht er perfekt und kann frei neben uns herlaufen.“

„Mit dem Gehorchen hat es meine Aika bisweilen nicht so, wie du eben schon mitgekriegt hast. Sie ist manchmal sehr eigenwillig, aber lieb und sehr aufmerksam. - Habt ihr schon erste Erkenntnisse über das Mordopfer? Ich denke, dass es sehr schwer ist, hier in dem Sand verwertbare Spuren zu finden.“

„Ja, da hast du leider recht. Unsere Spusileute sind am Verzweifeln. Sie sind sogar noch nicht einmal sicher, ob die Frau hier ermordet wurde, obwohl die massiven Blutspuren diesen Schluss nahelegen. Aber vielleicht finden sie am Strandkorb verwertbare Fingerabdrücke oder sogar DNA-Spuren. Sie sind gerade dabei, ihn intensiv zu untersuchen. Neben dem Strandkorb haben sie ein paar Zigarettenkippen gefunden, die sie im Labor auf DNA-Spuren untersuchen wollen.“

„Habt ihr denn irgendwelche Papiere oder Hinweise zur Identität des Opfers gefunden?“ „Du bist ja neugierig, wie mein Dienststellenleiter. Ich denke, du bist pensioniert, aber so ganz kannst du deinen Beruf wohl nicht vergessen? Lass uns mal machen. Aber wenn wir etwas Interessantes finden, informiere ich dich, bevor du vor lauter Neugier noch platzt.“ „Musst du doch verstehen, wenn unsereins quasi über eine Leiche stolpert, wird wieder der alte Spürhund in uns geweckt. Ich geb‘ dir mal meine Handynummer für alle Fälle. Jetzt will ich dich aber nicht länger aufhalten, deine Kollegen gucken schon ganz interessiert zu uns hinüber. Also Tschüss!“

„Schönen Urlaub noch und ich melde mich, wenn wir was haben, versprochen. Für heute gibt es hier auf der Insel wohl nichts mehr zu tun und ich werde mit meiner Truppe erst einmal wieder aufs Festland zurückkehren. Vielleicht können wir dort die Tote mit Hilfe einer unserer Dateien identifizieren.“

Robert ging zurück zu Nanni, die wissen wollte, was er so lange mit den Kripobeamten zu besprechen hatte. „Stell dir vor, die Untersuchung leitet Nele Jansen, die ich von einigen Weiterbildungsseminaren von früher her kenne. Eine sehr fähige Beamtin.“

„Dann lass sie auch ihren Job machen und halt dich zurück, Herr Kriminalkommissar außer Dienst!“, meinte Nanni mit deutlicher Betonung der letzten beiden Worte.

Robert nahm sich wieder sein Buch und versuchte den Faden wieder aufzunehmen, aber so recht konnte ihn die Handlung auf Schloss Rüberswald jetzt nicht mehr fesseln. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Wieso wurde eine Frau am Strand ermordet? Für ihn stand, aufgrund des vielen Blutes im Strandkorb und auf dem Boden davor, fest, dass der Fundort der Leiche auch der Tatort war, obwohl die Kriminaltechniker sich noch nicht hatten festlegen wollen. Ungewöhnlich war auch, dass man bisher keine Handtasche, kein Portemonnaie oder ein Handy gefunden hatte, anhand derer man das Opfer hätte identifizieren können. Hatte der Täter oder die Täterin diese Dinge mitgenommen oder verschwinden lassen? Eine Frau kam allerdings wohl eher nicht als Mörderin in Frage, denn die Todesart deutete eher auf einen Mann hin, zumal der tödliche Stoß sehr viel Kraft erfordert hatte. Andererseits gab es ja fitnessgestählte junge Frauen mit ordentlich Power. War der Mord geplant gewesen oder eine spontane Handlung?

Nanni merkte, dass Robert nicht mehr weiterlas und irgendwelchen Gedanken nachhing.

„Na, über was denkst du denn nach?“

„Öh, nichts weiter.“

„Ich kenn dich doch. Du denkst garantiert über den Mord nach. Kann ich ja einerseits verstehen, aber andererseits musst du lernen mal loszulassen. Du bist nicht mehr im Dienst.“ „O.K., dann schnappe ich mir jetzt Aika und mache mit ihr einen schönen Strandspaziergang. Willst du mitkommen?“

„Nee, ich musste mir doch einen Auftrag mitnehmen und dafür muss ich was tun, denn ich habe einen festen Abgabetermin kurz nach unserem Urlaub.“

Nanni hatte sich, nachdem ihr Sohn in die Schule gekommen war, als freie Übersetzerin selbstständig gemacht und arbeitete auf Honorarbasis für verschiedene Verlage und Publikationen. Ihre Tätigkeit ließ ihr genügend Freiraum für eine flexible Gestaltung ihres Lebens und machte ihr auch nach all den Jahren immer noch Spaß. Außerdem war das zweite Einkommen eine Einnahmequelle, auf die sie nach Roberts Frühpensionierung nicht verzichten wollten.

„Los, komm Aika, wir machen einen schönen Spaziergang!“

Aika hatte dies sofort verstanden und stand schwanzwedelnd vor ihrem Herrchen. Robert entschied sich, in Richtung des westlichen Inselendes zu gehen, da er auf diesem Weg Aika freilaufen lassen konnte. Sie schnappte sich noch schnell ihre spezielle Hunde-Frisbeescheibe und lief damit freudig vorweg. Kaum hatten sie die letzte Strandkorbreihe hinter sich gelassen, musste Robert die rote Gummischeibe immer wieder werfen, damit Aika hinter ihr herjagen konnte, um sie zu fangen. Nach einer Weile hatte Robert jedoch keine Lust mehr weiter zu spielen, was Aika aber nicht so recht verstand. Er setzte sich auf den Dünenhang und ließ einfach ein wenig seine Seele baumeln. Am Himmel zogen immer noch vor einem strahlendblauen Hintergrund vereinzelt dicke weiße Wolken vorüber, die aussahen wie Wattebäusche. Der leichte Wind roch nach Tang und Muscheln, dem typischen Meergeruch und er meinte, auch ein wenig Salzgeschmack auf seinen Lippen zu spüren. Das Meer war heute recht ruhig und nur weit draußen waren bei den vorgelagerten Sandbänken weiße Schaumkronen zu sehen. Nach einer Weile meldete sich der kleine Hunger und sie machten sich auf den Rückweg. Aika forderte ihn auf, sie noch ein wenig mit der Frisbeescheibe zu beschäftigen und so brauchten sie eine ganze Weile, bis sie wieder bei Nanni ankamen.

„Na, wie war euer Spaziergang? Habt ihr andere Hunde getroffen?“

„Nö, das nicht, aber Aika hat es wohl trotzdem gefallen. Wir hatten ja ihre Frisbeescheibe mit, die ich immer wieder werfen musste. Bevor wir uns auf den Rückweg gemacht haben, habe ich noch eine kleine Pause eingelegt und Himmel, Meer und Landschaft genossen. Inselidylle pur. Doch Seeluft macht hungrig und hat uns zurückgetrieben.“

„Aha, du meinst, es könnte jetzt einen Imbiss geben. Habe ich das richtig verstanden?“

„Ja, genau.“

„Hab ich mir gedacht und vorhin ein paar Matjes und Brötchen eingekauft. Wär das was?“ „Super! Und heute Nachmittag gehen wir ‚Pharisäer‘ trinken.“



Die Tote vom Hundestrand

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