Читать книгу Die Tote vom Hundestrand - Hans-Joachim Ulbrecht - Страница 5
3. Kapitel – Robert, der Berater
ОглавлениеAm nächsten Morgen stand Robert schon etwas früher als gewöhnlich auf, weil er vor seiner Fahrt aufs Festland noch mit Nanni in Ruhe frühstücken wollte. Von seinem allmorgendlichen Spaziergang mit Aika brachte er aus der Inselbäckerei herrlich duftende, frische Brötchen mit. Nanni hatte in der Zwischenzeit schon Kaffee gekocht und den Tisch gedeckt. Während des Frühstücks war Robert ungewöhnlich still.
„Na, noch nicht ganz wach?“, neckte ihn Nanni.
Robert reagierte kaum und erst als seine Frau ihre Frage noch einmal wiederholte brummelte er eine unverständliche Antwort.
„Dich beschäftigt doch schon wieder der Mord, oder? Ich bin aber auch noch da und möchte das Frühstück mit dir genießen.“
„Naja, mir geht dieser Fall schon im Kopf rum. Da sind so einige Widersprüche, die ich mir nicht erklären kann.“
„Das verstehe ich, aber jetzt wird noch in Ruhe gefrühstückt und deine Fragen kannst du nachher mit Nele diskutieren. Vielleicht hat sie auch schon mehr Informationen.“
Nach dem Frühstück machte sich Robert (im wahrsten Sinne des Wortes) ‚landfein‘ und verstaute den Laptop, den sie im Zimmer der Ermordeten gefunden hatten, in seinem Rucksack. Den USB-Stick steckte er in eine kleine verschließbare Innentasche. Nanni empfahl ihm, auch seine winddichte und warme Wetterjacke mitzunehmen, falls er auf der Fähre vom Außendeck aus das Anlegemanöver beobachten wolle. Dann machte sich Robert auf den Weg zum Fähranleger.
Die Fähre war nur mäßig voll, da die Urlauber, deren Ferien zu Ende gingen, ihre Unterkünfte in aller Regel erst gegen Mittag räumen mussten und die Pendler, die auf dem Festland arbeiteten, schon früher übersetzen mussten. Robert setzte sich auf einen Fensterplatz und hoffte, während der Überfahrt von dort aus vielleicht ein paar Seehunde auf einer der Sandbänke, die das Schiff passieren musste, zu entdecken. Doch schon bald nach dem Ablegen drehten sich seine Gedanken wieder um die Tote vom Hundestand. Warum war sie auf die Insel gekommen? Wieso hatte sie dort als Saisonkraft gearbeitet? Welchen Schluss ließen die teuren Designerklamotten zu? Warum hatte sie das Laptop und vor allem den USB-Stick versteckt? Warum wurde sie ermordet? Einen Mord im Affekt schloss er für sich eigentlich aus. Er war der Überzeugung, dass der Täter vorsätzlich gehandelt hatte. Denn mit einem Messer, wie es in der Toten gesteckt hatte, geht man nicht an den Strand. Andererseits konnte es doch auch einen Streit gegeben haben, in dessen Verlauf der Täter oder die Täterin das Messer gezückt und auf das Opfer eingestochen hatte. Ob die Spusileute auf der Tatwaffe im Labor noch verwertbare Hinweise gefunden hatten?
Die Fähre passierte das Seegat und kam dabei ein wenig ins Schaukeln, das jedoch gleich wieder vorbei war, als sie in das Fahrwasser in Richtung Festland eindrehte. Robert entdeckte tatsächlich auf einer der Sandbänke in dem flachen Gewässer neben der Fahrrinne eine größere Gruppe Seehunde, die dort faul herumlagen und nur mal kurz den Kopf hoben, als die Fähre passierte. Sie ließen sich aber weder durch das Schiff noch durch die kleinen Wellen, die es verursachte, aus der Ruhe bringen.
Als sie sich dem Fährhafen auf dem Festland näherten, entdeckte Robert schon von weitem den Dienstwagen, der ihn zur Kripodienstelle, in der Nele ihr Büro hatte, bringen sollte. „Ocko Wieringa“, stellte sich der Fahrer kurz vor. „Ich nehme an, Sie sind Robert Müller.“
„Ja, der bin ich. Mit Ihrem Namen sind Sie bestimmt hier aus der Gegend.“
„Genau, ich bin hier auf einem Bauernhof geboren und aufgewachsen.“
„Und wie kommt man dann zur Kripo?“
„Naja, ich war der dritte Sohn von insgesamt fünf Kindern und da mein ältester Bruder mal den Hof übernehmen soll, mussten mein zweiter Bruder und ich uns einen anderen Beruf suchen. So bin ich bei der Kripo gelandet. Beamter ja, aber kein reiner Schreibtischjob. Eine Entscheidung, die ich bis heute nicht bereut habe.“
Robert schmunzelte; seine Beweggründe, diesen interessanten Beruf zu ergreifen waren, ähnlich gewesen.
Während der Fahrt unterhielt ihn Ocko Wieringa mit Informationen zur Geschichte von Land und Leuten dieses sehr eigenen Landstrichs. Dabei kamen auch die kriminellen Ereignisse nicht zu kurz und er berichtete stolz, dass die Aufklärungsquote deutlich über dem Landesdurschnitt läge. Kapitalverbrechen, wie jetzt der Mord auf der Insel, gäbe es jedoch sehr selten.
Nach ihrer Ankunft führte er Robert zum Büro von Nele Jansen und verabschiedete sich.
„Hallo, Robert! Schön, dass du gekommen bist. Wie war die Überfahrt?“, begrüßte ihn Nele.
„War doch selbstverständlich. Erstens hoffe ich, euch ein wenig helfen zu können und zweitens bin ich ziemlich neugierig auf das, was ihr bisher ermitteln konntet.“
„Und drittens bist du ein Kriminaler, der es einfach nicht lassen kann, zu versuchen Verbrechen aufzuklären, obwohl er seinen Ruhestand genießen sollte. Aber deine Information, dass es sich bei der Toten um eine Jenny Hauptmann handeln soll, hat uns nicht weitergebracht. Eine Jenny Hauptmann konnten wir in unseren Datenbänken nicht ausfindig machen. Wir vermuten, dass dies nicht ihr richtiger Name ist.“
„Vielleicht wollte sie auf der Insel untertauchen. Das würde auch ihren Wunsch erklären, ihren Lohn in bar zu erhalten und würde auch zu ihrem sonstigen Verhalten passen. Aber was hat sie dazu veranlasst? Wenn wir, - äh, ich meine natürlich ihr -, das herausbekommt, käme man vielleicht auf das Motiv für den Mord.“
„Das denke ich auch. Und von wegen ‚wir‘ und ‚ihr‘, ich habe eine Überraschung für dich. Ich habe den Fall natürlich mit unserem Kriminaldirektor durchgesprochen und er hatte eine brillante Idee. Er hat vorgeschlagen, dass ich dir einen Beratervertrag anbieten könnte. Das Honorar wäre zwar nicht umwerfend, aber du könntest dann ganz offiziell an dem Fall mitarbeiten. Na, wäre das was?“
„Na klar, aber bevor ich mich entscheide, will ich mal eben mit Nanni telefonieren. Ach, dabei fällt mir ein, dass wir in dem Zimmer der Toten kein Handy gefunden haben, obwohl die doch heute zur Grundausstattung ihrer Generation gehören. Jetzt entschuldige mich mal kurz. Ich gehe auf den Flur und rufe eben Nanni an.“
„Du kannst hierbleiben. ich lasse dich kurz allein und hole uns einen Kaffee aus der Kantine. Der ist sogar trinkbar, im Gegensatz zu dem aus dem Automaten hier im Gang.“
Schon nach zwei Rufzeichen meldete sich Nanni.
„Gut angekommen mein alter Schnüffler? Gibt es schon was Neues?“
„Und ob! Wir hatten ja herausgefunden, dass die Tote Jenny Hauptmann heißt, aber das ist anscheinend falsch. Nele und ihr Team versuchen nun, die Identität auf einem anderen Weg herauszubekommen. Ich denke, dass das ein wichtiger Punkt für die weiteren Ermittlungen sein wird. Aber ich habe noch einen anderen Grund, weswegen ich dich angerufen habe.“
Robert legte eine kleine Pause ein und überlegte wie er Nanni die Sache mit dem Beratervertrag überzeugend nahebringen konnte.
„Nun spann mich nicht auf die Folter. Was gibt es denn noch zu berichten.“
„Also, Nele hat den Fall und die bisherigen Ermittlungsergebnisse ihrem Chef vorgetragen und dabei auch unsere Hilfe bei der Recherche erwähnt. Er war direkt begeistert und hat mir einen Beratervertrag für die Ermittlungen in diesem Fall angeboten. Ich wäre nicht verpflichtet, ständig in der Dienststelle präsent zu sein und könnte mir meine Zeit grundsätzlich frei einteilen. Ähnlich wie du es ja bei deinen Übersetzungen machst.“
„Und du glaubst wirklich, dass du nicht wieder, so wie früher, die geregelte 50 Stunden-Woche haben wirst?“, fragte Nanni skeptisch.
„Ich denke, dass ich die Stundenbelastung im Rahmen halten kann und du wirst schon auf mich aufpassen.“
„Ich weiß ja, dass du das Angebot nur zu gerne annehmen möchtest, weil dein Jagdtrieb wieder geweckt ist und du sicher enttäuscht wärest, wenn du dir diese Chance entgehen ließest. Also meinen Segen hast du!“
Strahlend empfing er Nele, als die mit zwei Kaffeebechern in ihr Büro zurückkehrte.
„Du musst nichts sagen. So wie du strahlst, ist Nanni mit der Beratertätigkeit einverstanden.“
„Erraten! Auf gute Zusammenarbeit Frau Kollegin.“
„Na, dann kann es ja losgehen. Ich habe mein Team zu einer Lagebesprechung zusammengetrommelt. Wir treffen uns in einer halben Stunde im Besprechungsraum und da möchte ich dich den Kollegen vorstellen.“