Читать книгу Atlan 45: Vorstoß der Rebellen (Blauband) - Hans Kneifel - Страница 3
Prolog
ОглавлениеAus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi, Sonthrax-Bonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1338 Galaktikum-Normzeit (NGZ)
Seit Atlans erstem Bericht über Atlantis an Bord der DRUSUS wurde insbesondere vom Historischen Korps eine große Zahl weiterer solcher spontanen Erzählungen aufgezeichnet. Angepasst an den jeweiligen Zuhörerkreis und die Situation, die den Erinnerungsschub hervorrief, unterscheiden sich jedoch selbst Berichte zum gleichen Thema mitunter deutlich voneinander – sei es, weil Atlan auf die Erwähnung durchaus vorhandener Querverweise verzichtete, sei es, weil die schon an anderer Stelle angesprochenen »Blockierungen« wirksam wurden. Zwangsläufig mussten diese Dokumentationen deshalb unvollständig und zeitlich schwer einzuordnen bleiben, sodass sie bestenfalls nur Mosaiksteinchen eines sehr viel größeren, komplexeren Bildes waren.
Neben diesen Einzelberichten existieren mehrere Sammlungen, die zum Teil als zusammenhängende Berichtfolge entstanden. Bei einer handelt es sich beispielsweise um die Speicherkopie des 2048 von Atlans Lehrmeister Fartuloon erstellten OMIRGOS-Kristalls. Er befreite Atlan vom Druck der Erinnerungen, genau wie er es kurz vor seinem rätselhaften Verschwinden in Atlans Jugend tat, um ihn »Dinge vergessen oder in einem anderen Licht sehen zu lassen«. Eine zweite Sammlung, die in erster Linie auf die Jugendzeit des Arkoniden einging, entstand ab März 2844 und floss 2845 in Auszügen in die »Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse« von Sean Nell Feyk ein …
Occad-System, Meggion: 7. Juli 2848
Der Smiler lächelte sein eisiges Lächeln, ehe er sagte: »Die sonderbaren Streuemissionen nehmen zu. Noch streiten die Eierköpfe darüber, ob es an der Traummaschine oder an Ken liegt – oder gar an beiden. Aber wir wussten ja, dass nun die Abschlussphase bevorsteht.«
»Wir haben es vermutet.«
Ronald »Tek« Tekener winkte angesichts meiner Richtigstellung ab.
Im Februar 2844 war in den größten Raum der Geheimstation des Thalaika-Tals von Meggion eine von Alfo Zharadins Traummaschinen gebracht worden. Neben dem Konturbett gab es ein separates Lebenserhaltungssystem, das einspringen musste, sollte die Energieversorgung durch den Robotkörper versagen. Die mit einer modifizierten SERT-Haube kombinierte Übermittlerglocke umgab den Kopf seit dem 20. Februar 2844. Sinclair Marout Kennon hatte damals erreicht, dass ich meine Zustimmung gab. Die Anordnung lautete, den USO-Spezialisten ständig zu überwachen, damit er nicht durch eine Panne der Traummaschine oder am Lebenserhaltungssystem umkam. Die Traummaschine sollte ausdrücklich nicht ausgeschaltet werden. Jedenfalls nicht, solange das Gehirn in dem Robotkörper noch lebte. Für Tek war es der Abschied von einem Freund gewesen, mit dem er über viele Jahrhunderte Freude und Leid geteilt hatte und der ihm ans Herz gewachsen war. Nicht nur er hatte sich gefragt, ob es ein Abschied für immer sein würde.
Vor mehr als vier Jahren hatten Chapat und ich selbst ebenfalls in einer solchen Traummaschine gelegen und auf den Arkonwelten zur Zeit Imperator Orbanaschols ein absonderliches Abenteuer erlebt. Kennon und Tekener hatten die Spur aufgenommen und uns befreit. Obwohl Zharadin das Ischtar-Memory ausgebaut hatte, war unser Traum nicht unterbrochen worden. Die Wissenschaftler vermuteten, dass sich die Maschinen regelrecht aufgeladen haben mussten, sodass sie nicht mehr auf die direkte Anwesenheit des Ischtar-Memorys angewiesen waren. Überdies war es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Wechselwirkung auf paramechanischer Ebene mit der verwendeten SERT-Technik gekommen, auf denen die Übermittlerglocken basierten.
»Nach den Berechnungen dauert es noch einige Tage.«
Tekener nickte abermals. »Und niemand weiß, wie es ausgeht.«
»Hoffen wir das Beste, alter Freund.«
Vieles war Anfang 2844 zusammengekommen und hatte sich einem Tsunami gleich aufgeschaukelt: Die gemeinsamen Erlebnisse mit Chapat in der Vergangenheit auf den Arkonwelten unter dem sonderbaren Einfluss von Zharadins Traummaschine; Erinnerungen an Chapats Mutter, die Varganin Ischtar; das Verschwinden meines Sohnes aufgrund des Einflusses des Ischtar-Memorys nach unserer Rettung; die eindringliche Erkenntnis, dass Kennon – ebenfalls durch die Wirkung einer Traummaschine – als Lebo Axton in der Projektionsgestalt seines in unserer Zeit gar nicht mehr existierenden Originalkörpers während meiner Jugendzeit höchst aktiv gewesen war …
Auch Tage nach den Ereignissen hatte mich der Albtraum noch fest im Griff gehalten: Wieder und wieder sah ich Chapat vor mir. Mein Schädel schien zu brennen, von tausend marschierenden Naats erfüllt zu sein und von halutischen Handlungsarmen massiert zu werden. Der Extrasinn war mit stechenden Impulsen bemüht, mein Wachbewusstsein zu erreichen; ich aber war wie in Trance gewesen, hatte das Aufsteigen einer gewaltigen Woge in mir gefühlt und gebebt. Furcht! Ich fürchtete mich vor der Vergangenheit, denn durch Chapat schien ein mächtiger Staudamm gebrochen zu sein. Die OMIRGOS-Blockade versagt! Szenen blitzten auf, verdichteten sich, wurden zu einer unüberschaubaren Wand – eine tobende Begrenzung, die immer näher rückte. Ich fürchtete, zerquetscht zu werden, aufgerieben von den Bildern und den mit ihnen verbundenen Emotionen.
Ich kannte das Gefühl nur zu gut. Die Qualen steigerten sich, Außenreize und Gedanken schwangen in Übereinstimmung mit gespeicherten Erinnerungen des fotografischen Gedächtnisses. Ich wusste, dass ich reden musste. Nur so war der Druck abzubauen. Aber auch dieser Prozess war schmerzvoll, anstrengend, um nicht zu sagen demütigend: Hilflos, am ganzen Leib gelähmt, erfuhr jeder Zuhörer Dinge, die zu meinem Intimsten gehörten. Scham kämpfte an gegen den Wunsch, dem Druck und den Schmerzen auszuweichen.
Kurz vor ein Uhr am 3. März 2844 wurde die Blockade durch Fartuloons OMIRGOS-Kristall endgültig aufgebrochen. Deutlich sah ich den aus dem Zhy Bewussten Seins materialisierten Kristall vor mir, gekennzeichnet durch seine 1024 Facetten und ein goldenes Lumineszenzleuchten. Chapat und Kennon waren die Auslöser gewesen, ebenso Ischtar. Ich übergab mit letzter Kraft Ronald Tekener die Befehlsgewalt in Quinto-Center, wusste genau, dass ich für eine längere Zeit handlungsunfähig sein würde, weil ich den Erinnerungsschub nicht aufhalten konnte.
»Ich werde mich auf die Couch legen«, hatte ich gesagt, »von unseren Medizinmännern betreuen lassen und mir den Mund fusselig reden. Verdammt, manchmal verfluche ich das fotografische Gedächtnis. Irgendwie muss ich es ordnen. Die verschiedensten Szenen überlagern einander, mir heute bekannte Bezüge und Dinge fließen ein. Ein heilloses Durcheinander. Welche Sprache? Satron? Welche Maße und Einheiten? Soll ich übersetzen oder im Original bleiben? Arkons Sternengötter – mein Schädel brummt wie ein Hornissenschwarm.«
Ich hatte erschöpft geschwiegen. Noch war der Sprechzwang zu unterdrücken gewesen. Das Medikament half. Die Mediziner wechselten besorgte Blicke; in Tekeners Gesicht, bleich und übernächtigt, stachen markant die Narben der Lashat-Pocken hervor.
Sein kaltes Lächeln erschien. »Legen Sie sich hin, Lordadmiral. Ich kümmere mich um alles. Sie berichten von Ihrer Jugendzeit, nicht wahr? Wir werden gespannt lauschen.«
»Macht es für mich nicht leichter.« Ich seufzte. »Gut. Ich hab einen Ansatz gefunden. Vom Auslöser Chapat zurück zu den Anfängen, und dann chronologisch weiter. Keine Unterbrechungen, bitte. Ich bin sowieso nicht mehr ansprechbar. Diskussionen in den Pausen, die ich zwangsläufig einlegen muss. Bis dahin dürften auch Kennons erste Gedanken- und Erinnerungsaufzeichnungen vorliegen und meine Berichte ergänzen.«
Es hatte viele Monate beansprucht. Meine Erzählungen dauerten meist an die zehn und mehr Stunden pro Tag, unterbrochen nur von Ruhe- und Schlafphasen, die mein Körper trotz Zellaktivator benötigte, und der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Parallel dazu fanden permanent die Auswertungen des Historischen Korps der USO statt. Querverweise wurden erstellt, Sekundär- und Tertiärquellen herangezogen, Auswertungen kamen hinzu, Kommentare und Fußnoten. Neben dem normalen Betrieb im Hauptquartier der USO nutzten die Spezialisten jede Minute ihrer Freizeit, um – wie es Tek mal formulierte – am Leben des »Alten« teilzunehmen. Alle verfolgten gespannt und fasziniert meine Berichte, Monitoren zeigten Texte und Bilder. Ergänzt wurden die akustischen Informationen um jene Daten, die die modifizierte SERT-Haube lieferte, die meinen Schädel bedeckt hatte.
Speziell trainierte Piloten, die sogenannten Emotionauten, nutzten das Simultane Emotio- und Reflex-Transmission umschriebene Verfahren zur Steuerung von Raumschiffen, bei dem sie ihre rein gedanklichen Steuerbefehle direkt in die Schiffssysteme eingaben. Die über dem Kopf des Emotionauten schwebenden SERT-Hauben dienten als paramechanisches Interface, die sämtliche gedanklichen Befehlsimpulse in positronische Steuerbefehle umwandelten. Im Gegensatz dazu ließen sich modifizierte SERT-Hauben als einfache Verbindung zur Aufzeichnung von Bewusstseinsimpulsen nutzen. Allerdings hatte es Gedankenzeichner oder die direkte Informationsübertragung von Gehirn oder Bewusstsein auf Geräte bereits früher gegeben. Schon eine rein elektronische Abtastung von Hirnaktivitäten war keine Besonderheit. Lange vor der Einführung der SERT-Technik galt die paramechanische Technik der arkonidischen Simultan- und Fiktivprojektoren als ausgereift.
Vor diesem Hintergrund wunderte es niemanden, dass bei Zharadins Traum- oder Illusionsmaschinen auf bewährte Technologie zurückgegriffen wurde. Dementsprechend wurden Kennons Bewusstseinsimpulse ebenfalls aufgezeichnet und analysiert; mit etwas Verzögerung konnten dann die Ergebnisse vorgelegt werden. Chapats und mein Aufenthalt hatte im Traum 27 Pragos oder rund 32 Standardtage beansprucht – in der Gegenwart waren dagegen 69 Tage verstrichen, mehr als das Doppelte.
Kennon unterlag einem vergleichbaren Effekt. Sein »Traummaschinen-Abenteuer« begann am 20. Februar 2844 um 12 Uhr Terrania-Standardzeit. Wie wir inzwischen wussten, verschlug es ihn nach Arkon III zum 10. Prago des Ansoor 10.498 da Ark oder 26. Juni 8022 vor Christus. Aus meinen Erinnerungen wiederum wusste ich, dass Axton kurz nach Orbanaschols Tod am 17. Prago des Dryhan 10.500 da Ark oder 9. Juli 8020 vor Christus spurlos verschwand – nach fast 524 Pragos. Umgerechnet auf die Verlängerung in unserer Zeit musste das rund 1600 Standardtagen entsprechen; als kritischer Termin galt der 12. Juli 2848. Niemand wusste, was genau passieren würde.
»Erwacht Ken schlicht und einfach?«, murmelte Tek. »Wie reagiert das von seinem Originalkörper verbliebene Gehirn in dem Robotkörper – von Ken stets nur Vollprothese genannt? Erleidet es einen Schock? Besteht unter Umständen sogar Lebensgefahr?«
»Wir haben uns, so weit es eben geht, auf alle denkbaren Eventualitäten vorbereitet.«
»Wirklich alle, Sir?«
»Fällt Ihnen noch was ein?«
»Leider nein.«