Читать книгу Atlan 45: Vorstoß der Rebellen (Blauband) - Hans Kneifel - Страница 7
4.
ОглавлениеIch kauerte auf dem Rand meiner Pritsche. Die Verhandlung wurde direkt aus einem kleineren Sitzungssaal der Arena der Gerechtigkeit übertragen; sollte der Umstand, dass wir Gefängnisinsassen sie ansehen durften, abschreckend auf uns wirken? Ich hatte vom Korratz gehört, jener furchtbaren Krankheit. Aber bisher hatten wir angenommen, dass die Opfer in der Ruhe eines Krankenhauses dahinsiechten und schließlich starben. Nun zog ich die Schultern hoch und flüsterte: »Dieser Diktator. Er will sein Spektakel, mischt sich sogar in den Ablauf der Prozesse ein. Er will nichts anderes, als uns sterben sehen.«
»Und das möglichst bald«, knurrte mein Nachbar, ein untersetzter Mann in seinem beschmutzten braunen Overall.
»Bald und auf schreckliche Art«, pflichtete ihm sein Gegenüber bei.
»Er erhofft sich zweifellos eine Stabilisierung seiner Macht durch diesen Riesenprozess«, sagte Fartuloon. »Morgen früh werden wir uns also alle dort wiederfinden.«
Er deutete auf den Bildschirm. Die Kamera filmte gerade einen Rundblick durch den nüchtern und zweckmäßig eingerichteten Saal. Die ersten Zuschauer verließen, erregt miteinander sprechend, die Plätze. Ches Prinkmon, der Trivid-Journalist, schloss seinen Bericht ab und sagte mit ruhiger Stimme: »Wir versprachen Ihnen, meine Zuhörer, einen interessanten und ausgewogenen Bericht. Wir konnten dieses Versprechen nur einen Tag lang halten. Morgen wird in einem anderen Saal eine ganz andere Art von Prozess beginnen, und auch dort werden unsere Kameras sein, auch von dort werden wir unvoreingenommen und sachlich-informativ berichten. Für heute verabschiedet sich das Team: Fimm Monhole, Kameramann Aderlohn Dharr und ich, Ches Prinkmon. Sie sahen und hörten eine Sondersendung von Arkon-Vision. Danke.«
Langsam streifte er sich Kopfhörer und Mikrofonbügel ab. Das Bild blendete ab und machte dem Nachrichtenlogo von Arkon-Vision Platz. Die nachfolgenden Meldungen, vor allem die zuerst gesendeten angeblichen Erfolgsberichte von den Methanfronten, interessierten uns eigentlich nicht. Doch dann wurde etwas gesendet, was Fartuloon und mich förmlich elektrisierte: In einer längeren Reportage wurde auf den am 3. Dryhan auf Zalit ermordeten Gos’Mascant Offantur Ta-Metzat eingegangen. Wir trauten unseren Ohren nicht, waren bemüht, uns keine noch so kleine Regung anmerken zu lassen. Doch je länger der Nachruf dauerte, desto mehr erfasste uns das Gefühl einer tiefen Befriedigung – weil nun feststand, dass ein weiterer Mörder meines Vaters nicht mehr lebte. Nun waren es noch zwei: Psollien und Orbanaschol …
Celkar: 5. Prago des Dryhan 10.500 da Ark
Ogor stemmte seine Füße gegen die Kante des gegenüberliegenden Sitzes. Der kleine Wagen der subplanetarischen Verbindung raste fast lautlos durch den Schacht, auf den Gefängniskomplex zu. Alles oder fast alles ging automatisch vor sich, aber dort vorn würden ihn wieder Wachen empfangen. Er wollte gar nicht flüchten. Er wollte nur Ruhe und Vergessen. Wieder überlegte er, ob er seine letzte Möglichkeit ausschöpfen sollte, aber dann schalt er sich einen Feigling, der nicht den Mut hatte, den Konsequenzen ins Auge zu sehen. Wimmernd bremste die Automatik die Kabine ab, hob sie aus dem Schacht und setzte sie in eine geschlossene Kammer. Die Türen glitten leise zischend auf. Ogor sah sich einer Rampe gegenüber, die hell erleuchtet nach oben führte. Wie fast überall bestanden auch hier die Wände aus Stahlverkleidungen.
Ogor ging schweigend die Rampe hinauf und ignorierte das Zuschnappen schwerer Trennwände und Türen hinter sich. Schließlich nahm ihn abermals ein Lift auf und entließ ihn wieder auf dem betreffenden Stockwerk. Hier warteten die bewaffneten Wächter und die schwebenden Roboter. Sie führten ihn schweigend zurück in seine Zelle. Primm raste auf ihn zu, kreiste um Ogors Kopf und schrie immer wieder, von Flüchen unterbrochen: »Ogor gesehen. Schlechte Aussicht. Bald sterben-sterben!«
Ogor fing die Kolibrimaus mit schnellem Handgriff aus der Luft, hielt sie vors Gesicht und murmelte: »Alles ist unklar, mein Kleiner. Du musst noch warten, Primm. So wie ich.«
»Immer warten-warten. Wann kommen wir weg, Ogor?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist alles bald vorbei, Primm.«
Er öffnete vorsichtig die Finger, der Primm schwirrte davon, ein winziges hellblaues Bündel, dessen Flügel sich so schnell bewegten, dass die einzelnen Abläufe nicht mehr unterscheidbar waren. Als Ogor sich setzen wollte, klickte der Lautsprecher. »Gefangener Ogor!«
»Ja«, brummte er unwillig. »Was gibt’s?«
»Ches Prinkmon, der Journalist der Arkon-Vision, will Sie später sprechen. Sind Sie einverstanden?«
»Meinetwegen. Wann?«
»Irgendwann. Sie können den Zeitpunkt bestimmen. Es sollte noch heute sein.«
»Sagen Sie ihm«, entgegnete Ogor, »dass er in zwei Tontas kommen kann.«
»Danke.«
Bisher hatte man ihn in diesem Gefängnis nicht gerade verwöhnt, aber immerhin korrekt behandelt. Er hatte befürchtet, als neunfacher Mörder den Abscheu der Beamten und Wächter zu erregen, aber sie blieben kühl und gelassen. Vermutlich hatten sie schon ganz andere Gefangene hier gehabt. Er zog sich aus, duschte und legte sich auf die Pritsche. Primm klammerte sich an den Gitterstab und machte keinerlei Anstalten, trotz des offenen Fensters davonzufliegen. Wenigstens ein Wesen gab es, dachte er melancholisch, das mich nicht verabscheute.
Etwa eine Tonta später, als es bereits dunkel geworden war, schreckte bohrender Kopfschmerz den Gefangenen hoch. Er kannte schwersten Schmerz in allen Variationen, aber er hatte so gut wie niemals Kopfschmerzen gehabt. Er setzte sich auf, massierte die Schläfen und merkte langsam, wie der Schmerz wich. Ein Blick aus dem offenen Fenster, durch das warme Luft herein strich, zeigte ihm die ersten Sterne. Träge zog er sich an, schaltete das Licht am Kopfende der Liege an und wartete mit unendlicher Geduld auf den Reporter. Jetzt, da alle seine Chancen am Ende waren, hatte er Zeit im Überfluss. Von jetzt bis zum Augenblick seines Todes.
Was wollte der Reporter? Warum wollte er ihn sprechen? Ogor zuckte gleichgültig die Schultern. Er konnte es sich nicht denken. Er hatte von einem Wärter gehört, dass mehrere Hundert neue Gefangene eingetroffen waren. Verräter und Deserteure, hatte es geheißen. Nicht seine Sache, sagte er sich. Er wusste, dass er sich völlig indifferent verhielt.
Er schien allen Zuschauern kalt und ungerührt zu sein. Aber die langen Jahre der Qualen hatten ihn befähigt, seine Gemütsbewegungen zu verbergen. Er hasste sich wegen der drei Frauen und der sechs Männer, die er umgebracht hatte. Aber in vielen langen, qualvoll schlaflosen Nächten hatte er sich immer wieder selbst geprüft. Er hatte nichts vergessen von dem, was er erlebt und empfunden hatte – nur die Phasen, in denen er wie ein Rasender reagiert hatte, waren für immer aus seinem Gedächtnis getilgt. Er war sicher, dass er nicht einmal im wildesten Ansturm des Korratz-Schmerzes gemordet hätte. Es war der Minicomputer oder die Veränderung, die nach dem Einsetzen dieses teuflischen Dinges in seinem Verstand stattgefunden hatte. Wieder unterbrach der Summer seine Überlegungen.
»Sie werden im Sprechraum erwartet. Man holt Sie ab, Ogor.«
»Geht in Ordnung«, sagte er mürrisch.
Zentitontas später eskortierten ihn zwei Wächter durch den Korridor, an der Schaltstation für die Sicherheitseinrichtungen vorbei, in den Sprechraum, eine große Zelle, mit dem Luxus eines Teppichbodens sowie einem Tisch und mehreren Sesseln. Ches Prinkmon und ein hagerer Mann mit einer Schulterkamera warteten bereits ungeduldig.
»Was wollen Sie?«, erkundigte sich Ogor mürrisch. Er fühlte sich gereizt und müde.
»Mit Ihnen sprechen. Über einige wesentliche Punkte.«
Wieder fing der Kopfschmerz an. Zwei Wächter lehnten, die Waffen locker an der Hüfte, an den Wänden. Sie gähnten und schienen verärgert über die späte Störung zu sein. Ogor vermutete, dass Ches den Verwalter bestochen hatte; er hatte beim Schwimmen das Gespräch zwischen Wächtern aufgeschnappt, und daraus war zu schließen, dass Doomyh Kiln bestechlich war, ohne deswegen seine Pflichten zu vernachlässigen. Er legte unter der Einwirkung einiger Handvoll Chronners seine Vorschriften sehr elastisch aus.
»Über welche wesentliche Punkte wollen Sie mit mir sprechen? Und warum die Kamera und der Scheinwerfer?«
Anstelle des Reporters antwortete der Kameramann, den Ogor schon während der Übertragung dieses Tages hinter der Scheibe gesehen hatte. »Über Neumond, über die neun Planeten und über die angedeutete Möglichkeit, den Mikrocomputer zu beherrschen, Ogor.«
Die Schmerzen, die sich in einem sichelförmigen Bogen zwischen den Schläfen hinzogen, erzeugten in Ogors Kopf einen wilden, pochenden Schmerz. Aber er beherrschte sich noch immer. Er setzte sich und sagte: »Sie werden das alles in den Tagen des Prozesses erfahren. Wozu diese Eile, meine Herren? Sie greifen den Ergebnissen der Verhandlung vor.«
Bevor er reagieren konnte, begriff er, was eigentlich geschah. In seinem Kopf gab es ein metallisches Geräusch wie von einem altertümlichen Relais. Dann verwandelte sich Ogor, der etwa dreißig Celkartage lang ein Musterhäftling gewesen war, in einen rasenden Organismus. Mit einem gewaltigen Satz sprang er aus seinem Sessel, flankte über den Tisch und schleuderte mit einem kurzen Fußtritt den Kameramann zurück. Er stürzte sich mit ausgebreiteten Armen auf einen Wächter und schlug, kaum dass die Sohlen seiner Stiefel den Boden berührten, den anderen Mann zur Seite. In diesen Augenblicken verwandelte sich Ogor, vom Mikrocomputer gesteuert, in eine rasende Kampfmaschine. Dank seines Körpers, der zu einem großen Teil mehr einem Roboter glich als einem Arkoniden, besaß er weitaus schnellere Reflexe und ebenso viel größere Kräfte. Sein Hieb schleuderte den zweiten Wächter mehrere Meter weit die Wand entlang und in eine Ecke. Als er wieder sein Gleichgewicht gefunden hatte, hielt Ogor bereits die Waffe des ersten, bewusstlosen Wächters in der Hand.
»Hilfe! Er wird verrückt!«, keuchte Dharr, der sich zusammen mit seiner Kamera in einem Winkel wieder fand. Sein Schädel dröhnte wie eine Glocke. Ches stand scheinbar unbeteiligt da, rührte sich nicht und registrierte nur. Seine Bewegungslosigkeit rettete ihm das Leben.
Ogor federte herum. Er hob die Waffe, dann warf er sich zur Seite und riss die zweite Waffe an sich. Er beachtete weder Dharr noch Prinkmon, sondern sprang zur Tür. Jetzt bewegte er sich zwar so schnell wie ein Roboter, aber seine einzelnen Bewegungen waren die eines lebenden Wesens.
In diesem Augenblick begriff Ches Prinkmon, auf welche Weise Ogor zum neunfachen Mörder geworden war. Bevor er, die offizielle, schwerstem bewachte Zufahrtspiste über dem Planetenboden benutzend, den riesigen Gefängniskomplex betreten hatte, musste er feststellen, dass auch der Mond Celkars heute vom Schlagschatten seines Planeten bedeckt war: Neumond!
Zwei Schüsse fauchten donnernd auf. Die Wächter, von konzentrierten Schockstrahlen getroffen, rissen die Arme auseinander und sackten zusammen. Mit einem wilden Ruck riss Ogor die Tür auf und stürmte auf den Korridor hinaus. Zehn Sprünge trugen ihn geradeaus, dann feuerte er wieder, behände wie eine Maschine und mit zuverlässiger Treffsicherheit, auf einen Mann, der den Kopf aus einer Wachstube herausstreckte. Mit einem gurgelnden Schrei ging der Mann zu Boden.
»Was ist das, Ches?«, keuchte Dharr und wuchtete sich vom Boden der Zelle hoch.
»Das ist der Mikrocomputer«, sagte Ches tonlos. Er erlebte es mit, aber er war zu sehr beeindruckt, um es richtig glauben zu können. Vor seinen Augen hatte sich der ruhige, beherrschte Untersuchungsgefangene in ein wildes Tier verwandelt. Es konnte nicht anders sein: Der Mikrocomputer, ausgelöst durch den Schock des unsichtbaren Mondes, regierte diesen halbrobotischen Organismus. So und nicht anders war es gewesen, als Ogor neunmal gemordet hatte.
»Ogor? Er dreht durch?«, fragte Dharr keuchend.
Ches wandte sich um und starrte einen Augenblick lang in den Korridor hinaus, in dem sehr schnelle Schritte und das Quäken eines Alarmsummers zu hören waren. So ruhig und bedächtig, wie es ihm möglich war, erwiderte er: »Es scheint, dass Ogor durchdreht. In Wirklichkeit regiert ihn der Mikrocomputer. Du solltest drehen, denn diese Aufnahmen werden wir niemals mehr schießen können. Er ist nicht bei Sinnen. Sein Körper handelt, aber er gehorcht einem pervertierten mechanischen Verstand.«
Binnen weniger Augenblicke erreichte Ogor die Nische des Korridors, in der die verschiedenen Sicherheitseinrichtungen untergebracht waren. Die automatisch gesteuerten Linsen von Dharrs Kamera erfassten den dahinzuckenden Körper Ogors. Die Finger des Gefangenen kippten nacheinander lange Reihen von Schaltern herunter. Eine Sirene heulte. Mehrere Summer gaben lang gezogene, blökende Töne von sich. In dem Stockwerk dieses kreisringförmigen Korridors öffneten sich hundert oder mehr Türen schlagartig. Gleißende Tiefstrahler schalteten sich ein. Robotische Einrichtungen blockierten die Verbindungen zwischen den darüber und darunter liegenden Stockwerken.
»Mach die Aufnahmen, Dharr. Schnell! Die Gelegenheit kommt niemals wieder.«
Dharr rannte aus dem Sprechzimmer, schwenkte die leichte Kamera herum und lehnte sich gegen die Mauer. Er filmte den Körper Ogors, wie er sich bewegte und reagierte. Hin und wieder rannten Wächter durch den Korridor, aber ehe sie begriffen, wie die Situation stand, wurden sie von den hervorragend gezielten Schüssen niedergeworfen. Der Lärm, die Lichter und die Aufregung forderten die Gefangenen geradezu heraus, ihre Zellen zu verlassen. Das Chaos begann sich auszubreiten. Immer mehr Köpfe tauchten auf. Jetzt hatte Ches Prinkmon seine Sensation. Er hatte sie nicht gewollt. Aber er war entschlossen, jede Chance zu nützen.
Er verließ die Sprechzelle und wagte sich in das Durcheinander des Ringkorridors hinaus. Dharr fasste Mut und filmte die verworrenen Szenen. Wie ein Rasender sprang und rannte Ogor, auf jeden der uniformierten Wächter feuernd, durch die Menge, die sich von Augenblick zu Augenblick vergrößerte. Er war im Bann des Mikrocomputers. Der Rechner beherrschte ihn vollkommen, aber die Phase würde nicht lange dauern. Ches wusste es, denn der Verteidiger hatte erklärt, dass diese Zeitspanne nur wenige Tontas dauerte.
Genau zweihundert Türen wurden durch die Schaltungen Ogors geöffnet. Davon waren allein hundertsiebzig Türen oder Stahlplatten solche, die Zellen abschlossen. Zellen von verschiedener Größe, mit zehn, acht oder vier Gefangenen belegt, einige Zellen waren leer oder enthielten nur einen einzigen Gefangenen. Hunderte Eingekerkerte waren plötzlich in einem scharf umrissenen Rahmen frei. Aber ihr neu gewonnenes Reich erstreckte sich lediglich auf eine einzige Ebene des riesigen Gefängnisses; die beiden, einander gegenüberliegenden Verbindungen zwischen den Stockwerken waren zwar im Augenblick noch geöffnet und passierbar, aber der Alarm rief die Wachen der beiden Ebenen heran, und sie waren nicht so schnell zu überraschen.
In dem betroffenen Bereich rannten die Gefangenen in einer Art Massenpsychose auf die rund drei Dutzend Wachen zu, wurden teilweise niedergeschossen, aber schließlich siegte die zahlenmäßige Übermacht. Dreißig oder einunddreißig Wachen gab es in diesem Stockwerk. Elf Zentitontas nach dem ersten Angriff Ogors befanden sie sich in der Hand der Gefangenen.
Ich wachte aus einem leichten Schlaf auf, als das Licht in der Zelle aufflammte und Fartuloon mit einem Satz aus der hinteren Ecke hervorsprang. Langsam öffnete sich die Zellentür, gleichzeitig klappten laut die Wandfächer auf.
Alarm! Klingt nach Angriff oder Rebellion, schrie der Logiksektor.
Vom Korridor drang das laute Geräusch von Schritten, Schreien und Schüssen herein. In wenigen Augenblicken hatten wir uns mehr oder weniger angezogen und drängten uns um Fartuloon, der den Ausgang versperrte.
»Dort scheint jemand flüchten wollen«, murmelte der Bauchaufschneider und stieß mich an. »Die Gefangenen sind alle frei. Alle Türen stehen offen, soweit ich das sehen kann.«
Unbeschreiblicher Lärm entstand, als auch wir uns in den Korridor hinausschoben. Er war voller Männer. Hin und wieder im quirlenden Durcheinander tauchten die Uniformen von Wächtern auf. Die Männer kämpften schweigend und verbissen, aber allein die Übermacht der Menge überwältigte sie schnell. Ein einzelner Mann rannte jetzt hinter der weit geschwungenen Krümmung des Zentralkorridors entlang und feuerte aus zwei Handwaffen hinter sich.
Es ist Ogor, zischte der Logiksektor.
Zwei Wächter kamen aus einem Bereitschaftsraum heraus. Sie hielten die Waffen in den Händen und rannten auf uns zu. Wir blieben stehen und waren ratlos; unbewaffnete Männer hatten kaum Chancen. Fartuloon wirbelte herum und deutete auf den heranstürmenden Ogor, der jede Lücke in dem Gewimmel ausnutzte, sich im Zickzack hin und her warf und zufällig einen Gefangenen niederschoss, als sich der Mann zwischen ihn und einen Wächter schob.
»Dort ist Ogor. Er ist rasend geworden«, schrie mein Freund aufgeregt. Die Wächter ließen sich ablenken. Sie hoben die Waffen und blickten in die Richtung, in die der Bauchaufschneider zeigte. Im gleichen Moment warfen wir uns auf die Uniformierten, rissen ihre Waffen in die Höhe und wanden sie aus den Händen der Männer.
Gleichzeitig näherte sich uns Ogor und schrie durch das Heulen der Sirenen und das Schnarren der Summer: »Ich habe alle Türen geöffnet. Ich muss handeln. Los, befreit euch! Wir sitzen alle in einem Boot …«
Sein Geschrei wurde leiser und verlor sich im allgemeinen Lärm. Ich ahnte, dass er wieder unter dem Einfluss seines Gehirnersatzes stand; wenn dies stimmte, konnte ich sogar annehmen, dass Neumond über Celkar herrschte. Ogor befand sich wieder in einer seiner Phasen der unbeherrschbaren Gewalttätigkeit. Aber wie war er aus seiner gesicherten Zelle entkommen?
Ogor spurtete davon, schoss um sich und bewegte sich wie ein rasender Roboter. Seine Bewegungen waren zu schnell für einen normalen Arkoniden. Der gesamte Ringkorridor, der den Außenlinien des Gefängniskomplexes folgte, war jetzt voller Gefangener. Wir sahen mindestens zweihundert Männer jeden Alters, die wild durcheinanderschrien, auf die Wächter einschlugen und die Bewusstlosen in die Zellen hineinschleiften. Über dem Chaos aus Stimmen und Geschrei und den Geräuschen des Kampfes wimmerten unausgesetzt die Alarmanlagen.
Fartuloon hielt meinen Arm fest und sagte: »Es war der schlechteste Zeitpunkt. Hier kommt niemand heraus. Halten wir uns zurück.«
»Vermutlich werden sie die Wärter als Geiseln nehmen. Und hier im Zentralkorridor sind wir wehrlos.«
Die befreite Abteilung war nichts anderes als eine einzelne von mehr als fünfundzwanzig Ebenen, die kreisförmig übereinanderlagen. Unter uns und über uns hatte sich nichts geändert. Wir konnten förmlich darauf warten, dass sie uns wieder einfingen.
»Trotzdem müssen wir etwas unternehmen.«
»Einverstanden.« Ich riss mich los und rannte auf eine größere Menge Männer zu, die gerade einen Wächter niederschlugen. Eine Sirene stellte ihr nervenerschütterndes Heulen ein. Ich packte einen riesigen Mann, den ich schon mehrmals unter den verschiedenen Gruppierungen seit Serrogat gesehen hatte, an der Schulter. Er fuhr überrascht herum und erkannte mich. Ich grinste und brüllte: »Wir sammeln uns. Wir brauchen einen Platz, an dem wir uns verschanzen können.«
»Gute Idee. Los, Kameraden, nehmt ihn mit, und wir suchen uns einen gemütlicheren Platz«, donnerte der breitschultrige Mann. Ein paar andere Gefangene gehorchten und hoben den bewusstlosen Wächter hoch. Fartuloon winkte und deutete in die Richtung, in die Ogor davongerannt war. Eine laute, hallende Stimme krachte aus den unsichtbaren Lautsprechern und befahl uns in erregtem Ton, sofort in die Zellen zurückzugehen. Immer wieder wurde diese Warnung wiederholt, und schließlich schwiegen die Gefangenen ebenso wie die unzähligen verschiedenen Alarmeinrichtungen. Je weiter wir liefen, desto mehr Gefangene schlossen sich uns an. Wieder eine Beobachtung, wie man sie immer wieder machen konnte: Der Erste, der anfing, Anführerqualitäten zu zeigen, riss die anderen mit sich.
»Misshandelt die Wächter nicht. Es sind Geiseln. Wir können mit ihnen etwas aushandeln, wenn wir die Wachen als Kaufpreis einsetzen«, schrie jemand von hinten. Inzwischen waren wir mindestens hundert Männer, die sich durch den Korridor schoben.
Aufmerksam musterte ich die verschiedenen Einrichtungen. Die halbrobotischen Sperren waren alle ausgeschaltet. Noch immer drang aus der vor uns liegenden Krümmung des Ganges das Geräusch von Schusswechseln an unsere Ohren. Wir rannten an Dutzenden offen stehenden Zellenpanzertüren vorbei. Immer wieder schaltete jemand weitere Sicherheitseinrichtungen ab. Die Fächer, in die Roboter Essen und Bettzeug stellten, wurden aufgerissen. Dann kamen wir an den leeren Bereitschaftsraum der Korridorwache. Fartuloon, der Riese und ich drangen ein und sahen nichts anderes als einige eingeschaltete Servoroboter und eine bemerkenswerte Unordnung.
Wir bewegten uns in rasender Schnelligkeit durch die Räume, aber es gab nur einen einzigen Eingang. Enttäuscht rief Fartuloon: »Sind schlauer, als ich dachte. Aber irgendwo muss es einen Eingang in diesen Korridor geben.«
»Ganz sicher. Wahrscheinlich dort, wo geschossen wird.«
Wir nahmen einige Gegenstände an uns, dann liefen wir wieder hinaus. Inzwischen waren fast alle Gefangenen an dieser Stelle vorbeigeströmt. Sie rannten dorthin, wohin sich der Hauptstrom der freigelassenen Männer bewegte. Ich zuckte zurück, als ich die zwei Arkoniden sah, die völlig unbehelligt in etwa zwanzig Schritt Entfernung den rennenden Gefangenen folgten.
Der Reporter, zischte der Extrasinn.
Ich blieb überrascht stehen und hielt Fartuloon an. Der hochgewachsene Gefangene wollte an uns vorbei und sich auf die Journalisten stürzen, aber wir hielten ihn zurück. Der jüngere Mann sprach in das Mikrofon eines kleinen Recorders, der andere balancierte die Kamera mit der riesigen Filmbandtrommel auf der Schulter und hielt sein Auge an das Sucherobjektiv gepresst. Zuerst beachteten sie uns nicht, aber dann blickte uns Ches Prinkmon scharf an.
»Machen Sie keine Dummheiten«, sagte er beschwörend. »Wir sind völlig unparteiisch. Lassen Sie uns hinaus.«
Ich grinste kurz. »Von mir aus. Wenn Sie uns den Ausgang zeigen?« Für einen Augenblick schwankte die Kamera. Ich musste damit rechnen, dass sie unsere Gesichter erfasste. Ich trat zur Seite und machte einige Schritte auf den jungen Mann zu, der den Prozess gegen Ogor kommentiert hatte. »Was ist eigentlich passiert?«
Der Riese hinter mir deutete nach links und rief drohend: »Los – weitergehen! Von mir aus können Sie filmen, was sie wollen. Aber wir müssen hier raus!«
Als wollte die Direktion seine Befürchtungen unterstreichen, erscholl wieder die Lautsprecherstimme, die mit dem Einsatz von Kampftruppen vom Raumhafen drohte, um den Aufstand niederzuschlagen. Wir setzten uns voller Unruhe wieder in Bewegung. Fartuloon und ich vermieden dabei, uns in der Nähe der Kamera aufzuhalten.
»Schneller!«
»Wir waren bei Ogor. Plötzlich drehte er durch, entwaffnete die Wachen und stürmte davon. Mir hat er halb den Brustkorb eingedrückt«, sagte Ches. »Rechnen Sie sich Chancen aus?«
»Wie würden Sie unsere Chancen einschätzen?«, fragte Fartuloon brummig zurück.
»Ganz miserabel.«
Sie konnten Narkogas in den Korridor und die Zellen blasen, die Roboter im Schutz von Energieschirmen würden uns ebenfalls zurücktreiben, denn wir hatten nur schätzungsweise zwei Dutzend Lähm- oder Schockwaffen, die von den Wächtern stammten. Das Ganze war sinnlos, aber vielleicht gab es doch irgendwo eine winzige Chance.
»Vielleicht können wir Ihnen draußen mehr helfen.« Ches versuchte, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Ich hätte an seiner Stelle nichts anderes getan. Weder Fartuloon noch ich hatten das geringste Interesse daran, diesen beiden Männern etwas zu tun oder sie ebenso wie die Wächter als Handelsobjekte zu behandeln.
»Vorausgesetzt, Sie kommen hinaus«, knurrte der Große. »Wir haben alle Wächter entwaffnet.«
»Wir können eine Art Sprecher zwischen den Gefangenen und der Verwaltung sein«, schlug Prinkmon vor. »Niemandem ist gedient, wenn hier Wärter oder gar Trividleute umgebracht werden.«
»Bisher ist noch niemand umgebracht worden«, sagte Fartuloon nachdrücklich. »Soweit ich es beurteilen kann, wird auch niemand umgebracht. Höchstens wir Gefangenen.« Wir holten die Masse der Gefangenen ein. Sie staute sich im Korridor, und als wir versuchten, uns durchzuschieben, saßen wir nach zwanzig Schritten fest. Premcest-Fartuloon hob die Arme und schrie laut: »Macht Platz! Diesen beiden Männern verdanken wir, dass die Zellen sich geöffnet haben. Sie und Ogor haben uns befreit. Lasst sie durch, rührt sie ja nicht an!«
Die Überraschung ließ eine schmale Gasse entstehen. Wir bahnten uns einen Weg und kamen wieder ein gutes Stück vorwärts. Immer wieder sahen wir einzelne Wächter, die gefesselt inmitten einiger Gefangener eingekeilt waren. Das Schießen hatte aufgehört. Wir drängten uns weiter, und neben uns summte die Kamera.
»He – loslassen!«, fauchte der riesige Gefangene. »Rührt sie nicht an. Was gibt es dort vorn?«
»Der einzige Ausgang aus diesem Kreisel hier.«
Mindestens dreihundertfünfzig Gefangene drängten sich hier zusammen. Sie unterhielten sich leise. Der erste Schock der Freude, als die Türen sich öffneten, war unwiederbringlich vorbei. Jetzt erinnerten sich die Männer an Geschichten, die sie kannten: Dies war nicht die erste Gefangenenerhebung, und in den meisten Fällen waren solche Aktionen mit brutaler Waffengewalt niedergeschlagen worden. Die Stimmung schwankte jetzt zwischen Euphorie und tiefster Niedergeschlagenheit. Viele Männer würden sich jetzt am liebsten wieder in die Zellen zurückgezogen haben, aber das Diktat der Masse hielt sie an ihrem Platz. Eine gewisse Ratlosigkeit lag in der Luft. Ich musste sie ausnutzen.
Ich machte mir mit ein paar Rippenstößen Platz und rief: »Freunde! Hört einmal zu!« Langsam beruhigte sich das Murmeln der unzähligen Gespräche. Die Männer rückten weiter auseinander. Die meisten sahen in meine Richtung. Der Kameramann schien wirklich kaltblütig zu sein, oder aber er erkannte die Gefahr nicht, in der sie beide sich befanden. In dieser Stimmung konnte ein falsches Wort oder eine unbedachte Bewegung die aufgestörten Männer explodieren lassen. Ich hielt nach Ogor Ausschau, aber ich sah ihn nicht. »Diese beiden Journalisten sprachen mit Ogor. Vielleicht habt ihr den Prozess gesehen, beziehungsweise seinen Anfang. Er fiel wieder in eine seiner gefährlichen Wahnsinnsphasen zurück. Er hat die Wächter überwältigt und uns befreit. Lasst also die Männer hier durch, die Wachen werden nicht auf sie schießen. Wir sind schließlich keine Meuchelmörder. Los, zur Seite, Dicker.«
Ich schob die zwei Leute von Arkon-Vision vorwärts. An dieser Stelle verbreiterte sich der Korridor zu einem rechteckigen Raum, an dessen Ende eine Rampe aufwärtsführte. In ungefähr fünfzig Metern Entfernung schimmerten mehrere gestaffelte Energieschirme, zwischen denen schwere Kampfroboter schwebten. Hinter den Maschinen waren Bewaffnete in Kampfanzügen zu sehen.
»Geht geradeaus«, sagte ich. Wir waren noch immer von aufgeregten Männern umgeben, die sich voll deutlicher Unruhe bewegten, die Köpfe drehten und die Fäuste ballten. »Die Wächter und Roboter werden euch durchlassen. Los, schnell.«
Wieder blickte mich der Journalist mit merkwürdiger Schärfe an. Dann nickte er, drehte sich um und winkte seinem Kameramann. Ehe der Spezialist sich umwenden und Aufnahmen von Fartuloon und mir machen konnte, verschwand ich in der Menge der Gefangenen.
»Gut gemacht«, lobte mich der Bauchaufschneider. »Und jetzt zu euch, Freunde. Misshandelt die Wächter nicht. Je besser es ihnen jetzt geht, desto weniger schlecht wird es uns gehen, wenn es eine Auseinandersetzung gibt. Es ist nämlich so, dass der Imperator unseren Tod sehen will.«
»Du meinst«, schrie jemand aus der Menge, »dass das Gefängnis angegriffen wird?«
»Das ist nicht auszuschließen«, warf ich ein.
»Aber wir haben Geiseln …«
Von hinten brüllte jemand: »Einunddreißig Wächter. Alle entwaffnet …«
»Ihr kennt die Wut Orbanaschols offensichtlich nicht«, sagte Fartuloon. »Wenn er schlechter Laune ist, dann gibt er Schießbefehl.«
»Er wird rasend vor Wut sein«, gab jemand zu bedenken.
»So ist es«, sagte ich. »Die Frage bleibt, was wir jetzt tun.«
Dicht neben mir ertönte ein rumpelndes Geräusch. Die Männer sprangen zur Seite. Ein Teil der scheinbar massiven Wand bewegte sich und drehte sich langsam nach innen. Licht schaltete sich ein, und in dem breiter werdenden Spalt stand Ogor, Waffen in beiden Händen. Er war von Kopf bis zu den Stiefeln mit einem rötlichen Staub oder Puder bedeckt. Breite Bäche aus Schweiß hatten sein Gesicht in ein Muster unregelmäßiger senkrechter Streifen verwandelt. Er sah auf gefährliche Weise irre aus. Er lachte schallend und brach ganz plötzlich damit ab. Dann sagte er mit undeutlicher Stimme: »Ich habe einen Weg gefunden.« Wir alle starrten ihn verwundert und atemlos vor Verblüffung an. »Hier entlang. Hier gibt es alles – Waffen, Essen, Uniformen. Ich habe niemanden getroffen.«
Seine Finger öffneten und schlossen sich wie die Klauen eines Raubvogels um die Handgriffe der Waffen. Dann drehte er sich um und rannte davon, in einen Raum von unbekannter Größe hinein. Unschlüssig folgten ihm zuerst einige, dann mehrere Gefangene. Schließlich strömten sie hinter ihm her und schleppten die Geiseln mit sich, die sich glücklicherweise ruhig verhielten. Eine gefährliche, hysterische Spannung lag in der Luft. Fartuloon und ich drängten uns zur Seite und blieben an die Mauer gepresst stehen.
»Warte«, flüsterte Fartuloon warnend. Ich nickte. Die Männer schoben sich keuchend an uns vorbei und rannten hinter Ogor her. Wieder ertönte eine Lautsprecherdurchsage, deren Ton eine unverhüllte Drohung darstellte. Johlendes Geschrei der Gefangenen antwortete dem Gefängnisdirektor, der uns beschwor, die Rebellion zu beenden.
Es wird nichts nutzen, sagte der Logiksektor.
Es war immer dasselbe. Ein paar Männer, die abseits der großen Gruppe hinter Ogor rannten, zögerten. Es war ihnen deutlich anzusehen, dass sie am liebsten der Aufforderung gehorcht hätten. Aber der Sog der gemeinsamen Aktion und die Furcht, als Feigling bezeichnet zu werden, waren zu groß – sie rannten nach längerem Stocken weiter. Zuletzt befanden sich nur noch wir beide außerhalb der wuchtigen, getarnten Tür.
»Es ist besser, wir gehen mit«, sagte ich zögernd. »Vielleicht können wir verhindern, dass der wahnsinnig gewordene Ogor die Geiseln umbringt oder Ähnliches geschieht.«
Die beiden Männer von Arkon-Vision waren zunächst langsam, dann immer schneller werdend, die Schräge hinaufgelaufen. Als sie dicht vor den Schirmfeldern standen, schaltete man einen Projektor ganz kurz aus. Zwei Roboter mit schweren Strahlwaffen schoben sich aus der Lücke. Es ging ganz schnell; die Männer schlüpften durch die Lücke, die Roboter wichen zurück, und der Energieschirm schloss sich sofort wieder. Keiner der Gefangenen hatte sich bewegt, aber auch die Wachen dieses Gefängnisbezirks machten keine Anstalten, die Rampe hinunterzukommen. Sie warteten.
»Oder wir sehen vielleicht doch eine winzige Chance«, gab Fartuloon zu. Wir befürchteten, dass die Trividleute ihren Film ausstrahlen würden, denn er war eine erregende Reportage. Vielleicht erkannte uns jemand. Zugegeben, es war nicht sehr wahrscheinlich, aber die Möglichkeit bestand durchaus.
»Möglich, dass es ein winziges Loch gibt. Ich glaube nicht daran«, sagte ich voller Skepsis. Dieser Gefängniskomplex war viel zu gut bewacht und gesichert. Noch niemals war hier, das hatte uns die Lautsprecherstimme eindringlich zugerufen, ein einzelner Gefangener lebend geflüchtet. Und eine Gruppe besaß ebenfalls nicht die geringste Chance. »Was werden sie tun?«
»Auf alle Fälle den Diktator benachrichtigen.«
Wir befanden uns in einem lang gestreckten Raum, in dem das Echo der Stimmen und Schritte prasselnde und summende Geräusche erzeugte. Der Raum, voller Staub und schlecht ausgeleuchtet, ging in einen Stollen über, der wohl zu den Versorgungsgängen gehörte. Überall gab es einfache Stahltüren und Vorratsräume, die jetzt von den Männern geplündert wurden. In einem Raum entdeckten sie scharfe Waffen und Energiemagazine und bewaffneten sich damit. Sofort gewann die Rebellion eine neue, tödlichere Bedeutung.
»Wir auch?« Ich lief hinter dem Bauchaufschneider tiefer in das Labyrinth der Gänge und Vorratskammern.
»Nein. Halten wir uns heraus. Ich habe nicht die geringste Lust, von einem Raumsoldaten der JERRAWON niedergeschossen zu werden.«
Die Menge der Gefangenen zerstreute sich. Wir hielten jetzt, dem Mittelpunkt des Kreisrings näher, ein Gebiet von etwa hundertfünfzig Grad unter Kontrolle. Eine Tonta verging. Die Wächter wurden in eine staubige Kleiderkammer gesperrt, und schließlich sahen wir auch den Weg, den Ogor gefunden hatte. Es war eine schmale Tür, die sich in der größten Bereitschaftsanlage befand. Von hier aus konnten die Wachen und Robots in das Versorgungssystem hinein.
»Diese Tür«, schrie Ogor, »habe ich gefunden, ich ganz allein …«
»Seinen Mikrocomputer scheint ein Wahnsinniger programmiert zu haben. Oder glaubst du an die Neumond-Theorie?«, flüsterte mein Freund.
»Teilweise. Ich halte sie immerhin für möglich.«
»Ich kann es mir nicht vorstellen. Was ich mir vorstellen kann, ist hingegen ein Angriff der Wärter, verstärkt durch Kampftruppen vom Raumhafen. Sie werden genau dann angreifen, wenn die meisten Männer müde sind. Also in den ersten Tontas des neuen Tages. Etwa in sechs, sieben Tontas …«
»Auf Befehl dieses Irren im Kristallpalast?«
»Mit Sicherheit«, bestätigte Fartuloon.
Es brauchte wenig Phantasie und keinerlei Kenntnisse der Lage, um sich vorstellen zu können, dass Orbanaschol tobte. Längst hatte er erfahren, dass die Verräter und Deserteure, also seine persönlichen Feinde, nicht länger hilflose Gefangene waren. Zwar würden wir, selbst wenn wir tagelange Gefechte lieferten, letzten Endes auch sterben müssen, aber allein der Umstand dieser Rebellion durch Zufall musste ihn herausfordern. Er würde auf jeden Fall den Angriffsbefehl erteilen. Das Schicksal der Geiseln war ihm gleichgültig – was bedeuteten einunddreißig Gefangenenwärter auf einem fernen Planeten? Es würde rücksichtslos durchgegriffen werden. Weder Fartuloon-Premcest noch ich, Atlan-Lothor, gaben uns Illusionen hin.
Ich deutete mit dem Daumen in Richtung des Eingangs. »Der sicherste Platz wäre jetzt in unserer Zelle.«
»Nicht der sicherste Platz für einunddreißig Geiseln. Der kleinste Zwischenfall kann sie umbringen.«
»Gut. Wir bleiben hier.«
Langsam gingen wir zwischen den mehr oder weniger ratlosen Gruppen der Gefangenen hin und her. Wir setzten uns schließlich in die Nähe des Lagerraums, in den man die Geiseln eingeschlossen hatte. Doomyh Kiln, der Direktor dieses Gefängnisses, meldete sich nicht wieder über die Lautsprecher. Nichts geschah. Wir alle warteten. Eine lähmende Stille und Ruhe, von denen die Nerven gefoltert wurden, breitete sich aus. Bewaffnete Gefangene bewachten die beiden Zugänge und berichteten später, dass weder die Roboter noch die Wachen Anstalten machten, einzudringen. Auch wurde kein Gas in den Raum geblasen. Unendlich langsam verging die Zeit, aber vielen von uns war klar, dass das lange Warten mit einem Donnerschlag enden würde.