Читать книгу Atlan 45: Vorstoß der Rebellen (Blauband) - Hans Kneifel - Страница 5

2.

Оглавление

Zwanzig Stockwerke oberhalb der Ebene mit den Anwaltsbüros bewegte sich der hagere Mann mit dem kurzen, weißen Haar wenige Schritte bis zu einem Wandbrett, öffnete dort eine Flasche und goss vom Inhalt drei Finger hoch in ein massives Glas. Der Geruch des kostbaren Getränks breitete sich sofort in dem kleinen Büro aus.

»Wir werden es schwer mit der Wahrheitsfindung haben, Blascal«, sagte Richter Thorm da Daccsnor mit müder, aber fester Stimme.

Sein Assistent hob den Kopf und sah in die großen Augen des alten Richters. »Das ahnten Sie schon, Richter, als man Ihnen den Fall übertrug. Die Wahrheit wird womöglich niemals genau bekannt werden. Allein unsere Akten enthalten eine Anzahl einander widersprechender Fakten. Keine Vermutungen, sondern Beweise. Belegbare und datierte Aussagen, Informationen und Erklärungen. Das Einzige, das feststeht, ist …«

Der Richter trank das Glas leer und beendete den Satz. »… der Umstand, dass Ogor neunmal gemordet hat und in jedem Punkt geständig ist. Daran besteht bei niemandem ein Zweifel.«

Sie hörten die aufgeregte zweite Meldung der Pressestelle des Raumhafens, die diesmal über die interne Dienstleitung kam. »Die Laderäume der JERRAWON sind voller Deserteure und Hochverräter. Acht Schlachtschiffe, von Arkon alarmiert, haben mit ihren Landetruppen die Verbrecher nach verlustreichen Kämpfen gefangen genommen. Der Einsatz geschah auf Befehl von Imperator Orbanaschol persönlich. Kommandeur des Verbands ist Keon’athor Kyslor da Hagthar.«

Der Richter und der Assistent warfen sich einen langen Blick zu. Der Zwischenfall schien doch mehr zu sein als nur eine der unzähligen Pannen in der Phase, unter der das Imperium im Augenblick erzitterte.

»Klingt mehr als aufregend.« Blascal war ein junger Mann mit adlerartigen Gesichtszügen und einem blitzschnell funktionierenden Sachverstand.

»Abwarten«, kommentierte der erfahrene Richter.

Mit mühsam gedrosselter Erregung fuhr der Sprecher fort: »Offensichtlich hat ein arkonidischer Edelmann – immerhin ein Agh’tiga und Einsonnenträger –, dessen Namen von dem Leiter der Einsatzkommandos mit Helcaar Zunth da Helonk angegeben wird, als Inhaber des pharmazeutischen Konzerns TUUMAC auf Serrogat eine Privatarmee von abrufbereiten Söldnern aufbauen wollen. Das Depot wurde gefunden und zerstört, TUUMAC-Mitarbeiter und Deserteure verhaftet. Schon zuvor hat da Helonk – als Mitglied der Macht der Sonnen genannten Putschisten – alles gestanden, sich durch Freitod aber dem eigenen Prozess entzogen. Der Imperator hat daraufhin angeordnet, dass auf dem schnellsten Weg in der Arena der Gerechtigkeit ein Standgericht zusammentreten und die Hochverräter verurteilen soll. Die Urteile sind auf imperiale Anordnung ebenfalls unmittelbar nach dem Urteilsspruch zu vollziehen. Der Kristallpalast wünscht, dass in Zeiten der nachlassenden Kampfmoral ein Schauprozess durchgeführt wird. Sonnenträger Twellzock, der Kommandant der JERRAWON, hat angeboten, Mitglieder seiner Kommandoeinheiten als Bewachungspersonal zu stellen. Das Schiff ist gelandet. Sämtliche Gefangenen werden schwerstens bewacht nach Celkars Gefängniskomplex gebracht. Weitere Meldungen folgen.«

Der Richter sagte leise: »Die Öffentlichkeit wird diese Meldungen vermutlich noch heute Nacht, spätestens morgen früh erfahren, einen Tag vor Prozessbeginn.«

»Trotzdem bin ich sicher, dass der Schauprozess unsere Vorbereitungen nicht unterbrechen wird. Die Institution, selbst wenn sie so hervorragend funktioniert wie die Organisation dieses Hauses, braucht einige Zeit. Das beginnt mit der Feststellung der Namen.«

»Sie haben recht. Machen wir weiter.«

Beiden Männern wäre auch ohne ihre langjährige Erfahrung und ohne juristischen Instinkt klar geworden, dass keiner der Hunderte von Verrätern die nächste Arkonperiode überleben würde. In solchen Dingen tobte sich der Imperator aus, und er brauchte einen solchen Schauprozess, um seine schwindende Macht zu festigen.

Celkar: 3. Prago des Dryhan 10.500 da Ark

Auch ohne den Hinweis des Logiksektors war mir bewusst, dass meine und Fartuloons Biomolplastmasken nicht mehr lange bestehen würden. Nach und nach verwandelten wir uns wieder zurück – verbunden mit der Gefahr, dass die wahre Identität der desertierten Raumsoldaten Lothor und Premcest zutage trat. Ich konnte mich ebenso wenig rühren wie die anderen dreißig Insassen dieses gepanzerten Gleiters. Er bewegte sich, von einigen Beibooten des Schlachtschiffes eskortiert, in rasender Geschwindigkeit etwa dreihundert Meter über dem Boden des Planeten dahin.

Ihr wisst, wohin man euch bringt, sagte der Logiksektor warnend.

Has’athor Twellzock hatte mit kalter Stimme über Lautsprecher mitgeteilt, dass der Gefängniskomplex von Celkar für uns der Vorhof des Todes sein würde. Dort vorn tauchte das Gefängnis auf. Es war eindeutig als abstoßender Fremdkörper in der Landschaft konzipiert worden. Schon äußerlich wirkte der Rundkegelstumpf in der graugelb funkelnden Ebene wie eine uneinnehmbare stählerne Festung. Mein Lehrmeister und Pflegevater, noch immer unerkannt wie ich, saß mehrere Reihen hinter mir. Im Augenblick war es sinnlos, mit ihm in Verbindung treten zu wollen, denn dadurch würde sich nichts ändern.

Das letzte Sonnenlicht funkelte auf den abgeschrägten Außenwänden der Festung. Sie schienen aus Arkonstahl zu sein oder waren zumindest mit Stahl beschichtet, von vielen Reihen kleiner Fenster durchbrochen. Das Gefängnis war mindestens zweihundert Meter hoch. Als sich der Gleiter näherte, erkannten diejenigen von uns, die noch nicht apathisch geworden waren oder schliefen, dass es einen tiefen Innenhof gab, ebenfalls mit schrägen, völlig glatten Stahlwänden. Panzerkuppeln ragten aus dem dunkelgrauen Dachkreisring. Der Versuch, von dort auszubrechen, schien absolut hoffnungslos zu sein.

Auch Fartuloon alias Premcest musste das in diesen Augenblicken erkennen. Natürlich beschäftigten sich unsere Gedanken ununterbrochen mit den verschwindend wenigen Möglichkeiten, unerkannt zu entkommen. Wir hatten niemanden, der uns von außen helfen konnte.

Denkst du an eine Revolte?, erkundigte sich der Extrasinn.

Gedanken oder Überlegungen dieser Art lagen nahe. Ich wusste, dass es zwischen innen und außen, zwischen der scheinbaren Uneinnehmbarkeit dieses stählernen Gefangenenforts und den Korridoren, Gängen, Räumen und den zahllosen Winkeln einen Unterschied gab. Er konnte sich letzten Endes zu unseren Gunsten auswirken. Erst mal müssen wir diese Möglichkeiten kennen …

Der Gleiter ging tiefer, verringerte seine Geschwindigkeit und steuerte auf einen Begrenzungsmast zu, dessen Signallichter blinkten. Markierungen für Gleiterlandeplätze wurden sichtbar. Die Beiboote der JERRAWON kamen bedrohlich näher. Wir erkannten, dass die Schutzklappen vor den Geschützprojektoren zurückgefahren waren. Sie gingen wirklich kein Risiko ein, genau wie während des Fluges hierher, von der Hauptebene der Öden Insel zur etwas mehr als hundert Lichtjahre vom Arkonsystem entfernten Gerichtswelt. Serrogat war etwas mehr als 21.000 Lichtjahre entfernt, für deren Überwindung der Distanz ein halbes Dutzend Transitionen erforderlich gewesen waren.

Vorsichtig steuerte der Gleiter die Landemarkierung an. Wir hörten die Stimme des Piloten, der sich mit der Kontrollmannschaft des Turmes unterhielt. Dann landeten wir. Die Türen öffneten sich, die schweigenden Wächter sprangen heraus und entsicherten ihre Waffen. Aus dem glatten Boden des Daches schoben sich drei würfelförmige Metallkäfige. Nachdem die schweren Türen zur Seite gefahren waren, bemerkten wir, dass es Lifts waren.

»Herauskommen. Jeweils zehn Männer in einen Lift«, sagte der Pilot über Lautsprecher. »Fluchtversuche sind sinnlos. Es gibt nur diese Einstiege.«

Er hatte recht. Das kreisringförmige Dach war flach und eben. Es gab nicht einmal ein Geländer oder eine Brüstung. Entweder verdursten oder verhungern – oder vorher der Absturz über die glatten Wände. Andere Chancen gab es nicht. Wir schoben uns aus dem Gleiter heraus und auf die Lifts zu. Fartuloon und ich – oder Premcest und Lothor – bewegten uns so geschickt, dass wir die Ersten im dritten Lift waren. Die Kabine raste wie ein Geschoss fauchend in die Tiefe. Wir zählten mit und rechneten. Vermutlich waren wir, als die Kabine abbremste, etwa auf dem Niveau des Bodens angekommen. Wir traten in einem schmalen Gang, der voller robotischer Einrichtungen war.

Stimmen ertönten, Lichtpfeile flammten auf, Absperrgitter und Energieschirme trieben die einzelnen Gruppen in verschiedene Richtungen. Zusammen mit acht anderen Männern kamen Fartuloon und ich in eine große, saubere Zelle, in der es sogar Kommunikationsschirme gab, hinter dicken Panzerglasscheiben vor Zerstörung geschützt. Die schmalen Pritschen waren mit sauberer Einwegwäsche überzogen. Wir setzten uns schweigend und sahen alle gleichzeitig zu der massiven Tür hin, die sich geräuschlos schloss.

»Aus dieser Festung, Freunde, kommen wir nur dann wieder hinaus, wenn es die anderen erlauben. Und nach allem, was wir wissen, wird es niemand erlauben.«

»Keine Vollstreckung ohne Urteil«, brummte ein anderer Gefangener. Aus der Ecke lachte jemand sarkastisch.

»Sie werden uns verurteilt haben, noch ehe wir uns hier häuslich eingerichtet haben«, sagte ich. »Unsere einzige Chance, eine Änderung unserer Lage herbeizuführen, liegt vor den Schranken des Gerichts.«

Wir mussten als sicher annehmen, dass dieser Raum beobachtet und schärfstens abgehört wurde. Auf keinen Fall durften wir unsere vorläufige Verkleidung preisgeben. Wir waren nichts anderes als zwei Gefangene aus der großen Schar.

»Meinst du«, erkundigte sich Fartuloon spöttisch, »dass sie übergroße Milde walten lassen werden?«

Ein Summer ertönte, dann knarrte eine Roboterstimme und unterbrach die Unterhaltung der zehn Gefangenen. »Sie finden neben der Tür zehn nummerierte Fächer. Sie öffnen sich auf Knopfdruck. In den Fächern findet sich Essen und alles Nötige für die nächsten Tage. Rechts und links der Zelle führen die schmalen Türen in die Hygieneräume. Die Gefangenen behalten die kennzeichnenden Nummern für die Dauer des Aufenthaltes. Die Fächer sind öffnungsbereit.«

Gleichzeitig leuchteten Zahlen von eins bis zehn auf. Fartuloon und ich nahmen die Nummern sechs und sieben. Die Fächer enthielten in Einwegverpackung die angekündigten Dinge.

Leise sagte der Bauchaufschneider: »Wir haben mindestens ein paar Tage Ruhe. Vielleicht fällt uns etwas ein, das unsere Chancen verbessert.«

Ich bezweifelte es.

Arkon I, Gwalon-Kelch: 4. Prago des Dryhan 10.500 da Ark

In dem Raum herrschten Ruhe und Dämmerlicht; beides waren Faktoren, die Sinclair Marout Kennon alias Lebo Axton brauchte, um sich konzentrieren zu können. Das Gebäude gehörte mit dreiundzwanzig weiteren Groß-Kelchen von fünfhundert Metern Höhe in einem Areal von knapp zehn Kilometern Durchmesser zur aufgelockerten Bebauung auf dem flachen Squedon-Kont-Hügel. Axton bewohnte seit dem 28. Prago des Tartor 10.498 da Ark die rund 250 Quadratmeter; Suite Nummer 12 in der fünfzigsten Etage.

Hier gab es kein einziges Abhörgerät. Sogar die Scheiben der Fenster waren durch vorgelagerte Zerrfelder vollkommen schwingungsfrei, sodass kein Spionstrahl akustische Informationen abtasten konnte. Von außen war dank der Goldbedampfung auch kein optischer Einblick möglich, Warmluftgebläse an allen Außenseiten verhinderten überdies eine Infrarotausspähung. Nicht einmal auf hyperenergetischem Wege ließen sich Informationen aus dem Wohnungsinneren anzapfen – entsprechende Antiortungsfelder wirkten dem entgegen.

Weitere Absicherungen betrafen das elektrische und positronische System, Ver- und Entsorgung und die Kommunikationseinrichtung. Die leistungsfähige Positronik war autark; ein Zweitgerät war für die Vernetzung zuständig. Hinzu kam, dass Axton alles mit dem Wissen eines USO-Spezialisten »technisch verbessert« hatte. Mit den technischen Möglichkeiten der Arkoniden konnte Axton hier nicht abgehört oder überwacht werden.

Er lag scheinbar entspannt in einem Spezialsessel und hielt in den Fingern die Fernsteuerung für mehrere der Nachrichtengeräte. Aber er betätigte keinen der vielen Regler, denn der Text, den er seit einigen Zentitontas las, war mehr als erregend. Heute, am Vorabend des Prozessbeginns, waren die Informationen über den unglücklichen Kommandanten Ogor einigermaßen vollständig. Auf dem Bildschirm wechselten Aufnahmen, kurze Filmberichte und Schriftzeilen einander ab. Mit ungeteilter Aufmerksamkeit studierte Lebo Axton die Fakten und Informationen. Er war erregt; das Problem Ogors war fast sein eigenes, nur dass er keine Morde begangen hatte. In seiner realen Zeit lebte er selbst in einer Vollprothese, und es gab vermutlich im Großen Imperium keinen Zweiten, der die Probleme Ogors besser beurteilen konnte als er Lebo Axton.

»Es ist grotesk«, flüsterte er. Der kleine Mann maß nur 1,52 Meter, hatte eine vorgewölbte Trommelbrust, einen Riesenschädel mit Kindergesicht, wasserblaue, vorquellende Augen und gelichtetes, strohgelbes Haar. Die Ohren standen ab und waren selbst für den überentwickelten Schädel zu groß. Hinzu kamen eine nach vorn gewölbte Stirn, ein spitzes Kinn sowie das häufig zuckende linke Augenlid.

Er kannte den Namen und den Ruf des Richters. Er hatte ein Dossier über den Hauptverteidiger gelesen, und er war überzeugt, dass selbst Orbanaschol einen fairen Prozess gegen Ogor nicht verhindern konnte. Der Mann tat ihm leid; er suchte nach einer Möglichkeit, ihm zu helfen. Im Augenblick verfolgte er diesen Gedanken nicht weiter, sondern konzentrierte sich auf die Aussagen der verschiedenen Teilnehmer. Schließlich sah er auch die Angehörigen des kleinen Teams von Arkon-Vision, die über diesen Prozess berichten würden. Auch diese Leute schienen ihm weitgehend neutral zu sein. Die Organisation hatte diese Informationen zusammengestellt. Sie gingen weit über das hinaus, was die Allgemeinheit erfuhr.

Als Axton auch das letzte Datum und die geringste Information verarbeitet hatte, tippte er auf einen Schalter in der Armlehne seines Sessels und sagte kurz: »Diktat – Aufnahme. Schnellste Übermittlung über Dienstleitungen nach Celkar, an den Obersten Richter und die Gnadenkammer. Auf meine Verantwortung und mit sämtlichen Qualifikationen. Kopie an Richter Thorm da Daccsnor. Text: Hiermit reiche ich ein Gesuch um Begnadigung in der Strafsache Imperium versus Ogor ein. Wie sämtliche Erfahrungen unserer Behörde ergeben haben, sind Prothesen der geschilderten Art und erst recht ein Mikroprozessor in engster Verzahnung mit der Gehirnsubstanz des Angeklagten durchaus dafür verantwortlich zu machen, dass er ohne sein Wollen, als Abhängiger von kybernetischen Prozessen, schuldig wurde. Begründung: siehe Anlage. Ich stehe jederzeit uneingeschränkt zur Verfügung, um für den Angeklagten einzutreten. Trotz meiner chronischen Überbeschäftigung nähme ich auch als vorgeladener Zeuge an dem Prozess …«

Mit äußerster Akribie schilderte er das unlösbare Dilemma, das Ogor zum mehrfachen Mörder gemacht hatte. Er ließ sich die Zeilen mehrfach vorlesen, korrigierte das Gnadengesuch mehrmals und überspielte dann den gesamten Text in sein Büro im Trichterbau der Tu-Ra-Cel-Sektion Innenaufklärung – der Addag-Cel’Zarakh, abgekürzt ACZ. Axton wusste, dass das Gnadengesuch binnen weniger Zentitontas unterwegs nach Celkar und in die Arena der Gerechtigkeit sein würde. Sein Wort bedeutete viel und wog schwer; als Cel’Athor hatte er, seit Kethor Agh’Frantomor am 15. Prago der Prikur 10.499 da Ark überraschend der Nachfolger des ermordeten Quertan Merantor geworden war, den Dienstgrad eines TRC-Bezirksleiters einschließlich der damit verbundenen Befugnisse. Aber würde dieses Gesuch an der voraussichtlichen Verurteilung des Pseudocyborgs etwas ändern können?

Lebo Axton wandte seine Aufmerksamkeit schlagartig einem anderen Problem zu. Er gab die gesamten Informationen zurück in die gesicherten Speicher seiner Dienststelle und schaltete eine Geheimleitung ein. Ein Mann erschien auf dem Bildschirm; das ruhige Gesicht war voller Gelassenheit. Er war Majordomus des sogenannten Parkpavillons des Imperators, einige Hundert Kilometer nördlich des Hügels der Weisen.

»Wessalock«, murmelte Axton. »Was gibt es Neues?«

»Nichts. Wir verwalten ein leeres Haus. Orbanaschol igelt sich im Kristallpalast ein. Er hat seinen Landsitz seit langer Zeit nicht betreten. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«

Axton blickte in das schmale Gesicht und nickte wohlwollend. »Ich danke Ihnen. Kann ich mich weiterhin auf Sie verlassen?«

»Selbstverständlich. Ich melde mich – verfügen Sie in entsprechender Weise über mich.«

»Das werde ich tun, aber nur im Notfall. Leben Sie wohl, Majordomus Wessalock.«

»Leben Sie wohl, Axton.«

Der Bildschirm wurde wieder dunkel. Axton entspannte sich für wenige Augenblicke und verfluchte den tyrannischen Imperator, der in seinen letzten Zügen wild und unbeherrscht um sich schlug.

Wieder einmal fragte sich der Terraner, was er eigentlich war. Existierte er wirklich in dieser vergangenen Welt der Arkoniden? War alles nur ein Traum? Als Sinclair Marout Kennon lag er seit dem 20. Februar 2844 auf dem Konturbett von Zharadins Traummaschine auf Meggion, die vom Ischtar-Memory programmiert und verändert wurde. Oder war er doch körperlich hier? Auf eine Weise in die Vergangenheit geschleudert und materialisiert, die über seinen Verstand ging? Die Vermutung, er müsse eine naturgetreue Materieprojektion sein, hatte einiges für sich. Dennoch blieb die Frage, ob er in der realen oder doch nur einer Traumwelt lebte. Befand er sich wirklich in der Vergangenheit? Handelte es sich bei seinem Körper nur um eine Projektion, mochte er auch noch so materiell und echt erscheinen? Oder lebte er hier als echter Mensch? Ein Mensch in einem verkrüppelten Körper, aber immerhin doch ein Mensch?

Nicht zum ersten Mal fragte sich Axton auch, was mit ihm passieren würde, sobald das kritische Datum erreicht war: Nicht mehr lange, dann würde Imperator Orbanaschol III sterben – am 17. Prago des Dryhan 10.500 da Ark. Gab es für den Mann aus der Zukunft dann noch ein weiteres Leben hier in der Vergangenheit? Strebe alles auf diesen Höhepunkt zu – und endete mit einem fürchterlichen Knall? Einer Detonation, die auch Axton auslöschte, tötete oder »nur« aus der Welt der Traummaschine riss und wieder zum Leben in der Vollprothese verdammte?

Lebo Axtons Körper zitterte, sein linkes Lid zuckte. Der Verwachsene versuchte, diese Gedanken zu verdrängen, bemühte sich an Positives zu denken. Wie an die Meldung, die gestern quasi mit der Wucht einer Gravitationsbombe im Kristallpalast eingeschlagen war und Orbanaschol in einem Maß getroffen hatte wie wenig Anderes zuvor: Gos’Mascant Offantur Ta-Metzat war tot! Ermordet auf Zalit durch einen noch namenlosen Selbstmordattentäter, dem es gelungen war, sämtliche Sicherheitsvorkehrungen auszuhebeln und zu umgehen.

Niemand hatte mit so etwas gerechnet, der Imperator hatte zuerst fürchterlich getobt und war dann im wahrsten Sinne zusammengebrochen. Möglicherweise war das der Grund, weshalb das Geschehen zwar die Ermittlungsbehörden wie die Geheim- und Nachrichtendienste beschäftigte und selbstverständlich von den Medien groß aufgegriffen wurde, aber außer der Anweisung zur Staatstrauer zu keiner weiteren offiziellen Reaktion des Kristallpalastes geführt hatte. In den Berichten wurde es nicht hervorgehoben, doch es gab kaum etwas im Großen Imperium, was verhasster war als Offantur Ta-Metzats Politische Geheimpolizei des Imperators mit dem verharmlosenden Akronym Tu-Gol-Cel und ihr Chef an der Spitze, Tussan Goldan Celis stand für die »Goldan-Augen des Imperiums«, wobei Goldan oder Goltan dem Argus der griechischen Sage entsprach – einem Riesen, der hundert Augen hatte, von denen immer ein Teil wachte. Mehr noch als die Kralasenen Sofgarts oder die Celistas der normalen TRC-Geheimdienste waren die Männer der Politischen Geheimpolizei des Imperators in ihren dunkelroten Uniformen berühmt und berüchtigt für ihr Misstrauen, ihr skrupelloses Verhalten und ihre technisch perfektionierten Verhörmethoden samt der Unbedenklichkeit in der Wahl ihrer Mittel. Orbanaschol unterhielt eine ganze Anzahl unabhängig arbeitender Nachrichten- und Geheimdienste, aber Offanturs TGC war darunter bei Weitem der schlimmste.

Der Imperator hätte kein willfährigeres Werkzeug finden können als seinen ehemaligen Ersten Diener und zugleich engsten Vertrauten, der schon vor dem Mord an Gonozal VII. viele schmutzige Geschäfte für seinen Herrn erledigt hatte. Nach der Machtübernahme im Jahr 10.483 da Ark war der Mann rasch zum Ta-moas erhoben worden – zum »Ta-Fürsten Erster Klasse« im Sinne eines Erzherzogs – und als Dreifacher Sonnenträger Mascant mit besonderer Auszeichnung. Äußerlich ein gut aussehender Mann, mit einem angenehmen Gesicht und ausgesucht guten Manieren, verbarg sich hinter dieser Fassade ein Charakter, der notfalls über Leichen ging. Sein offizieller Titel des »Kristallmarschalls« als Mitglied des Berlen Than lautete Gos’Mascant oder Ka’Mascantis, was einem Hofmarschall als oberstem Beamten des imperialen Hofes entsprach. Von Amts wegen war er Vorgesetzter der Zeremonienmeister.

Axton seufzte – ein weiterer Gonozal-Mörder war ausgeschaltet, nur noch zwei lebten. Am 17. Prago des Tarman 10.483 da Ark fiel Atlans Vater, Imperator Gonozal VII., während eines Jagdausflugs auf Erskomier einem Komplott seines Halbbruders zum Opfer. Offiziell war es ein »Jagdunfall« gewesen, kaum jemand ahnte die schreckliche Wahrheit. Neben Orbanaschol selbst waren vier Männer daran beteiligt gewesen, durch das Versprechen von Geld und Macht verblendet – Offantur, Erster Diener Orbanaschols; der Oberbeschaffungsmeister am Hofe des Imperators, Sofgart; der Kommandeur der Wachflotte im Raumsektor von Arkon II, Amarkavor Heng; und schließlich der von Erskomier stammende Jagdspezialist Psollien.

Selbstverständlich hatten die Attentäter allesamt Karriere gemacht – Sofgart wurde zum Anführer der berüchtigten Kralasenen, Heng Mascant und Kommandeur der Hauptstützpunktwelt Trantagossa, Offantur befehligte die Tu-Gol-Cel. Noch lebten Psollien, der zunächst Tato von Erskomier gewesen war, inzwischen aber untergetaucht, und Orbanaschol selbst als Imperator des Großen Imperium. Axton dachte: Nicht mehr lange …

Atlan 45: Vorstoß der Rebellen (Blauband)

Подняться наверх