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Kapitel 2

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So einen August habe ich noch nicht erlebt, dass ich den Laden einheizen muss, damit wir nachher hier essen können. Hühnerflügel habe ich in der Pfanne, scharfe Tomatensoße zum dippen, Rose’ Baguette. Julia liebt das Abnagen der kleinen Knusprigkeiten, und wenn es nur nach ihr ginge, gäbe es dies jeden Tag. s’Baby.

So gern kommt sie nicht in den „Metzger-Laden", ist sie doch Fast-Vegetarierin. Fisch und Huhn, kein Fleisch. Mir macht das nichts, ich koche danach, und wenn ich meinen Schweine- oder Sauerbraten brauche, bekommt s Kind etwas extra.

Julia kocht nicht. Nie! Sie weigert sich zu kochen, wie sie sich überhaupt weigert, im Haushalt zu helfen. Und sie will nicht mit jemand darüber reden, der das gerne tut. Aus!

Nur für das Schlafzimmer fühlt sie sich verantwortlich und das von Anfang an. Vielleicht, weil sie die meiste Zeit darin verbringt. Vielleicht, weil sie sich nicht ganz ausschließen will von der Hausarbeit. Vielleicht mir zu liebe. Es stellt für mich kein Problem dar, es ist mir sogar recht. Ich bin so eingespielt in meine Hausarbeit, dass ich froh bin, wenn alles so läuft, wie ich es gerne habe. Das Auto putzt Julia leidenschaftlich gerne, das ist wahr. Sie fährt ausgezeichnet Auto. Ich bin keinen Meter mehr gefahren, seit sie bei mir ist. Seit sie bei mir ist!?

Sie denkt tatsächlich, ich wüsste nicht, dass sie keinen Führerschein besitzt. Ihr Vater hat mir das gesteckt, aber ich sagte ihm, das müsse sie selbst wissen in ihrer Volljährigkeit. Er sagte: „Ja, neunzehn!“ „Sollte ich ihr erst mit dreißig erlauben, ohne Führerschein zu fahren?“ Er winkte ab, ließ mich stehen.

Natürlich ist es für ihn unbegreiflich, Julia mit einem Mann zu wissen, der elf Jahre älter ist als er selbst. Für mich ist es doch auch nicht zu verstehen. Von einer Sekunde auf die andere hatte ich ein Kind, eine Geliebte und Frau. Ein Mädchen, das mich um zwei Köpfe überragt und diese blödsinnige Angewohnheit hat, mir in der Öffentlichkeit die Hand auf den Kopf zu legen, da könnte ich…

Dafür hasst sie es leidenschaftlich, wenn ich „Kind“ zu ihr sage.

Normalerweise koche ich nicht im Laden, außer bei größeren Gerichten (weil der große Gasgrill vorhanden ist) und bei mehreren Gästen. Im Sommer koche ich meist am frühen Vormittag ein kleines Gericht vor, das sich Julia wärmen kann, wenn sie Appetit hat. Sie isst es aber meist kalt oder sie gibt es in die Mikrowelle, die ich ins Schlafzimmer gestellt habe. Und den Rest – es bleibt immer eine gute Portion über – bereite ich mir zu nach Belieben.

Im Herbst und Winter und je nachdem bereite ich unser Mahl am Abend. Das Kochen ist für mich nicht nur die Fertigung von Speisen, es ist Kreativität, Liebe zu den Materialien und Erholung in der besinnlichen Art. Aber seit einer Woche koche ich im Laden, denn ich muss früh aus dem Hause und komme sehr spät zurück, habe ich doch einen Auftrag, der termingerecht fertig werden muss. Muss! Ich habe nicht gerne diesen Druck, aber ich brauche dieses Honorar sehr, habe ich doch noch eine weitere Person zu versorgen: Julia!

Sie ziert sich, ja, aber letztendlich kauft sie sich doch gerne ein Irgendwas, das um ihren hageren Körper weht. So wie die Dicken sich, so versteckt sie ihre Magerkeit unter diesen weiten Sachen. Natürlich denken die Verkäuferinnen des Übergrößengeschäfts „Für kurze und für lange“, dass Julia meine Tochter ist und Julia spielt dies auch perfekt. Und ich denke, dass ich diese Geduld mit meiner realen Tochter nicht hätte.

Für die Stadtverwaltung illustriere ich eine Umweltbroschüre, die den Schrebergärtnern die natürliche Gartenhaltung beibringen soll. Den Großteil meiner Aufträge beziehe ich von der Stadt und das ist gut so, zahlen sie doch gut und pünktlich und ist man erst einmal bei ihnen bekannt, dann bekommt man auch hie und da einen Auftrag.

Julia nimmt so ziemlich alles bedenkenlos und selbstverständlich an, aber dafür gibt sie mir auch bedingungslos alles, was sie zu geben hat: Ihre aufrichtige, ach so liebe Person. Mir kommen manchmal die Tränen der Rührung, wenn sie kommt und sie trägt dieses Schürzenkleid, ärmellos, bei dem kalten Wetter. Habe ich da nicht noch einen Pullover gehabt?

Ich stelle das Geschirr in den Spüler, sperre den Laden zu und gehe zu Fuß nach Hause. Julia ist mit dem Auto vorausgefahren und ich werde bei „Juan Carlos“ noch einen Espresso mit einem Grappa trinken, ja!

Wenn ich nach Hause komme, wird Julia irgendwo herumliegen, auf zehntausend Kissen, um ihre Knöcherigkeit zu betten. Dies Auf-dem-Boden-liegen begreife ich nicht so gut. Entweder hört sie Musik und liest dabei, oder sie liest und hört Musik dazu. Sie liest viel, aber am liebsten meine Sachen. Sie liest mein Tagebuch und meinen neuen Roman, den es gilt zu beenden, aber ich kann mich noch nicht dazu entschließen.

Die Grafikerei ist nur mein Gelderwerb. Mein Beruf ist Schriftsteller. Ich schreibe seit ich schreiben kann und es sind genügend Gedichte entstanden, Kurzgeschichten und auch vier Romane.

Nein, nicht veröffentlicht, die Romane, aber alle Bekannte und Verwandte und deren Verwandte und Bekannte lesen meine Bücher, die getippt, kopiert und gebunden begehrt sind. Denn ein jeder hofft, dass er darin vorkommt oder dass er jemanden kennt, der beschrieben wird.

Diesen Gefallen tue ich ihnen mit meinem letzten, noch nicht beendeten Buch mit dem Titel „Fliegen haben keine Mimik“ oder „Das Wahrheitsbuch“. Es ist im Stil eines Tagebuches geschrieben und enthält ehrlich keine einzige Lüge. Viele haben schon Auszüge davon gelesen, oder ich las vor, und warten somit auf die Beendigung.

Julia reißt mir mein Schreibbuch aus der Hand, wenn sie bemerkt, dass meine Konzentration nachlässt, flieht in eine Ecke, kichert, zieht die Augenbrauen hoch, grimassiert und macht so lange herum, bis ich nicht umhin kann zu fragen: „Was ist, gefällt es dir?“ Natürlich weiß ich, dass es ihr gefällt. Julia ist begeistert von dem, was ich schreibe. Julia gefällt ohnehin alles, was ich tue und, ohne hochzustapeln, ich gefalle ihr auch.

Julia gefällt mir auch ausnehmend gut, obwohl ich erschrak, als ich sie das erste Mal nackt sah. Ihre Größe trägt natürlich dazu bei, die Magerkeit zu unterstreichen, s Baby.

Sie trägt zwei Himbeeren als Brüste, ihre Taille kann ich mit den Händen leicht umspannen, ihre Schulterblätter gleichen kleinen Flügelchen. Natürlich kann ich die Wirbel ihres Rückgrates zählen. Ihr winziger schrumpeliger Nabel sitzt auf ihrem harten, flachen Bauch, der sich ganz leicht unter ihren Rippenbögen abzeichnet. Die hervortretenden Beckenknochen halten ihre Hosen wie Bügel, wenn sie welche trägt. Ihre langen harten Schenkel, die zu großen eckigen Kniegelenke, die so sanften Waden, die kaum-zu-glauben-schmalen Fesseln ergeben die langen Beine eines Tieres. Vielleicht eine Gazelle oder so was! Julia steht auf großen, aber schmalen Füßen, mit fingerhaften Zehen.

Ganz oben in ihrer Länge, auf dem beeindruckend sensiblen Hälschen, sitzt ein wohlgeformter runder Kopf mit Schneckenöhrchen, Kinderhundeaugen, einer gut geschwungenen schmalen Nase mit geschlitzten Nasenlöchern, deren Flügel durchsichtig scheinen. Ein spöttischer, lustiger Mund, mit aufgeworfenen Lippen, lenkt ab von dem zu spitz geratenen Kinn, das bekanntermaßen am Ende ihres ovalen Gesichtes sitzt.

Ach ja, Julia trägt eine Pagenfrisur a la Jungfrau von Orleans, mit feinem Seidenhaar, das beim leisesten Luftzug in Panik gerät.

Ihre Haut ist elfenbeinweiß und am gesamten Körper von Flaumhärchen bedeckt, s Baby. Ihre Scham nicht wahrnehmbar, bedeckte sie doch ein dunkles Mäusepelzchen.

Das ist Julia. Manchmal nachts, wenn wir im Bett liegen, sie ihre kalten Zehen unter meine Waden steckt, muss ich ihr das eben Beschriebene immer mal wieder vorsagen: Zwei Himbeeren als Brüste… und sie schmunzelt und knufft mich mit ihren Ellenbogen in die Seite, küsst mich fest und hart auf den Mund, bis es mir weh tut und ich mich ihr entwinde.

„Warum magst du s,so meinen dünnen Körper?“, die Nase an meine Wange gedrückt. Und ich antworte stets: „Weil der meine dick ist!“

Und nun zählt sie die Sehenswürdigkeiten meines vom Trinken aufgeschwollenen Körpers auf und ich schlafe spätestens dann ein, wenn sie anfängt, um meinen Bauch herum zu reden.

***

Louis hat mir Reissalat vorbereitet für den Tag, das heißt, er kommt erst in der Nacht nach Hause. Das zweite Wochenende, an dem er arbeitet. Einerseits s,schimpft er darüber, andererseits weiß ich ihn froh wegen dem Geld.

Louis kann immer genau beschreiben, wie es ihm geht. Verschieden. Aber bei mir s,selbst kann ich das nicht s,sagen. Ich empfinde es nicht, ich fühle mich nicht. Nicht wohl oder unwohl. Ich lebe vor mich hin, kann mich aber dabei nicht s,sehen. (Das ist gut! Ich s,schreib's für Louis auf, er verwendet s,solche s,Sachen in s,seinem Buch).

Louis hat s,sich zum Kochen Don Braden – Tenorsaxes – aufgelegt und zwar das s,Stück „Moonglow“ - „Mondglut“, die Wiederholungstaste gedrückt, s,so dass es nun vielleicht zum fünfzigsten Mal läuft. Es ist halb zwölf. Ich habe mir meine s,Schüssel Reissalat in der Mikrowelle warm gemacht. Wenn Louis heimkommt, lässt er die übliche Floskel los: „Und, was hast du getan?“ Ich kann ihm darauf nichts antworten, und dass ich mir den Reissalat warm gemacht habe s,sowieso nicht.

Ich s,säe nicht und ernte nicht, aber ich lebe dennoch (s,schreibe ich auch für Louis auf). Am liebsten trage ich etwas von Louis, ein Hemd oder T-Shirt oder heute s,seinen Hausanzug. s,Schwarz, aus irgendetwas Leichtem und natürlich viel zu kurz….. Oh, jetzt kann ich das s,Stück nicht mehr hören. Ich werde Louis im Laden anrufen…. Louis s,sagt immer, dass es ein dimensionaler Zufall war, dass der Laden früher eine Metzgerei war. Aber ich glaube, er hat ganz bewusst danach gesucht, war doch s,sein verstorbener Vater Metzger.

Er nimmt nicht ab. Entweder er trinkt was bei „Juan Carlos“ oder er s,sitzt im Kühlraum. Wenn ihm nichts einfällt, s,setzt Louis s,sich in den Kühlraum. s,Schließt man die dicke Türe, s,so s,sitzt man s,schalldicht in dem Raum und kann s,sein eigenes Herz klopfen hören.

Oh, ich koche mir einen Tee, oder hat Louis schon einen gekocht für mich? Tatsächlich, in der Thermoskanne ist grüner Tee, ich mag ihn unglaublich – den Louis meine ich. Und lese noch ein bisschen in seinem Tagebuch – neunzehnhundertfünfundachtzig - nein, ich nehme es mit hinunter ins Auto, s,samt Tee.

Louis hatte fünfundachtzig s,sechs Frauen…. mit dreien hat er geschlafen. Also, vorstellen kann ich mir das nicht, Louis mit einer anderen Frau im Bett.

Louis war mein erster Mann, wie man s,so s,sagt. 's war echt komisch. Ich musste ihn fasst zwingen, in mich zu kommen. Er s,sagte andauernd, dass wir wirklich warten könnten. Es war ihm peinlich, aber es klappte gut und er fragte nicht: Wie war’s! Wir s,schliefen diese Nacht überhaupt keine s,Sekunde. Am nächsten Tag holte ich ja meine s,Sachen von den Eltern.

Louis ist s,sexuell s,sehr zurückhaltend. Er tut nicht den ersten s,Schritt. Außerdem meint er, s,seine große Zeit s,sei vorbei. Mit vierzig ließ s,seine Kraft nach, behauptet er. Ich kann dass nicht beurteilen – Louis’s s,Schnuffi war das erste Glied, das ich je s,sah. Ich meine, wenn es groß ist…. Louis hat des Nachts und am Morgen eine Erektion und er wird mit zweiundfünfzig noch verlegen, wenn ich ihn da anfasse. Es ist ein Wunder, wie aus dieser s,schrumpeligen s,Schnecke ein…. ein… Liebesphallus….. Es wird mir aufgeregt, wenn ich s,sowas denke.

Es ist s,sehr s,schön, auf der Rückbank des Autos zu s,sitzen, mit Tee, Louis Tagebüchern, Radiomusik, zugedeckt mit der Tigerfelldecke!

Louis s,sagt, er hat noch keinen August erlebt, der s,so kalt war.

Es ist ein guter Beobachtungsplatz, s,so ein Auto. Rundumsicht.

Wenn ich an die s,Schule denke, wird mir s,schlecht. Louis ist mit meinen Eltern der gleichen Meinung. „Das Abitur machst du auf alle Fälle“. Bloß: Ich habe nicht den Wunsch, einen Beruf zu arbeiten.

Louis s,sagt, wegen ihm brauche ich nicht zu arbeiten, s,solange er lebt ist für mich genug da. Louis s,sagt immer, alles gut für mich, auch wenn er vieles nicht versteht. Er s,sagt, „Wer versteht schon die Menschen?“

Ich empfinde es nicht als merkwürdig, dass ich mit und durch Louis Tagebücher lebe, mehr oder weniger.

„Jeden Tag eine Wichtigkeit, und s,sei es nur der Himmel, der s,seit Millionen Jahren in keiner s,Sekunde das gleiche Bild bot“. Auf s,so was muss man kommen, auf s,sowas kommt Louis und: „Nur, wenn man das Leben ernst nimmt wie s,sich s,selbst, wird es ein s,Spaß“. Wenn er wüsste, wie wichtig er für mich ist. Natürlich auch, dass ich s,so leben kann, wie ich es s,seit über einem Jahr liebe.

Da kommt Louis, bepackt mit tausend Tüten für das Wochenende. Ob er mich bemerkt?

Oh ja, er hat mich gesehen, s,schüttelt den Kopf, tut überrascht und gleich wird er in das Auto einsteigen und s,sagen: „Ja sag’ einmal, was machst du denn da? Ist die Wohnung ausgebrannt?“

Ob er mir frische Feigen mitgebracht hat?

Der Laden

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