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Kapitel 5
ОглавлениеDurch das familiäre Erlebnis mit den s,Schwestern von Louis und ihren Männern, habe ich s,so eine Lust bekommen auf meine Mutter. Vom Berg habe ich s,sie angerufen und s,sie hat wieder geweint, aber wir haben uns verabredet. Erst wollte s,sie, dass ich in die Wohnung komme, dann s,schlug ich bei Louis vor, und s,später einigten wir uns: Wir treffen uns in Louis Laden, aber nur, wenn er nicht da ist – „zugegen“, wie Mama s,sagt.
Den großen Hühnergrill habe ich angemacht, darin dreht s,sich ein einziges Huhn, das Louis gewürzt hat. Und s,Salat hat er gemacht und Rotwein ist offen und ich muss das Baguette am s,Schluss in den Grill zum knuspern legen.
Es ist Ende Oktober und kalt genug, dass es die Gasheizung im Kundenraum des Ladens alleine nicht s,schafft, und s,so hilft Louis mit dem Hühnergrill nach. Meine Mutter klopft an das s,Schaufenster. s,Sie versucht, hindurch zu s,sehen, drückt s,sich die Nase platt und ich presse die meine dagegen und wir s,sehen uns in die Augen.
„Julia“ – „Mama“ – „Das ist also der Laden“ – „Ja“ – „Schön warm hier“ – „Das ist der Grill“ und ich zeige alles. Den Laden mit Louis Arbeiten, den Küchenthekenraum, den Grill mit dem fetttropfenden Hühnchen, den Kühl-Nachdenk-Raum und das ehemalige Büro, das Notschlafzimmer. Die Mama ist gerührt, interessiert, traut s,sich aber nicht mich auszufragen.
Louis hat gesagt, ich muss mit dem Huhn nix machen bis halb Acht und nun habe ich es zerteilt, auf dem großen Teller angerichtet, das gewärmte Brot dazu. Der s,Salat und der Wein s,stehen auf dem großen Arbeitstisch und ich habe Musik aufgelegt von Paolo Conte
Die Mama weiß nicht, wie ihr geschieht. s,Sie s,sieht mich s,so s,selbständig – s,sie weiß nichts von Louis Inszenierung – und ist verwundert und bewundernd zugleich.
Wir essen und reden nix! Mama findet das Huhn pfiffig – Louis hat es mit Chili eingerieben – der Wein ist ihr s,schwer, aber s,sie trinkt s,schnell und s,sie ist begeistert von Conte. Alles, das hat Louis gewusst. s,Sie wäre in zwei s,Sekunden in ihn verliebt, das schwöre ich.
s,Sie ist angetan vom Laden, von den vielen Kleinigkeiten, den kitschigen und künstlerischen und besieht s,sich ganz genau die Fotos, die ich von Louis gemacht habe.
„Du hast zugenommen!“
„Ja, bisschen…“
„Nimmst du die Pille?“
„Nein, Louis ist s,sterilisiert“
„Er arbeitet….“
„…als Grafiker und er s,schreibt für den Rundfunk.“
„Du liebst ihn!“
„Von ganzem Herzen“
„Und er dich?“
„Mehr als s,sein Leben“ und wir müssen loslachen über unser s,Spiel. Die Mama hat wirklich wässrige Augen und fragt:
„Es geht dir wirklich gut? Du bist so erwachsen geworden, Julia!
Gibt er dir Geld?“
„Alles was ich brauche!“
„Er verdient gut?“
„Manchmal!“
„Was ist mit deinem Abitur?“
„Er besteht darauf, dass ich es s,schaffe!“
„Julia, ich meine doch nur….“
„Mama, er liebt mich“
s,Sie hat s,sich die ganze Zeit nicht s,so wohl gefühlt in ihrer Mutterrolle, aber von Glas zu Glas wird s,sie redseliger, es ist die zweite Flasche Roter.
„Julia, ich glaube, ich kann nicht mehr fahren?!“
„Mama, ich rufe den Papa an“
„Bloß nicht!“
„Louis fährt dich“
„Nein!!“
„Dann s,schlafen wir hier, Mama!“
Und wir liegen im alten Ehebett von Louis, und wir nippen Rotwein der dritten Flasche.
Die Mama hat nix erzählt vom Papa und ich nicht viel von Louis und wir s,sind s,sehr gut eingeschlafen.
Mama hat s,sich gewaschen im Becken der kleinen Toilette, ich höre s,sie im Laden rumoren, es riecht nach Kaffee und Mama. s,Sie hat tatsächlich hier geschlafen. Hat s,sich Louis bestimmt gedacht, sonst hätte er angerufen. Ich wünschte, er wäre hier bei mir im Bett. Die erste Nacht s,seit über einem Jahr, dass ich nicht mit ihm eingeschlafen bin, dafür bestimmt nach über fünfzehn Jahren das erste Mal wieder mit meiner Mutter. s,Sie ruft nach mir, das Frühstück ist fertig. Picobello angezogen s,sitzt s,sie am Tisch, der für uns beide s,sehr gemütlich gedeckt ist. s,Sie hat vergessen, dass ich nur Tee trinke, aber ich werde Kaffee mit ihr trinken.
„Julia, ich habe so einen schönen Abend mit dir verbracht und ich habe gar kein Kopfweh, weißt du.“
„Von Louis Wein bekommt man keinen Kopf, Mama!“
„Es spricht die Kennerin, hm?“
„Mama, bitte….!“
Natürlich hätte ich s,sie gestern Abend nach Hause fahren können, aber s,sie hätte meinen nicht vorhandenen Führerschein s,sehen wollen und es hätte keinen s,Sinn gehabt. Das war wirklich gut mit ihr und ich glaube, s,sie ist ziemlich erleichtert. Wir s,sitzen uns gegenüber, s,schweigen in unsere Gedanken und ich möchte gar nicht wissen, was s,sie denkt. s,Sie wollte mich im Auto mitnehmen, aber ich gehe lieber zu Fuß.
Ich gehe den gleichen Weg, den Louis begeht und ich kehre, wie er, bei „Juan Carlos“ ein, bestelle einen grünen Tee und rufe über das Restaurant-Handy Louis an. Keine zehn Minuten s,später ist er hier, trägt die honigfarbenen Cordhosen und diese gewachste englische Jacke, deren Namen ich nie weiß, über dem grauen Strickhemd. s,Seine s,Stupfelhaare s,sind zu lang, s,sie s,stehen ihm am Hinterkopf zu Berge. Es ist genau zwölf Uhr! Louis trinkt einen Roten, knabbert an Pistazien.
„War es gut, Mamababy?“ fragt er.
„s,Sie wäre in zwei s,Sekunden in dich verliebt!“
Und er redet, versucht mir zu erklären, wie Mamas s,sind und ich s,sehe ihm die ganze Zeit nur in die Augen und Louis wird immer nervöser und s,sagt dann: „Gehen wir heim!“
Wir gehen, aber nicht heim, wir s,schlendern im Park, Louis teilt mit mir die Jacke, er hält s,seinen rechten Arm im Ärmel und ich meinen linken im anderen. Und zwischendrin bin ich und Louis Hand in Hand.
Es war ein ganz s,schön erstaunlicher und guter Abend mit meiner Mama, aber jede Minute mit Louis ist erstaunlicher.
***
An dem Abend und in der Nacht, den Julia mit ihrer Mama im Laden verbrachte, entwickelte ich das Konzept für die Firmenwerbung der Europ-Spedition. Und wenn ich diesen Auftrag bekomme, dann bin ich für ein paar Jahre saniert. Aber Julia muss mithelfen, muss fotografieren usw. Einstellen werde ich sie, als Mitarbeiterin mit allem drum und dran. Die Frau Hamberger, die mir alle paar Wochen die Buchhaltung macht, soll die Julia anmelden und sie ein wenig anlernen, dass sie das Geschäft besser versteht. Aber ich mache mir Gedanken, vielleicht will sie gar nicht?! Helfen will sie mir bestimmt, aber darf man überhaupt eine Schülerin beschäftigen? Wird alles rauszukriegen sein!
Ich muss nur noch zwei Tage warten, denn Julia hat beschlossen, eine Woche nichts zu reden, um wie sie sagte, ihr Wohlbefinden nicht raus zu lassen. Dieser Spaß dauert bis Sonntag, aber ich muss sagen, inzwischen fühle ich mich auch wohl. Wir schreiben uns auch nicht an und nach einem Tag hörte ich auf, sie anzusprechen.
Wir suchen und finden, wir begegnen einander und berühren uns ganz oft, nicht, um damit etwas auszudrücken, nur um zu spüren. Was dieses junge Ding für Farbe in mein Leben bringt, nicht zu glauben, würde ich es nicht erleben. Julia schreibt Songs, komponiert Musik dazu auf dem kleinen uralten Synthesizer, den ich einmal geschenkt bekam und dessen elektronische Klänge mich zu ihr führen.
Ich selbst glaube, dass Julia einfach eine zeitlang nicht sprechen will, weil sie von sich so überrascht ist, ich meine ihre Aktivitäten. Zum Beispiel hat sie in der ganzen Wohnung an jeder freien Wand weiß lackierte Blechbänder in Augenhöhe angenagelt, um mit ebenfalls weißen Magneten Fotos daran zu befestigen. Sofort bat ich sie, das auch im Laden zu machen, und nun kann ich meine Entwürfe und Pläne mühelos auf- und abhängen.
Julia fotografiert nun Bruchstücke / Ausschnitte der Realität und das verfremdet. Diese Fotos sind wie Bilderrätsel, bei den meisten gibt man sich allerdings mit der abgebildeten Form zufrieden. Eine Kastanie schützt ihre neuen Triebe für das nächste Jahr, indem sie mit einer glänzenden, lackartigen Hülle überzogen werden und dies Bild vergrößert ergibt ein insektenhaftes Gebilde. So ergeben Mauerrisse tiefe Schluchten. Rosenkelche Erotisches, Kaktusoberflächen Erstaunliches.
Sie hat angefangen, zu Hause meine alten Cordhosen zu tragen, he, he, mit Hosenträgern – hat ja keine Hüften, s Baby. Zu kurz, viel zu kurz sind die Hosen, und zu weit, aber ich muss zugeben, irgendwie sieht es an ihr gut aus. Na ja, sie kann sich gut bewegen, macht ihre Show mit dem kleinen Popo!
Seit wir nicht reden, habe ich mir so ein „Pfeifgehauche“ angewöhnt und ich improvisiere Jazzmelodien, von denen Julia begeistert ist und manchmal gelingt uns eine ausgezeichnete Session, indem Julia ihre Wangen höhlt und darauf trommelt.
Nach wie vor macht Julia keinen Strich in der Wohnung. Sie kümmert sich um das Schlafzimmer, bezieht alle vierzehn Tage das Bett, hält eine gewisse Ordnung, aber sonst bekümmert sie nichts. Wohnzimmer, Arbeitsraum, Klo, Bad und Küche sind mein Refugium. Julia stellt das Geschirr vom Tisch auf die Anrichte, aber sie würde die Spülmaschine auf keinen Fall bestücken. Ich putze das Bad und die Toilette, ich sauge und wasche, ich räume ihre Kleidungsstücke auf, ich bügle, reinige die Vorhänge, bringe die Fensterscheiben auf Vordermann und koche.
Kochen interessiert Julia sehr. Sehr, weil sie gerne isst, aber nur, weil ich das koche, sagt sie. Ich weiß von ihrem Vater, dass sie eine Hungerkünstlerin war, aber hier isst sie gut, ich will damit sagen, mit Appetit. Sie sieht mir zu, probiert und kostet, aber außer ihrer Quarkspeise zu der Party hat sie noch nie etwas fabriziert. Dies macht mir nach wie vor keine Probleme, aber es würde mich nicht wundern… Hör auf, sie braucht das nicht zu tun!
Mit den so viel zu weiten, zu kurzen Cordhosen sieht sie original aus wie „Tom Sawyer“, der von „Huckleberry Finn“. Sie ist so witzig, ich könnte…., ach, ich liebe sie wirklich einmalig.
Ach ja, hat jemand gewusst, dass Mark Twain eigentlich Samuel Langkorn Clemens hieß?
Heute ist Allerheiligen. Die Sonne grüßte und wohl eine Stunde lang aus reinem Himmel und wie wir so überlegen, was wir unternehmen sollen, steigt sie zurück ins Wolkenbett. Na gut, dann wollen wir einen beschaulichen Tag begehen. Ich habe eine Kerze angezündet für meine Eltern, weine ein Tränlein für meine Mama! Julia fragt mich zum x-ten Mal, wie es ist ohne Eltern zu sein und ich frage zurück wie es ist, mit Eltern zu sein. Sie grübelt sich durch die Wohnung, schimpft mich unfair und meint, dass sie ihre Eltern nicht fühlt!
„Siehst du, und wenn die Eltern tot sind, dann fühlt man sie!“
„Und wenn man die Eltern fühlt, was ist dann, wenn s,sie tot s,sind?“
„Dann liebst du sie!“
Julia sagt, sie hat keine Angst vor dem Tod. Nur wer keine Angst vor dem Tod hat, kann glücklich leben, sagt Julia. Sie ist schon ein erstaunliches Mädchen und von wem sie das habe, frage ich. „Fränzchen von Assisi und er nannte den Tod seinen Bruder.“
Fränzchen…
Heute Mittag, wenn die anderen Leute essen, gehen wir auf den Friedhof. Nur wenige Leute stehen oder knien vor den Gräbern, um Lichter zu entzünden, das Grab zu richten. Die meisten halten den Kopf schräg, was Andächtigkeit bedeuten soll.
Wir gehen durch die Grabreihen, die uns interessant erscheinen, bestaunen die Grabsteine samt Inschriften, die Kreuze, den Schmuck. Es sieht eher fröhlich aus mit all den Blumen und Kerzen, empfindet Julia und da hat sie Recht. Das Wetter ist wie bestellt für diesen Tag. Eine schwere Wolkendecke gleitet langsam im Himmel, ab und zu ein Bläuchen, aus dem die Sonne Strahlen gleißen lässt und mal diesen oder jenen Teil des Friedhofs erhellt, vergoldet. Julia fotografiert heimlich, da einen vermoosten Namen, ein paar silberne Flechten auf dem Gesicht eines steinernen Engels, einen frechen Spatzenvogel, der in einer Weihwasserschale badet.
Julia sieht aus wie der „Boindelgramer“ der Seelenkäufer, der Tod aus dem Theaterstück „Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“ von Franz von Kobell.
So groß und dünn hat sie den grauen Lodenumhang umgeschwungen – ein Geschenk meiner Schwester an sie (er gehörte meinem Vater), die schwarzen Jeansbeine und die inzwischen für sie unvermeidlichen schwarzen Bergschuhe mit den roten Schuhbändern und auf dem Kopf die schwarze Filzkapp von mir sieht sie wirklich aus wie der Gevatter… Nur wenn man dann ihr Gesicht sieht, das kleine weiße Oval, in das so eine gütige, lustige und interessierte Miene geformt ist, wünsche ich mir, dass so der Tod aussieht. Hey, ist der Tod eine Frau?
Schon andächtigenden Schrittes gehen wir gemächlich durch die Gräberreihen, uns auf das und dies aufmerksam machend und auf einmal sagt Julia:
„Ich weiß, was du denkst, Louis“.
„Was?“
„Du denkst, was ich tue, wenn du gestorben bist!“
„Stimmt, das habe ich vorher gedacht!“
„Und ich habe es gespürt.“
„Und was tust du?“
„Ich gehe zu „Juan Carlos“ essen! Aufgedeckt muss werden für zwei und wir trinken Rotwein und der Paolo Conte muss ganz oft das Lied singen von „Ein Tag am Meer.“
„…und „Giornata al Mare“
„Ja, und wenn er singt „Nur mit einer Geranie und einem Balkon“ dann weine ich, wie du als deine Mutter starb und du mit Rotwein und diesem Lied so lange in der Küche gesessen bist, wie du mir erzählt hast.“
„Hör auf, Julia, ich bekomme gleich einen Weinauflauf!“
Und sie umarmt mich und wir flennen hemmungslos aufeinander ein und die Leute werden denken: Wen die wohl verloren haben? Wir weinen aber, weil wir uns gefunden haben.
Als ich ihr ins Ohr flüstere, dass Allerheiligen im Italienischen „Tutti i Santi“ heißt, muss sie lachen und wir machen uns auf den Weg zum „Juan Carlos“ und Julia befiehlt mir, dafür zu sorgen, dass auf keinen Fall beim „Juan Carlos“ der Conte spielt, sonst bekommt sie Herzquälereien.
Wir schlendern Arm in Arm….- nimm die Hand von meinem Kopf, Luder….- betrachten Schaufenster und unsere Spiegelbilder darin und wir finden uns gut zusammenpassend. Liesl Karlstadt und der Valentin lachen uns entgegen.
Was für ein Tag.
Wir liegen in der Badewanne, Julia muss die Beine soweit anziehen, dass ich bequem meine Zeitung darauf ausbreiten kann. Ich liege zwischen ihren Beinen, die Füße neben ihren Hüftchen, ihre Füße sind unter meinem Po, spüre ab und zu ihr Kätzchen an meinem Zipfel. Julia schwelgt in Klavier von Keith Jarrett über Kopfhörer und ich lese Zeitung über den unglaublichen Mist zwischen den Juden und den Palästinensern, den Katastrophen in den Bergen, den Überschwemmungen in den Ebenen, über geschlachtete missbrauchte Kinder und mich fröstelt. Muss heißes Wasser nachlaufen lassen.
Lagen in Liebe im Schaumbad, küssen, und Julia nagt mir die spröde Haut von den Lippen, begehrt meine Molligkeit und mich haut es einfach um, spricht sie von der Verbundenheit der Herzen.